Nr. 159 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Discounßen Eigenheim
Beim Ostereiersuchen in der Nähe des Funkturms kann man auf seltsame und unerwartete Dinge stoßen. Leer und still ist es zu Ostern in der Weltstadt, glücklich, roer ein kleines Eigenheim draußen hat zwischen Wäldern und Wiesen, und wer nichts von alledem besitzt, der trägt am Abend ein paar Zroeige Weidenknospen als erste Gabe des Frühlings in die düstere Wohnung. Man kann um diese Zeit auch an den Rand des Gruneroalds gehen, am Messegelände vorbei, bis hart an die Nordschleife der Avus, dann heißt es rechts abbiegen und einen verrotteten Müllberg hinaufklettern. Von diesem erhöhten Standpunkt, zwischen Konservenbüchsen und Marmeladeneimern, kann man auf eine langgestreckte Sandroüste sehen, deren äußerste Grenze am Horizont die helle Schotterzeile der Heerstraße bildet. Es verlohnt sich nicht, einen Schritt in die Wüste zu tun, wo der Sand ohnedies schon unbarmherzig in die Schuhe rieselt, wenn dort unten, am Abhang eines Hügels, nicht jenes merkwürdige Stacheldrahtverhau wäre. Führt hier jemand Krieg, etroa gegen das eisenbemehrte Oval des Sportplatzes zur Linken? Oder wenn nicht, welches Geheimnis birgt sonst der Stacheldraht? Sonderbar, jetzt steigt Rauch auf, dünner, blauer, ja, haben sich dort vielleicht nach Neu- Westend verschlagene Buschleute in die Erde eingegraben und braten gerade einen Hammel? Oder hat sich dort ein Mann mit einem Spleen ein groteskes Eigenheim errichtet? Knappe tausend Meter entfernt vom Reichskanzlerplatz, roo am Abend, vorerst in blauen Leuchtbuchstaben, das entstehende neue Zentrum Berlins angekündigt wird. Wir klettern einen verlorenen Schienenstrang entlang, die ausgedörrten Bahnschroellen liegen zu einem Haufen getürmt, daneben. Anscheinend ist das hier der„ roilde" Westen, aber so sehr roir den Drahtverhau absuchen, so wenig läßt sich irgendwo ein Loch zum Durchschlüpfen finden, geschweige denn ein Eingang.
3m Unterstand am Funkturm.
durch das kein Regentropfen tommt, auf die Erde habe ich erst eine Schicht Pappe gelegt und darüber einen Läufer." Im übrigen leben diese Arbeitslosen hier auf Kosten eines Rechtsstreits zwischen einer Baufirma und der Stadt Berlin , vorerst weiß fein Mensch, wann das Schlußwort in diesem Prozeß gesprochen wird, der das Schicksal jener Sandmüste zwischen Funt turm und Heerstraße einmal entscheiden soll. Am 1. Mai fönnen die Funkturm- Leute ihr erstes Wohnjubiläum feiern.
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Einheitsmenü: Kartoffelsuppe.
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„ Halloh!" Keine Antwort. Nur die Rauchfahne zittert ein wenig und streicht, vor einem Windstoß sich duckend, über Bretter, Kisten, einen Reiseforb und eine umgestülpte Lore. He, komm' doch mal einer raus!" Wir waren auf alles gefaßt: auf Rübezahl , auf Binnetou, aber der Mann, der jetzt Zoll für Zoll aus dem Boden her vortam, war beileibe kein Erdgeist, sondern ein unterjehter Fünfziger, mit einer Ledermüße auf dem Kopf, einer Shagpfeife im Mund, dazu ein Wollsweater, Manchesterhofen und Klohpantinen, ein Mann also, wie man ihn zu Tausenden findet. Er hält sich auch gar nicht lange mit der Vorrede auf, rollt ungefähr einen halben Neben dem Achtundfünfzigjährigen wohnen noch vier Menschen Meter lang den Stacheldraht zusammen und holt uns herein. am Rande des vornehmsten Berliner Stadtteils, drei Männer und ,, Kommen Sie man ruhig weiter, hier draußen ist's falt, aber unten eine Frau. Alle ungefähr im gleichen Alter. Zwei hausen an der ist es warm." So geht es an einer Latrine, einem Häuschen Kots, Funkturmseite, drei an der Heerstraße. Die Frau des Achtundfünfzigeiner Wäscheleine, auf der ein Nessellaten baumelt, und einem Säge- jährigen ist vor neun Jahren gestorben. Sie hatte ihm sieben bod vorbei zur Treppe. Diese Treppe, die in eine wirkliche Unter- Kinder geboren. Aber diese sieben tönnen nicht welt führt, ist funstvoll ausgehoben, mit Brettern und Bohlen ab- ihren alten Vater ernähren. Die alte Geschichte. Die gesteift und die beiden letzten Stufen bedeckt je ein Streifen einer älteste Tochter ist seit drei Jahren verheiratet, hat felbft zwei Kinder; roten Kokosmatte. Dann klappt eine Tür auf und man ist in dem der Mann ist arbeitslos. Sonntags fomint er und holt sich von feinem Schwiegervater, dem Höhlenbewohner", Rots! Im übrigen geht der alte Mann ordnungsgemäß stempeln und bezieht Erwerbs: losenhilfe. Wie richten Sie sich denn nun Ihr Leben ein?" Wir schlafen lange. Bis zehn 1hr schlafen, heißt das erste Frühstüd fparen. Sonft reicht die Unterftüßung gerade so für Kartoffeln, Heringe, Brot, Schmalz, Malstaffee, Petroleum und etwas Tabat. Um nicht ewig Kartoffelsuppe zu essen. hole ich mir manchmal grüne Heringe. Die effe ich entweder gebraten oder ich lege sie mir ein. Zu Fleisch reicht es nicht. Mein Kollege von nebenan geht mittags meistens zu den Krantenhäusern in der Umgegend, die geben vom übriggebliebenen Essen. Aber da treten auch immer fünfundzwanzig bis dreißig Mann an." lind wo holen Sie Waffer?" Früher vom Funkhaus, aber da mußten wir neuerdings durch ein Zaunloch trauchen, deshalb holen wir Wasser jetzt von der Avus. Wir haben eine Tonne in die Erde eingelassen, die fäßt gleich sechs Eimer. Das reicht für drei Tage." Auf unsere erstaunten Gesichter über diese seltsame Art von Wasserversorgung ergänzt der Mann: Ja, wir sind feine Schweine. Sonntags machen wir heiß' Waffer, ziehen uns nacend aus und baben. Sehen Sie unser Hemd an, es ist ganz reine." Dann holt der Alte seine Schnupftabatdose hervor, tippt sich eine Brise auf die linke Daumenwurzel, schnupft behaglich und beginnt das Feuer in dem Koksofen zu schüren. Man muß mit seinem Los zufrieden sein, meint er und zieht Mäuschen" von ihrem Lager hervor. Mäuschen" legt aber gar feinen Wert darauf, unsere Bekanntschaft zu machen und wäre lieber bei ihrer Konservenbüchse voll Heringstöpfen geblieben.
11).
Die Hütte am Waldeshang
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warmen Unterstand, denn zu diesem seltsamen Eigenheim" des 58jährigen, ausgesteuerten, ehemaligen Tiefbauarbeiters Otto. Höhle" zu sagen, wäre nichtswürdig. Wir sind drei Mann, auf jeden kommt ein guter Kubikmeter Raum, einer sitzt auf dem Bettrand, das Bett ist wie eine große Ofenröhre in die linke Seitenwand eingelassen, und damit niemand auf den Gedanken kommt, wir wären bei armen Leuten, verdeckt den Schlafraum ein dunkelgrüner Fries= vorhang. Der zweite fizt auf einem Hauflotz vor dem Ofen,„ der brennt wie der Deibel", sagt der Mann, über dem Ofen ist noch ein schmales Fenster und der dritte hat auf einem fleinen Schemel Platz genommen, dicht vor dem Küchentisch. Dieser Tisch ist ebenso wie das Bett in die Wand eingelassen, also richtiger ein Wandloch, auf dessem Boden eine linoneumüberzogene Tischplatte liegt. Auf oder über dieser Platte liegt, steht und hängt: Küchenlampe, Reibeeisen, 3um Bufferbaden", fagt der Mann, Nadelfiffen, Handspiegel, Wederuhr, Kaffeemühle, Teller, Meffer, Gabel, Löffel, Taffen, Töpfe, Büchsen und eine Schmalzkrause. Zwischen Bett und Tisch steht ein Epind, hier hängt die Manchesterjade, ein Baar Ausgehhofen und ein Hut. Unter dem Spind sitt„ Mäuschen". Mäuschen ist die Kahe und wichtiger als die Wederuhr und das Reibeeisen. Tagsüber pennt ,, Mäuschen" und nachts macht fie Jagd auf Ratten. Wäre die Katze nicht da, würden die Ratten den Unterstand mit Beschlag belegen. Die an der Heerstraße", sagt der Mann meiter, haben feine Kahe, die fönnen sich vor Ratten nicht retten." Wie lange haben Sie denn an diesem Unterstand gebaut?" Knapp sechs Wochen, es will doch alles ordentlich gemacht sein, mit Fenster, Dach,
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Nächtliche Sturmangriffe.
So sonderbar es flingt, so ist es dennoch wahr: die Höhlenbewohner überfallen niemanden, werden jedoch ständig überfallen. Aus diesem Grunde umspannt auch das Drahtverhau die linterstände am Funkturm. Neulich griffen dreizehn Mann Olto und Wilhelm an. ( Wilhelm ist Ottos Kumpel von nebenan.) Die dreizehn waren
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Sonntag, 5. April 1931
Betrunkene, jüngere und ältere, die der Uebermut plagte. Otto und Bilhelm saßen um elf Uhr nachts bei Otto im Unterstand. Die Lampe brannte, sie erzählten sich etwas von vergangenen Zeiten. Bums, bullert es mit einem Male gegen das Dach und dann geht ein Trommelfeuer los, ein Stein nach dem anderen saust herüber. Jegt wird es brenzlich, denken die beiden, pusten die Lampe , damit das fleine Fenster fein Ziel bietet, Otto bewaffnet sich mit einem Gummischlauch, Wilhelm mit einer Eisenstange. Plötzlich gehen die Truntenbolde zum Sturmangriff über, aber ihr Kriegsgeschrei weicht schnell einem fürchterlichen Geschimpfe, der Stacheldraht, der in der finsteren Nacht schlecht zu sehen war, muß eflig gepieft haben. Johlend zogen sie ab. Kommt denn so etwas öfter vor?" Mann, einmal tamen ungefähr dreißig Bengels. Die verlangten, wir sollten die Lore herausgeben, die wie innerhalb des Drahtverhaus zu stehen haben. Hier fadelten wir aber nicht lange, holten Schlauch und Knuppel vor und jagten die Lümmels in die Flucht. Eimmal hat
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Vorhof und Hauseingang
man uns aber doch einen bösen Streich gespielt. Wir waren in der Stadt und als wir zurückkamen, sagten uns am Funkhaus schon die Kinder: Sie, bei Ihnen haben fie eingebrochen!" Wir rannten wie die Bürstenbinder, und ertappten noch gerade zwei Kerle, die die Schlösser aufgeschlagen hatten und eben dabei waren, Ditos Unterstand zu demolieren. Das Bett war schon zerfetzt. Die Burschen haben wir uns aber gekauft, die brechen fein zweites. Mal bei uns ein. Aber sagen Sie selbst, ist das nicht eine Schande, dauernd uns alte Leute zu überfallen?"
Im übrigen ist es interessant, daß die Polizei jede Woche überraschend die Unterstände untersucht, allerdings weniger auf Schandtaten der Bewohner hin, die zufrieden sind, daß sie hier hausen fönnen. Wichtiger ist, daß die wilden" Westler feine Verbrecher versteden, aber Otto und Wilhelm beteuern: Und menn uns ein Räuber hundert Mart bieten würde, wir nehmen feinen auf. Jedesmal, wenn drüben im Grunewald etwas los war, dann haben wir schon genug Scherereien. Nee, nee, wir wollen unsere Ruhe haben."
Fraftionelle Spaltungen.
Es bestätigt sich also nur wieder einmal, daß der Frömmaste nicht in Frieden leben fann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Das gilt aber nicht minder für die fünf Berliner „ Außenseiter" untereinander. Irgendwo hat es einmal jemand gesagt, wenn man drei Deutsche auf eine Insel sperren würde, gründeten zwei davon einen Verein und beschimpften den dritten. Aehnlich machen es die fünf. Die haben wohl noch feinen Berein der Höhlenbewohner e. B." gegründet, sind aber treu und brav fraktionell gespalten". Die vom Funkturm erklären die von der Heerstraße für verrückt und umgefehrt. Das geht mit der Rage los, die die von der Heerstraße nicht haben. Also werden die Heerstraßen- Leute von Ratten auf
Der Unterstand hinter Stacheldraht
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