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BERLIN  

Donnerstag 12. Februar

1931

Der Abend

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Nr. 72

B 36 48. Jahrgang

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Haussuchung bei SA.

Hakenkreuzpartei begünstigt und versteckt die Mörder

Der Bolizeipräsident teilt mit: Ju Erledigung eines in der Totschlagsfache Schnei. der- Graf, Hufelandftr. 31, ergangenen Beschlusses des Unter­fuchungsrichters beim Landgericht I Berlin  , Landgerichtsrat Dr. Bed­mann, wurde heute morgen eine Untersuchung der Ge­schäftsräume des fogenannten Obersten   Sturmführers, Haupt­mann a. D. Stennes, feiner Privatwohnung, sowie der Geschäftsräume des Gauffurmes Berlin, Hede­manuft 10, ferner der Wohnung des Gausturmführers, der Mitarbeiter und Standartenführer und der für den Wohnbezirk der gefuchten Personen zuständige Bezirk der Sektionsführer der NSDUP. von Beamten der Politischen   Polizei vorgenommen. Die Untersuchung bezwerte die Feststellung des Aufenthaltes der Gesuchten Beder und Hauschte. Die Ermi.flungen nehmen zur Zeit ihren Fortgang, ihr Ergebnis kann noch nicht mitgeteilt werden."

Die Haussuchungen der Bolitischen Polizei erfolgten auf breite. fter Grundlage heute morgen um sechs Uhr pöllig über raschend. In der Hedemannstraße, wo der Gaufturm in dem Hause Nr. 10 seine Büros hat und wo sich auch die Wohnung Des Dfaf, Hauptmann a. D. Stennes, befindet, rückten pie Kriminalbeamten, unterstützt durch eine Hundertschaft der Schutz polizei an, und drangen in das Haus ein. Die vierte Etage, mo sich die Büros der Sturmabteilungen befinden, und wo auch die Hauptgeschäftsräume des Gaufturmes untergebracht sind, wurden in einigen Augenbliden besetzt. Die S.- Wachen, die dort Tag und Nacht postiert sind, um die Büros zu bewachen, durf en die Räume nicht verlassen, um zu verhindern, daß sie mit der Außen

melt in Berbindung traten. Die Telephone wurden eben, ein furzer Briefin Maschinenschrift überbracht, in dem falls befeßt, um auf diese Art eine Verständigung mit der Außenwelt zu unterbinden. Die Beamten pacten dann das gesamte fchriftliche Material, besonders die Kartei der Sturmabteilungen, in der die Namen und Adressen der Führer und Unterführer sowie der fchäftsbücher und die korrespondenz, und brachen vor allen Dingen Mitglieder verzeichnet sind, zusammen, beschlagnahmten die Ge­auch das Material der Verwundeten- und Gefangenenhilfe" auf die bereitstehenden Caftwagen, da diese Abteilung im Berdacht steht, die Mittel für die Flucht der Mörder gegeben zu haben.

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Das gesamte Material wurde zunächst ins Polizeipräsidium ge­bracht, wo Beamte der Abteilung IA die aufgefundenen Schrift­ftüde fichten sollen, und von wo aus Schriftstücke, die dem Unter­fuchungsrichter Fingerzeige für seine weiteren Ermittlungen geben fönnen, überwiesen werden sollen. Auch in der Wohnung des Hauptmann a. D. Stennes und des Gausturmführers Wegel wurden durch Kriminalbeamte umfangreiche Haussuchungen vor­

genommen.

Auch in den Wohnungen einer Anzahl Unterführer murde durch Beamte der Abteilung I A nadh Materiat gesucht. Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei auf die Versammlungslokale und die Wohnungen der Unterführer im Bezirk Friedrichshain verwandt, da man dort Anhaltspuntte über den Berbleib der beiden flüchtigen Täter zu finden hoffte.

Bährend der Haussuchung beim Gaufturm in der Hedemann­straße ging es in dem Gebäude recht lebhaft zu. Die Polizei ließ die Angehörigen der Nationalsozialistischen   Partei, die dort morgens hintamen, unbehelligt. Die Redaktion des Angriff" und auch die Feldzeugmeisterei", die im ersten Stod untergebracht sind, wurden nicht durchforscht.

Die organisierte Mörderhilfe

Der Berliner   Maurerlehrling Franz Kollatz wurde bekanntlich bei Kufstein   festgenommen und inzwischen nach Berlin   übergeführt. Kollak ist verdächtig, an dem Mord der beiden jungen Sozialdemokraten Schneider und Graf beteiligt zu sein. Nach der Verhaftung werden nun Einzelheiten über die Unterstützung bekannt, die Kollak von den Nazis aller Grade erhielt. Diese Einzelheiten lassen faum noch einen Zweifel, daß die Hitler  - Partei cine Organisation besikt, die politische Ver brecher systematisch über die Grenze schafft, um sie den Armen der deutschen   Justiz zu entziehen.

Die weiteren Untersuchungen durch die Polizeibehörden haben ermiejen, daß die

Mörder mit Unterstübung ihrer Gesinnungsgenoffen von Ork zu Orf eilten, bis sie die Grenze erreicht hatten.

Es ist erwiesen, daß die Flucht wohlvorbereitet war und die Täter aus Quellen, die zweifellos in Berlin   zu suchen sind, aus­reichend mit Gelpmitteln versorgt wurden.

ia

Becker und Hauschke entkommen. Inzwischen ist Kollag bei der Berliner   Polizei mehrmals ein­gehend vernommen worden. Die Verhöre haben bisher ergeben. daß Kollaz sowie seine beiden Mittäter Becker und Hauschke zu­nächst getrennt flüchteten, später vor den Toren Berlins  wieder zusammentrafen und bis Neubrandenburg   ihre Flucht gemeinsam fortsetten. Hier trennten sich die Hakenkreuzler endgültig. Beder und Hauschte entfamen, Kollah dagegen lief der Polizei an der Grenzfähre des Inn   bei Kufstein   direkt in die Arme.

Borbereitungen zur Flucht.

Rallah hat sich vom 3. Januar bis zum 3. Februar, also einen vollen Monat, feiner Festnahme entziehen tönnen. In den Morgen. ftunben des 3. Januar verließ Rollag die Bohrung seiner Mutter, um, mie er angab, zum Bolizeipräsidium zu gehen und sich frei willig zu stellen. Auf dem Wege dorthin fehrte er in etwa sieben bis acht Lofalen ein und betrant sich. Er gab feine ursprüngliche 2b­jicht infolgedessen auf und fehrte pieder heim. In dem Restaurant ron Runit trof er Beder und Hauschte, und man überlegte, ob es nicht beffer wäre zu ,, verduften". Der Flugtplan murbe ober­

flächlich besprochen und Kollah, der über 30 Mart Bargeld verfügte, gab den beiden anderen je 10 Mart ab. Die Flucht sollte mun sobald wie möglich bewerkstelligt werden.

SA.  - Befehl zur Flucht.

Kollak ging darauf in die Wohmung seiner Mutter zurück. Dort wurde ihm bald nach seiner Heimfehr von einem S2.- Mann

Der beanspruchte Osaf

Tisch

Entwurf

für einen Stuh

33

Tür

GELer

700

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Entw

Osaf Hitler, wichtige Meldung aus dem Reichstag  : Fraktion verließ soeben

..

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" Ruhe! Mir fällt gerade ein neues Tapetenmuster für das Parteipalais ein!"

ihm der Befehl erteilt wurde, den SA.  - Kameraden Hauschte nach Feldberg zu begleiten. Bald darauf erhielt Kollatz abermals durch einen S2.- Boten einen zweiten Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde ,,, daß der ergangene Befehl sofort auszuführen sei. Die Briefe Der Diensttuende". Maltig ist angeblich ein Haupt Adresse von Maltig hätte er ja!" Unterschrieben waren beide vernichtete die beiden Mitteilungen, verließ die Wohnung und begab mann a. D., der in Innsbrud Führer der SA.   ist. Kollat sich wieder in das Lokal von Kunit, wo Hauschke ihn bereits er­

Eine Verhaffung in Neustrelitz  .

Im Zusammenhang mit der Flucht der drei Mörder ist noch gestern abend in Neustrelit eine Verhaf.

tung erfolgt.

martete. Gemeinsam gingen sie zum Ringbahnhof Prenzlauer Affee. Unterwegs gab Hauschte feinem Begleiter 90 Mart. Ueber bie Her­funft des Geldes, befragt, machte Hauschte nur untiare Angaben. Beide führen zunächst nach Reinidendorf, von mo sie sich nach furzem Aufenthalt nach Oranienburg   meiter begaben. Abends traf dort auch Beder ein. Es wurde beschlossen, sich zu trennen, um nicht unnötiges Aufsehen zu erregen; für den anderen Morgen wurde ein Zeitpunkt für die Weiterfahrt vereinbart. Kollag hielt fich die Nacht über in einem Wäldchen auf, die beiden anderen hatten als Bersted den Chausseegraben gewählt. Am 4. Januar um 6 Uhr früh fuhren die Flüchtlinge nach Strelik und mit einem Anschluß­aug nach

Feldberg in Medlenburg

meiter. Auf dem Bahnhof in Feldberg wurden die drei bereits erwartet. Ein mohlbeleibter Herr, der das) akenkreuz an seiner Jade trug, fragte nach Kollatz. Dieser gab sich zu erkennen un stellte feine beiden Komplicen vor. Der Feldberger Hakenkreuzler, der sich als SA- Führer bezeichnete, nannte ihnen das Hotel Pfigner. wo fie Unterkommen finden würden. Er begleitete die Ange­fommenen noch ein Stück und zeigte ihnen den Weg; dann entfernte er fich. Auch im Hotel Pfitzner war man bereits völlig im Bilde. Ein Zimmer mit drei Betten stand bereit. Kollatz trug sich mit seinem richtigen Ramen in das Fremdenbuch ein, Hauschke und Becker da gegen zeichneten mit falschen Namen. Die Seite des Melde­buches ist später aber herausgeriffen und vernichtet worden.

Bier luftige Tage.

In Feldberg   verlebten die drei Hafenkreuzler recht fröhliche Tage. Sie müssen sich dort sehr sicher gefühlt haben. Mit dem Sohn des Hoteliers gingen sie mehrmals auf die Jagd; sonst wurde die Zeit mit Statspielen und Trinken totgeschlagen. Durch den Rundfunk erfuhren sie dann haarklein, daß der hinterhältige Mord in Berlin   starte Erregung hervorgerufen, und die Polizei die Suche nach den flüchtigen Zätern aufgenommen hatte. Inzwischen mar ihnen von dem dortigen SA.- Führer, der nach Berlin   gefahren war und hier über sie vermutlich genaue Erkundigungen eingeholt hatte, eine Bescheinigung übergeben worden, in der stand, ,, daß es sich um arbeitslose SA.  - Leute handle, die man unterstützen solle. Diese Bescheinigung trug einen noch unbefannten Firmen­stempel. Außerdem erhielt jeder 30 Mart. Nach diesen Ruhetagen wurde die Flucht mit dem Ziel Oberau­ dorf   bei Kufstein   zunächst nach Neubrandenburg   fortgefeßt, wo Kollag

bei dem SA.- Führer Porath Quartier

fand. Becker und Hauschke trennten sich in Neubrandenburg   von Kollag. Das war am 9. oder 10. Januar. Offenbar sind sie gleich meitergefahren, weil sie sich auf deutschem Boden nicht mehr allzu ficher fühlten. Von Neubrandenburg   reiste Kollaz dann nach Ruhlam meiter. Dort wurde er von dem SA.- Mann Walter Koch bis zum 2. Februar verborgen gehalten. Von hier schrieb Kollak auch an den Nazizeitungshändler Trocha in Berlin   einen Brief, in dem er mitteilte, daß es ihm gut gehe, ihm aber der Tobat" ( Gelp) ausgegangen märe. In dem Umschlag befand sich noch ein meiterer, an die Mutter des Flüchtlings gerichteter Brief, in deffen