Beilage
Montag, 23. März 1931
Der Abend
Vorwäre
Shalausgabe des vo
Bilder aus Palästina
Von M. Y. Ben- Gavriel- Jerusalem
I. Völkermuseum in der Eisenbahn Man kann von Jerusalem nach Telaviv sehr bequem in der Eisenbahn fahren. Die meisten Palästinenser ziehen es vor, das Auto zu benutzen, denn auch hier bedeutet Zeit Geld. Das ist aber unrichtig, denn der Zeitverlust wird reichlich aufgewogen durch das, was eine solche Eisenbahnfahrt an Interessantem bietet. Sieht man von der erhabenen Schönheit der judäischen Gebirgslandschaft, die dann von den Reizen der Ebene abgelöst wird, ab, so ist es besonders das Publikum der beiden Waggons, dieses wandernde Völkermuseum, das den Genießer die Eisenbahnfahrt einer Autotour vorziehen läßt.
Nach den Augustumruhen vor zwei Jahren hatte sich in der Eisenbahn eine scharfe Trennung nach Nationen ergeben, das heißt, der eine Waggon war jüdisch, der andere arabisch. Diese unnatürliche Sonderung hob sich aber bald wieder von selbst auf, so daß nun das alte bunte Durcheinander wieder in vollem Umfang existiert.
Ein Viertel der Passagiere sind Saluzim, Arbeitspioniere aus den jüdischen Siedlungen im Galil, Jehudah und aus dem Emet Yesreël, die über Samstag in der Stadt waren. Braungebrannte Burschen und Mädchen, beinahe alle in Lederjacken, die Mädchen mit dem weißen Sonnentuch, alle mit festen, zutrauenerweckenden ausgearbeiteten Händen. Ihre Gespräche drehen sich um Landespolitit, mehr aber noch um Ernte, Anbau, Kühe und Beduinenüberfälle. Einer, der auf einem reparierten Stück eines Dampftraktors hockt, liest Schopenhauer , während die anderen sich entschließen ein Lied zu singen, das bald der andere Teil der jüdischen Fahrgäste aufnimmt. Der andere Teil das find Städter aus den drei großen Städten des Landes, darunter ein paar marottanische Juden, die sich eben, es ist Zeit des Nachmittagsgebetes, in der Mitte des Waggons aufstellen und zu beten beginnen. Der Gesang bricht ab; man wartet
das Ende des Gebetes ab.
nehmen wollen.
A
In einer anderen Ecke aber hat sich still und zufrieden eine Ge= Brücke über den Jordan zu schlagen, die Malaria fraß sie auf. sellschaft etabliert, die sich um den Streit zwischen Aegypten und Hundertunddreißig Prozent Fieber verzeichnete der Regimentsdem fernen Amerita nicht fümmert. Es sind zwei Polizei-| bericht d. h. dreißig Prozent damen zur zweiten Infektion soldaten, die, die Gewehre über den Knien, zwei Gentlemen Ruthenberg nahm's nicht zur Kenntnis und heute gibt es- cinund gegenübersizen, die in durchaus nicht auffallender Weise durch eine fleine Stahlfessel aneinandergebunden sind. Dies hindert sie aber nicht, dem Olivenvorrat zuzufprechen, den einer der beiden Polizisten in einem nicht sehr einwandfreien Taschentuch zur allge:
Das Baugelände bei Tel or
meinen Verfügung stellte.( Eimmal sah ich eine solche Gesellschaft, deren beide Zivilmitglieder, nicht weniger aufgeräumt als diese beiden, in feuerroten Fräden stedten, was nichts anderes bedeutete, als daß sie zum Tode verurteilt waren.)
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Ein
Der Zug nähert sich Ludd, der großen Umsteigestelle. Kind beginnt zu heulen und im Nu machen sich zehn oder zwanzig Kinder, die aus allen Eden hervortriechen, in allen Sprachen des Drients in ähnlicher Weise bemerkbar. Ich flüchte in den anderen Waggon und bin mitten in Zentralafien. Afghanen fizzen da, untergeschlagene Beine, ernst, als würde der Weltuntergang zur Beratung stehen. Ehrwürdige Gestalten in langen Kaftanen und riesigen weißen oder schwarzen Turbanen. Einer nur in der neuen persischen Mühe, die wie alte österreichische Finanzwächtertappen aussehen, Pilger auf der Fahrt nach Metta , beten Rosenkranz und zählen unaufhörlich ihre phantastischen Gepäckstüde in unabsehbarer Zahl, die, in herrlich schönen Teppichen verpackt, jeden Versuch, den Waggon zu durchqueren, aussichtslos machen. Unberührt von der Mystic Zentralafiens, von Afghanistan , Zwiebelduft und Gepäd stücken aber sitzt ein langer amerikanischer Tourist mitten unter ihnen, saugt an seiner Pfeife und lieft den„ New York Herald " vom Anfang bis zum letzten Inferat.
Es kommt aber nicht zum Weiterfingen, denn in Bittir, der alten Maktabäerfestung, steigen ein paar arabische Fellahen ein, die unter jeder Bedingung ein Schaf in den Waggon mitDer Kondukteur, ein Neger, steht auf dem Standpunkt, daß dies verboten sei. Die Fellahen, an ihren gelben Turbanen als Bauern aus dem Gebirge erkennbar, sind anderer Ansicht, so daß sich bald ein sehr angeregter Meinungsaustausch, an dem der gesamte Waggon teilnimmt, entwickelt. Die städti= In Ludd wird es einen Augenblick ruhig, die meisten steigen fchen Araber, hochelegant, parfümiert, und die städtischen Juden um. Damn aber, da der Zug aus Haifa eingelaufen ist, stürmt erklären sich gegen das Schaf, die jüdischen Bauern gehen mit den ein neues Völkermuseum mit Elan und unerhörtem Geschrei den Leuten von Bittir. Schließlich packt ein herrlich tätowiertes Bittir 3ug und ein neues gemischtes Programm der Völkerschau Balästina mädchen das Streitobjekt und verschwindet mit ihm in einem der drei Frauenabteile, die Männern strenge verwehrt sind. Die beginnt, das zu genießen nicht mehr als acht Gurusch palästinensiFrage eines der Haluzim, ob das Schaf auch tatsächlich ein Weib- scher Währung fostet, wobei die Fahrt von Jerufalem nach Tel- aviv chen sei, wird nicht gelöst, denn die Fellahen, ihres Gieges froh, beginnen zu fingen. Es ist eines jener unendlich langen arabischen Lieder, die man stundenlang singt, wobei man zwischen den Strophen Zwiebeln ist oder alte Familienzwiftigkeiten austrägt. Die Haluzim haben sich inzwischen um einen Judenmissio: nar gruppiert, der Bücher und Traktätchen unter ihnen verteilt,
bede.
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Der Yarmuk
die sie dann zum Fenster hinauswerfen. Einen, einen bicken Kerl aus dem Galil beobachte ich, der siebenmal mit frommer Miene herantomunt und um ein Buch bittet. Er verrät mir dann, daß er seit Jahren er ist so etwas wie ein wandernder Landkaufmann und Biehdoktor feinen Papierbedarf auf diese Weise Schließlich bricht auch diese Unterhaltung ab, denn einerseits geht dem Missionar der Vorrat zu Ende und andererseits beginnt zwischen einem riesigen Sudan neger und einem zier lichen Yemen er ein wüster Streit über die Frage, ob Aegypten größer sei als Amerita, respettive ob New York in Amerita oder Amerika in New York liege. Ein Teil des Waggons nimmt schnell Partei, so daß zwei Beduinen, schwarzäugige wilde Burschen mit den Schwertern in den Händen, die soeben einstiegen, sich auf zwei Bänte hinfegen tömten,
inbegriffen ist.
II. Tel or
Der Aufbau Palästinas, die Umwandlung dieser durch Jahrhunderte vernachläffigten Landschaft in einen Lebensraum, in dem wieder Milch und Honig fließen soll, würde auch bei Aufwendung größter und zielbewußter Energie und selbst bei Hinopferung einer noch größeren Menge freiwilliger Pioniere, als es bisher notwendig wurde, kaum gelingen, wenn nicht endlich die wesentlich ste technische Grundlage geschaffen worden wäre: die Mögfichkeit, das in einem verhältnismäßig schmalen Streifen der Landschaft Palästina zusammengedrängte Wasser zur Rrafterzeugung und mithin zur Irrigation zu verwerten.
P. Ruthenberg , Ingenieur Ruthenberg, ein Mann größten Formats, stellte seine gewaltige Energie nach dem Zusammenbruch des Zarismus Kerenski zur Verfügung, als dieser zu kurzem Zwischenspiel Rußlands Regierung in die Hand nahm, diente ihm und seiner Sache als Polizeipräsident und verließ, als die bolschewistische Revolution fiegte, Rußland und die russischen Angelegenheiten. Ein Bündel Energie war ohne Wirkungsfreis. Bis ihm der aufblühende Zionismus nach Palästina rief. Einen Augenblic schien es, als wäre das fleine Palästina zu ein für ihn, trotz der unerhörten Menge von Ideen und Möglichkeiten, die sich seit 1920 etwa in diesem Lande konzentrierten. Ruthenberg fonnte nicht Bauer wer= den, nicht einmal Generaldirektor oder Industrieller. Er mußte, um fich auswirken zu können, an den Lebensnerv dieses Neualtlandes heran, um ihn abseits von aller Politik zur zentralen Lebensquelle zu machen. Er ging durch das Land, ging nach dem Norden und machte in der Jordansente, dort, wo der Yarmut sich in den Jordan ergießt, halt. Hier in diesem schmalen grünen Streifen in der Wüste, den nicht einmal die Beduinen, die nicht viel für Romantit, aber sehr viel gegen Malaria übrig haben, lieben, hier versammelte er sechs hundert Arbeiter, nachdem er sich den Rüden mit zwei Millionen englischen Pfund gedeckt hatte. Und hier begannen sechshundert Menschen nach seinen An gaben zu graben, um das mächtigste Kraftwert Border afiens, vielleicht sogar des ganzen asiatischen Kontinents hinzu stellen.
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Drei englische Kompanien hatten auf diesem Platz ihren Diann schaftsstand verlorest, als sie während des Krieges nerfuchten, eine
einviertel Prozent Infektion. Er zeigte vorerst seinen Arbeitern, die meisten tamen aus Intelligenzberufen aus Europa , und hatten, freiwillig Arbeitspioniere geworden, niemals eine Maschine aus der Nähe gefehen, wie man mit Maschinen umzugehen hat und sagte
ihnen überdies, daß jedes Menschen leben unerseßlich ist.
Die Folge davon war einzig dastehend: Gescher oder Let on: Hügel des Lichts, wie heute das Werk und der Plazz heißt, hat bis nun teinen Betriebsunfall zu verzeichnen, der tödlich verlief oder zu Invalidität führte. Darauf stellte er eine Anzahl außerordentlich freundlicher Häuschen, chinesischen Pas villones ähnlich, auf die Wüstenhügel, machte eine vornehme Speisebarade, richtete eine Bibliothet und Kinovor stellungen, Lehrkurse und Dusche vorrichtungen ein, gab dem Kulturausschuß, was er notmendig hatte, garantierte jedem Arbeiter neben dem Gehalt auch täglich mindestens zehn Liter alkoholfreie Getränke und schuf sich so eine Garde von Menschen, die, vom letzten Erdträger( der Student der Philosophie in Europa war) bis zum Obersten der Wächter, einem riesigen furdischen Bergjuden, seiner Idee unbedingt ergeben find. Aus Arbeitern wurden Mitarbeiter. Mit ihnen ging er an das gigantische Werk, aus dem Gefälle des Varmut und des Jordan vorerst 32 000 Pferdekräfte zu ziehen. Natürlich sind die Schwierigkeiten so außerordentliche wie die Idee selbst, denn es heißt nichts anderes als: gewaltige Dämme aufzuführen, das Jordanbett zu verlegen nebenbei auch zwei. Brückest darüber zu werfen den Talkessel zu einem mehr als einen Quadratkilometer weiten Staubecken zu verwandeln, den Wasserspiegel dadurch um fünf Meter zu heben und um Kraftwerk Hierauf, energieerzeugend, 27 Meter tief hinabfallen zu lassen, damit die In duftrie in Haifa Strom und die Bauern im Galil und im Emegnesreel Wasser für ihre Felder haben. Dies alles macht er mit seinen Leuten in einer unsagbaren heißen Depression, die zweihundert Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Das Wert nähert sich seiner Bollendung. Ein paar Monate noch und
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wird in
| Tel- or wieder still werden, denn von Den Sechshundert werden kaum Vierzig zur Bedienung des Wertes zurückbleiben. Ein großer Teil der Ueberflüssigen wird dann von Ruthenberg irgendwo in der Nähe angesiedelt werden. Er wird ihnen ein Dorf bauen und dort werden die Menschen, die das industrielle Herz Palästinas zum Schlagen gebracht haben, ihr Lebensziel erreichen: sie werden Bauern oder vielleicht Schafzüchter.
Wüstenberg und Wüstental, Gelb im Gelb, und mitten drinnen ein schmaler grüner Streifen Papyrus, Binsen und Qleander. Rasend stürzt das Wasser des Darmuf über die schwarzen Felsblöde, hinab, über die Libellen, die mit merkwürdigen, wie pelzbesetzten Flügeln hinweggaufeln. Oben auf dem Hügel steht ein Beduine mit seinem Ramel und ein Polizeireiter des Emirs von Transjordanien und blicken auf die Baggermaschinen hinab, die sich, unverständlich den beiden Wüstensöhnen, in das Erdreich fressen und auf den in steter Bewegung befindlichen Haufen von Menschen.
Wenn sie oder wir oder wer immer nach ein paar Monaten
wiederkommen werden, wird alles wieder verschwunden sein. Nur ein paar Pavillons, ein Krafthaus und ein höchst romantisches Staubeden wird geblieben sein und die stille milde Romantik der Jordaneinöden wird herrschen wie zuvor. Nur daß die Schakale, wenn fie bei den Beduinen nicht genügend stehlen konnten, ihr Glüd bei den Pavillons versuchen werden und daß die Adler eine Zeitlang desorientiert sein werden, denn der Jordan mit seinen Fischreihern und der anderen delikaten Adlernahrung liegt nun auf der anderen Seite. Es bleibt genug an Wildoftromantik, denn wenn man auch letthin es nicht für ganz richtig hielt, daß einer der Wächter während der Kinovorstellung begeistert seinen Revolver abschoß, werden die Beduinen Transjordaniens, die freundlichen, aber bis an die Zähne bewaffneten Kinder der Einsamkeit, auch weiterhin malerisch an Tel- or vorbeiziehen.