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Svend&leuron:

Unser Gastgeber, ein reicher Brasilianer, hatte uns sein« un» geheuren Herden wilder Pferde von edelstem Blut« gezeigt und wir konnten uns an dem prächtigen Schauspiel, das dies« herrlichen Tiere boten, nicht sattsehen. Höchste Begeisterung klang aus den Worten der Gäste, oie zumeist wirkliche Pferdekenner waren. Nur einer, ein Russe ich habe seinen Namen vergessen fand kein lobendes Wort, ja, mir schien es sogar, als ob manchmal ein leichter. verächtlicher Zug über fein Gesicht flog. Auch der Haziendero mochte das bemerkt haben, denn nun wandte er sich, Anerkennung fordernd, direkt an den Russen: Senhor, Sie sagen ja gar nichts. Wahrscheinlich haben Sie noch niemals so ein« große und schön« Pferdeherd« gefehen. Der Russe wandte sich mehr an uns als an den Brasilianer: Haben Sie schon einmal etwas von einer Tabuna gehört?" Tabuna, Tabuna? Das Wort klang uns allen bekannt, doch wir konnten nichts damit anfangen. Die Stimme des deutschen Professors unterbrach das Schweigen: »Tabunen nennt man oie riesigen Wtldpjerdeherden auf der ukrainischen Steppe." Sehr richtig, Herr Professor, von so einer Tabuna will ich erzählen." Wir hatten es uns auf der großen schattigen Veranda bequem gemacht und der Russe begann: Mein Vetter, hatte mich auf eines seiner ukrainischen Güter geladen. Als ich ankam, war Ostern schon vorüber, und doch lag die Steppe noch in Schnee und Eis erstarrt. Aber der Frühling kam über Nacht. Wie durch ein Wunder war die Ebene plötzlich mit einem dichten, seidigen Grasteppich bedeckt und darüber spannte sich ein wolkenloser, dunkelblauer Himmel. Eine Troika bracht« uns zu einem kleinen Hügel, von wo wir die große Tabuna überblicken konnten. Es war ein herrliches Schauspiel, dies« ruhelose, unzählbar« Herde. Die Pferde zogen gruppenweise an uns vorüber, immer zwanzig bis dreißig Stuten mit ihren Fohlen, dicht ineinander ge- keilt, von ihrem Hengst überwacht, der abseits graste und mit«ifer» süchtigen Blicken die Seinen betrachtet«. Wenn eine Stute sich spielend entfernen wollte,«in Fohlen sich neugierig einer Nachbar- gruppe näherte, stürzt« er sofort herbei und trieb den Ausreißer energisch zurück. Di« Stuten mit den schlaffen Eutern weideten gierig das junge, fette Gras, sie schwelgten im Segen nach der Not des Winters. Die einzelnen Rudel bildeteten eine feste Mass«. Ein majestäti- scher, alter Schimmelhcngst umschritt sie in hohen Gängen. Jede Faser an ihm war Rasse, kein königlicher Schauspieler schritt jemals adeliger. Das war der Herr der Tabuna, hundert« Kämpf« hatten

ihm die Herrschaft erstritten, ein Veteran der Schlacht und der Liebe. Zuweilen sagte er. mit gesenkter Stirn über den elastischen Boden, sprang auf einen Hügel und ließ seine weiße Mähne wie eine Standarte im Winde flattern So stand er da und stieß ein schmetterndes Gewieher aus, das oie Morgenstill« durchgellte. Dann standen alle Pferde wie gebannt und antworteten ihrem Gebieter. Da erzitterte die Erde vom Gestampf einer sich nähernden Herde. Wie ein Wirbelwind kam es näher, Dröhnen, Schnauben, Wiehern und»Stampfen. Eine andere, noch größer« Tabuna war es, die mit Sturmesgeschwindigkeit andonnerte. Auf Meilen hatte sie die Rivalen gewittert. Die Angegriffenen standen im Nu in einer Kampffront, die Hengst« in der ersten Linie, die Fohlen nicht bei ihren Müttern, die die zweit« Linie bildeten, sondern bei den tragenden, nicht kampffähigen Stuten. Die heranbrausende Flui mußte sich an dieser Mauer brechen. Doch die fremde Herde stand plötzlich, wie auf ein Kommando, still. Nur ihr Führer trat vor,«in junger, riesiger Rapphengst. Er bäumte sich, bleckte das Maul und schlug den Boden ungeduldig mit den Hufen: ein stolzer, edler Kämpe. Der Schimmel erwartet ihn mit vorgestrecktem Hals, In semer gespenstigen Magerkeit ähnelt er einer Giraffe. Jugend und Kraft stieß auf Erfahrung und Wildheit. Lange Zeit sahen sich die beiden Widersacher grimmig an, dann ging der Tanz los. Kinnbacken krachten, eisenharte Hufe Hämmer- ten, Wutschrete der Kämpfer erfüllten die Steppe. Hatte der Rappe auf die Härte seiner Borderhufe gebaut, so oertraute der Schimmel seinem oft erprobten bleckenden Gebiß. Der Rappe sprang hoch und traf mit ganzer Gewalt die Brust seines Gegners. Der Weiße biß sich im Sturze fest und riß den Schwarzen zu Boden. Dann war alles still. Langsam verblutet« der Rappe, es dauerte lange, bis der Schimmel sich zitternd erheben konnte, um ein schwaches Triumph. gewieher auszustoßen. Dann sank auch er, für immer, um. Und nun kam das Gräßliche. Die jungen Hengste der beiden Herden brausten herbei; nicht um zu kämpfen, nein, sie überfielen mit rachedürstiger Wut die gefallenen Führer, die sie seit Jahren mit harten Schlägen und Bissen regiert und ihnen gewiß oft die schönsten Stuten genommen hatten, und zerstampften die zuckenden Körper. Ohne Gegenwehr, ohne Klage fielen die Führer. Dann trennten sich die beiden Tabunen. Sehen Sie. Senhor, gegen diese Pferd« sind Ihre wildesten Hengste zahme Lämmer. Machen Sie doch kein so finsteres Gesicht, es mögen ja einige ganz annehmbare Gäule darunter sein; aber natürlich ein« Tabuna ist ihr« Herde noch lange nicht." gveutsch von S. LSbccken.)

Qcrharl Mermann TOoffar: 3)ie wahre QeSchichte von 3 eng, dem SSettler

Groß ist das Reich der Mitte, es ist das größte Reich der Erde: es zählt zu seinen Söhnen Menschen, die frieren im Eiswind Si- biriens, und wiederum Menschen, die dörren in der Sonne Indiens . Es gibt Hunderte in Nanking, die goldene Dächer haben auf ihren Palästen, und Hunderttausende in Scheust, die verhungern an einer einzigen Mißernte. Mehr als dreihundert Millionen ober gibt es, die nicht reicher sind als die Leute von Schensi und vielleicht morgen! verhungern werden: und doch ist einer in China , der ist ärmer, der ist der ärmste dieser Aermsten, well er einst aller Reichen reichster war. Das ist Feng. der Belllor. Er versäumt nicht, seine» vergangenen Reichtums zu erwähnen, wenn er um Reis und Wasser bittet, oder wenn er die selbstgemalten Glasbildchen oerkauft. Die Bildchen sind hübsch, viel Kunstfertigkeit ist auf sie verwandt und viel Liebe, und meist stellen st« Schlachten dar: Schlachten, nicht aus der bunten Zeit der Mikado«, sondern aus der grauen der Generäle, die das Erbe des großen Sunyatsen antraten und es in eben diesen Schlachten, die Feng darstellt, ver- taten. Die Bauern und Hirten, die für ein Weniges solche Glas» plättchen kaufen, schütteln die kahlen Häupter, die nun keinen Zopf mehr tragen dürfen, und senden Seufzer in die böse Zeit, die rings um sie ist mtt Hunger und Krieg und Krankheit. Manchmal erzählt «in Alter von seinen Söhnen, die auch dabei waren, bei irgend- einem der Generäle, und nicht wieder kamen.... Dann lauscht der Bettler Feng auf und streicht erregt seinen schütteren, langen Bart:Bei welchem General waren sie denn, Väterchen, bei welchem wohl?" Manchmal heißt die Antwort:Bei Tscheng": manchmal nennt sie einen anderen, der mächtig ist, im Norden oder im Süden: zu- wellen aber sagt der Alte auch:Bei General Feng, dem Christen." Und dann sagt der Bettler Feng leise:Da war ich auch." Bist du auch zu Fuß gewesen, wie mein Aeltester?" Nein." Oder zu Pferd, wie mein Jüngster?" Manchmal..., aber meist bin ich gefahren, in den seltsamen Wagen, weißt du, Alterchen, die sich aus sich selbst bewegen... Ach, was war da» doch für eine Zeit, vor einem armseligen Jahre noch.. oh. den Boden dieser Straße, aus der ich hier stehe, habe ich nie gesehen, so viel Soldaten gingen darauf..., die Stille, die jetzt um uns ist, habe ich nie vernommen, so viel Lärmen war ringsum au» Stimmen der Menschen»nd Stimmen der Ge- wehre.. diese Luft habe ich nie geschmeckt, so viel Räuch von Schüssen und Bränden füllte sie aus..." Zuweilen verwundert sich so ein Alter über die Erregtheit des Lettlers Feng oder darüber, daß dieser Berlumpte, dieser Verwahr- loste m einem der kostbaren und unheimlichen Wagen gefahren sein will..., meist aber schüttelt er nur in der Gewöhnung klagender 'Gebärde den Kops, er ist stumpf geworden vor Grauen, stur und stumpf... und sagt:Ja, es war eine böse Zeit..." Doch hat der Bettler Feng den Seufzer wohl gar nicht ge- hört: er hat ein Bildchen hervorgezogen und weist es vor, und seine schmutzigen Finger wischen über die Figuren:Siehst du den hier, der hier steht zwischen den weißen Christen au» dem Westen? Das ist der General Feng, der so viel Siege ersiegte... Oh, da» war ein großer Mann, er hat China befreien wollen, er hatte es schon befreit, er war weithin berühmt, in aller Welt berühmt, die großen Zeitungen in Europa und Amerika zeigten denen, die sie lasen, sein Bild, ganz groß..., aber freilich, du weißt ja nicht, was Zeiwngen sind, und was Europa ist und Amerika ... Aber was dieser Mast hier an der Straße bedeutet und die Drähte, die er hält und dem nächsten Mast zuführt und immer so fort, bis Kanton und wetter, was die bedeuten daß da Stimmen hindurchgehen, die einer ab- schickt in Nanking und einer anhört in Kanton, im gleichen Augen- blick' das weißt du doch? Siehst du, die Stimme des Generals Feng ist all diese Drähte entlanggeflogen, alle haben si« ihn ge- hört, die Drähte, olle ihm gehorcht, die Söhne der Mitte, und die Weißen haben gewetteifert, ihn zu bestechen, und er hat's nicht ' billig gemacht, der christliche General Feng!" Plötzlich hält der fast Verzückte inne. Eine Röte steigt ihm

unter die zerfaltete Gelbhaut, sein Gesicht wird ganz dunkel. Seine Gedanken schreien in ihn hinein: Du Echo,' du dünnes dürftiges Echo einstiger Größe schämst du dich nicht, um ein bißchen Be- wunderung zu betteln bei diesem Kuli, den du vorgestern mit einem Lächeln hättest erschießen lassen____ Aber die Hemmung ist kurz, kann den Durst nach Ruhm, nach dem ärmlichen Fetzen Ruhm nicht mehr löschen.... er packt den Alten am zerschlissenen Tuch über der Brust, so, wie man als Offizier wohl einen Untergebenen an den Reversen der Uniform- jacke packt, mtt beiden Händen.., er schüttelt die flache Brust da vor ihm hin und her und schreit:Weißt du, wo er ist? Er steht vor dir, der General Feng, er steht vor dir!" Der Alte sinkt an Fengs Fäusten vorbei zu Boden, in die Knie, winselt etwas, wohl eine Bitte um Gnade-- Und der General Feng erschrickt. Er hat sich vergessen. Er ist ja der Bettler Feng. Einer, der wehrlos ist, den man oerraten kann, verraten an Tschang, der die Macht hat. Einer, der sich nun in die Hände dieses Alten gab. Aber der liegt noch immer und zittert. Da redet es weiter aus Feng: Du kannst ruhig aufstehen, Alterchen. Wirst mich doch nicht

verraten, h«? Stehst du. ich bin doch nichts als der Bettler Feng. wirklich nicht». Ich gehe baren Fußes die Straßen, die gestern noch meine Truppen marschierten, meine Wogen fuhren, ich beuge mich vor dir, der sich gestern noch vor meinen Kanonen verkroch. Ich bin ohne Macht, ich bin vogelsrei, die anderen haben mich ver- raten, wie ich auch sie verriet, aber sie verstanden das Verraten besser..., nun habe ich Lumpen am Leib und einen Bart im Ge- sich?, nun male ich Glasbildchen, da male ich mein« Siege daraus und lasse sie mir bezahlen... So unglücklich bin ich: willst du mich nicht trösten, da du doch all und also weise bist...?" Aber der Greis schweigt, er ist«in Armer, er ist nur all und gar nicht weise: etwas geht ihm durch den alten Kopf von oftmals gehörter Weishett anderer: an zufrieden« Bettler denkt er, denen er schon begegnete, die dieser Welt Eitelkeit erkannt hatten, wie Ge- neral Feng si« erkannt haben mußte, und die im Nichtshaben und Nichtswollen das Glück gefunden hatten, das Glück und den Frieden. So mochte auch dieser hrer, der so viel Krieg gebracht hatte, den Frieden finden auf den Straßen, deren es viele gibt im Reich der Mitte, viel und schwere und schöne..., so etwas Aehnliches geht also dem Alten durchs schmerzende Hirn, aber er kann es nicht aus- drücken, und er schweigt. Du weißt also keinen Trost, Alter... Dein Trost wäre wohl auch zu alt für mich. Denn ich habe ja Arme, Hirn, Kraft..., noch weiß ich mich selbst zu trösten, Alterchen! Siehst du. ich ziehe meines Weges, einsam, arm, aber ich werbe mir überall Freunde, auf den Straßen, in den Hütten. Ich will der General der Armen werden, oerstehst du? Ich habe ein Herz für euch, immer gehabt. jawohl! Noch eine ganze Zeit werde ich so umherziehen. noch eine lange Zeit..., aber eines Tages werde ich rufen über alle Straßen in China und in alle Hütten... und dann werdet ihr alle kommen, alle zu mir kommen und euch um mich scharen und meine Spleen sein, und ich bin wieder der christliche General Feng, und der Bart wird weg sein und das Gelump und das Bettlertum. und auf diesen Straßen, die ich jetzt schleiche, werden wieder die Stiefelschritte meiner Armee hallen, und die Dörfer werden brennen und Krieg wird wieder sein, herrlicher Krieg, und ein Sieg wird kommen, ein Sieg über die Herren in Nanking und über alle meine Feinde" Der Bettler Feng geht während seiner Worte weg von dem Alten, sein Schritt ist weit und wie berauscht, seine schmalen Augen sehen ein weites, loderndes Schlachtfeld---- Der Greis sieht ihm nach, und ein Satz wird klar inmitten all seines wirren Denkens: daß dieser Mensch doch unglücklich ist, immer unglücklich bleiben und immer unglücklich machen wird: daß er vielleicht noch einmal siegen wird über die anderen Generale, aber nie über einen: nie über den General Feng... Und doch wäre dieser Sieg der einzige, der des Kampfes wert wäre. Durch die Zeitungen Europas aber ging in den letzten Tagen diese Notiz: Der berüchtigte christliche General Feng wandert seit einiger Zeit als Landstreicher durch China . Angeblich lebt er vom Verkauf kleiner Glasmalereien, die er mit künstlerischem Geschmack ausführt. Er haust meist bei Kulis und Kleinbauern, denen er sich gern zu erkennen gibt, und hofft, mit ihrer HUfe eine neu« Armee aus dem Boden stampfen zu können." Die Umschiffunq der Av'arkkis. Die Geographische Gesellschaft in Oslo erhielt kürzlich die Nachricht von der Norvegia -Expedition, daß von ihr die Umschiffung des ganzen antarktischen Kontinents vollendet worden sei. Am 7. Februar sah die Norvegia . die sich auf ög Grzd 26 Minuten südlicher Breite und 26 Grad 5 Minuten öst­licher Länge befand, das Eis weiter nach Süden treiben, während die bisherigen Karten an dieser Stelle da» Vorhandensein einer T:s- barriere oder von Land angeben. Di« Gletschersront oder hie KUste liegt also an dieser Stelle weiter südlich als auf den Karten vermerkt. aber wie weit, tonnte di« Expedit irm nicht feststellen, da sie weiter ostwärts fahren mußte» Medizin für Blumen. Es ist sehr wenig bekannt, daß es sich in manchen ffällen empfiehlt, Blumen mit Medizin zu behandeln. Süddeutsche Blumenzüchter haben zum Beispiel neuerdinos fest­gestellt, daß manche Schnittblumen durchaus günstig auf Asvirin und. ähnliche Mittel reagieren Eine halbe Tablette, in Wasser aufgelöst, soll bewirkt haben, daß große Chrysanthemen, die bereits ansingen zu welken, wieder vollkommen frisch werden. Ein zweites Rom . Die Italiener wollten 1870«in neues zweites Rom , IS Kilometer vom alten entfernt, bauen.

sia: ffiökmifch Klixdorf

Eine Gans watschelt behäbig über den Hof, auf dem Misthaufen sonnen sich die Hühner, im Stalle liegen schwarzweiße Kühe auf der Streu. Ringsum träumen einstöckige Bauernhäuschen mtt hohen Giebeln und bunten Fensterläden, mit sorgsam gepflegten Gemüse- gärten und kleinen Reihen von Obstbäumen. Ueber allem aber leuchtet der lange, weiße Bau einer Kirche mit Glockentürmchen als Wächter und Beherrscher der dreihundert Menschen dieses Dorfes. Ein Dorf? Wir find doch mitten im südlichen Berlin , gingen eben über glatten Asphalt, an hohen Miethäusern vorbei, umtutet von Autos, umllingett von Straßenbahnen und nun, wie mit einem Zaubsrfchlag, ist die Weltstadt verschwunden, wir stnd Plötz- lich auf dem Lande: imBöhmischen Dorf". Am Einganz steht ein Denkmal: herrisch und starr steht der Soldatenkönig " Friedrich Wilhelm I. auf dem Sockel, im Sieges- allee-Stil des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Aber die Ge- schichte des Böhmischen Dorfes und dieses Denkmals beginnt Jahr- hunderte früher mit Johann Hus. Hus, der erste große Kirchenrevolutwnär des ausgehenden Mittetalters, war vom Klerus mit dem Feuertode bestraft worden. Aber feine Ideen und Lehren lebten weiter: die Sekte derBrüder- unität" sammelte sein« Anhänger, verfolgt und gemartert durch die Inquisition. Nur ein kleines Häuflein von Gläubigen rettete sich hinüber in liberalere Zeiten. Im Anfang des 18. Jahrhunderts verließen sie ihre ungastliche Heimat Böhmen und zerstreuten sich in alle Well: der Hauptrupp zog nach Sachsen und gründet« dort die vor kurzem zur Stadt ernannteGemeine" Herrnhut : ein zweiter Zug kam bis nach Preußen und fand bei Friedrich Wilhelm wohl- wollende Ausnahme es galt, die moger besiedelte Mark zu be- Völkern. Der König schenkte den Böhmen ein Stück Land: so ent- stand vor den Toren Berlins im Jahre 17SS die.Lrüdergemeine" Böhmifch-Rixdorf. Nahezu unberührt hat sie sich durch eindreiviertel Jahrhundert« erhalten: als Dorf mll eigenem Grund und Boden, mit dem trade- tionellen Glauben seiner Bewohner. Noch heute ist der Ritus ihres Gottesdienstes, die älteste noch bestehende evangelische Religions- ausübung, der gleiche wie damals: im Kirchengebäud« wohnt in feinen Amtsräumen der Prediger, weltfremd und weißbärtig wie fein erster Vorgänger: der Friedhof, besteht aus gleichmäßig ein- fachen Steintafeln, und die Kirche, in bewußter Abwendung von allem Düsteren und Mystischen, ist nichts anderes als ein Heller. freundlicher Versammlungsott, von allen Sellen den Strahlen der

Sonne zugänglich: es gibt hier keine Kanzel, kein« Ornamente, keine Alläre, keine Heiligenbilder. Hier ist alles Auedruck der schlichten und großen Idee ursprünglichster chrsstlicher Gemeinschaft, un- beschwert von kullischem Ballast der Idee ehrlicher und einfacher Brüderlichkeit, durch die Jahrhunderte getrogen vom starken Glauben einiger hundett armer Emigranten. In Herrnhut befindet, sich die Zentrale dieser kleinen.inter­nationale" der Brüderaemeinden in aller Welt. Alle zwei Jahre kommen die Abgesandten der 60000 Brüder in Amerika , Asien . Schweden , Holland und England nach Herrnhut , um hier ihre Direktiven" zu empfangen und Rat zu halten. Seltsam, daß diese kleine Gemeinschaft nicht schon längst von ihren Gostvölkern ab- sorbiert worden rst: daß dieses böhmische Dorf mitten in Berlin noch nicht von seinen Bewohnern verlassen, daß es der lockenden Wellftadl vorgezogen wurde: daß es noch nicht überspült wurde von der grauen Welle der Mietkcrsernen, sondern still und oerträumt, in unerschütterlicher Ruh«, den ringsum tobenden Lärm nicht zu beachten scheint. In her Kirchgass« hämmert Ionsa, der Dorfschmied: Frau Maresch hilft der Frau Spohar, die Wäschelein« vom Zaune nach der Tenne zu ziehen: Herr Nemec sitzt vor seiner Tür in der Gärinerstraße und raucht die langstielige Pfeife von Anno Toback... Am Ostersonntag, morgens um fünf Uhr, bewegt sich alljährlich feit Bestehen vom Böhmisch-Rixdorf der lange Zug aller Gläubigen durch die schmalen, ungepflafterten Straßen: in feierlichem Schwerz die Männer, in festlichem Weih die Frauen. Auf dem Friedhot stellen sie sich in weitem Rund auf und beten nach uralter Sitte die Osterlitonei. Es ist der heiligste Tag ihrer Religion, deren geistiger Sinn nicht Leid und Dunkel, sondern Helligkeit, Auserstehung und Frühling ist. Vielleicht, ja wahrscheinlich ist es in diesem Jahre das letztemal, daß in Böhmisch-Rixdorf dieses Osterfest gefeiert wird. Im nächsten Jahre beginnen vielleicht schon di« Bauernhäuschen zu verschwinden, die Menschen des Dorfes im Millionenheer.der Welt- stadt unterzutauchen... Berlin will t- fo steht es der städtische Be- bauungsplan vor feinen blassen Kindern hier ein« riesige Grün- fläche schaffen, und die Gesetze geben ihm die Machtmittel in die Hand, um die Brüdergemeine zum Verkauf zu zwingen. Ein einziger Zeuge des.Osterdorfes wird zurückbleiben und an die Ge- schichte dieses kulturellen Kuriosume erinnern: das Standbild des fürstlichen Gönners mit seiner Inschrift, di« dann ihren letzten Sinn verloren haben wird:.Lew ostriha holubicku"Der Löwe be- schirmt das Tänbchen"...