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Beilage

Sonnabend, 11. April 1931

Jodi

gelumo Der Abrno

Shadausgabe des Vorwärts

Eine Industrielandschaft soll geformt werden

Bericht aus dem Ruhrgebiet - Von Georg Schwarz

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DIE STÄDTE

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AN DER RUHR NACH DER UMGEMEINDUNG

BEVÖLKERUNGSDICHTE DES RHEIN - RUHRGEBIETES .

WESEL

DORSTEN

GLADBECK

RECKLINGHAUSEN

GELSENKIRCHEN

Kanal

DATTELE

Demnächst erscheint vom Verfasser dieses Auffazes bei| Die verfluchte. Bedürfnislosigkeit der Massen gab sich mit allem anzupaden. Langsam versucht man 3wedmäßigkeit auch für die der Büchergilde Gutenberg unter dem Titel ,, oh len pott" zufrieden. In einem schwerarbeitenden Gebiet von vier Millionen Menschen, nicht nur für die Güter hier hereinzubringen, Gliede­ein Buch über das Ruhrgebiet . Menschen teine Arbeiterwohnung mit Badeeinrung, Gestaltung, Plan, Möglichkeit zur Weiterentwidlung. Alles richtung. Man sizt auf dem Urstoff aller Kraft, in den soll sinnvoll werden, soll den Sinn eines sozialen Organis Das Industriegebiet an der Ruhr, der Kohlenpott im Besten ein Produktionsorganismus, der achtzig Prozent aller Kumpelhäusern brennt man heute noch mancherorts Petroleum mus bekommen. Der Kapitalismus hat in diesem Lande gehaust deutschen schwerindustriellen Erzeugnisse liefert. funzeln. Nichts ist hier um der Menschen willen da, mie die vom Goldrausch erfaßten Digger in Kalifornien . Der Ruhr­Eine Landschaft, in der annähernd vier Millionen Menschen auf die Industrie nicht, die Städte nicht; die Straßen siedlungsverband versucht die Verschimpfierungen, die die egoistische 3838 Quadratkilometer wohnen. Eine Landschaft? Wie ein nicht. Der Kapitalismus hat feinen Bauplan, teine logische Orga privatwirtschaftliche Wirtschaft dem Lande zugefügt haben, soweit als Chaos sieht diese Gegend aus. Wie von einem Wirbelwind über nisation der Erschließung dieses Landes zugrunde gelegt, nur ein möglich gut zu machen, versucht, das Land nicht lediglich dem Brofit, das Land gefegt, so sinnlos und systemlos aufgehäuft, zusamunen Ziel: Brofit! Industrieflächen und Wohngebiete find zu einer fondern auch den Menschen, die es bewohnen müssen, tauglich zu geschachtelt, durcheinandergemürfelt sind diese Miethäuser, Fabriken, gesundheitsmordenden Hölle durcheinandergemischt. Die Machthaber machen. Hallen, Zechentürme, Hochöfen, Winderhizer, Brücken, Krane, I des Bodens und die Ausbeuter seiner Schätze haben sich wohl über- Große Durchfahrtstraßen entstehen. Die Leute am Straßen, Eisenbahnschienen, Schlackenhalden, Steuer der Kraftwagen fönnen sich nicht mehr so Bilrohäuser. Der Durchgangszug Berlin - Köln leicht verfahren in dem Gemintel düsterer Gassen fährt durch einen Dschungel wirrer Eisenfonstruf. und dunkler Straßenschläuche. Weithin lesbare tionen. Der Reisende sieht gluterleuchtete Hallen: Lotsenschilder auf den Verbandsstraßen Gießereien, Walzwerte, Preßwerte. Funken­leiten sie sicher. 1300 Kilometer lang ist das fprühende Schlangen triechen über den Boden: Straßenneß, das der Siedlungsverband bis heute Stahldraht, der durch Düsen gepreßt dünner und fertiggestellt hat. Biele neue Straßen sind im dünner wird. Dröhnen, Stampfen, Raffeln. Weiß­Bau. Sehr eindrucksvoll und aufschlußreich ist glühende Blöcke zwischen gigantischen Maschinen. eine Fahrt über diese Verbandsstraßen kreuz und Schweißnaffe Körper in der Nähe rotglühenden, quer durch das Revier. Man sieht, wie zäh sich funtenzischenden Eisens. Der Fremdling atmet die alte Unordnung gegen die neue Ordnung zur auf, wenn er diesem von Gott und allen Grazien Wehr seht, sieht aber auch, wie zielbewußt die verlassenen Land bei Duisburg entflieht. Und neue Ordnung fämpft. Die Gegensätze wechseln doch hat er nur eine Kulisse vom Ruhrgebiet phantastisch schnell. Baradenähnliche Arbeiter. gesehen, und nicht einmal die trostloseste. Von der fiedlungen und feingegliederte Riesenwerte, Kaufa Soziologie und Topographie dieser Landschaft häuser, die florentinischen Palazzis ähneln und erfährt auch der gründlichste Reisende recht wenig. Pleinste Kramläden mit teuerstem Schund, entsetz Bestenfalls läßt er sich durch die 120 Druckzeilen liche Muschelstuckfassaden der Gründerzeit und der Blizreportage im schlagzeilengeladenen Boule= strenge Häuserflächen neusachlicher Konstruktion. vardblatt, die zum rten Male über das ,, Wunder­Im Schatten der betonenden Turmhäuser zur land an der Ruhr" orafelt, seine flüchtigen Ein­Repräsentation mit städtischen Geldern erbaut drücke von der Großartigkeit der Technik" und Elendsquartiere der Ermittierten in alten Sola den riesigen Leistungen deutschen Unterneh datenlagern. Taufendjährige Kirchen, in deren mungsgeistes" bestätigen. Dabei geschehen durch­Grabgemölben die Gebeine von Aebtissinnen und aus feine Zeichen und Wunder an der Ruhr. Bischöfen des Mittelalters modern, und tieine Bas hier gewachsen ist, ist das Ergebnis einer Rotten halbbäuerlicher Bergarbeiter, fchmierige zwangsläufigen Entwicklung. Der Proletarierstraßen und elegante Billermiertel Ruhrbezirk war der Waffen arm des impe­rialistischen Deutschlands , es wird das stäh lerne Herz Mitteleuropa s. Das Geficht dieser Landschaft? Nun, so formt die kapitalistische Produktionsweise ihre Arbeitsstätten! Die Men­schen, die von der Kohle leben, haben ihr Dasein der Kohlegewinnung und nichts außer dem anzupassen. Und die Fabrikanten untereinander? Jeder ist der Konkurrent des andern, jeder ist der Feind von jedem! Woher soll da System und Plan fonmmen? So muchsen in den sechs Jahr zehnten großindustrieller Produktion bis zum. Krieg Städte und Dörfer, Bergwerfe und Fabriken wild ineinander. Wald? Wozu braucht den der Kohlenarbeiter? Bernünftig angelegte Straßen und Städte? Die Waren müssen trans­portiert werden! Die Menschen, die sie herstellen -die sind ja so anspruchslos!

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MORS

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KREFELD UERDINGEN

10 km Radius 1 150 000

OBERHAUSEN

STERKRADE OSTERFELD

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HAMBORN MULHEIM

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Radius 10 km VELBERT

LANGENBERG

HARDENBERG

Badius 20 km

METTMANN

VOHWINKEL

DÜSSELDORF

Radius 30 km

WESTFALEN

BARMEN ELBERFELD

Maßstab

DORTMUND

Durch die Umgemeindungen hat man jetzt den größeren Städten das nötige Borgelände für ihre Ausdehnung geschaffen. Ge­HAGEN neralbebauungspläne find festgelegt, die das Stadtbild auflodern und gliedern, es dem modernen Berfehr anpassen, die Erweiterung ber Mohnviertel nach hygienischen und ästhetischen Grundsätzen bestimmen. Neue Siedlungen mit freundlichen Häusern im Grünen sind entstanden. Der preußische Staatsbergbau hat bei Buer vorbildliche Bergarbeitersiedlungen ge ſchaffen.

20 km Radius 2570 000 30 km Radius 4 230 000 Einwohner.

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Der Siedlungsverband bemüht sich auch um die Grünflächen. Es ist nicht so einfach, Forstwirtschaft zu treiben, menn die Abgase der Industrie die Pflanzen ersticken. Dort, wo noch die Möglichkeit gegeben ist, aufzuforsten, müssen rauchharte Gewächse gewählt werden,

auch damit nicht mehr viel zu machen. Der Raum ist zu eng, der Wirrmarr der technischen und der Wohnanlagen zu groß. Die paar alten Barfs mit gepflegten Baumbeständen, die einige Städte noch haben, diese Lungen, sind zu klein für den riesigen Körper.

Die Einwohnerzahl aus dem Jahre 1871 hat sich im Ruhr-| haupt keine Gedanken darüber gemacht, daß Menschen, die arbeiten, die eigene Baumschulen heranziehen. Im alten Revier ist leider gebiet mehr als verfünffacht, während sie sich in Preußen auch wohnen und atmen fönnen müssen. während derselben Zeit nur verdoppelt hat. Auf einem Quadrat­filometer wohnen hier etwa 1000, in Preußen 130 Menschen. In der Zeit des rapiden Aufstiegs von Deutschland zur Industriemeltmacht hat das Großkapital aus dem Ruhrgebiet , aus einer einst idyllischen und fruchtbaren Landschaft nichts viel Besseres machen können menn man es vom Standpunkt der Landesbewohner und nicht vom Standpunkt der Besizer seiner Produktionsmittel anfieht nichts viel Besseres und Wohnlicheres als einen halbfertig stehengebliebenen Neubau, bei dem vergessen murde, den Schutt und das Gerümpel des alten Gemäuers megzuräumen.

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Chaotisch die Produktion, chaotisch die Menschenanhäufung! Bon Dortmund bis Duisburg ein Dugend großer Städte feine Großstädte, cher eine regellose Maffe vernach­läffigter Fabritvororte um verhältnismäßig fleine Billenviertel und Geschäftszentren so zufammengepfercht, daß es unmöglich ist, eine Abgrenzung zwischen Stadt und Stadt wahrzunehmen. Das ganze ist eigentlich eine einzige, riesige Stadt und besteht doch aus Hunderten kleinerer und größerer Gemeinwesen, mit Selbst verwaltung und den widerstreitendsten lokalen Belangen. Die Ein­heitlichkeit des Kohlenpotts als Wirtschafts- und Lebensraum hat sich immer noch nicht die nötigen politischen Konsequenzen zu erzwingen gewußt. Diese Landschaft, die einem Intereffe, einem einzigen, dem Ausbeuten des Kohlevorkommens, ihr Entstehen verdankt, wird heute noch von zwei Provinzen und drei Regierungsbezirken verwaltet. So sind hier die meisten Wohnviertel entstanden: Die Gruben befizer ließen Schächte niedertreiben. Sie bauten in der Nähe Bergarbeitertolonien. Primitiv, dörflich. Rote Backstein­bauten, die bald grau wurden, von den Abdämpfen zerfressen. Man holte die Arbeiter aus dem rückständigen Osten. Sie staunten über die schönen Häuser. So fein hatte es in Ostelbien nur das Herrschafts­vieh gehabt. Eine Kirche war dann auch bald da, eine Schule, Kneipen, viele Kneipen, Berwaltungsgebäude der Zechen. Straßen, die alle zur Zeche führten. Der Grubenbefizer war wie ein fleiner Herrgott für den Ort. Selbstherrlich durfte er mit feinem Abraum die Landschaft verschandeln, den Wald abholzen. Aus folchen scheußlichen Bergmannsdörfern muchsen die Städte zufammen. meiteten sich im Ring, fraßen das Grünland weg, das sie noch trennte. Stur Berwaltungsspezialisten fönnen da Stadtgrenzen zwischen den mirren, scheulichen Gebäudehaufen sehen.

Die Berkehrsmittel in diesem riesigen Wirtschaftskörper, dessen werttätige Bevölkerung zur Ueberwindung großer Entfernun gen gezwungen ist, diese Verkehrsmittel find eine große Kalamitat; nicht für den Zu- und Abtransport der Güter nur für die Men schen. Die Wagengestellung für den Ruhrbergbau funktioniert tadellos. Da gibt es feine Stockungen. Und dann hat man ja auch feine Wasserwege, große Hafenanlagen, zahllose Schlepptähne. Stromauf und stromab fann man über den Rhein die Kohle ver­frachten. Erze kommen von Schweden und Spanien via Emden und Rotterdam . Unvorstellbare Tonnenzahlen des Güterumschlags find zu verzeichnen. Menschen? Für sie hat man Straßenbahnen, die entsetzlich langsam durch die Straßen bimmeln, zum Teil noch auf schmalspurigen Gleisen. Teure Fahrpreise für fürze Strecken. Drei Dugend Straßenbahngesellschaften gibt es im Revier, unmöglich, die unter einen Hut zu bringen. Dann würde es nämlich nicht mehr 36, sondern nur noch einen Aufsichtsrat geben. Dafür hat aber auch die Reichsbahn teinen Stadt- oder Vororttarif im Revier.

Die Staatsumwälzung brachte allen diesen Schäden eine kleine Besserung. Es wurde der interkommunale Siedlungs verband geschaffen, der wagt sich an die Regelung einer Menge wichtiger Fragen im Ruhrkohlenbezirk. Besiedlung, Verkehr, Städte­bau, alle diese brennenden Probleme versucht er zu lösen. Ob es ihm gelingen wird, etwas Ordmung in das Chaos zu bringen? Es wäre höchste Zeit. Und manche vielversprechenden Anfäße zeugen heute schon dafür, daß der Siedlungsverband gut erfaßt hat, worum es geht. So hat es zum Beispiel der Siedlungsverband durchgesetzt, daß die elektrischen Straßenbahnen von einer Stadt in die andere fahren. Von Bochum nach Gelsenkirchen etwa, oder von Effen nach Buer . Wenn das Bergnügen, das man in Berlin um 25 Pfennig hat, einem auch noch immer im Industriebezirk 90 Pfennig foften tann. Früher mußte man aber faft an jeder Stadtgrenze umsteigen und durch Wind und Wetter ein Weilchen fpazierengehen. Man möchte es beinahe nicht glauben, daß die ört­lichen Belange gar nicht darunter gelitten haben!

Auch noch andere Anzeichen segensreicher Neuordnung sind da. Die Ertenntnis, daß das ganze Ruhrgebiet eigentlich eine einheitliche Stadt ist, beginnt sich durchzusehen. Endlich fängt man homit an, über die Ortsfirchtürme hinweg regionale Dinge zu sehen und

Die größeren Möglichkeiten aber und ein hoffnungsvolleres Arbeitsfeld als in dem jahrzehntelang verrotteten Kernrevier findet der Siedlungsverband im Norden, der jetzt auch dem Bergbau und der Industrie erschlossen wird. Der Bergbau mandert nämlich. nach Norden, in die Heide, an die Lippe. Hier ist das Gelände noch frei. Die Landschaft läßt fich formen, Verwüstungen können vermieden werden. Dank dem Ruhrsiedlungsverband und anderen überkommunalen Arbeitsgemeinschaften wird das neue Industrie gebiet nicht so planlos aufgebaut wie das alte, wo außer im Ruhrtal fast kein Wald stehen geblieben ist, und mo selbst mit größe rer Freiheit der Disposition und mit viel größeren Geldmitteln, als den für solche 3mede zur Verfügung stehenden, nicht alles, was fiebzig Jahre falsch gemacht haben, ungeschehen gemacht werden fönnte.

Da ist zum Beispiel im Norden ein Dorf im Kreise Red linghausen. Man meiß, daß hier im Lauf der Zeit fünf Doppel­schachtanlagen angelegt werden sollen. Im Hause des Ruhrsiedlungs­verbandes in Essen kann man heute schon den Wirtschaftsplan für diese künftige Stadt sehen, für die man bei 20 000 arbeitenden Kumpeln( in jeder Schachtanlage 4000) etwa 150 000 Ein­wohner rechnet. Das Stadtbild ist aufgelockert. Waldstreifen strahlen von allen Seiten bis ins Innere der Stadt. Die Wohnviertel sind behaglich in Grünflächen gebettet, wachsen in sie hinein. Den Gruben­befizern sind für die Anlage der Zechen billige Beschränkungen auf­erlegt. Die Zechen liegen an der Peripherie der Stadt und sind durch Grünflächen gegen die Wohnviertel abgeschlossen, durch Bahnen, Haupt- und Verkehrsstraßen mit ihnen verbunden. Das Verhältnis des Industriegeländes zum Wohngebiet, zu dem Geschäfts- und Ber­waltungsviertel und zu den Verkehrsadern ist sorgsam abgewogen.

Man sieht, es geht auch fo! So viel Gutes vermag schon eine Arbeitsgemeinschaft zu leisten, die in die ungezählten ich­füchtigen, profitgierigen, Strebungen eine Strebung nach Ber nunft und Gerechtigkeit einschaltet. Wie fönnte die Welt aussehen, menn die ganze werkschaffende Menschheit sich auf einen Generalbebauungsplan einigen wollte!