(Beilage Donnerstag, 19. Februar 1930
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676 in der Hölle von Cayenne Aus der Niederschrift eines Flüchtlings
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Das französische Sträflingsschiff„La M a r t i n i e r e" hat 676 Schweroerbrecher übernommen, die nach der BerHrecherkolonie Cayenne abgeschoben werden. Unter den Deportierten befindet sich auch ein Deutscher, der Ende vergangenen Jahres einen Pariser Waffenhondler erschossen Hot.(Zeitungsmeldung aus Paris, ) Die Verlagsdruckerei„Volksfreund G. m. b. S)." Karlsruhe veröffentlicht die Aufzeichnungen des ehemaligen Fremdenlegionärs Alois N o l d. Das Buch führt mit Recht den Titel„Die Halle von Cayenne'. Di« Erlebnisse des Legionärs in der franzö- fischen Sträflingskolonie in Cayenne stehen im Mittelpunkt der Schilderung. Durch die Hinterlist eines Werbers in die Fremden- legion geraten, findet Nold sich nach zweimaliger Flucht bei den Marokkanern und nimmt am Kampf der Rifkabylen gegen die Franzosen teil. Nach Zusammenbruch des Aufftondes in französische Gefangenschaft geraten, wird er zu 26 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und zur Verbüßung seiner«Arafe nach Französisch-Guayana (Südamerika ) in die Verbrecherkolonie Cayenne transportiert. Am Malariasieber erkrankt kommt er dort an und muß sofort in das„Krankenhaus" eingeliefert werden. Wie es hier aussieht, ist grauenhaft genug. Im„Krankenhaus". „Im oberen Stockwerk des Hauses", so erzählt Nold,„bezogen wir einen Unterschlupf. In einem mit 3 6 Betten bestellten Saal. Im Nu lagen wir, 36 Mann, im Adamskostüm auf diesen angeblichen Schlafftellen." Neben ihm zwei arm« Teufel im Fieber- mahn halluzinierend, die meisten zu Skeletten abgemagert. Fürchterlicher Gestank benimmt den Atem. Die Stroh- und Seegrassäck«, halbverfault, strömen wahre Stalluftwolken aus. Und dann die Nacht. Kaum ist die tropische Finsternis herein- gebrochen, schwirren V a m p y r e, fledermausartige Untiere, so groß wie«ine geballte Faust, herein, beißen sich an den Körpern der Kranken fest und saugen ihnendasBlutausdenAd« r n. „Hör ich nicht Röcheln? Ich halte meinen Atem an und ver- nehme, daß rechts und links die Leidensgenossen kämpfen: mit dem Tode! Meine Nerven halten'? nimmer länger aus. Ich spüre heiße Blutwellen durch meinen Körper jagen. Das Fieber hat auch mich gepackt. Ich tobe mit mezyen Leidensgefährten um die Wette. Endlich gegen Morgen wird es bester. Mein Kopf ist klar, das Fieber hat nachgelösten. Nur die Stich- und Bißwunden der Vampire und 'Moskitos schmerzen wie brennendes Feuer. Jetzt fallen mir meine Schlafnachbarn«in. Ich dreh mich zu ihnen hin. Nackt liegen sie auf den Betten. Die Züge starr! Der Mund ist geöfsnet! Tot! Nach acht Tagen Aufenthalts im Hospital sind nur noch zwei Lebende in dem Raum: Nold und ein allerer Korsikaner. Beide genesen und werden zunächst in das G e f an gen e nba g e r übergeführt. Auch hier ähnlich« Zustände. Er ist erlöst, als er nach kurzer Zeit in dos 12 Kilometer weiter gelegene W o l d l a g e r St. M a u r i c« zu Hol,zfällerarbeiten geschickt wird. Ein Viertel Liter Kaffee am Morgen, dann unter glühender Tropensonne und in dunstiger Sumpfatrnosphäre fünf Stunden Arbell. Zwei Meter Holz sollen in dieser Zell bearbellet sein. Tin V i e r Le l Meter bewältigt Nold. Der Erfolg: das Abendessen wird ihm vorenthalten. Einige Wochen unter diesen Bedingungen, und Nold bricht wieder zusammen. Malaria ! Rücktransport ins„Kranken- baus". lind wieder dasselbe Grauen! Die Todesspritze. „Wir gelangten in den Hof der Krantenanstalt. Welch«in Jammer war hier zu sehen! Di« armen Teufel? Wie Gespenster schleichen da vier über den Hof. Di« Zehen fehlen ihnen. Di« Wunden sind offen, zerfressen, angefault. Auf der rechten Selle vor der äußersten Baracke sitzen auf einer kleinen Bank drei arme Opfer der brutalen Behandlung. Abgemagert, bucklig und teilnahmslos senken sie ihre Köpfe, sie sind blind Trichinen sollen die Schuld tragen. Trichinen! Mag sein! Und die französischen Henkersknechte!" Ja, dies« französischen Beamten! Wenn auch nur die Hälfte von dem wahr wäre, was Nold anführt, es bliebe noch minier schlimm genug. Nachts wieder der Kampf mit den Vampyrcn und Mos- kitos. Ein Tag vergeht, ohne daß sich auch nur ein Krankenwärter sehen ließe. Und am zweiten Tag—.„hast du Franken?"— trill ein Sanitäter an sein Bett. Nun, gegen gutes Geld gabs Medikamente und einige Pflege, sonst— Do liegt neben Nold ein Franzose und jammert. Ihm fehlen beide Beine, aber niemand hilft ihm.„Ja, um Gotteswillen. hoben Sie kein Geld?"—„2 66 6 Franken" die Antwort. Aber: Die Krankenwärter kommen. Mit scheinheiliger Teilnahme fragen sie den Annen:„hast du große Schmerzen? Wir wollen • dir helfen und dir eine Spritz« geben; morgen früh bist du uns dankbar." Vor Haß schaut er die Wärter an:„B« i c u ch k a n n man oerrecken, wenn man will. Ihr seid ebenso schlecht wie die Aerzte. Nein, ihr seid noch schlimmer, ihr konmit jetzt nur, um mir mein Geld zustehlen, ihr Vampyre." Da werscit sich die Unmenschen über ihn und verabfolgen ihm mit Gewalt eine Spritze. Eine Todcsspritze! Mörder! hätte ich den vertierten Menschen zuschreien mögen! Hohnlächelnd ver- lassen die Sanitäter den Saal. Ich rufe den jungen Franzosen an, aber stumm liegt er aus seiner Pritsche. Er gibt mir keine Antwort mehr. Gern bätte ich mit ihm gesprochen, auch wegen der 2 6 6 6 F r a n k c n. Ii, seinem Bett waren sie nicht mehr. Am nächsten Morgen nach einer durchfieberten Nacht bringen die hinterlistigen, habgierigen Krankenwärter den Kaffee. Ein ekel- Haftes Gefüff! Sie haben eine Tragbahre dabei, um den kleinen Franzmann abzuholen. Er war g e st o r b e n! Sie wußten es. trotzdem sie ihn noch nicht gesehen hatten. Ihr Mittel lmttc ge- wirkt. In der Leichenhalle schnitten sie ihm d r n Bauch auf und holten aus dem Magen die 2666 Franken her- aus.. Nun hatten sie dos Geld— die Leichenickänder. Und der dritte im Bunde, der Arzt, stellte bei dem durch die Injektion getötete« armen Kerl Schlaganfall fest." Wie bei Nolds erstem Kran kenhau saufenthall sterben auch jetzt täglich Leute. Auf natürlich« Weif« oder künstlich, iügt Nold hinm. Und alles das wird in die?oi?', helle gkjchleijt, Bauch aufgchchl'tzt und jort in die Grube. Kulturdünger? Drei Woche« so. Dann vierzehn Tage als Genesender auf der «chreck-s-tasel St. Loseph und ob m d« Urwald zu»
Straßenbau. Urwald, Sumpf und seichte Seen bilden da- Terrain der werdenden Straße. 1883 wurde der Bau begonnen, seit-14 Jahren baute man an dieser Anlage und glücklich 44 Kilometer waren hergesteilt. Tic Hölle. „44 Baujahre! Und tausende Sträfling« haben dabei ihr Leben lassen müssen. Ihre Leichen schlummern in den Schlingerwurzeln der Sümpfe. Tägliche ja stündlich(?) hauchen solch arme Menschen- skelette ihr Leben aus und werden in irgendeinen' Graben oder Sumpf versenkt. Stumpfsinnig läßt uns all dies Geschehen. Die unmenschliche Behandlung macht keinen Eindruck mehr auf uns. Gleichgültig sehen wir zu, wie mit den Leichen der zu Tode ge- follerten Strafgefangenen umgegangen wird... Wir sind ja auch keine Menschen mehr, sehen vielmehr wie Tiere aus. Die Haare auf dem Kopf und im Gesicht langaewachscn, die Lippen auf- gesprungen, so stehen die meisten von uns da und glotzen auf die Baume, halten Ausschau nach wilden Bananen. Kleidungsstücke haben wir so gut wie keine mehr an. Die mei st anarbeiten völlig nackt, Schuhe oder Strümpfe kennen wir überhaupt nicht mehr, was für uns das schlimmste ist." Fluchtpläne werden in Nold reif. Allmählich weiht er acht andere Deutsche in seine Pläne ein. Nach einen, Viertel- jähr wird ein Lebensmtttelboot gekapert, der Aufsichtsbeaintc nieder- geschlagen, die Proviantämter werden geplündert und los geht es 56 Kilometer flußabwärts, dem Meere zu. Soweit alles ganz gut. Auf offenem Meer jedoch Spielball von Stürmen, hält sich das Boot notdürftig sechs Tage, wird auf ein Riff geschleudert und das Meer spell die Abenteurer wieder an Land, wo sie einer G e n d a r- m e r i e st r e i f e in die Hände fallen, um in das Gefangenenlager zurückgeliefert zu werden.
Flucht durch den Urwald. Das Gericht ist verhältnismäßig gnädig. 36 Tage Gesang- n i s bei Wasser und Brot, und das Elendsleben des Sträflings bei einem Viertelliter Kaffee des Morgens und halbem Esten am Abend beginnt von neuem. Nein, dos halte ans, wer will, Nold nicht? Flucht durch den Urwald sein neuer Plan. Bis»ur Grenz«, zur holländischen Kolonie Guayana , sind etwa 466 Kilo- meter. Am 12. Oktober 1927 bricht die Kavalkade, die Nold um sich versau, melt hat(wieder neun Mann), drei Flaschen Koch- salz und drei Schachteln Streichhölzer als eisernen Bestand, aus. Durch Dschungel und Urwald geht es. Bananen Kokos- nüsse und Datteln einzige Nahrung. Am 21. Tage ist der Grenzfluß Maroni erreicht. Auf schwankendein Bombusfloß geht es flußabwärts. Begegnung mit einer Polizei- Patrouille von zwei Mann.„Hände hoch!" Uyd fertig zum Schuß. legt ihr Kanu am Floß an. Die Häscher werden„erledigt", und ihre Leichen versinken im Fluß, den Krokodilen zum Fraß. Nun schleunigst hinüber auf holländisches Gebiet. Di« Nahrung wird, nun man Schußwaffen hat, reichhalliger. Affen, Perl- Hühner und Wildschweine ergänzen sie. Doch die Stim- mung wird immer trüber, zumal iin Laufe der Dschungelflucht drei Kameraden der Malaria zum Opfer fallen. Vollkommen vertiert die anderen. Nackt, stumpfsinnig, gleichgültig wanken sie dahin. „Und immer träger unser ohnedies schon n, i s e- rables Zusammengehörigkeitsgefühl" Da, am 49 Tage, Rauch in der Ferne. Die erste Menschen- s i e d l u n g seit dem Ausbruch ist erreicht. Buschncger sind es, die hier Hausen. Aber imnierhin Menschen. Ei» Tag Ruhe, und die entronnenen Sträflinge werden in die nächste Plantage eines Weißen und weiter zum deutschen Konsulat in Paramaribo be- fördert: wieder Menschen unter Menschen. Ii. 1.
Der Tag ohne Uhr Arn Fenster geschrieben/ Von Heinrich Hemmer
Der Steppenwanderer braucht keine Uhr, er Nest die Zeit vom Himmelszelt ab. Ich gucke hinunter, aber nicht nach der Westen- tasch«: mein Zifferblatt ist der sternförmige Platz vorm Hause. Ueber diesen läßt das Monster-Uhrwerk: Groß-Berlin genau wie die be- rühmte Straßburger Münsteruhr Stund« für Stunde seine Figu- rinen marschieren........ Schon am gmuetüten Morgen... Schon am grauenden Morgen hat es begonnen, das groß« Defile der Sklaven des Götzen Chronos. Ich seh« sie nach allen Himmels- richtungen ziehen, unhörbare Beinpaare, denn die Straßen kreuzen sich bis auf das Rondell. Aber während ich angesichts dieses Riesen- zisfernblattes, dieser Menschenuhr zeitlos leb«, sind sie, die mir die Zeit anzeigen, immer um die Zeit besorgt. Sie blicke» gequält nach ihrem Taschenchronometer: jetzt möchten sie seine unerbittlichen Zeit- zeiger anhatten, dann möchten sie sie wetterschieben, in den langen Stunden: und wenn sie auch nicht nach dem kleinen runden Ding sehen, das sie an eine Kette hängen(eine Kette, an der sie selber hängen), die Zett sitzt ihnen im Mark der Knochen. Sie kommen nicht los davon. Oh Chronos! Wieviel Uhr ist es? Es muß gegen sieben gehen, denn sie schreiten gemessen aus, solide treten sie auf, die Vorbeimarschierenden lind ihre leeren Hände hängen vorläufig noch in wohltueittier Schlapp- heit herab: zum Anpacken bereite, vom Anpacken breite Existenz- kämpserhände... Trapp, trapp, die Arbeiterorme«, ja es geht bestimmt gegen sieben. Wie die Zeit vergeht: jetzt mengen sich wesentlich zgrtere, unter reinen Schürzen pflichtschuldig ttippelnd«(manchmal sehr nett trippelnde) Beinchen dazwischen, und die dazu gehörigen(nicht minder abgearbeiteten) Hände tragen Schrippenkörbchen und Milch- k ä n n ch e n, rasch, rasch, wie die Zeit vergeht, schon wieder halb acht...(ober Minnaaa!) Hochbetrieb. Aber jetzt zchl's richtig los. Hochbettieb... Aktentaschen- läufer. Sie tteten viel unsicherer auf, diese Beinpaare. ES siegt etwas Gehemmtes in chrer Art. Ja, ja, ich verstehe: die Furcht vor dem gleichmäßigen Trott: der neu« Tag ist doch wiederum der alte Tag. Und, Donnerwetter, schon wieder so spät. Ihre Berne krümmen sich zum Sturmlauf auf den U-Vahn-Trichter. Das Damoklesschwert der Kündigung hängt über diese Chronos- sklaven mit dem baumelnden Symbol der Ordnung und Bildung: die Aktentasche. Typisch-Berlin , unumgänglich... und was ist eigent- sich drin... Stullen? Beinchen, Strümpfchen, Köfferchen in allen Forben: wetten, da liegt eine Büroschürze drin, neben einer Puderquaste und sonstigen... ach, und sie scheinen derselben Sorge hingegeben, wenn auch die Augen leuchten und der Mund lächelt.(Was wird aus der abraten Adjustierung und dem ganzen blitzblonksauberen Persönchen, was wird, wenn er diesen Ersten kündigt, der Herr Chef, oder den nächsten. Schnell: sie rennen in Endspurt, es geht gegen a.ch t. Bcstiiuntt gegen acht: von unten kommt ein blauer Schwärm gezogen, der sich am Rondell frohgemut nach allen Himmelsrichtungen zieht. Tragt ihr denn lauter Gratulationen und Liebesbriefe aus.. oder sind es nicht vielmehr Konkursansagen und Mahn- schreiben, von denen eure Tasche geschwollen ist, ihr sehr ge- losten schreitende.Herren... ja. ja, ich nerstebe. man ist im Dienst. Jetzt kommen kleine, schwache, dünne Beinchen, die sich aber mtt einer den Großen unbekannten Freiheit bewegen, wohl der Zeit gehorchend, aber Chronossklaoen sind sie nicht... sie werden es erst: diekünftigeGeneration. Den Scheitel hat wohl Mutt, gezogen, welche selbe auch das schöne Futterpaket zurechtgemacht hat. das man noch genau fo in der Hand hätt. wie es aeaeben wurde. Krrrrr: der Chef hat sich auf feine Bügelfattenbein« gemacht und steigt in das schnarrende Auto... oder war's der Bürovorsteher: neun Uhr ist's auf olle Fälle durch. Die U-Bahn, die den ganzen Morgen wie eine Riesenschlange nur geschluckt und geschluckt hat, spett jetzt schon langsam wieder aus. De« Herr, Stadt»
reisenden Lehmann samt Musterkoffer... und dergleichen mehr. Lehmann blickt sich hm: war vielleicht schon früher einer da? Geschäfte? mies! Herr Lehmann kämpft mit Ladenbesitzern, die mif Kunden kämpfen, die zu kämpfen hahen. Der halbe Bprmittag vorbei... Der halbe Vormittag ist vorbei: weil, nachdem sie die, Wohnung in Ordnung gebrocht, die kleineHaus f r o u einkaufen geht: mit Wichskedertafche öder Netz, in dem dann nebst einem Kohlkopf Apfel- finen aufleuchten werden, wenn sie vollgepackt und alles im Kopfe noch nachkalkulierend wieder über mein"Zifferblatt zurückkommt. Aber auf diesem ruht jetzt die Sonne — und auch Kinder» Mädchen ruhen; auf den grünen Bänken ums Rondell, die soviel hören und zu erzählen hätten. Und wo bis jetzt nur«ine einzige alte Frühaufsteherin mit ihrem Hündchen und ihrer Zettung gesessen hatte, der der Postbote dort die Post abliefert. Sie sitzt das ganze Jahr über stets auf der sonnigsten Bank. Sie beschreibt wie die Sonne«inen Bogen. Sie zeigt mir die Jahres» zeiten, die gute, alte Fee. Jetzt sind alle Bänke voll: Kindermädchen, Schwestern. und dazu gesellt sich, was sich an Männern in sehr frühem oder spätem Alter auf Partbänke setzt, was dort einen Anhang hat oder (im Frühjahrs vom springenden Brunnen und den strahlenden Blumen oder Augen angezogen, ein wenig vom heutigen Lebens- tempo verpusten, dem Götzen Chronos ein Schnippchen schlagen will. Mutti erscheint um zwölf, einen Feldherrnblick herumschweifen lassend: in Begleitung einer im vorgerückten Spielalter stehenden Tochter und ihrer ihrcthalber sehr freundlich behandeltest Freundin. Pause. Zwei weißkittelige Mittagspause ntäubchen kommen sich auf die leer werdenden Plätze setzend und packen Stullen aus. Ueberall setzen sich junge Leute hin und schlagen in Freiheitsbedürfnis die Beine übereinander. Rauch wird in die Luft geblasen, weil einem fo viele Dinge Lust sind, die man tun mutz. Rondellrunden folgen. Und jetzt ist Berlin , wo wie in keiner anderen Großstadt in „Schichten" gegessen wird, die Zett, drei Stunden, aus den. Fugen. Vier Uhr wird mir durch ein I n d i a n e r g e.h e u l der unreiferen lllochbarjugend angezeigt, die«inen Sturm auf den Sand- tasten des Platzes eröffnet. Wenn die U-Bahn allerhand ortsfremde Leute ausfpeit, die ratlos vor dem Rondell stehe« und wie Buridans Esel, der nicht cheiß. ob er sich zum rechten oder linken Futtertrog neigen soll, in der Mitte zu verhungern drohen. geht die Uhr aus fünf zu. Die Rückwanderung beginnt. Das ist ein scharf gekennzeichneter Tagesabschnitt. Die Rück» Wanderung beginnt: die U-Bahn schluckt wieder, aber viel un- regelmäßiger, die Figurinen haben es satt, für den Götzen Chronos herumzutanzen. Die Zeit, die auf ihnen lastete, jetzt wollen sie sie vergessen, bäumen sich gegen die zeitliche Begrenzung ihres Tuns auf, suchen einander, klamniern sich aneinander. Es entwickelt sich ein stets wachsender G c s e l l i g t e i t s t r i e b. Die Cafe- und die Kneiptüre geht auf und zu. Bei den Zeitungszeberuffen stehen einige und warten: Herrleins und Fräuleins, die nicht zusammengehören. Parkbekanntschaften werden leichthm geschlossen, die weiß Gott wie enden. Es ist gesorgt dafür, daß sie nicht zu glücklich werden, die dem bösen Geist Chronos Entronnenen, die einander suchen und denen das morgige Z c i t s ch e m a schon wieder in den Knochen liegt. Nochmal ist ein Höhepunkt zwischen Laden- und Torschluß. Ich sehe die Mädchen, die Hund« auf» Trottoir und leider(o saubere» Berlin ) nicht zur Gosse führen. Sehe Al>endNeider unter kurzen Mänteln aufleuchten. Das K i n o t o r schluckt und speit. Konzert- gänger ziehen(Kopf hoch) zur ll-Bahn. Cafemusiker gehen sich in der Kneipe von ihrer Knechtschaft erholen. Immer sche ich die Zett, fühle ich die Macht de? Götzen Chronos Trotzdem ich keine Uhr habe.