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Jlndreas Xafmko: JößlMOISCllC

Cs sind jetzt genau zweihundert Jahre her, da besteigt ein unansehirliches, knochiges, kleines Bürgsrmädchcn die vergoldete Karosse eines adligen Grandjeigneurs, der Diener schlägt die Türe zu. springt neben den Kutscher auf den Boik, und die Tochter des niedrigen Steuerbeamten Poisjon rollt aus Strohe und Stadtviertel, aus der Welt ihrer niedrigen Geburt hinaus, kaum daß die zusammengelaufene Nachbarschaft Zeit Hot, das ungeheure Ereignis mit der gebührenden sittlichen Entrüstung zu kommentieren. Vor jedem anderen Hause hätte das Scharren und Stampfen der Rosse, das Klirren des silbernen Zaumzeuges einen Auflaus vcr- ursacht, Neugierige in allen Fenstern, Weiber und Kinder aus den Nebenstraßen hätten ehrfurchtsvoll flüsternd über das Geheimnis so vornehmen Besuches ihre Vermutungen ausgetauscht, ohne direkte Frage an den goldbetreßten Diener und Kutscher zu wagen. Kein Grenzstrich, in das tiefste Strombett oder auf Berggipfeln gelegt, trennt die Menschen so scharf, wie die unsichtbare Scheidewand des Standesunterschiedes. Auch dieDienerschaft" blickt mit der Süffisance der geborenen Herren über das bürgerliche Pack» die Roture" hinweg, fürchtet wie Aussatz die Berührung mit Geschöpfen, die keine Schnallen an den Schuhen tragen, keinen Degen um- schnallen und keinen Flintenschuh abfeuern dürfen. Nur einen Schmugglerpfand gibt es, im Handumdrehen führt er aus dem tiefsten Morast der Romenlosigkeit hinüber in das Himmelreich der Auserwählten, man muh ihn nur auf gut- gedrechselten Beinen, kleinen Füßchen in hochgestöckelten Schuhen betreten, und dari keine Scham mehr kennen, wie dieses verkommene Weib, die Mutter Poisfon. Dann freilich ist es leicht, wie eine große Dame zu leben, vornehme Besucher empfangen, und auch das Fräu- lein Tochter, den kaum zehnjährigen Fratz die Satansbrut! in vergoldete Karossen zu setzen. Wer sich nicht scheut sein«igen Fleisch und Blut zu verkaufen? Könnten die Lästerer in die Zukunft schauen, die Leichenbcrge sehen, die jede Nation Europas wird opfern müssen, für die gekränkte Eitelkeit der Demoiselle Poisfon,«in Blick in das besiegte, ausgesogene Frankreich , in die rotgeweinten Augen vieler tausend Mütter und ihrer geschändeten Kinder, die zusammengesangen, verschleppt und wie Abfall fortgekchrt werden nach Gebrauch, alles auf Befehl und zum Vorteil des kleinen Mädchens, das eben in ihrGlück" hinaus- fährt, zum Verderben der Welt, statt der zotigen Scherzworte schwirrten wohl Steine der Karosse nach, und es fänden sich beherzte Männer, die gefährliche Raupe zu zertreten, ehe sie sich einspinnen, als Schmetterling ein blühendes Land mit seinen Feldern, Wäldern, Saaten vernichten kann. Aber wer sollte sich weiter Gedanken darüber machen, daß die Tochter einer sittenlosen Mutter irüh verdorben dem bösen Beispiel folgt? Ein kleiner Steuerbeamter, wie d«r arme Poisson, hat es 1 nicht leicht. Das Volk drückt sich wo es kann, Fronherr, Kirche, Militär holen aus Keller, Scheune und Stall, was der Himmel hat wachsen und werden lassen, dann soll der Stcuercinnehmer dem jammernden Gesindel das Geld aus den Poren quetschen, für den Generalpächter, dessen bodenlose Taschen alles verschlingen. Für den kleinen Wann die Flüche, die Plackerei für die großen Herren der Nutzen? Ist es ein Wunder, wenn auch der Arme gern« die Beine unter den Tisch strecken und einen guten Tropfen trinken möchte? Wer hat je was geschenkt bekommen für seine Sittsamkeit Dumm mußte emer sein, gotteslästerlich dumm, nicht durch die Finger zu schauen, wenn seidene Börsen voll Dukaten auf dem Tisch vergessen werden von den Besuch eru, die schönsten Rehchicken und Bärenjchinken .. i..ftzz Haus regnen und die Frau-in Seid« und Samt die vornehmen Besucher empfängt, statt sich mit geborstenen Händen und ver- schwitztow, zottigem Haar zuschanden zu rackern! Laßt die Leute grün werdcn vor Neid und Galle . Ter liebe Gott läßt Kohlköpfe und Rosen wachsen di« schönen Augen, koketten Grübchen, die feine Haut und di« runden Glieder Mutter Poissons sind auch nicht des Teufels Blendwerk. Die reichen Herren tragen nichts fort von des Hauses Schätzen und kommen auch selbst nicht zu kurz, und wo keiner Schaden leidet und alle zufrieden sind, geht es noch lange nicht am ärgste» her! So denkt Herr Poisfon und befindet sich wohl dabei. Wer nicht aus einer anderen Gegend kommt, bleibt längst nicht mehr stehen, die Nachbarschaft hätte viel zu tun, dürfte Tag und Nacht zum Fenster hinausschouen, wollt« sie in jede Sänfte und jede Karosse hinein- gucken, die bei Poissons vorfahrt. Dank dieser Gewöhnung wird es erst nachträglich richtig bekannt, daß die Tochter in die vornehme Welt übersiedelt ist. Wahrscheinlich denk«n die liebenden Eltern nicht viel anders als die Nacbbarschnst über die weiteren Folgen der Um- Pflanzung, endlich muß der reiche Herr, aus dessen Kosten Tanz- und Sprachlehrer, Aerzte und Kosmetiker für die weitere Entwick- lung des nach struppigen Kükens sorgen, für Mühe und Auslagen entschädigt werden. Anders denkt nur die zehnjährige Tochter! Wie weit die Groß­mut der Kavaliere geht, hat das Kind im sogenanntenBoudoir" der Mutter mit ossenen Augen beobachtet. Dünne Arnchändcr und Ringe mit fragwürdigen Steinen, einige Dukaten für derlei Bettel wird die Gunst einer kleinen Bürgersfrmi gekaust, ist ihre Schönheit auch noch so begehrenswert. Die vornehmen Dame» der Gesellschaft dürfen ganz andere Ansprüche stellen! Das kleine Mädchen hat auf« merksam allen Erzählungen und Gcspräcben gelauscht, es kennt den ganzen Hosklatsch, weiß genau, wie leicht es in Versailles ist, zu Diamanten, Palästen, Landgütern zu kommen! Wenn Adlige den Mund öffnen, sprechen sie von den Intrigen bei Hof, um die Person des Monarchen rotiert seit den Zeiten des Sonnenkönigs ganz Frankreich , wovon sollte ein vornehmer Gast der kleinen Beamten- frau erzählen, wenn nicht von den Begebenheiten in jenem unerrelch- baren Wunderland, in dos durch eins Wolkcnspalte hineinzuspöhen der Traum Wadame Poissons ist? Und so trägt das zehnjährige Mädchen tief ins Gehirn ge­schnitten die selbst abgeleitete Lehre: eine Frau brauche weder schön noch klug zu sein, wenn sie nur einen starken Willen hat und die günstige Gelegenheit herbeizuführen weiß. Dann!... Wer weiß es nicht, daß man dem Waschlappen, der Ludwig X V. ist, die Frauen in d«!> Weg schiebt, und jede einen Hampelmann aus dem gekrönten Schwächling machen kann, wenn sie ihn richtig anzupacken versteht? So romanhast unwahrscheinlich es sich lesen mag, schon das zehn- jährige Kind tritt mit dem festen Vorsatz in die vornehme Well Über, die Mätresse des Königs zu werden! Solche posthume Prophe- zeiunge» sind allgemein beliebt. Biographen beweisen nur zu gerne, daß«ine scharjsichtigcre Mitwelt früh schon hätte erraten sollen, was nachträglich vorauszuahnen der Ges-bicktsschreibunq nicht schwer wird. Im Falle der kleinen Demoiselle Poisson ober ist nur die Formu- lierung ein Anachronismus, wenn man sagt, es sei von Kind aus ihr Ziel gewesen, die Marquise von Pompadour zu werden! Ob der reiche Lebemann wirklich nur den Wohltäter spielen will, well es ihm vielleicht«-paß macht auszuprobieren, wie weit es ein Mädchen von niederer Geburt bringen kann, wenn es zwei so scharsc Augen im Kopfe hat und so gut aufzumerken versteht, wie di« kleine Poisson? Ob er hinterher erst entdeckt, daß er genarrt worden ikt? Fest stcht jedenfalls, daß die Demoiselle, einmal aus. gebildet, von Dankbarkeit, im Sinn« de? übliche» Auffassung, nichts

9>ommn wissen will. Auch andere Männer bemühen sich vergebens, in einer Zeit, die das heiratsfähige Alter für Mädchen mit dem erfüllten sechzehnten Jahre nach oben zu abgrenzt, während ringsum die Töchter aus höheren Kreisen mit 14 oder 15 Jahren unter die Haube kommen, und das Interesse der reichen Kavalier« um die niedersten Altersklassen der Ballettschule am höchsten ist, bewahrt sich die Tochter Mutter Poissons ihre Unberührlhett bis ins zwanzig sie Jahr. Die Berführungskünste der berühmtesten Herzensdiebe von Poris und Versailles versagen, die verlockendsten Angebote prallen erfolglos ab von der Panzerung ihres unerschütterlichen Entschlusses: geheiratet, von einem hochgeborenen Herrn geheiratet und hoffähig zu werden. Aus demBoudoir" der Mutter Poisson in das alte Adelsschloß des Herrn von Lenormand d'Etioles ist es ein weiter Weg? Der Freier braucht kein Geck zu sein, um sich einzubilden, die junge Gattin werde sich glücklich, am Ziele ihrer schönsten Träume, fühlen an seiner Seite. Weit gefehlt! Ihr Mann ist einer her Steuergewaltigen der Normandie , kein armer Landadeliger, dessen Frau sich einschränken muß, ober auf einem Rittergute zu herrschen, von den Frauen auf den umliegenden Gütern, trotz allem, mit Herablassung behandelt zu werden, nicht das war der Wunschtraum, dessen Erfüllung dem zehn- jährigen Kinde voranleuchtete, als es auf vergoldeten Rädern aus dem schäbigen Kleinbürgervietel hinausfuhr. Der arme Herr d'Etioles muß sich dem Willen seiner Frau fügen. Sobald sie von dem ersten Kindbett genesen ist. macht er von seinem Adelsrecht Gebrauch, die Gattin bei Hofe einzuführen, und damit ist seine Rolle zu Ende, auch der König macht von seinem ungeschriebenen Rechte Gebrauch, die Frauen seiner Untertanen zu begehren. Es hilft dem stolzen Manne nichts, daß er jedes Amt, jeden Titel, jedes königliche Gnaden- geschcnk ablehnt. Da er sie nicht verkaufen will, verliert er eben die Gattin, wie später auch die Tochter, die lieber als den kleinen Habenichts d'Etioles, die allmächtige Mutter für sich sorgen läßt. Der Name Pompadour sagt viel, aber noch lange nicht genug. Genau dort angelangt, wohin emporzuklimmen nur ihre unwissende Kinderkühnheit träumen konnte, gönnt sich die kleine Poisson Vilich alsmaitresse en tirrs" keine Entspannung. Ihr Wille bleibt geballt! Wie das kleine eckige Kind, horcht sie immer noch mit überwachen Sinnen, bereit zu jeder Kasteiung, jedem Verzicht. Ihr Vermögen mehrt sich um mindestens zwei Millionen jährlich, jeder Geburtstag bringt ihr ein neues Landgut, auch der Bruder steigt mit auf, ist reich, und da ihm der Titel eines Marquis de Vandiöres den Spott- namenMarquis d'avant hier" einträgt, läßt ihm die Schwester als Pflaster einen anderen Titel mit dem dazugehörigen zweiten Marquisnt verleihen. Aber das alles ist nur Versorgung, Geld. Be- quemlichkeit, Glanz, Vergnügen, gesicherte Zahmst, aber nicht gesicherte Macht, kein Schutz gegen den Verlust der Position. Demoiselle Poisson will herrschen!... Ludwig XV. ist schwach und träge, er ist froh, wenn ihm alle Sorgen des Regierens abge- nommen werden nur in einem Punkte verträgt er keine Bevor-

mundung: er mag nicht immer das gleiche Weib in seinem Schlaf- zimmer sehen, er will Abwechslung Jugend, und Die Marquise von Pamp«dour ist schon eine überreise Frucht, als sie an den Hof kommt. Also organisiert sie selbst den Nachschub, sorgt für roschen Derbrauch, damit die Sinne des Königs befriedigt werden, ohne daß den Nachfolgerinnen Zeit bliebe, Einfluß zu gewinnen. So entsteht der berüchtigteparo au cen's". Hunderte von Spitzeln durchstreifen mit Geld und Vollmochten versehen das ganze Königreich, kaufen, oerführen, rauben hübsche Mädchen aus allen Ständen, man kann den Ilmsatz nur ahnen, auf Grund der staatlichen Finanzgebaruna, die für den Hirschpark, während seines etwa IZjährigen Bestandes, insgesamt hundertundsechzig Millionen verrechnet! Wenn sie nebenher auch Weib bleibt, für den Verlust sich tröstet, verliert die Pompadour doch nie die Hauptsache aus den Augen, ist bei der Wahl ihrer Günstlinge vor allem auf die Festigung ihrer Machtstellung bedacht. Weil sie in dem jungen Grasen Stainville den maßlosen Ehrgeiz errät, schenkt sie sich ihm, schickt aber de» Geliebten als Gesandten nach Italien , dann nach Wien , läßt ihn erst zurückkehren, da er gereist und ein würdiger Mitarbeiter geworden ist. Zum Herzog von Choiseuil erhoben, setzt sie ihn neben sich in den Ministerfauteuil, duldet gleichgültig sAne Liebesabenteuer, zu- frieden, daß er ihr als Werkzeug die Treue hält. Der wahre Ge- liebte ihres Herzens, an dem sie mit der fast widernatürlichen Un- bedingtheit ihres Kindheitsentschlusses hängt, ist und bleibt ihr eigenes Ich, ihre Rolle in der Welt, auch sie selbst ist nur der erste Diener ihres Willens. Sieben Jahre muß Friedrich II. Krieg führen, weil er gewagt hat, die Tochter der Madame Poisson in einem Spott- gedicht herabzusetzen: die ganz« europäische Politik wird umgeworfen, die traditionelle Feindschaft zwischen den Häusern Bourbon und Habsburg muß einem Bündnis weichen, Nationen verbluten und verarmen: keine Niederlage und keine Gefahr, kein Zureden und Bitten der Feldherren und Minister hilft: und wenn nach sieben Jahren doch Friede geschlossen wird, ohne daß der königliche Dichter gestraft wäre, könnte die Pompadour persönlich die Schlachten lenken, statt nur di« Generäle absetzen und ernennen, sie kapitulierte wohl auch nach sieben Jahren nicht, gäbe dem preußischen König noch mehr zu schassen als seine andere Feindin Maria Theresia . Wie wird sie aber geschätzt und umschmeichelt von der sonst so sittenstrengen Kaiserin, die in Wien , bei IMichtem Tag, die spazieren« den Paare kontrollieren läßt, und das Zusammengehe» ohne Trau- schein alsunzüchtig" verbietet! Die Marquise von Pompadour, die ihren angetrauten Gatten mit dem Ehemann der Königin von Frank- reich betrügt, ist die liebe Tochter,ma tre eher« fille "; in manchen der vielen handschristlichen Briefe auch dieliebste Freundin" der großen Kaiserin und Königin! Wäre der Preis nicht, den Frankreich und Europa , die Toten des siebenjährigen Krieges und die vielen tausend entehrten, ver-. feuchten kleinen Mädchen des Hirschparkes für diese Laufbahn zahlen müssen, wahrhaftig, man könnte schwer den Respekt versagen dem gefährlichen Weibsbild, das mit zehn Jahren schon so fest zu wollen versteht, daß es entgegen den strengsten überliesertcn Porschnsten Ii» Königsschlosse von Versailles sterben darf. Erst als der Tod Augen und Willen gebrochen hat, wird die Leiche rasch fortgeschafft: so lange sie atmet, wagt sich keine Hand an Demoiselle Poisson.

In dar Rächt erhebt« sich mit geschlossenen oder wert geöff- neten Augen, führt oft recht komplizierte Handlungen aus, ohne nach dem Erwachen von allem Reden oder Gehaben da» geringste zu wissen. Unker dem Einfluß des Mondes soll der Nachtwandler von seinem Lager förmlich abgezogen werden, in den Mond starren. oder aufs Dach klettern und dort in Rinnen oder auf dem First spa- zieren gehen. So erwacht ein« frühere Patientin von mir in kalte? Winrer- nacht. Der grelle Mondschein fällt ins Zimmer, das Fenster steht weit offen, obwohl«s vor dem Schlafengehen sicher geschlossen war. Und in der Frühe findet sie unterhalb des Fensters ihr Kopfkissen. Was hat das zu bedeuten? Wie bei der Analisse von Träumen ließ ich auch hier assoziieren, das heißt, ich stellte mir einige Worte zusammen, die mit ihrem Nachtwandeln in Beziehung standen, las di« einzelnen Worte vor und ließ sie nach jedem Wort sofort aus- sprechen, was ihr einfiel. Auf das WortKopfkissen" antwortete sie sofort mitKind". Das Kopfkissen hatte also für sie irgendein« Beziehung zum BegriffKind". Ihr Traum hatte zum Derständnis ihrer nachtwandlerischen Handlung den besten Beweis geliefert. Sie träumte, sie habe«in Kind bekommen und sich deshalb vor den Menschen schämen müssen. Das Kind, das sie bekam, symbolisierte das Kopfkissen, und damit die Leute nichts erführen, warf sie es einfach zum Fenster hinaus. Nachdem ich ihr diese ihr unbewußten Gedanken bewußt mochte, indem ich dies« Handlungen, natürlich unter ihrer Mithilf«, erklärte, wurde sie völlig von der Mondsucht geheilt» Ludwig Ganghofer schilderte_ in seiner Selbstbiographie Buch der Kindheit" seinen eigenen Heilintgsprozeß. In einer flacht erwacht« er friereich, graue Dämmerung war um ihn her und viele Stern« funkelten. Er saß auf dem Schindeldach einer Kegelbahn. Auf den Boden�hinunter war es kein hoher Sprung, aber dt« Kieselstein« des Seminorgartens zerstachen ihm die nackten Sohlen: und als er ins Haus wollte, fand er das Tor verschlossen. Irgend- wo fand er ein offenes Fenster und kletterte ins Haus urch lotttlos hinauf in den Schlafsaal. Am nächsten Abend aber nahm er von Mutter? Garnknäueln«inen mit hinauf ins Bette, knüvlts sich zwei doppelte Zwirne um di« Handgelenke und band die Enden um die Knäufe der Bettlade. In der Nackt, als er wieder wandern wollte, spürte er den Zug von Mutter? Fäden und erwachte. So heilte er sich selbst. Früher meinte man, der Mondsüchtig« verfüge über wunder. bare Körper- und Geisteskräite, die er im Wachzustand nicht be- sitz«. Ln diesen gebier verfielen schon viele, die die Handlungen der Hysteriker, Hyp-notisierten und Medien menschlich tiefer und echter ansahen als die Gesunden. Von diesen wunderbaren Taten und Ge- danken nachtwandlerischer Menschen Hai die Wissenschast nichts be­richten. nur beweisen können, daß dos Wunderliche, Unerklärliche nur fetten das Wahrhaftere darstellt. Das Aufollende beim Nachtwandler ist, daß er mit weitgeöff- neten Augen das wahrnimmt, was mit dem ihm beschäftigenden Ge- dankengong in Verbindung zu bringen ist. Von einem Mönch wird berichtet, daß er eines Nachts träumte, der Prior seines Klosters habe seine Mutter getötet. Nachtwandelnd erhob sich der Mönch mit einem großen Messer bewaffnet, rannte nach der Zelle des Priors und führte gegen dos Bett, in welchem er chn liegen zu sehen glaubte, mehrere Stöße aus, worauf er sich ganz ruhig in seine Zell « zurückbegab. Der Prior aber lag noch nickt im Bett. sondern saß am Schreibtisch. Schon Shakespeare hat diese Beschrän. kung des wirklick)«» Sehens schon lxilluzinatorijchem Sehen bei Lady Macbeth so geschildert. Arzt:Ihr sagt, daß Ihre Augen offen sind?" Kammerfrau:Ja, aber deren Sinn ist geschlossen-" Und der Dichter läßt die Kranke während des Nachtwandeln? einen nicht vorhandenen Bkutfleck mch chrer Hand sehen und ein Gespräch mit

lel und W-ondmchl ihren, nicht anwesenden Gatten führen. Trotz Psychiater und Psy- chasogen sind Dichter die ollerfeinsten Seelcnkenner, die Jahrhun- derte früher Seelenrätsel ahnend voraus lösten mit schauende»! Geist«. Sie schöpften dabei aus dem eigenen Inneren, oder weil sie selbst in der Jugen� Nachtwandler waren. Man weiß,- welch tiefes Interesse Otto Ludwig und Kleist an der Mondsucht «ahmen und wie sie geradezu jene dunklen Probleme in ihre Htafie hinetntrugen. In der NovelleMaria" laßt Ludwig die Heldin mondwandeln zum Geliebten kommen und sich ihm hingeben, ohne im Bewußtsein die Erimrerung an das Erlebte zu bewahren. Im Prinz von Homburg " wird der Kern des nachtwandlerischen Traumes als Wunscherfüllung dargestellt: Erlangimg von Ruhm und die Hand der Geliebten. Ich glaube, daß das Nachtwandeln der Mondsüchtigen zu den Flugträumen gehört. Das Fliegen ist das Symbol des Ehrgeizes, man erhebt sich mühelos, um sich von den auf der Erde wandelnden Menschen bewundern zu lassen. Die Mondsucht könnte man syni- bolisch deuten, daß man sich über alles Irdische erhebt, um dahin- zueilen, zum Monde, wo keines Menschen Fuß geweilt, kein Haß und keine Erdenschwer« ist Das Mondlicht ist dann nur symbolisch als rein geistige Zlnziehungskrast anzusehen, als sichtbares Gebilde, wo jeder Wunsch schon deshalb in Erfüllung gehen muß, wei hier Menschen sehen, die einen an der Erreichung des Hoffnungsideales hindern. Eingeboreiumbi'äuchc im iKougogebiel Tief im Innern Afrikas , in dar Näh« des Kongo, und im fron- zösifchen Koloinalgebiet lebt der Stamm der Taba'.Kaba-Neger. Eine mertwürUge Sitte der dortigen Frauen, das Durchbohren der Lip- pen und das Einlegen schiverer hölzerner Platten in die entstandenen Löcher, konnte bis heute noch nicht völlig erklärt werden. Man versucht«, den Ursprung dieser Sitte mit einer absichtlichen Entstel­lung und der daraus folgenden Entwertung der Frauen aus Furckst vor den Eroberung?- und Raubzügen feindlicher Stämme in Zu- jammenhang zu bringen. Diese Annahme dürste indessen kaum zu- treffen, die Sitte vielmehr von vergcssenen kultischen Bräuchen und Ueberlieserungen herrühren. Im Alter von 14 16 Jahren werden den Mädchen diescs Stammes die Ober- und Unterlippen durchbohrt oder mit einein svctzen Gegenstand durchschlagen. In die Oefsnuirg eingeführte Strohhalme verhindern alsdann das Schließen der Wunden. Durch ständiges Ziehen und Zerren an den Lippen und durch Einführen von Holzstäben, die nach und nach durch immer dicker« ersetzt wer- den, erweitern sich die Löcher, dehnt sich die Haut. Schließlich wer- den tellersörmige flache Holzplatten verwendet, die mit zunehmen­dem Atter der Frau und fortschreitender Erweiterung der Lippen durch immer größere und schwerere ersetzt worden. Die Platten können auf diese Weise bis zu einem Durchmesser von 3? Zentimeter anwachsen! Dieses Maß gilt jedoch nur für die untere Lippenscheibe, da die Oberlippe nicht bis zu solckcm Ilmsang« ausgedehnt werden kann. Eine Folg« dieser Berunstaltttna ist das beitändige Olfen - stehen des Mundes dieser Frauen: ein Herabhängen der Unterlippe, die manchmal durch die Hand untorstützt und geh-ilten werden muß, ein fortwährender Speickelslliß des Mundes sowie beträ'Hliche Schwierigkeiten beim Essen und Trinken. Die franzöliscke Regie­rung hat daher aus gesundheitlichen Gründen in ihren Gebieten den noch nicht ve-runltaltetcn Negerinnen verboten, sich solche Lippen- scheiden zuzulegen.

Die stärksten und schnellsten Tetnperoturverändervnqen weist Bolivien auf, und zwar vor allem in Alto Cvuccro. Hier ist an einem Tag« starker Frost, am nächsten aber schon brennende Wüstenh itze.