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Morgenausgabe

Nr. 109

A 55

48.Jahrgang

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sinoi

Vorwärts

Berliner   Boltsblatt

Freitag

6. März 1931

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die einfpalt. Nonpareillezeile 80 23f. Reflamezeile 5,- RM. Kleine An­zeigen das fettgedruckte Wort 25 Pf. ( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pf. Rabatt It. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Pf., jedes weitere Wort 10 Pf. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Pf. Familien anzeigen Beile 40 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen­täglich von 81/2 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht, ber Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

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Das Friedenswert von Neu- Delhi. Beamte als Republiffeinde

Die Hauptbedingungen des Vertrages.

Bombay, 5. März.( Eigenbericht.) Die Friedensbedingungen zwischen der englisch   indischen   Regierung und dem allindi­schen Kongres sind am Donnerstag offiziell be.

Ordnung geschicht. Gandhi   verzichtet auf die Verfolgung iener Polizeibersonen, die sich Uebergriffe gegen die allindische Bewegung zuschulden kommen ließen. 3urückgegeben werden die infolge Steuerstreifs be kanntgegeben worden. Die Hauptpunkte sind: schlagnahmten Ländereien und Güter, soweit sie noch in den Händen der Regierung find. Alle noch aus Der allindische Kongres zieht seine Aufforderung zum stehenden Geldstrafen werden erlassen. Der Be­völkerung, vor allem den Armen und Bestlosen in den Salzgebieten wird die Salzerzeugung zum eigenen Bedarf gestattet. Das Salzmonopol der Regierung bleibt jedoch aufrechterhalten. Die im Laufe des Bontott feldzuges verhafteten und verurteilten Personen werden freigelassen und alle noch schwebenden Wer fahren eingestellt. Der allindische Kongres be. teiligt sich an den Beratungen und Ausarbeitungen des in London   begonnenen indischen Verfassungswerkes.

Boykott der Geseke   zurück. Gleichzeitig hebt die Regierung die Ausnahmegese te gegen die allindische Bevölkerung auf. Der Feldzug gegen Steuern und Pachtzinsen wird eingestellt, ebenso der Boykott gegen die englischen Waren. Erlaubt bleibt die politische Propaganda und der Boykott gegen englische Kleider und gegen den Alkohol. Auch das Boykottpostenstehen wird gestattet, sofern es friedlich und phne Belästigung des Publikums und der öffentlichen

Protest gegen Hakenkreuzrichter.

Neuer Naumburger   Gfandal.- Flucht eines Gerichtsvorsitzenden an die Oeffentlichkeit.

Naumburg  , 5. März( Eigenbericht.)

Mit dem Gießler- Brozeß ertlomm im Oktober des Vor­jahres die Naumburger   Hafenkreuzjustiz den Gipfel ihrer Leistungen. Der Nationalsozialist Gießler, ein Student der Theo logie, hatte in Freyburg an der Unstrut   in einer sozialdemokrati. schen Versammlung dadurch das Signal zu einer blutigen Saal schlacht gegeben, daß er einem Polizeibeamten, der den geistesschwachen Abg. Hinkler des Preußischen Landtags   aus dem Saal bringen wollte, von hinten mit einem Bierglas ins Genid schlug. Den Beamten, der thn daraufhin verhaftete, faßte er nach der Gurgel und versuchte ihm den Gummi­das Große Schöffengericht Gießler frei. Troß der nüppel zu entreißen. Nach einer skandalösen Berhandlung sprach entgegenstehenden Zeugeneide fönne man einem Theologen die Ta: nicht zutrauen und der Griff nach der Gurgel und dem Gummi­Inüppel fei im Stolpern geschehen, um Halt zu suchen. Die Sache. die zuerst einen Entrüstungs-, dann einen Heiterfeitssturm im Ge­folge hatte, tam bei der Beratung des Justizetats auch im Preußi­ schen Landtag   zur Sprache.

Da die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte, beschäftigte fich gestern die Große Straftammer mit der Angelegenheit. Die stundenlange Beweisaufnahme ergab im wesentlichen das gleiche Bild wie in der ersten Berhandlung. Auf Grund dieses eindeutigen Ergebnisses beantragte der Staatsanwalt sechs Mo­nate Gefängnis. Das Plädoyer des Berteidigers beftand im

Der Wehretat.

wesentlichen in einem Hinweis auf die Folgen, die ein solches Urteil für den Theologie studierenden Ange flagten haben würde. Worauf der Staatsanwalt sehr be troffen erwiderte, dafür möge er sich bei dem Anstister des Ganzen, dem Hauptschuldigen Hinkler, bedanken, der sich jetzt hinter seiner Immunität verstede.

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Die Mehrheit des Gerichts, so erklärte der Borsigende an Stelle überzeugt. Eine Berurteilung könne jedoch nur erfolgen, wenn nicht jeder juristischen Bemäntelung, sei von der Schuld des Angeklagten nur drei, sondern vier Richter der fünfköpfigen Strafkammer für fchuldig stimmen. Zwei der Herren feien aber dazu nicht zu be­wegen gewesen, so daß man wohl oder übel trotz der eindeutigen Beweisaufnahme, foweit gefährliche Körperverletzung in Frage kam, auf Freispruch aus Mangel an Beweifen erkennen mußte.

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Mißbrauchte Freiheiten.

Von Dr. Wilhelm Hoegner  , M. d. R.

freiheit der Beamten gegenüber dem früheren Obrigkeitsstaat Die Weimarer   Berfassung hat die politische Bewegungs beträchtlich erweitert. Während im Bismarckschen Reiche der Beamte sich vielfach sogar zum jeweiligen Regierungskurse auch in seiner politischen Gesinnung und Betätigung bekennen mußte, ist in Artikel 130 Abs. II der Weimarer Verfassung  dem Beamten ausdrücklich die Freiheit der politischen Ge­sinnung und die Vereinigungsfreiheit gewährleistet.

Diese Freiheiten sind aber, wie so manche Grund­rechte der Verfassung, von den Beteiligten zuweilen erheb ich mißverstanden worden. Heute erleben wir es tag­täglich, daß sich Beamte lebhaft in Parteien betätigen, die ihre republikfeindlichen Ziele durch das gesetzwidrige Mittel der Gewalt erreichen wollen. Beamte wirken als Agitatoren, ia als militärische Befehlshaber in Parteien mit, deren Be­streben es ist, den Staat von heute zu ,, ruinieren, zu zerfetzen, zu vernichten". Reichsbehörden und einzelne Landesbehörden sehen diesem Treiben ihrer Beamten untätig zu, sie scheinen es in türkischer Gelaffenheit als Schicksal zu betrachten, daß der Staat gerade von jenen zugrunde gerichtet wird, die seine besonderen Berteidiger sein sollen. Diese Untätigkeit der vor­gesetzten Behörden gegenüber Ausschreitungen namentlich nationalsozialistischer Beamten ist nicht in der bestehen­den Rechtslage begründet. Die Beamten haben den Eid auf die Berfaffung geleistet. Sie haben kein Recht, diesen Eib für unverbindlich zu halten, wie es die Herren Kahr und Bochner seinerzeit in Bayern   getan haben. Auch in der Re­publir sind die Beamten den Trägern der jeweils geltenden Staatsordnung zu Treue und Gehorsam verpflichtet. In dieser besonderen Verpflichtung des Beamten liegen die Grenzen seiner politischen Bewegungsfreiheit. Das ist unbestritten. Ueber das Maß der Bewegungsfreiheit gehen aber die Met­

Aber der Appell des Verteidigers an das Standesbewußtsein der Akademiker war doch, wie das Urteil beweist, eine richtige Berechnungen auseinander. hung. Gießler wurde nur wegen Widerstandes zu zweihundert Mart Allgemein wird angenommen, daß der Beamte das Recht Geldstrafe verurteilt und im übrigen freigesprochen. hat, sich innerlich zu jeder beliebigen politischen Richtung zu bekennen. Gedanken sind zollfrei. Sobald aber diese Ge­feit des Beamten, greifen seine besonderen Amtspflichten ein. finnung in der Außenwelt in Erscheinung tritt, sei es durch Aeußerungen oder Betätigungen, beginnt die Verantwortlich­Aeußerungen und Betätigungen einer Meinung sind nicht Aeußerungen und Betätigungen einer Meinung sind nicht Disziplinargeseze verstoßen. So verlangt§ 10 des Reichs­mehr grundsätzlich frei, fie tönnen gegen Straf oder mehr grundsäglich frei, sie können gegen Straf- oder beamtengesetzes, daß der Beamte durch sein gesamtes Ver­halten in und außer dem Amte der Achtung, die sein Beruf erfordert, sich würdig zeigen muß. Darüber hinaus hat das Verpflichtungen gegenüber der Republik   auferlegt.. Diese Be­Reichsgesetz vom 21. Juli 1922 den Reichsbeamten besondere stimmungen fönnten in den Händen entschlossener Reichs feindlicher Umtriebe innerhalb der Reichsbeamtenschaft sein. behörden eine wirksame Handhabe zur Bekämpfung staats­Leider werden fie innerhalb gewisser Reichsbehörden an­scheinend übersehen oder allzu schwachmütig angewandt. Da­bei hätte es solcher Bestimmungen, die bei den Ländern fehlen, gar nicht bedurft, um der Republik   den nötigen Schutz gegen pflichtvergessene Beamte zu sichern. Schrifttum und Recht sprechung sind sich nämlich darüber einig, daß der Beamte die ihm allgemein obliegende Pflicht zum achtungs- und ver trauenswürdigen Berhalten verlegt, wenn er den bestehenden oder verächtlich macht. Ein Verstoß gegen das Strafgeset Staat, seine Einrichtungen, Organe und dergleichen beschimpft braucht dabei noch gar nicht vorzuliegen. braucht dabei noch gar nicht vorzuliegen.

drei von fünf Richtern es öffentlich ablehnen, die öffentliche Ber­Dieser standalösefte aller Naumburger   Prozesse endet damit, daß antwortung für die Sorte von Rechtsprechung zu übernehmen, die zwei ihrer Kollegen belieben.

Das ist ein durchaus erfreulicher Reinigungsprozeß von innen heraus!

Landbundpräsidenten Lind, sondern auch auf die Bildung eines besonderen agrarischen Attionsausschusses in der Boltsbegehrensfront und auf die schärfste Kampfstellung gegen Reichsernährungsminister Schiele hingearbeitet bann wird die Spaltung der großen landwirtschaftlichen Berufsorganisation taum noch zu umgehen sein.

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Die Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Die fozialdemokratische Reichstagsfraktion beschäftigte sich am Donnerstag mit der Haltung der Sozialdemokratie zu den schwebenden politischen Fragen, insbesondere der Haltung zum Wehretat und zum Bau des Panzerschiffes B. Sie wird ihre endgültige Haltung von den allgemeinen poli­tischen Erwägungen und von den Entscheidungen über die fozialpolitischen und finanzpolitischen Anträge der Sozial- scharf gegen die Schieleschen Berständigungsbemühungen ausspricht,

demokratie abhängig machen.

Krach im Reichslandsbund.

Schiele oder Hitler?

Die Deutsche Allgemeine Zeitung" zeigt große Besorg nisse um das Schicksal des Reichslandbundes. Šie sieht seine Spaltung herannahen:

Der Bundesvorstand des Reichslandbundes wird am 10. März in Berlin   zu einer Tagung zusammentreten, die sehr bedeutsamen Charafter tragen wird. Bon radikaler Seite wird der Versuch gemacht, den Reichslandbund möglichst ganz andernfalls aber unter Abstoßzung der verständigungssüchtigen Elemente" auf die tattische Linie der Abstinenz­parteien zu bringen.

Wenn sich die gekennzeichneten Bemühungen in threm pollen Umfang auswirkenes wird nicht nur auf den Sturz bes britten

Eine Anzahl von Landbünden, besonders aus Süd-, West- und Mitteldeutschland  , haben bereits zu erkennen gegeben, daß sie sich gegen eine derartige einseitige Verwendung des Reichslandbundes zu parteipolitischen Zwecken wehren merden.

Auch die neue Erklärung des Grafen Kaldreuth, die sich ift auf Widerspruch gestoßen."

Auf eine furze Formel gebracht. steht der Reichslandbund vor der Frage, ob er sich nach Schiele oder nach Hitler   hin orientieren will.

Neuwahl in der Türkei  .

Für Parlament und Präsident.

Angora, 5. März.

Die Nationalversammlung hat die Auflösung des Parlaments beschlossen. Die Neuwahl wird unverzüglich erfolgen. Vor dem Beschluß über die Auflösung setzte die Nationalversammlung die Abgeordnetendiäten von 500 auf 350 türkische Pfund herab. Auf Grund der Berfaffung macht die Neuwahl zum Barlament auch eine Neumahl des Präsidenten der Republit notwendig. Gerüchte be. haupten, Mustafa Kemal   wolle diesem Amt entfagen.

Eine Meinungsverschiedenheit ist im Schrifttum letzthin amten bei einer auf den gewaltsamen Sturz des beſtehenden nur darüber entstanden, ob schon die Mitgliedschaft eines Be

Staates abzielenden Partei eine Verlegung seiner Dienst­pflichten darstellt. Der angesehene Staatsrechtslehrer An­schütz sieht( Beitschrift für badische Verwaltung und Ver­waltungsrechtspflege", Heft 1, Jahrg. 1931) die Teilnahme eines Beamten an einer Partei oder Vereinigung dann als Berstoß gegen die Beamtenpflichten an, wenn die Zwecke der Partei oder Vereinigung den Strafgeseßen zuwiderlaufen. Das ist nach seiner Meinung bei der Nationalsozia listischen Partei der Fall. Andere Schriftsteller nehmen, wenn durch strafgerichtliches Urteil festgestellt ist, daß wollen eine Dienstpflichtverlegung des Beamten erst an­die Tätigkeit einer solchen Partei als strafbare Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens anzusehen ist. Presse­nachrichten zufolge scheint dies der 4. Straffenat des Reichs­gerichts nunmehr auch bezüglich der Tätigkeit der National­fozialistischen Partei angenommen zu haben. In der Tat