10 Pf. Tit. 144 B 22 48. Jahrgang
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Kampf um den Brotpreis Sicherungen im Zollermächtigungsgesetz
Nach lauge«» Ringe» ist es de» soziuldeatokratische« Unterhändler» gelungen, das ZollerntSchtigwngs- gesetz sehr erheblich zu verbesser», vor alle» Diuge« eine Sicherung des Brotpreises dnrchzu» setze». Die Ausmahlungsqnote für Roggenmehl wurde von 60 auf 76 Proz. erhöht zum Zwecke der Streckung der vorhandenen Roggenvorräte. und durch dieses vom Reichs» ernährungsminister Schiele der Bäckerinnung und dann offiziell im Reichstag abgegebene Versprechen der be- absichtigten Brotpreiserhöhung die Begründung ent» zogen, so dasi sie unterbleiben muß. Die Neichsregieruug wird ferner verpflichtet, auch weiterhin jeder Erhöhung des Brotpreises über den vom Statistischen Reichsamt ermittelte» durch» schnittlichen Brotpreis der letzten sechs Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes vorzubeugen. Außer diese» Zusicherungen erreichte die Sozial» demokratie noch die gesetzlich« Festlegung, daß, sobald die vom Statistischen Reichsamt ermittelte Reichsindexziffer für Ernährung über 133 steigt, und vier Monate ans diesem Stand bleibt, die Reichsregiernng«nverzüg- lich durch geeignete Maßnahme» einschließllch Herab- setzung von Zollsätze» auf die Preisgestaltung so eiuzn- wirken hat, daß die Indexziffer auf oder unter de« Iudex von 133 sinkt. Die Zollermächtigung ist dahin eingeschränkt worden, daß sie nur Gültigkeit hat, solange die jetzige Regierung Brüning im Amte ist. Im Falle ihres Rücktritts treten diese Bestimmungen nach Neubildung der Reichsregie- rung außer Äraft. Gegenüber der ursprünglichen Gestaltung des von der Regierung vorgelegten Entwurfs bedeutet die jetzige Fassung des Ermächtigungsgesetzes eine erhebliche Ver- besserung und auch eine Verbesserung des jetzt bestehen» den Zustauds. Ter von der Sozialdemokratie seit langem geforderte Verbrawcherschutz wird durch deu jetzige» Wortlaut des Gesetzes, wenn auch noch nicht vollkommen. so doch weitgehend verwirklicht. » Der Reichstag begann heute, lv Uhr. mit der dritten Be» ratung der Ost Hilfe. Abg. Hörnle(Komm.): Die Osthilfe fängt mit der sechs- prozentigen Lohnsenkung gegen die schlesilchen Weber durch den staailichen Schlichter Dr. Völker an. Der„Vorwärts"' spricht von immer neuem Schlichtungsunfug, pber die ganze Schlichtung»- ordnung ist ein Werk der Sozialdemokratie. Es spricht, kein weiterer Redoer: die Abstimmung wird aus- gefetzt. Es folgt die dritte Beratung des Gesetzes über Zolländermigen. Auch dabei hast l) ö r n l e die gewohnte Rede über den„Verrat' der Sozialdemokratie und die allcinigö Volksrettung durch die KPD . Abg. hepp(Landvolk) lehnt eine Kollektivierung des deutschen Bauernstandes ab. Mit der indioiduallstischen Betriebsweise würde die Grundlage des Staates und die ganze deutsche Kultur vernichtet werden. Der gewaltigen Steigerung der londwirtschafUichen Well- Produktion steht eine entsprechende Erhöhung des Konsum» nicht gegenüber: die daraus folgende Not der Landwirtschaft zwingt den Staat zu Schutzmaßnahmen, so auch zu dem jetzige» Ermächtigungs. gesetz. Abg. Arrybe(Wp.): Wir müssen ausländische Einfuhr fern- halten. Der Zwischenhandel verteuert die Preise nicht wesentlich, die Handelsspanne ist sogar gesunken. Das war eine Vorleistung für die zugesagte Steuer- und Abgabensenlung, und wenn die nicht käme, würde man nicht bei dieser Handelsspanne bleiben können. Abg. Herbert(Franken, Bop.): Die Ermächtigung, den Zollschutz auch auf die Veredelungswirtfchast auszudehnen, dient den Interessen der Kleinbauern, besonders in Bayern . Abg. Dr. Drees(Z.) befürwortet den Kompromkßantrag zum Artikel 3 der Vorlage. Der Verbraucherschutz sei auch aus psycho» logischen Gründen notwendig, ahne daß dadurch der Schutz der Pro- duzenten zu leiden brauche. Abg. Dr. Schncldcr-Dresden(D. Vp.) erklärt die Zustimmung seiner Fraktion und verlangt, daß die handelspoliiischsii Bedürfnisse bei der Ausführung des Gesetzes mcht zu kurz kommen. .(Fortsetzung aus der 2. Seite.)
Oer Weg zum Zottvereinsfrieden Kein prozessieren, sondern europäische Einigung im
Pari», 26. März.(Eigenbericht.) Aus den Mitteilungen der Morgengeitnngen über die gestrige Unterredung Briands mit Henderson geht hervor, daß sich der eng- lisch« Außenminister geweigert hat, einen formellen P r o t e st bei der Berliner und Wiener Regierung gegen die deutsch -österreichS- sche Zollvereinbar ung einzulegen. Die beiden Minister haben sich schließlich darüber geeinigt, die Angelegenheit im Mai vor den Völkerbundsrat zu bringen, der feststellen soll, ob Oestereich das am 4. Oll ober 1922 unterzeichnete Protokoll in bezug auf sein« Wirtschaft- liche Unabhängigkell verletzt hat. Der Välkerbundsrat kann aber, worauf Pertinax im„Echo de Paris' hinweist, nur eine an Deutsch » land und Oesterreich gerichtet« Empfehlung beschließen, die die beiden Staaten annehmen oder aftehnen können. Da aber Deutschtoü» und Oesterreich die Zustöndigkell des Dolterbundez mit der Begründung bestreiten, daß die Ahgelegimheit nur ihre beiden Länder angehe, kann der Rat, wenn er sich diesem Standpunkt an» schließt, überhceipt kein« Lösung empfehlen. Pertinax meint daher, man müsse sich darauf vorbereiten, daß der Rat«ine vollendete Tatsache anerkenn«, und er schlägt daher vor, die weiteren Derhand» lunzen zwischen Deutschland und Oesterreich dadurch zu unterbinden, Tag des Abschieds. Vom Hause des Reichspräsidenten , von den Ministerien des Reiche» und Preußens, von den Botschaften und vielen Prioathäusern sind die Fahnen auf Halbmast gestellt, am Brandenburger Tor weht von vier Säulen das Schwarz der Trauer, vor dem Reichstags- gebäude sind die Fahnenstangen errichtet. Im Hause der Partei in der Lindenstraße ist der Andrang der Besucher heute noch stärker als in den letzten Tagen. Da steht man eil« Gruppe von Rcichswehrsoldaten, da fleht man die Deputation einer höheren Schule, da sieht man geschlossene Abteilungen der .Linderfreunde'. Das Auswärtige Amt hat für seinen früheren Ehef einen Kranz mit den Farben des Reiches niederlegen lassen. An Kranzspenden seien noch erwähnt: die Grotzemkaufs- gesellschast deutscher Konsumvereine und der Zentralverband deutscher Konsumvereine Hamburg , die Sozialdemokratisch« Partei Hessen- Kassel, die Reichstagsfraktion der Sozialdemokratie, die Arbeits- gemeinschast sozialdemokratischer Aerzte, der Haupworstand und die Bezirkslellung der Sozialistischen Arbeiterjugend, der Senat der Freien Hansastadt Hamburg , die Finna Roselius-Bremen, der Per» band der Tabakarbeiter, die Sozialdemokratisch« Partei Hannover . Beim Parteivorstand häufen sich die Beileidsschreiben. Wir führen an: den Verband der Maler, den Landrat des Kreises Quedlinburg , der Präsident der Preußischen Zentralgenossenschafts- lasse, die Russische Sozialrevolutionäre Partei. Par�s, das Deutsche Auslandsinstitut Stuttgart , den-Deutschen Arbeiter-Sängcrbund. da« Berliner Sinfonieorchester, das seine Mitwirkung bei der Trauer- seier unentgelllich zur Verfügung stellt. Ed. Bernstein« Beileid zum„erschütternden Hingang unseres hochverdienten Hermann Müller ', den preußischen Finanzminister Dr. Höpker-Aschoff, den Vorstand des Verbandes der Bergbauindustriearbeiter Deutschlands , den Zentraloerband der Steinarbeller Deutschlands , die Sozialdemo. kratische Partei Belgiens , die Sozialistische Partei New Yorks, den ..Sturmvogel', Flugverband der Werktätigen, die oberschlesisch« Flüchtlings » und Berdrängtenvereinigung, die Großeinkaufsgesell- schaft deutscher Konsumvereine, den Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands , die ukrainisch« sozialistische radikale Partei. »i» Einen prächtigen Lorbeerkranz, geschmückt mit den Reichsfarben und den hamburgischen Landesfarben mit der Aufschrift:«Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg' legte der Hamburgische Ge» sandte Dr. Piper an dsr Bahre de» Verstorbenen nieder. -» Di« Feier vor dem Reichstag wird heute nachmittag gegen 13 Uhr von der Funkstunde aus den Bertiner Sender übernommen. Anschließend an die Kranzniederlegung an der Bahre Hermann Müllers werben die Abschiedswort« des Reichstags- Präsidenten Gen. Lob« übertragen.
daß man die deu tstchLsterr eichische Vereinbarung als eine„Kriegs- drohung' betrachtet und den Völkerbundsrat zu einer sofortigen außerordentlichen Tagung«inberuft. Sauerwein vertritt im„Matin' den Standpunkt, daß Frank- reich unabhängig von seiner Aktion gegenüber Oesterreich einen formellen Protest bei der deutschen Regierung einlegen könne, well der d e u tsch- f r anz ös i s ch e Handelsvertrag nicht zuläßt, daß ein Zollbund zwischen mehreren Ländern als eine Ausnahm« der Meistbegünstigungsklausei betrachtet wird. Schließ- lich spricht Sauerwein die Hoffnung aus, daß die beiden Länder, die angesichts der schweren Wirtschaftskrise das Vertrauen des Auslandes brauchten, ihre Stellungnahme ändern werden. -i° Die Behauptung französischer Nationalisten, daß die kommende deutsche Zollunion ein«„Kriegsdrohung' darstelle, ist in jeder, namentlich auch in völkerrechtlicher Hinsicht em glatter Unsinn. Es Legt vickmehr ein« Meinungsverschiedenheit über die rechtlich« Zu» lässigkell und ihre Vereinbarkell mit dem Protokoll von 1922 oor. Di« deutschen und österreichischen Juristen behaupten entschieden. den Zollunionsvertrag so geschickt formuliert zu haben, daß er die österreichischen Anleihebestimmungen von 1922 nicht verletzt. Die französischen behaupten das Gegenteil und die englischen scheinen beide Meinungen zu teilen. Für eine juristische Entscheidung einer in Wahrheit polltischen und europäischen Angelegenheit stehen mancherlei Wege offen. Der eine wäre, daß die Garantiemächte des Protokolle? von 1922 gegen Oesterreich , das damals mitunterschrieben hat, eine Klage wegen Vertragsverletzung«inlellet: ihre Durchführung würde aber wohl erst nach Abschluß und Ratifizierung der Zollunion möglich sein, also auf lang« Zell in den beiden deutschen Staaten und Europa einen höchst ärgerllchen Zustand der Unsicherheit schassen. Der zwelle gerichtliche Weg wäre der über den Völker» bundsrat, der ein Gutachten des Ständigen Gerichts- Hofe« im Haag«inholen könnte. Aber hier ist erst noch die Vorfrag« ungelöst, ob ein solches Gutachten von einer-Mehrheit des Völkerbundsrotes oder nur von ihm auf einstimmigen Beschluß eingeholl werden kann. Auch dieses Versahren würde in höchst unerwünschter Weise die Entscheidung über die abzuschließende Zoll» union für viele Monate hinausschieben und die Atmosphäre in Europa vergiften. Vom Standpunkt sowohl der deutschen wie der europäischen Politik au» erscheint«s demgegenüber wünschenswert, daß der Ab- fchluß des österreichisch-deutschen Zollvereins herausgehoben wird aus der Atmosphäre des P r o z e s s i« r e n s. Gewiß ist Prozessieren besser als Kriegführen, aber besser als Prozessieren ist eine sachlich- politische Einigung, die ebensosehr den Interessen Deutschlands wie Europos dient. Man sollte in Deutschland sich darüber klar sein, daß ein« Zollunion mll Oesterreich keine An- gekegenhell der Wirtschaftsressorts, sondern eine eminent poll- tisch« Frag« ist, und man sollte in Europa verstehen, daß Deutschland nicht gebunden ist an Beschlüsse, die der Völkerbundsrat 1922 ohne deutsche Beteiligung gefaßt hat. Eine Besprechung des österreichisch-deutschen Zollvereins im Völkerbundsrat auf seiner Maitagung soll Einmütigkeit darüber ergeben, daß eine Er- Neuerung des Anfchlußoerbotes— eine der großen Torheiten von 1919— ganz unmöglich und der wirtsthasts- politische„Anschluß' in der Tat die Keimzelle der europäischen Wirt- schastseiichell ist. Oer Hungerstreik der Aerziin. Vor dem körperlichen Zusammenbruch. Skullgark. 26. März.(Eigenbericht.) Die wegen Verstoß des Z 218 in Hast befindlich« Frau Dr. ZJakobowitz-Kienle ist durch ihren seit Tagen andauern- den Hungerstreik jetzt so geschwächt, daß sie das Bett nicht mehr verlassen und kaum noch sprechen kann. Frau Dr. Iakobowitz soll fest entschlossen sein, ihr Vorhaben selbst bis zum schlimmsten Ausgang durchzuführen.