Freitag
20. Februar
* Der Abend
1931
Erfchetattislich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Vf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Erpedition; Berlin SW68, Lindenstr. 3
Spätausgabe des„ Vorwärts
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10 Pf.
Nr. 86
B 43 48. Jahrgang
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Ein Lockspitzel ertappt
Revolver- Schütze Pantel als Nazi- Provokateur festgestellt
Der jugendliche Hakenkreuzler Pantel hat am vergangenen Mittwochabend, vor dem Berliner Rathaus ohne jeden Anlaß auf zwei Reichsbannerleute acht scharfe Schiffe abgefeuert, von denen glüdlicherweise nur einer traf und allerdings den einen Republikaner am Arm verwundete.
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Bor seiner Berhaftung warf Pantel einen zur Absendung bereiten Brief von sich, der an die Rote Fahne" gerichtet und mit der nicht zutreffenden Adresse Berlin C 2, Bülowplay, versehen war.
Der Brief ist ohne Unterschrift, aber nach Pantels Eingeständnis non ihm geschrieben. Der Brief trägt das Lichtbild seines Schreibers Bantel und hat folgenden Wertlout:
Werte Genossen!
7 Räuber stürmen U- Bahnhof
Raffiererin auf Onkel Toms Hütte überfallen und beraubt
Ein Raubüberfall, der in der Art seiner Ausführung an die unruhigen Zeiten der Jahre 1922/24 erinnert, wurde in der vergangenen Nacht auf dem Unterrundbahnhof Cntel Toms Hütte ausgeführt. Eine Bande von sieben Räubern besetzte diesen Bahnhof und hielt das anwesende Personal in Schach . Chne das jemand in der Lage gewesen wäre, ihnen erfolgreich
Ich mache Euch hiermit auf einen besonders gefähr- Widerstand zu leisten, raubten sie die Rassen aus
lichen Mann namens Vantel aufmerksam, dessen Bild ich beilege. Der Bursche ist sehr gefährlich, der haut uns noch mal die ganze Rote Jungfront faputt. Die Jungarbeiter gehen in Massen zu ihm über. Er hat unter der Jungarbeiterschaft gewaltigen Anhang, so wie einst Horst Wessel . Dieser Mann ist so gefährlich, daß er umgelegt und beseitigt werden muß. Horst Wessel ist noch Plak für ihn. Die ,, Rote Fahne " möge ihn anprangern und sein Bild bringen. Der Bursche wohnt im Fischerfich."
Neben
Zum Schluß heißt es dann: ,, Nieder mit die Hitler- Sau!"
Bantel wohnt tatsächlich in jenem Charlottenburger Binkel, der Fischerkiez" genannt wird und in dem Prügeleien, Stechereien
und Schießereien jugendlicher Rechts- und Linksradikaler fast schon elltäglich find, Pantel macht einen geftig högt märger pie
höchst minderwertigen Eindrud, er hat einen Kopf, der für den kräftigen Körper viel.zu flein ist und er ist offenbar von einem tranfhaften Geltungsbedürfnis, einer Art Großmannssucht, besessen.
Es ist möglich, daß dieser Brief an das Hauptquartier des ,, Erbseindes" die vermeintlich einem anderen Naziführer drohende Kommunistenrache auf Pantel ablenten sollte, indem er sich als besonders gefährlichen" und erfolgreichen Berber hinstellte. Jedenfalls sollte dieser Uriasbrief gegen den Schreiber selbst, die, Mordheze steigern, womöglich durch ein Attentat auf Bantel eine Rache attion der Hafenfreuzier, dadurch wieder einen Gegenschlag der ,, Antifa" hervorrufen und so fort in jener unaufhörlichen Reihe von Bluttaten, die nun seit Jahr und Tag Deutschland makedonijieren.
Es ist eine typische Lodipigelpropofation, die hier ein ganz junger Mensch verübt eine nieberträchtige Fälschung, begangen, um dem Blutstrom neuen Zufluß zu verschaffen.
Das ist eine Frucht jener grenzenlosen Hezze, die offen fundige Binchopathen, streng legal" tagaus, tagein- und natürlich streng legal treiben und mit der sie den Geist der Maffen in einer Art vermüsten, die auf dem geeigneten Boden tranter Hirne folche Ernte bringt!
Wahlsieg der Arbeiterpartei.
London Jslington gut gehalten.
London , 20. Februar.( Eigenbericht.) Die Ersagwahl in dem Londoner Wahlkreis Islington für die nerstorbene Labour - Abgeordnete Ethel Bentham führte zu einem erfreulichen Erfolg der Arbeiterpartei. Ihre Kandidatin Frau Manning wurde mit 2277 Stimmen Mehrheit gewählt.
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Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, meil es dem Reichskreuz fahrer und Reichsfreihändler" General Critchley tros riesiger Propaganda der Beaverbroof- und Rothermere Breise nicht gelungen ist, den Wahlkreis zu erobern. Lord Beaverbroot, der fich mit einer Anzahl öffentlicher Reden am Wahltampf beteiligt hat, wird von den Konservativen bitter angegriffen, meil er den Sozialisten durch Spaltung der konservativen Stimmen den Wahlkreis ausgeliefert habe. Tatsächlich ergeben die konsernativen und Reichsfreihändlerstimmen eine Mehrheit Don beinahe 5000 über die Stiminen der Arbeiterpartei.
und flüchteten mit der Beute in den nächtlichen Grune wald, in dem sie entkamen. Nach vorläufiger Schäßung und den Räubern etwa 150 Mart in die Hände gefallen. Alle polizeilichen Maßnahmen haben sich bisher als vergeblich erwiesen. Von den Räubern ist keine Spur mehr
vorhanden.
Der U- Bahnhof Krumme Lante hat zwei Ausgänge. Am Donnerstagabend war nur der Ausgang geöffnet, der zur Riemeister Straße führt. Die Kassiererin Gertrud Stübbe hatte furz nach
Heute abend
Kundgebung des Reichsbanners im Sportpalast - Beginn: 8 Uhr
1 Uhr ihre Tageslojung abgerechnet und das Geld zur Ablieferung ab, die sie zu tragen pflegt, legte sie auf den Tisch und begab sich bereitgelegt. Šie zog von den Fingern drei Ringe zum Waschbecken, um ihre Hände zu reinigen. Plöglich hörte fie vor ihrem Schalter die Tritte mehrerer Leute und wunderte sich, wer zu so später Stunde noch fam. Als sie an das Schalterfenster ging, sah sie zunächst
drei Männer, die Masken vor den Gesichtern hatten. Immer nochy ahnte sie nichts Böses, glaubte vielmehr, die Leute tämen von einem Mastenfest und wollten Fahrkarten lösen. Da an ihrem Schalter nichts mehr verfauft wurde, die Kartenausgabe zu dieser Zeit von zwei Schaffnern an der Sperre besorgt wird, so winkte sie den vermeintlichen Fahrgästen zu, sich dorthin zu wenden. Statt zu gehen,
hob einer der Männer das Bein hoch und trat in die Schalter. scheibe hinein,
die flirrend zersplitterte. Durch die Deffnung richteten zwei der Männer Revolver auf die Kaffiererin und forderten sie auf, heraus. zukommen. Da sie sich in dem kleinen Raum nirgends verbergen fonnte und befürchten mußte, daß geschossen werden würde, trat sie aus der Tür. Erst jezt sah sie, daß es noch mehr als drei Personen waren. Während einer der Räuber bei dem wehrlosen Mädchen stehen blieb und sie mit der Waffe in der Hand bewachte, ging ein anderer in den Kassenraum hinein und steckte das aufgestapelte Geld, zusammen 111,95 Mart, in die Tasche. Barsch wurde sie dann aufgefordert, zu sagen, ob noch mehr Geld vorhanden sei. In ihrer Angst zeigte die Kajsiererin auf einen fleinen Schrant, in dem in einem Sädchen noch 34,50 Mart Wechselgeld standen. Auch das steckte der Räuber zu sich. Inzwischen war den Schaffnern an ihren Ständen aufgefallen, daß am Kaffenraum eine merkwürdige Unruhe mar. Als sie hingingen, um nachzusehen, wurden auch sie von drei Männern mit Waffen in den Händen gezwungen, ihre Hände hochzuheben. Sie mußten mit ansehen, wie die Täter sich des Geldes bemächtigten. Jeder Widerstand wäre zwecklos gewesen, da angesichts der Uebermacht niemand etwas hätte ausrichten können.
Plötzlich fam auch der Wächter, der nachts den Bahnhof fontrolliert, mit erhobenen Händen die Treppe hinunter. Shm folgte auch eine Bistale in der Hand ein großer träftig gebauter Mann, dessen Gesicht unmastiert war. Dieser mar ohne
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Zweifel der Aufpasser, der draußen den Verlauf des Ueberfalls aba gewartet hatte. Da er immerhin mit der Möglichkeit rechnen mußte, daß noch verspätete Fahrgäste erscheinen würden, so konnte er sich natürlich nicht mastieren. Der Wächter war ahnungsios an ihm porübergegangen und wie die anderen gezwungen worden, die Hände
hochzuheben.
Die Räuber trieben die Eingeschüchterten vor sich her auf den Bahnsteig und drohten, sofort zu schießen, wenn einer Miene mache, fie zu verfolgen.
Wie der Blig rannten sie dann ber Treppe zu, die Stufen hinauf und in den Balb hinein. Einer der Schaffner rief durch den Fern sprecher die Zentrale an, von der aus das lleberfallkommando alarmiert wurde. Obwohl das Kommando und Beamte des
161. Reviers so schnell als möglich an den Tatort eilten, war von den Räubern nichts mehr zu sehen.
Wie sicher sich die Banditen gefühlt haben, geht daraus hervor, daß keiner geschossen hat, sondern, daß alle nur gedroht haben. Wie sie an den Tatort herangekommen sind, weiß man nicht. Sicher ist nur, daß sie feinen U- Bahnzug benuẞt haben. In den frühen Morgenstunden traf Kriminalfommissar Berneburg mit den Beamten des Raubdezernats und einigen Suchhunden am Tatort ein. Einer der Räuber hat eine Patrone 6,35 verloren. Die Suchaktion mit den Hunden ist jedoch abgebrochen worden.
Der U- Bahnhof Ontel Toms Hütte ist der Zugangsbahnhof zu
beron ber Gehag erstellten Großsiedlung am Fishtal
im Norden Zehlendorfs. Seit Monaten bemüht sich, so wird uns um
mitgeteilt, bie borrige einzahner und Siedlungsverse blung.
dauernden polizeilichen
Bon Zeit zu Zeit sieht man dann ein paar Tage lang Bolizeistreifen, ohne daß man die Gewißheit hat, daß dieser Schuß zu einer dauernden Einrichtung wird. Würde am Eingang zum U- Bahnhof verfehrsreicheren U- Bahnhof Thielplaß, ständig ein PolizeiOnkel Toms Hütte, wie z. B. schon seit Jahren an dem feineswegs posten stehen, wäre der Ueberfall unmöglich gewesen.
Sonderschutz für Jugendliche.
Die Forderung von hundert Jugendverbänden.
Der Reichsregierung und den Fraktionen des Reichstages find am Donnerstag Eingaben des Reichsausschusses der beutschen Jugendverbände, der Spikenorganisation von mehr als 100 Reichsjugendverbänden aller Richtungen, zugeleitet worden, in denen die beschleunigte gesetzliche Regelung eines Sonderschußes für jugendliche Arbeitnehmer aufgestellt mirb.
Die Forderungen beziehen sich auf eine Herabsetzung der Arbeitszeit erwerbstätiger Jugendlicher bis zu 18 Jahren, auf Berbot der Rachtarbeit, auf Einführung des SonnabendFrühschlusses, auf das Verbot der Sonntagsarbeit und auf die Gewährung eines bezahlten Mindesturlaubs Dort 21 Kalendertagen für jugendliche Arbeitnehmer unter 16 Jahren und von 14 Kalendertagen für Arbeitnehmer vom 16. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre.
Die Forderungen des Reichsausschusses werden durch statistische Angaben über die Arbeitsverhältnisse Jugendlicher belegt. Nach den Erhebungen des Reichsausschusses muß jeder dritte Jugendliche mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten.
jeder achte Jugendliche muß Sonntagsarbeit leisten, jeder zweite Jugendliche hat keinen Wochenend- Frühschluß, jeder vierte Jugendliche erhält überhaupt feinen Urlaub.
In seiner Eingabe an die Reichsregierung drückt der Reichsaus schuß als seine Ueberzeugung aus, daß der heutige Staat seiner Jugend fein edleres Geschenf machen, die Jugend nicht besser von seiner hohen Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben, den Schwachen und Unmündigen Schuß zu gewähren, überzeugen tann, als daß er durch Gesetzeskraft der ermerbstätigen Jugend eine aus. reichende Freizeit und damit den Lebensraum gewährt, in dem die Jugend sich bilden und gebildet werden fann zu reifen, Bolt und Staat mittragenden Menschen.