Nr. 105 48 Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Haus für 24 Millionen Karten
Berlin ist wieder um ein Hochhaus reicher geworden, das in kürzester Zeit bezogen werden soll: nämlich der Erweiterungsbau der Reichsversicherungs
im
anstalt für Angestellte am Fehrbelliner Platz. Als vor zwanzig Jahren die Reichsversicherung ins Leben gerufen worden war, mußte sie während der ersten zehn Jahre in Mietwohnungen am Hohenzollerndamm ein beengtes Dasein führen. Ein Wettbewerb für ein eigenes Verwaltungsgebäude Jahre 1913 verlief ergebnislos; der Ausbruch des Krieges machte dann die Ausführung weiterer Projekte zunichte. Erst in der Nachkriegszeit konnte mit dem Bau eines eigenen Hauses begonnen werden, das nach vielen Schwierigkeiten im Jahre 1923 in Betrieb genommen wurde. Aber die neuen Räume reichten nicht aus. Im Erdgeschoß des Neubaues sind jetzt große Warteräume angelegt morden; in zwanzig Sprech- und Untersuchungszimmern kann eine schnelle Abfertigung der Wartenden erfolgen.
Die sämtlichen oberen Stockwerke sind für die Kartothek bestimmt. Nachdem man vom Buchungs- zum Kartensystem übergegangen ist, laufen jetzt jährlich etwa 1% Millionen geklebte Karten ein; erst in sechzehn Jahren etwa rechnet man mit einer Stabilisierung des Bestandes, daß also Zu- und Abgang sich dann ungefähr ausgleichen. Für 24 Millionen Karten ist jetzt Platz vorhanden. In sduoeren, feuerfesten Schränken werden die Karten aufbewahrt und nach besonderem System registriert. Diese Kartothek roird dann möglicherweise einen Weltrekord' darstellen. Unser Bild zeigt die Front
des Neubaues, wie sie jetzt von der Konstanzer Straße zu sehen ist. Während das alte Haus massiv gemauert war, hat man für die Erweiterung eine Stahlskelettkonstruktion verroendet. Statt des grauen Putzes mählte man jetzt farbige Verblendung. Erdgeschoß und erster Stock sind mit gelben Travertinplatten belegt; die oberen Stockmerke bauen sich in Klinkermauerwerk von kräftigem Ton und lebhaftem Muster auf. Das eigentliche Hochhaus, zehnstöckig, bildet den Mittelpunkt des neuen Teiles, hier wird auch in Zukunft der Haupteingang zur Verwaltung sein.
Wie durch weißen Käse ein Kind erblindete.
Der ,, göttliche Meister" Weißenberg , der in erster| Anordnung des Kreisarztes in die Augentinit nach Berlin gebracht, Instanz wegen fahrlässiger Körperverlegung zu sechs Monaten Gefängus verurteilt war, ist in der Be rufungsinstanz von der Strafkammer des Landgerichts I freigesprochen worden.
Im Jahre 1929 war in Hohenfinow in der Mart das nur einige Monate alte Kind Hildegard Henside an einem Augenleiden erfrankt. Den Rat des Arztes, das Kind zur Bermeidung einer Erblindung in ein Krankenhaus zur spezialärztlichen Behandlung zu bringen, hatte die Mutter nicht befolgt. Dagegen hatte sie auf den Rat einer Nachbarin an Weißen berg geschrieben und von ihm die Anweisung bekommen, einen. Lappen mit Weißfäse, in den etwas Salz gerührt werden sollte,
auf die franken Augen des Kindes zu legen.
Bei einem späteren Besuch in Weißenbergs Wohnung wurde ihr derfelbe Rat erteilt. Einige Zeit später wurde das Kind auf
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Chicksal im fanie
Schließlich fühlt man sich ja auch wohl, wenn man von so vielen Leuten respektiert wird. Denn es sind eine ganze Menge geworden, die Paul Maschten umstehen und umfragen um umbechern und so viele Mollen für ihn ausgeben, daß er sich unbedingt revanchieren muß mit vielen Antworten und noch mehr Runden. ,, Roggen? Kartoffeln? Nee, nicht die Bohne. Machen wir nich. Das is für die dummen Bauern. Was wir machen?" Kunstpause. Herr Wirt, noch ne Lage. Prost. Wir machen Spargel. Pitfeine Sache, Spargel! Zwei Monate Arbeit im Jahr, das is alles. Und bringt Geld. Nee, uff'n Kopf gefallen find wir nich. Schuften det janze Jahr? Sie hören alle zu, gläubig, wie's scheint, neidisch. Sein Ledermantel, seine große Maschine weden Respekt, er sieht breit und wohlhabend aus. Uebrigens die Maschine man muß noch das Dings laufen, die Sprize, und dann zurück; schade eigentlich; gerade fommen zwei Mädchen in die Tür: nettere Käfer als die roten im Stubbenland.
Nich in de Tüte."
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Also noch ne Abschiedslage. Und zwei Liköre für die Damen, Herr Wirt." Er gudt sie an, aus schon etwas glasigen Augen. Damen find's ja nun eigentlich nicht, das sicht er noch. Aber forsch und gut gewachsen...
Gut gewachsen. Richtig: Anna ist ja auch noch da. Was mitbringen muß man ihr, das gehört sich so. Irgend was, so was Flottes, wie's die Mädchen da anhaben. Quatsch. Würde ihr gar nicht stehen. Müßte sie gut gebaut sein und nicht verwachsen.
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Der Wirt knipft das Licht an. Was, schon so dunkel dranken? Wird sich schlecht fahren wieder zurüd. Aber die Weiber sehen noch hübscher aus im Licht. Uebrigens wird er die Sprize jeht gar nicht mehr friegen. Sicher schon zu spät. Ueber die Thefe ist die Uhr eingebaut, aber er sieht nicht hin: falls es doch noch Zeit ist, müßte man jetzt gehen, als anständiger Mensch. Aber Mensch, das ist es eben: mal mieder Mensch sein, nicht Bauer. Man kann ja die Nacht über hier bleiben; wird sich zeigen, wo man bleibt; sich zu
und hier wurde die abfolute Erblindung festgestellt. Schon vor der vorigen Instanz hatte Weißenberg behauptet, daß das Kind bereits blind gewefen wäre, als die Mutter es ihm gebrachi hätte. Vor der Straftammer behauptete er gestern, daß bereits in dem ersten Brief der Mutter das Kind als blind geschildert worden war. Er hätte daraufhin meißen Käse verordnet, um die Geschwulst zu heilen und die Schmerzen zu lindern. Bei einem Kinde, dessen Augen nur angegriffen wären, hätte er höchstens Waffer= tom pressen oder Lindenblütentee angeordnet. Als die Mutter mit dem Kinde bei ihm erschienen war, habe er sie abgewiesen, weil sie bereits bei einem Arzt gewesen war. Wem so auf die Finger gesehen wird, wir mir, der hütet sich, in die Behandlung eines Arztes einzugreifen. Ich lasse stets den Arzt zu Ende führen, was er angerichtet hat. Bei der allgemeinen Schilderung seiner Heilmethoden und feines Briefwechsels mit den Batienten behauptete Weißenberg wiederum, unter Zitierung vieler Bibelsprüche, daß er nur das tue, was ihm von einer größeren
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Tode stürzen megen Papendieden seine duffligen Käfer? Nee. Soll beffer aufpassen, der alte Prog.
Maschke bleibt. Nicht mehr so lustig zwar; in einer Ede schweigsam hockend, stur trinkend. Eins der Mädchen jetzt fich zu ihm. Er legt die Hand auf ihre Knie, schäfert sie an. So fizen sie lange und reden in Zoten. Einmal, aufsteigend aus dem Bucel eines Verwachsenen, der an der Thefe haftig einen Becher heruntergießt: Annas Bild. Mit dem Trinken den verschwindend. Ah was, soll schlafen gehen. Der gesunde Mensch braucht auch sein Recht. Seine Hand preßt das fremde Knie fester.
Es findet sich Gesellschaft an seinem Tisch. Sie wird lauter; lauter und teurer; er muß viel ausgeben. Der vorfichtige Wirt läßt ihn erst mal zahlen. Es bleibt nicht viel über sechzig Mart. Das fostet die Sprize. Er fährt sich über die dumpfe Stirn: die Käfersprize, ach so. Er stürzt plötzlich hinaus, quer über die Straße, da ist ein Geschäft für solche Sachen, es will gerade schließen, denn es ist schon nach fieben Uhr. Er bekommt die Sprize, geht zurück in die Kneipe, geheures Verdienst, die sechzig Mark nicht angerissen zu haben. schmeißt sie auf den Tisch nebenan. Er empfindet es als unWenn er nicht so'n anständiger Kerl wäre...!
Aber sein Privatleben, nicht wahr, das geht keinen mas an. Keinen! Und Zeit fann er sich nehmen, soviel er will. Berstehn Se?"
Er brüllt das trunken über den Tisch. ,, Ach, du bist ner heiratet?" miehert das Mädchen mit Dirnenscharfsinn. ,, Ja; aber sie is nich so hübsch wie du."
Wieso denn nich?"
Er empfindet eine unwiderstehliche Lust, Anna lächerlich zu machen. Er neigt sich zum Ohr des Mädchens, flüstert absichtlich scharf afzentuierend, so daß es alle verstehen:„ Sie hat einen Budel.
Das Mädchen freischt auf: ,, hihi, en Budel! Er sagt, seine Frau hat en Buckel!" Mit der Faust haut er auf den Tisch: Nu faat mal selbst: muß man einer Frau treu sein, die' n Buckel hat?"
Die Lampen flirren vom lauten Gelächter. Nein, finden alle. Er schmeißt eine Lage. Na alfo!" Das Mädchen rüdt noch näher. Er fühlt ihr derbes Fleisch, und wie sich's an ihn drängt; das von Anna ist viel dünner; ist eigentlich gar fein Fleisch... Der Kopf wird ihm schwer; er ist müde, lehnt den Kopf an des Mädchens Schulter, druffelt ein. Im Stubbenland gehen die Räfer jetzt auch schlafen... arme Biefter. müssen beim Aufwachen trepieren, wenn er noch fährt..
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Mittwoch, 4. März 1931
Kraft eingegeben wäre. Er sei ein Mensch wie jeder andere, aber aus ihm spräche die göttliche Allmacht, so daß er nicht anders handeln tönne, als er müsse.
Er habe schon in Fällen absoluter Blindheit erlebt, daß durch die Behandlung mit Weißtäfe das Augenlicht wiederkam.
Die Verteidiger haben auch durch die Ladung von mehr als 20 Zeugen unter Beweis gestellt, daß Weißenbergs Behandlung in vielen Fällen, in denen der Arzt bereits versagt hatte, Anhängern geholfen hat. Das Schöffengericht hatte nämlich das Hauptverschulden Weißenbergs in der brieflichen Fernbehandlung ohne Diagnose gesehen und hatte festgestellt, daß sein Treiben eine schwere Gefahr für das Volkswohl und die Volksgesundheit bedeute.
In der Beweisaufnahme wurden zunächst jene Zeugen gehört, die über die Erkrankungen des tieinen Kindes Bekundungen machen fonnten. Darauf tamen die fünf Sachverständigen zu Wort. Nach der Vernehmung von Dr. Tholen, der das Kind zuerst behandelt hatte und es in die Klinik schicken wollte, erstatteten Geheimrat Dr. Krüdmann und Fräulein Dr. Kosterlitz von der Universitätsflinif in Berlin ihre Gutachten. Nach ihrer Ansicht wäre die Sehkraft des Kindes zu reffen gewesen, wenn es rechtzeitig in die Klinik gebracht worden wäre, da bei diesen Erkrankungen die Ernährung und die Pflege des Kindes, die auf dem Lande nicht einwandfrei fein fonnte, von großem Einfluß sind.
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Die Urteils begründung zu dem schwer verständlichen Freispruch wird abzuwarten sein.
15 Personen verletzt.
Düsseldorf , 3. März. Gestern fuhr ein mit 17 Personen besetter Kraftwagen aus unterweiden zu einem Begräbnis nach Rheydt . Auf der Aldekerker Straße geriet der Wagen beim Ausweichen ins Schleudern und überschlug sich. 15 Personen wurden teils schwer, teils leicht verlekt. Die Schwerverletten wurden in das Krankenhaus nach Kempen gebracht, während den leichter Verletzten in einem Wohnhause die ersten Rotverbände angelegt wurden.
Das Mordgeheimnis Freudenheim .
Der Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Dr. Bedmann, der die Boruntersuchung wegen der Ermordung des 80jährigen Renners Freudenheim gemeinsam mit Staatsanwaltschaftsrat Dr. Richter führt, hat für Mittwoch mittag 12% Uhr einen Haft23jährigen Radiomonteur Walter Klein angeordnet. Die Haftprüfungstermin für den unter Mordverdacht in Haft genommenen prüfung wird sich voraussichtlich auf mehrere Tage erstrecken, denn Rechtsanwalt Dr. Botho Laser ste in hat einen sehr umfangreichen Beweis angetreten, um die gegen Klein vorliegenden Belastungs momente zu widerlegen.
Doppeltes Todesurteil in Thüringen .
Der Landwirt und Maurer Koppe aus 3 wa big bei Kahla wurde heute vom Rudolstädter Schwurgericht wegen Doppelmordes zweimal zum Tode verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf Lebenszeit aberkannt. Koppe hatte im Jahre 1917 seine Haushälterin, mit der er enge Beziehungen unterhalten hatte, in die Saale gestoßen und ertränkt. Im April 1930 hatte er seine zweite Frau vorsäglich und mit Ueberlegung getötet und die Leiche im Räucherofen seines Anwesens in 3wabitz verbrannt.
Unfinn, er fährt nicht mehr... sollen noch einen Tag zu leben haben.
Maschkes Maschine blinkt im Licht und wartet. All ihre Zuverlässigkeit hält sie bereit. Maschkes Herz hat versagt. Ohne Berbündete sind wieder Korn und Papendied.
Aber nun kommen die Träume. Bielleicht kommen sie aus Stubbenland, find noch schneller als Maschkes Maschine, sind schnell wie Radiowellen. Bielleicht kommen sie auch bloß aus dem Stimmenschwirren, Füßescharren, Gläserflirren ringsum. Jedenfalls sind sie voll Käfer, voll Spargelkäfer. Winzig zuerst, viele. Werden größer, so groß, wie sie in Wirklichkeit gar nicht sind. So groß wie Totengräberfäfer. Es find überhaupt Totengräberfäfer, die rote Sorte. Sie frabbeln alle auf Korn und Papendied los, die stehen zwischen Bergen von Käfern und wehren sich verzweifelt. Da: Papendied fällt... liegt... die Käfer über ihm.
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Blöglich ist es nur ein einziger großer, roter Käfer, der Bapendied in aller Ruhe begräbt. Go groß wie ein Mensch ist der Käfer, hat Schaufeln an den Beinen. Maschken graut; lich. Der Käfer hält in seiner Arbeit inne und sieht Maschken denn er muß vorüber an dem Käfer. Tag!" sagt er ängstan. Er hat ein Gesicht wie ein Mensch. Er hat Maschtes Geficht... Maschke, der Mensch Maschke, nicht der Käfer Maschke, schreit auf.
,, Nanu!" sagt das Mädchen neben ihm. Langsam zieht das Bild der Kneipe ein in seine weitaufgerissenen Augen. Dide Schweißtropfen quillen hügelig aus seiner Stirn. Das Mädchen trodnet fie mit ihrem Tuch.
restliche Schuld, deren er sich nicht entsinnt. Steckt achtlos Maschte stößt sie zurüd. Steht auf, unsicher. Zahlt eine des Mädchens Adresse ein. Greift die Sprize. Stapft hinaus, bleibt in der Kühle stehen, nimmt die Müze ab, faßt sich an Maschine. den Kopf. Ach fo: Nacht. Berkehrsampeln. Berlin . Seine
Er dreht sie herum. Ziel: Stubbenland. Dann erst bindet er die Sprize über dem Soziusfig feft. Noch ist sein Kopf nicht flar. Aber seine Augen sehen scharf, als er die Schutzbrille drüberzieht. Seine Instinkte lenken das Steuer. Er und seine Maschine sind ein Tier. Das findet durch Berlin , hinaus aus Berlin . Berlin . Eine der letzten Uhren sagt: zwei Uhr morgens. Maschkes Fuß reagiert instinktmäßig: dritter Gang. Der Geschwindigkeitsmeffer springt über die Stala. Der Scheinmerfer reißt Bäume aus der Nacht, manchmal Häuser, wirft fie Maschten an den Kopf; im legten Augenblid fliegen sie immer feitlich vorbei. Maschte holt auf.( Forts. folgt.)