Morgenausgabe
Nr. 139 A 70
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Dienstag
24. März 1931
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oder zur Uneinigkeit?
Wenn die geplante 3ollunion zwischen Deutsch land und Desterreich den Anfang der Vereinigten Staaten von Europa bedeutet, so wird der fünftige Geschichtsschreiber zu melden haben, daß die Vereinigung Europas mit einem schönen Krach begonnen hat. Mit lautester Stimme wird in Prag , mit lauter in Paris und mit halblauter in Rom erklärt, daß die Zollunion mit den bestehenden Verträgen nicht vereinbar sei. Die Nationalistenpresse von drüben hezt gegen den angeblich beabsichtigten Vertragsbruch, die Natio= nalistenpresse von hüben schimpft über unerhörte Einmischung. So, armes Europa , beginnt deine Einigung!
Wäre die Welt von lauter vernünftigen Menschen bewohnt, so müßte der Entschluß zweier Staaten die sie trennen den Zollgrenzen niederzulegen, mit allgemeinem Beifall begrüßt werden. Niemand kann bestreiten, daß östlich und füdöstlich der deutschen Reichsgrenze ein zollpolitischer Zustand beginnt, der absolut irrsinnig ist. Die sogenannte„ Balkanisie= rung" Ost- und Südosteuropas , die Zertrümmerung der gefchloffenen Wirtschaftsgebiete und ihre Ersetzung durch ein buntes Gemisch von mittleren und fleinen Staaten als felb= ständigen Zollgebieten muß überwunden werden. Soll da nicht ein jeder froh sein, daß damit endlich einmal irgendwo ein Anfang gemacht werden soll?
Leider ist aber die Politik noch sehr weit davon entfernt, von den Grundfäßen der lauteren Vernunft bestimmt zu wer den. Angst vor dem Unbekannten, Gefühle der Rivalität, machtpolitische Erwägungen aller Art lenken ihre Linie von der Richtung der Vernunft weit ab. Jeder Politiker muß mit folchen Faktoren rechnen. Und so fann man sich nicht darüber wundern, daß die etwas plötzliche Ankündigung der deutsch - österreichischen Zollunion an manchen Stellen mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen worden ist.
In der tschechoslowakischen Republit fann man sich nicht leicht mit dem Gedanken abfinden, fünftig auf drei Seiten von einer Zollunion umschlossen zu sein. Man fürchtet, dadurch in eine Lage zu geraten, die die wirtschaftspolitische Entschlußfreiheit des eigenen Landes sehr wesentlich beeinträchtigt. In Frankreich sehen aber manche schon wieder das Gespenst eines Mitteleuropa auftauchen, das von Deutschland wirtschaftlich und schließlich auch politisch beherrscht wird.
Indes würde man sich täuschen, wenn man glauben würde, daß sich die entstandene Unruhe auf die beiden genannten Länder beschränkt. Auch in verschiedenen Staaten, die während des Krieges neutral waren und mit denen uns sehr lebhafte Wirtschaftsbeziehungen verbinden, sieht man den Auswirkungen der geplanten Zollunion mit lebhafter Sorge entgegen.
Nicht genug damit, auch in London ist man über die deutschen Ueberraschungsmethoden sichtlich beunruhigt und verärgert.
Am Donnerstag, dem 26. März, wird unser Führer Hermann Müller im Krematorium Gerichtstraße eingeäschert. Wir rufen alle unsere Genossinnen und Genossen auf, sich zu Ehren des Verstorbenen an dem Traueraufzug zu beteiligen. Den politischen Gegnern der Sozialdemokratie soll gezeigt werden, daß die proletarischen Massen Berlins in Dankbarkeit und Treue ihres Führers gedenken.
Sammelplätze der Kreise
Antreten: 16.45 Uhr- Abmarsch: 17.15 Uhr
Kreis 1-4: Charlottenstraße zwischen Koch- und Lindenstraße; Spize Lindenstraße. Kreis 5-8: Markgrafenstraße zwischen Koch- und Lindenstraße; Spize Lindenstraße. Kreis 9-12: Neuenburger Straße; Spize Lindenstraße.
Kreis 13-17: Lindenstraße zwischen Ritter- u. Hollmannstraße; Spize Hollmannstraße. Kreis 18-20: Hollmannstraße; Spize Lindenstraße.
Der Trauerzug nimmt den Weg durch folgende Straßen:
Lindenstraße, Belle- Alliance- Play, Wilhelmstraße, Unter den Linden , Brandenburger Tor , Friedensallee, Platz der Republik, Hindersinstraße, Reichstagsufer, Kronprinzen- Brücke, Prinz- FriedrichKarl- Ufer, Alexanderufer, Scharnhorststraße, Kieler Straße, Am Nordhafen, Tegeler Straße, Triftstraße, Courbièreplay, Gerichtstraße.
Die einzelnen Züge lösen sich auf wie folgt:
I.( Kreis 1-4): Abmarsch durch Ruheplatstraße, Leopoldplay, dort Auflösung.
II.( Kreis 5-8): Abmarsch durch Gerichtstraße, Nettelbeckplay, Pantstraße. Auflösung PankEcke Wiesenstraße.
III.( Kreis 9-12): Abmarsch durch Gerichtstraße, Nettelbeckplatz, Gerichtstraße, Lenzenerplay, dort Auflösung.
IV.( Rreis 13-17): Marsch durch Ruheplatstraße zum Leopoldplay, dort Auflösung.
V.( Rreis 18-20): Abmarsch durch Gerichtstraße, Pantstraße, Auflösung Wiesen- Ecke Pankstraße. Die Mitglieder der freien Gewerkschaften beteiligen fich ebenfalls an dem Trauerzug.
Für den Wirtschaftsanschluß! märtigen Augenblick ſehr verftimmend wirkt. Ganz be
Die Stellung der österreichischen Sozialdemokratie.
Wien , 23. März.( Eigenbericht.) Der fozialdemokratische Parteivorstand hat Montagabend über die Frage der Bollgemeinschaft mit Deutschland eine ausführliche Debatte geführt und eine Entpemotratie vom Tage des Entstehens der Republit an die Ueber
Ankündigung einer deutsch - österreichischen Zollunion im gegensonders unangenehm wird die Art empfunden, wie das deutsch österreichische Unternehmen ohne vorherige diplomatische Fühlung nahme erfolgte.
Es muß leider gesagt werden, daß die politische Behandlung der Angelegenheit durch das Auswärtige Amt kein Meisterftüd gewesen ist. Troß dem Drängen von Paris wird sich jedoch eilung verfallen.
Solche Sorgen und Beunruhigungen sind die politische Wurzel des juristischen Streites darüber, ob die geplante schließung gefaßt, in der erklärt wird, daß die österreichische Sozial England Zeit lassen und nicht in den deutschen Fehler der Uebers Bollunion mit den bestehenden Verträgen vereinbar ist oder nicht. Uns scheint es dabei sehr von Uebel, wenn man sich haarspalterisch auf Verträge beruft, die erstens auf den gegebenen Fall nicht zutreffen und die zweitens gegen den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts verstoßen, weil fie einen Staat gegen seinen Willen zwingen, selbständig" zu sein.
Das Wichtigste ist nicht der juristische Streit, sondern es find die politischen Beweggründe, die hinter ihm stehen. Darum fommt es auch für Deutschland und Desterreich weniger auf den Beweis ihres juristischen Rechtes an als darauf, das übrige Europa davon zu überzeugen, daß die Zollunion feinem etwas zuleide tut und feinen in Gefahr bringt. Ganz besonders ist es notwendig, darüber mit Frankreich ins Reine zu kommen, denn ob es einem lieb oder leid ist. solange nicht Deutschland und Frankreich in allen großen politischen Fragen miteinander gehen, bleibt alles Gerede von der Einigung Europas ein frommer Betrug.
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Ein Zant zwischen Frankreich und Deutschland wäre also für die Schaffung von Paneuropa die allerschlechteste Einleitung.
Die Zollunion zwischen Deutschland und Desterreich ist ein Fortschritt. In Frankreich sollte man darüber nachdenken, nicht wie er verhindert, sondern wie er zu den Zielen, die Briand gezeigt hat, fortgesetzt werden kann. Die wirtschaftspolitische Zerrissenheit Europas zu überwinden, ist aller Be teiligten, besonders aber Frankreichs und Deutschlands gemeinsame Aufgabe.
zeugung verfochten hat, daß Deutschösterreich auf sich selbst bestehend ein lebensfähiges wirtschaftliches Gefüge ist ift. Die Erfahrungen von zwölf Jahren haben diese Ueberzeugung befräftigt. Die Arbeitslosigkeit, die in der Struktur Desterreichs begründet ist, fann nicht anders überwunden werden als durch die Eingliederung Deutschösterreichs in ein größeres Wirtschaftsgebiet. Aus diesem Grunde war die öfterreichische Sozialdemokratie die Borfämpferin im Kampf um den Anschluß und
begrüßt deshalb auch den Berjuch der beiden Regierungen, eine Zollgemeinschaft zu begründen, die sie vorbehaltlos unterſtühen wird.
Sie verlangt jedoch, daß die Regierung die weitere Attion im Einvernehmen mit dem Nationalrat führt. Die deutschösterreichische demokratie Deutschlands treten, damit die beiden deutschen sozialSozialdemokratie wird unverzüglich in Verbindung mit der Sozial demokratischen Parteien in dieser Attion einvernehmlich vor gehen. Zugleich wird sie die Sozialistische Arbeiterinternationale und die sozialistischen Parteien Frankreichs , Groß britanniens und der Tschechoslowakei über ihre Stellung zu dem Plane einer deutschösterreichischen Zollgemeinschaft unterrichten. Außerdem beschloß der Parteivorstand einen Aufruf an die Deffentlichkeit, der sich gegen den geplanten Abbau der Sozialversicherung wendet.
London , 23. März.( Eigenbericht.) Je mehr offizielle und inoffizielle Ansichten und Meinungen belannt werden, befta tarer zeigt es sich, daß in England die
Henderson fehrt am Donnerstag oder Freitag nach London zurüd. Und bevor nicht der Außenminister mit dem Gesamtkabinett die Angelegenheit behandelt hat, ist von England nicht zu erwarten, daß es sich einem von Baris geforderten Schritt anschließen wird. Es zeigt sich jetzt tudh, daß es von dem Außenminister Dr. Curtius ein Fehler war, den gegenwärtigen Verhandlungen in Paris fernzu bleiben.
London , 23. März.( Eigenbericht.) Außenminister Henderson ist am Montagmorgen nach Paris abgereift. Wie wir erfahren, ift durch den deutsch öster. reichisch en 3ollvereinsplan der ursprüngliche Zwed seiner Reise in den Hintergrund gerückt worden. Paris der Annahme nicht fehlgehen, daß der deutsch - österreichische Zollplan fucht offensichtlich England in eine große Protestation gegen den deutsch - österreichischen Zollverein einzuspannen. Man wird in an der Spitze der Beratungn in Paris stehen wird.
Lloyd George setzt sich durch.
Für weitere Unterstützung der Labour- Regierung. London , 23. März.( Eigenbericht.) Lloyd George hat am Montagabend im liberalen Parteiausschuß einen ersten Erfolg im Kampf gegen den rechten liberalen Parteiflügel errungen. Der Vorschlag des Parteiführers, die Arbeiterregierung weiter zu unterstügen, wurde gegen 4 Stimmen, darunter die von Sir John Simon, angenommen,