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Morgenausgabe

Rr. 113 A 57

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48.Jahrgang

Böchentlich 85 Bf., monatlich 3,60 m. im voraus zahlbar, Boftbezug 4,32 m. einschließlich 60 Bf. Bostzeitungs- und 72 Pf. Postbestellgebühren. Auslands. abonnement 6,-M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Drucksachen vorto 5,- M *

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Sonntag

8. März 1931.

Groß- Berlin 15 Pf.

Auswärts 20 Pf.

Die einspalt. Nonpareillezeile 80 Bf. Reklamezeile 5,- RM ,, Kleine An zeigen" das fettgedruckte Wort 25 Pf. ( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pf. Rabatt[ t. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Pf., jedes weitere Wort 10 Pf. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Zeile 60 Bf. Familien anzeigen Zeile 40 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen­täglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Verantwortung der Mitte!

Zu den bevorstehenden Entscheidungen im Reichstag Seit dem Sturz der Regierung Hermann Müller hat die Mitte im Reich die unbestrittene Führung. Die Politik, die getrieben wird- so gut oder so schlecht sie sein mag ist ihre Bolitik.

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Eine Koalition existiert nicht. Der Reichstanzler Brü ning regiert, solange er das Vertrauen des Reichspräsidenten besitzt, folange er die Parteien der Mitte notdürftig zu fammenhalten tann und solange die Sozialdemokratie ihn toleriert.

Es ist ein beliebter Agitationstrid unserer Gegner von rechts und links, die Dinge so barzustellen, als ob die Sozial­demokratie in Deutschland mindestens seit 1918 unbeschränkt regieren würde. Auf diese Weise kann man sie für alles per­antwortlich machen: für den verlorenen Krieg, den schlechten Frieden, die hohen Kriegsentschädigungen, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus und die Arbeitslosigkeit.

Bielleicht haben wir den Fehler begangen, dieser Art von Agitation nicht energisch genug entgegenzutreten. Jetzt ist es aber jedenfalls Zeit, an die wirklichen Tatsachen und an die Zahlen der Wahlstatistik zu erinnern.

Die Sozialdemokratie steht außerhalb der Reichs­regierung, sie verfügt im vollbesetzten Reichstag über 143 von 577 Sigen. Aber auch nach dem Auszug der Rechten bleibt sie für sich allein eine Minderheit von 143 unter 426.

Eine Partei, die ein Viertel oder ein Drittel des Barla­ments umfaßt, fann immerhin sehr einflußreich sein. Die Größe ihres Einflusses hängt von der Kräfteverteilung rechts und links von ihr ab. In dieser Beziehung ist aber die So­zialdemokratie feineswegs in einer günstigen Lage, denn ihre linke Flügelstellung wird durch das Verhandensein einer ziem lich starken fommunistischen Partei erheblich ge­schwächt.

In einer vie! günstigeren Stellung befindet sich das 3entrum. Schon im faiserlichen Reichstag befaß es in folge seiner Fähigkeit, sowohl nach rechts wie nach links Mehr heiten zu bilden, eine starke Machtstellung. Heute stellt es im Reiche den Kern der Regierungsmacht dar. Das Zentrum aber will den Bau des Panzer Schiffes B. Ob seine Liebe zum Flottenprogramm des Herrn Groener echt ist und aus dem tiefsten Herzen kommt, steht hier nicht zur Entscheidung. Wahrscheinlich ist man auch im Zentrum der Meinung, daß dieses Schiff eigentlich ein überflüssiges Ding ist und daß man in diesen erbärmlich schlechten Zeiten das Geld, das man nicht hat, zu besseren Zwecken verwenden könnte. Aber zum mindesten aus taktischen Rücksichten hat das Zentrum beschlossen, die erste Rate für den neuen Ersatzbau zu bewilligen.

Stünde das Zentrum anders, so gäbe es auch nach Rück­fehr der Rechten feine Mehrheit für das Schiff; jetzt ist eine tatsächliche Mehrheit dafür vorhanden, die nur darum nicht ohne weiteres zur Geltung fommt, weil 151 Abgeordnete an den Beratungen des Reichstags nicht teilnehmen.

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Wie die Dinge nach dem Auszug der Rechten stehen, fann die Sozialdemokratie gemeinsam mit den Kommu nisten die Streichung der ersten Rate bewirken immer norausgesetzt, daß die Rechte nicht mittlerweile in den Reichs­tag zurückkehrt. Es wird an der sozialdemokratischen Reichs­tagsfraktion liegen, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will oder nicht. Schon jetzt aber muß gesagt werden, daß die endgültige Entscheidung über den Schiffsbau nicht bei der Sozialdemokratie, sondern beim 3entrum liegt. Denn ob die Sozialdemokratie die Inangriffnahme des Baues in diesem Jahr verhindern kann, hängt von der Haltung der Rechten ab; im nächsten Jahr aber wird wenn bis dahin auch nur 41 Deutschnationalen zurückgekehrt sein werden eine Mehrheit von 241 gegen 220 für das Schiff vorhanden sein. Das ändert nichts an der Tatsache, daß bei dem Fort­bestand der augenblicklichen Konstellation für, die Sozialdemo­fratie die Möglichkeit besteht, in der Schiffsbaufrage wie in allen anderen Fragen die bürgerliche Mitte zu überstimmen. Was tut die bürgerliche Mitte, um das zu verhindern?

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Die Mitte trägt die Verantwortung. Sie trägt die Ver­antwortung auch dafür, daß der sozialdemokratischen Reichs tagsfraktion die Möglichkeit zu einem Berhalten gegeben wird, das zur Erhaltung der Mitte in ihrer gegenwärtigen Machtstellung führt. Die sozialdemokratische Reichstags­

fraktion verlangt, daß in der Finanz- wie in der Sozialpolitik den Wünschen der arbeitenden Massen entgegenkommen wird. Sie hält es durchaus für möglich, daß die Steuern der leistungsfähigen Schichten noch um etwas erhöht werden, wodurch nicht nur die Kosten für das neue Panzerschiff, sondern auch darüber hinaus noch einige Mittel zur Behebung frassester Notstände gewonnen werden könnten. Die Forderung der Sozialdemokratie ist ein Appell an die hinter der bürgerlichen Mitte stehen. Diese Kreise sollen die Baterlandsliebe der besigenden Kreife, zeigen, daß auch sie zu einigen Opfern bereit sind, um Deutsch­ land van dem Schicksal zu bewahren, das ihm aus einer neuen politischen Krise droht.

Die Sozialdemokratie fann vielleicht genötigt sein, auch meiter noch eine Regierung der Mitte zu halten, um das einer halb oder ganz faschistischen Rechts

Kommen

regierung zu verhindern. Schon jetzt aber muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß sie in ihrer Entschließung wie in ihrer Kritik frei ist. Die Politik, die jetzt im Reiche ge­trieben wird, ist nicht eine Politif, die die Mitte mit der Sozialdemokratie gemeinsam treibt, sondern es ist eine Po­litik, die die Mitte alle in treibt.

Das Bürgertum ist start, weil die Arbeiterklasse zerrissen ist. Das ist die Situation, vor der wir stehen. Sich über sie herbeigeführt haben: die Kommunisten. Wer sie ändern zu beschweren, haben diejenigen am wenigsten Recht, die sie will, muß dafür sorgen, daß die. Sozialdemokratie stärker wird!

Einſtmeilen trägt die bürgerliche Mitte die Verantwor tung. Sie wird sie auf die Dauer nicht zu tragen vermögen, wenn sie nicht willens und imftande ist, sich mit den Vertretern der Arbeiterklasse ehrlich zu verständigen.

Meine Reise nach Moskau .

Von R. Abramowitsch.

Troß aller meiner durch unwiderlegbare Zeugnisse erhärteten Dementis, blieb das Moskauer Gericht bei der Behauptung, daß meine Reise nach Moskau im Sommer 1928 doch stattgefunden habe. In den sonst sehr ausführlichen Schilderungen der Angeklagten meines Aufenthalts in Moskau fällt es auf, daß teiner von ihnen ein genaues Datum nennt. Sie erinnern sich an alles! Wie ich aussah, wo meine Koffer standen, wie der Kutscher hieß, der mich zum Bahnhof brachte, usw., aber niemand weiß einen bestimmten Tag, ja einen bestimmten Monat zu nennen. Sie sprechen alle ganz allgemein pom Sommer 1928". Nur aus den Aussagen Schers läßt sich in direkt feststellen, daß es sich um die Zeit von etwa Mifte Juli Tag( nach dem Gespräch, das in der Stadtwohnung Schers statt bis Mitte August 1928 handeln muß. Er sagt: Am anderen gefunden haben soll! R. 2.) fuhr Abramowitsch aus Moskau weg ( um die Peripherie zu bereisen". R. A.). Ende Juli fuhr ich nach Polnowo zum Seligersee. Das von Abramowitsch versprochene Telegramm erhielt ich nicht und fehrte Ende August nach Moskau zurüd, wo ich von Saltind erfuhr, A. sei nach Moskau zurückgekehrt und die Konferenz habe bereits stattgefunden..."( Inpreforr.", Nr. 19, S. 511). Laut Leningrader Radiobericht vom 5 d. M. soll Scher in der Abendsigung dieses Tages das Datum meiner An tunft in Mostau etwas genauer präzisiert haben:

zwischen dem 15. und 20. Juli.

Der Zeitpunkt meiner Abreise blieb nach wie vor im dunkeln. Nun habe ich bereits dem Gericht in Moskau und der Deffent­lichkeit mitgeteilt, daß ich den Monat Juli( wie ich jetzt endgültig festgestellt habe, nicht bis zum 26., sondern bis zum 30. einschließ lich!) in Blau( Mecklenburg ) zugebracht. Dies wurde bereits in der Bresse von dem Sekretär der Liga für Menschenrechte Kurt Groß mann bestätigt. Ich besige nun eine

amtlich beglaubigte Bescheinigung der Besitzerin der Pension Wendenburg in plau, daß ich in ihrem Hause ununterbrochen

von 9. bis einschließlich 30. Juli 1928 gewohnt habe. Eine Bestätigung des früheren Besizers des Hotels Strand­hotel", in dem ich die ersten Tage meines Aufenthalts in Plau mohnte, sowie eine Reihe anderer Aussagen von Leuten, die mich in Blau zu jener Zeit tennenlernten, steht zu meiner Verfügung.

Noch schlimmer für Krylento liegt die Sache mit der ersten Hälfte des Monats Auguft. Krylentos Agenten haben in der Eile über­des Monats August. Krylenkos Agenten haben in der Eile über sehen, daß es gerade in jenen Tagen einen Internationalen Sozialistischen Kongre gab, und zwar in Brüssel daß ich in der Zeit vom 1. bis zum 12. August einschließlich an ver­Jedermann fann es aus den Protokollen dieses Kongreffes erfahren, schiedenen Tagungen der Organe der SAJ.( Kommissionen, Büro, Erefutive) sowie an den Kongreßfizungen teilnahm. Wer die Pro­totolle nicht zur Hand hatte( im Marr- Engels- Institut von Rjasanom wären sie sicherlich zu haben), konnte das aus der Prawda" vom 5. August 1928( Nr. 181) oder der Roten Fahne" vom 7. August 1928 erfahren!

mar.

Also: es steht fest, daß ich im Sommer 1928" nicht in Moskau

Es beftand für Krylenko eigentlich feine zwingende Notwendig keit, seinen Prozeß auf meiner angeblichen Reise nach Moskau auf­zubauen. Er hätte ebensogut und mit der gleichen Beweiskraft mich in Berlin geheime Zusammenfünfte" zwecks Organisierung der Intervention" mit Wels, Léon Blum , Hilferding , Kautsky , Poincaré , Pilsudski und Mussolini abhalten lassen fönnen, mit dem letzteren allerdings nur an den Tagen, an denen er keine Verabredung mit Litwinow hatte. Ein Alibi wäre für mich dann nicht gut möglich, denn daß ich seit so und so vielen Jahren in Berlin lebe, ließe sich unmöglich abstreiten und daß alle Genannten tatsächlich unter den Lebenden weilen, steht ebenfalls für jeden Unterrichteten fest. Aber Herr Krylenko wollte mich partout in Moskau haben, und zwar ausgerechnet im Sommer 1928. Ist er durch einen be fonders ungeschidten Spigel schlecht informiert worden, cber hat der betreffende Untersuchungsbeamte der GPU an den

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betreffenden Tagen zu eifrig der Rytowka" zugesprochen, oder- oh schrecklicher Gedanke! hat sich in die GPU. ein mensche wistischer Schädling" eingeschlichen, furzum, die Anklage stellte diesen meinen Besuch in Mostau in den Mittelpunkt der ganzen Affäre. Ich soll es gewesen sein, der nach der erwähnten geheimen Be fprechung" in Berlin mit dem Geld des Parteivorstandes ausge rüstet, im Sommer 1928" nach Moskau gegangen war und durch meinen Drud unter Hinweis auf die zugesagte Unterstüßung der weiten Internationale" und der SPD. die schwankenden Mit­glieder des Unionsbüros" überredet und zur Annahme der neuen bewogen hatte. Ich fall es gewesen sein, der in Moskau private Taftif", der Schädlingsarbeit, des Aufstandes und der Intervention und offizielle Besprechungen mit einzelnen Genossen abhielt, die Peripherie", d. h. mohl die Provinzorganisationen bereiste, und zum Schluß jene Bollfigung des Unionsbüros" in Moskau ver­anstaltete, der die Anklageschrift entscheidende Bedeutung beimißt, und deren Beschlüsse sodann von der Auslandsdelegation offiziell bestätigt worden sein sollen.

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Fällt nun aus der in der Anklageschrift aufgebauten Konstruktion der Schlußstein meiner Mostau- Reise hinaus,

muß diefe ganze Konstruktion zusammenstürzen. Dann gab es eben teine geheime Besprechung" in Berlin , feine entscheidende ,, Bollsigung" des Unionsbüros" unter meiner Leitung und unter meinem Druck, dann gab es aber auch keine ,, mündlichen Instruktionen" von mir zur Organisierung von Schädlingsarbeit und Intervention, dann konnten diese Instruktionen" auch nicht offiziell von der Auslandsdelegation bestätigt werden, usm. Eine Anklage, die in einem politisch und juristisch so wichtigen Teil auf einer Lüge

aufgebaut ist, fann auch in allen anderen Teilen kein Vertrauen beanspruchen. Sie ist als elendes Machwert entiarot.

Noch viel wichtiger ist die Frage, ob ich zu der angegebenen Zeit tatsächlich in Mostau gewesen bin oder nicht, für die Be­urteilung der Glaubwürdigkeit der Angeklagten. aussagen.

Die Aussagen der verschiedenen Angeklagten( Scher, Groman, Salfind, Petunin u. a.) über meinen Aufenthalt in Moskau und ihre dortigen Zusammenfünfte mit mir sind nicht etwa flüchtig hin­geworfene einfilbige ,, Geständnisse", sondern sehr eingehende mit erstaunlich vielen Einzelheiten ausgestatteten Schilderungen. Die Aussage des Angeklagten Scher über diesen Punkt füllt, z. B. dichtgedruckte Spalten, die Aussage des Saltind eine Spalte in der deutschen Inpreforr"-Ausgabe der Anklageschrift fast zwei und dergleichen. Ihre in der Voruntersuchung zu diesem Punkt ge­machten Aussagen haben die Angeklagten im Laufe des Prozesses selbst wiederholt beträftigt und erweitert. Als in Moskau meine Dementis bekannt wurden, haben sich die Angeklagten über mein hartnäckiges Leugnen" und meine Doppelzüngigkeit" entrüstet und in allen Details ihre Zusammenfünfte mit mir. ja sogar ihre persönlichen Eindrücke von meinem Aeußeren und meine Haltung geschildert. Noch in der Sizung vom 6. d. M., als Krylenko meine eidesstattliche Erklärung mit genaueren Angaben und die im Borwärts" abgedruckte Erklärung von Kurt Großmann verlas, sprachen die Angeklagten höhnisch über meine vergeb lichen Versuche" mit Hilfe von falschen Zeugen" ein falsches Alibi* zu tonftruieren.

Wie wird es nun, da es mir gelungen ist, ein absolut einwand­freies, dokumentarisch unwiderlegbares Alibi aufzustellen? Dann find alle diese detaillierten Schilderungen als glatte Erfindung ent­larot. Dann steht es fest, daß die Angeklagten, aus Gründen, die wir vorerst nicht näher unterfuchen wollen, in diesem übrigens sehr wesentlichen Punkte sämtlich gelogen haben. Dann entfällt auch für den politisch Nichtunterrichteten jeder Anlaß, diesen notorisch un­glaubwürdigen Angeflagten auch alles andere zu glauben, was sie über ihre Organisation, ihre Tätigkeit, ihre Verbindungen und ihre Gefdquellen auslagen.( Für den politisch Unterrichteten sind diese