r. 174 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Mittwoch, 15. April 1931
Berlins neuer Magistrat.
Sahm, Lange, Elsas und Asch im ersten Wahlgang gewählt.
Die oberbürgermeisterlose Zeit ist für die Reichs| hauptstadt endlich vorbei. Der ehemalige Danziger Senatspräsident Dr. Heinrich Sahm ist gestern im ersten Wahlgang von den Berliner Stadtverordneten zum Oberbürgermeister gewählt worden. Es wurden bei einer absoluten Mehrheit von 105 Stimmen 110 Karten für ihn abgegeben. Die Deutschnationalen hatten ihrem Kandidaten die Blamage des sicheren Durchfalls nicht erspart. Ihr Kandidat erhielt 46 Stim men, der Kommunist Piec 52 Stimmen. Die gleichfalls zu wählenden zwei Bürgermeister und der Stadtfämmerer wurden ebenfalls gleich im ersten Wahlgang mit Mehrheit gewählt. Der bisherige stellvertretende Kämmerer Friedrich 2ange erhielt 106 Stim. men, der bisherige Bizepräsident des deutschen Städtetages Dr. Elsas 112 Stimmen und der zukünftige Ber liner Stadtkämmerer Bruno Asch aus Frankfurt a. M. 101 Stimmen.
Das Stadtparlament hatte seinen großen Tag. Presse- und Zuschauertribünen waren überfüllt und die einzelnen Fraktionen hatten alle ihre Mitglieder mobil gemacht. Von der sozialdemokratischen Frak. tion fehlte nicht ein Stadtverordneter. Durch diese Disziplin gelang es einen neuen Verschleppungsversuch der Deutschnationalen zu vereiteln. Das Haus vertagte sich nach der Wahl der unbesoldeten Stadträte auf Donnerstag nächster Woche.
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Die Wahl der besoldeten Magistratsmitglieder, also des Oberbürgermeisters, der beiden Bürgermeister und des Kämmerers murde programmäßig um 18% 11hr begonnen. Ihr folgte die Wahl der sechs unbejoldeten Magistratsmitglieder. Zunächst machten die Deutschnationalen einen legten Berschleppungsversuch, indem fie die Bertagung der Wahl bis zum Donnerstag beantragten. Die Abstimmung zeigte wieder einmal, daß gewisse Fraktionen völlig direktionslos in der Bersammlung herumlavieren: die Deutschnatio nalen, die Kommunisten, die Nationalsozialisten und die Splitterfraktionen stimmten zunächst in trautem Berein für die Bertagung, während die Sozialdemokraten, die Volkspartei, die Staatspartei, das Zentrum und die Wirtschaftsparteiler dagegen maren. Die Abstimmung wurde angezweifelt, der Vorsteher ließ noch einmal die Hände hochheben und auszählen. Nun ergab sich,
Oberbürgermeisterposten Dr. Sahm vorgeschlagen, während die Deutschnationalen den 67jährigen früheren Direktor des 3med verbandes Berlin Dr. Steiniger, und die Kommunisten ihren Allerweltskandidaten, Herrn Pied, benannten. Pieck hätte also von Moskau für die Ausübung des Oberbürgermeisterpostens Urlaub bekommen müssen, denn er wird seit Monaten in der Sowjethob die Rechtser und Linkser der Sorge um ihre Kandidaten. Abhauptstadt festgehalten. Doch die Mehrheit der Abstimmenden entgegeben wurden beim namentlichen Aufruf der Stadtverordneten 225 Zeitel, davon waren 13 unbeschrieben, also ungültig. Die ab. solute Mehrheit betrug 105 Stimmen.
Auf Dr. Sahm entfielen 110 Stimmen, er war also im ersten Wahlgang gewählt;
auf Bied vereinigten sich 52, auf Steiniger 46 Stimmen. Bürgermeister vorgenommen. Borgeschlagen wurden namens Dann wurde sofort die Wahl für den einen der beiden der Ausschußmehrheit der stellvertretende Kämmerer Lange( S03.), von den Kommunisten Braun und von den Deutschnationalen Dr. Steinhoff.
Auch bei der Wahl der Bürgermeister war nur ein Wahlgang nötig, denn von 220 abgegebenen Zetteln waren 20 ungültig, die absolute Mehrheit betrug also 101.
Genoffe Lange erhielt 106 Stimmen, war also ebenfalls sofort gewählt, während Braun 51 und Steinhoff 42 Stimmen erhielten. Das Ergebnis der Abstimmung wurde von den Sozialdemokraten mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Bei cer Wahl der anderen Bürgermeister gab es eine kleine Demon stration der Deutschnationalen. Ihr Fraktionsführer Grana erklärte nämlich, seine Fraktion merde sich an den weiteren Abstimmungen nicht mehr beteiligen. Granaß wie auch der als Redner folgende Kommunist Wisnewsti fonnten sich noch nicht an die neue Geschäftsordnung gewöhnen, die ihnen wohl das Recht zu Erklärungen oder Kandidatenvorschlägen gibt, nicht aber dabei zu Angriffen auf Fraktionen. Sie mußten beide vom Vorsteher unterbrochen werden. Kandidaten für den anderen Bürgermeister waren für die Ausschußmehrheit Dr. Elsas( Staatspartei), für
die Kommunisten wieder Brann. Es famen 167 Zettel ein, 3 Stimmen waren ungültig, die absolute Mehrheit betrug diesmal 83 Stimmen.
Dr. Eljas wurde mit 112 Stimmen zum Bürgermeister Braun erhielt 51 Stimmen. gewählt.
Zum Kämmerer schlug die Ausschußmehrheit den Sozialdemokraten Bruno Asch vor, die Kommunisten den Stadtverord= neten Sch went.
Auch Genosse Asch wurde im ersten Wahlgang gewählt, da er von 168 abgegebenen und 154 gültigen Stimmen 101 erhielt, mährend Schwent 51 Stimmen befam. Bei allen Wahlgängen waren einige Stimmen zersplittert, woraus sich die Differenz zwischen der Zahl der gültigen Stimmen und der Summe der auf die Kandidaten entfallenden Stimmen ergibt.
Die unbesoldeten Stadträte von Berlin . Für die unbefoldeten Stadträte waren Listen aufNamen Ahrens, Ortmann, die kommunistische Liste mit gestellt. Die sozialdemokratische Liste begann mit den Friz Lange- Neukölln, was mit stürmischer Heiterfeit aufgenom
men wurde; die Deutschnationalen hatten ihren Lingmeiler an die Spike der Liste gesetzt, die Volksparteiler Jursch. Als den Sozialdemokraten um eine Mehrheit bei den Wahlen war eine Ergebnis der Verhandlungen zwischen den Mittelparteien und Liſtenverbindung zwischen der sozialdemokratischen und der volksparteilichen Liste erreicht worden. Die Liste Ahrens erhielt 61 Stimmen und 2 Stadträte, Liste Lange 51 und 1 Stadtrat, Liste Lingweiler 40 und ebenfalls 1 Stadtrat und Liste Jursch 53 Stim
men und 2 Stadträte.
Gewählt find also die Genossen Ahrens und Ortmann, der Bolksparteiler Jurich, von der Wirtschaftspartei Kinscher, ferner der Kommunist Cange und der Deutschnationale Lingweiler.
Um 21 Uhr waren die Wahlen endlich abgeschlossen. Ein Antrag der Mittelparteien, die Sigung bis zum Donnerstag
haud
daß die Nationalsozialisten sich der Stimme enthiel Pilot und Bordwart getötet.- Vier Schwerverletzte.
ten, während der größte Teil der Wirtschaftspartei für die Vertagung votierten. Man war sich also bei den Nazis wie auch bei den Wirtschaftsparteilern durchaus nicht einig, wie man seine
daß
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Görlig, 14. April.
Am Dienstagmittag stürzte das auf der Strede Stimme abgeben sollte. Durch die Auszählung wurde festgestellt, Berlin - Breslau verkehrende Flugzeug„ D 1928" bei Rietschen in der Oberlausit ab. Die Maschine war mit drei Mann Besakung und sieben Passagieren besetzt, von benen zwei getötet und vier schwer verlett morden sind. Getötet wurden der Flugzeugführer Schir mer und der Bordwart Bischof. Die Schwerverletzten befinden sich im Krankenhaus in Rietschen . Ueber das Schicksal des Bordfunkers Stoewer ist noch nichts bePassagiere noch nicht festgestellt. kannt. Auch sind die Personalien der verunglückten
98 Stadtverordnete( Deutschnationale, Kommuniffen, Wirtschaftsparteiler und die Splittergruppen) für die Bertagung waren. Für die Erledigung der Wahl stimmten 104 Stadtverordnete. Die Saboteure, also die Parteien, die am liebsten sofort nach dem " Fall Böß den Oberbürgermeisterposten Hals über Kopf wieder besetzt hätten, hatten jetzt gute Weile damit.
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222 Stimmzettel ein, bei 225 Stadtverordneten, die sozialdemoBei stark besetztem Hauſe es tamen im ersten Wahlgang fratische Fraftion war pilzählig vertreten- wurde im Namen der Mehrheit des Wahlausschusses als Kandidat für den
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Chicksal um fanie
( Schluß.)
Bald fährt der schnelle Wagen an ihren Spargelfeldern vorüber. Sie haben das Kraut bereits gemäht; es liegt zu Haufen geschichtet, es liegt zum Verbrennen bereit.
Andreas hat, auf Luisens Vorschlag hin, den Kutscher geheißen, bis zum Friedhof zu fahren. Während der Wagen umkehrt, stehen sie um das Grab. Es trägt viele Astern und einen Stein; in dessen Rückseite ist in groben Buchstaben gemeißelt: Viel Tod, viel Leben.
Anna Maschke sieht es, und tröstet sie. Wenn nur das Kind gesund sein möchte. nur das Kind!
Lene sieht es, und jetzt gefällt es ihr. Ihr Vater ist tot; aber ihr Boden lebt. Alles ist gut so, wie es geschah.
Schmißer sucht ihren Blid; aber der läßt sich nicht finden. Gern würde er ihr sagen, daß er nun zu den Menschen gehört, die das Stubbenland gerne trägt, und die das Stubben land groß machen werden: zu den Menschen nämlich, die nicht in ihren Gefühlen erstiden.
noch mitgeteilt wird, war das Flugzeug D 1928 auf einem Sonderflug von Berlin nach Görlig begriffen. Außer dem Flugkapitän Schirner und dem Funkermaschinisten Bischoff, die beide Nach den bisher eingelaufenen Nachrichten sind vier schwer und getötet wurden, befanden sich noch acht weitere Insassen an Bord. vier leicht verletzt. Eine Sachverständigenkommission ist zur Untersuchung des Unfalls zur Unglücksstelle abgegangen. Wie Augenzeugen berichten, soll der Absturz des Flugzeuges, der sich um 13.50 Uhr ereignete, brennend erfolgt sein. Die Verletzten wurden in das Emaus- Krankenhaus Niesky ( Oberlausitz ) eingeliefert. Unter den Verletzten soll sich ein Herr Sauberzweig aus Berlin befinden. Unter den Fluggästen befanden sich außerdem die Herren von Hühnersdorf aus Berlin , Schniewindt aus Potsdam und Bort aus Berlin- Wilmersdorf ; ob sie zu den Verletzten zählen,
obgleich sie doch jetzt gewissermaßen Eltern sind; Eltern des dreijährigen fleinen Maschke, der heute wie immer draußen auf dem Hofe kräht und spielt gesund und gerade. Luise fann ihn vom Fenster aus sehen; Andreas ist heute noch nicht da, obschon es bald soweit ist. Hinter dem spielenden Kinde strecken sich die Spargelfurchen, und hinter ihnen stehen die Straßenbäume mie Baugerüste des Frühlings und warten auf ihre Fassaden. An die Scheiben rauscht leise der Sand; im Stubbenland hat noch die Stille ein erinnerndes Lächeln: auch ich war Sturm, ehe ich hier zu Neste ging.
Wenn Luise sich hinauslehnt aus dem Fenster, fann sie die ganze, geneigte Fläche überblicken, vom Friedhof hinunter zum See. Zwei Gräber hat dieser kleine Friedhof jezt; im zweiten liegt seit drei Jahren die bucklige Anna Maschke, die im Kindbett starb. Die Ernte ist im Gange; auf jedem der drei Felder ist eine Reihe von sieben Mädchen am Wert. Schon im Vorjahr haben sie zwanzig auswärtige Erntearbeiter beschäftigen können, und heuer sind es dant Herrn Schmizers Großzügigkeit fogar fünfzig geworden. Die weißen Schulen der Mädchen blühen in die Sonne; manche fnien, andere gehen langsamen Schrittes weiter, eine steht über den Hügeln: das ist feine Sachfengängerin, das ist Lene Papendied, die feit Jahren Hof und Feld versieht wie ein Mann. Die langen Spargelmesser leuchten, die gelben Körbe schimmern. Die Mädchen singen; es ist eine langgezogene Melodie, die den Rhythmus des Büdens und Sichaufrichtens hat. Die Stimmen sind alle etwas schrill, aber sie singen mehrstimmig, und es flingt gut, wie es ins Fenster weht. Heiseres, dröhnendes Schnaufen hechelt dazwischen; das kommt von links, mo noch Stubben sind, und wo die Männer graben und hacken; und das ist der schwarzeiferne Traftor, den die Genossenschaft fürzlich gekauft hat, und der an besonders schwierigen Stellen eingesetzt wird. Seine Stahlflante trägt in sorgfältigen weißen Buchstaben den Namen Hans", und Paul Maschte steuert ihn. Luise lächelt, wie das eiserne Pferd die Arbeit des alten Hans tut: es zieht an einer Kette, bis der Stubben sich neigt und herausgeschleift wird und einen Zopf aus Wurzeln hat. Die Männer rufen einen hellen Siegesruf, der eiserne So hat Herr Schmiger vor fünf Tagen in dem ihm jetzt Hans läßt seine weiße Triumphfahne aus Dampf in die Luft eigenen Direftorenjargon gefagt. Seither figen Korns jeden wehen, und die Kette windet sich um den nächsten Stubben. Morgen am Lautsprecher und erwarten fiebernd die Markt- Jetzt kommt Andreas über den Hof, geht ganz aufgeregt preise. Luise gibt sich den Beweggrund zu; Andreas hingegen mitten durch die Schar der auseinander stiebenden Hühner, erfindet immer einen anderen Vorwand, um zur passenden denen das Kind gerade sein Frühstücksbrot verfüttert. Andreas Beit im Zimmer zu sein, Sie sind die alten Kinder geblieben, I nimmt sich nicht Zeit, es zu streicheln, er tritt haftig in die
Erst als fich die weiße Nebelmild) ins Dunkel gießt, gehen sie nach Hause und schlafen fest in ihren Häusern. Draußen rinnt im Winde die Sanduhr Gottes, das Stubbenland.
Ich habe veranlaffen können, daß der Stubbenlander Spargel bei den Marktpreisen besonders notiert und in der Bresse sowie im Rundfunk genannt wird. Ich denke, Sie merden begreifen, daß dies wieder ein großer Schritt vor märts ist."
Stube und gleich an den Rundfunkempfänger: Heute ist es so weit", jagt Schmiger, er hat es geschrieben bekommen." Also wenn er das geschafft hat", sagt Luise ehrfurchtsvoll und erregt ,,, dann wird er auch die Konservenfabrik schaffen!" Denn daran hat sie bisher gezweifelt, obgleich die Bauarbeiter schon beim Ausschachten sind.
,, Gerade da hin, wo unsere Bauhütte stand", will Andreas berichten ,,, kommt das Maschinenhaus und Achtung, Achtung, Achtung! Hier ist Hamburg , Bremen , Flensburg , Hannover und Kiel .
Achtung, Achtung, Achtung! Hier ist Hamburg , Bremen , Flensburg , Hannover und Kiel .
Wir geben die heutigen Marktpreise bekannt. Amtliche Notierung. Gemüse: Karotten 50 Pfennig. Spargel erste Sorte 90 Pfennig bis 1 Mart. Kalifornischer Spargel 70 bis 80 Pfennig. Der Ansager hält einen Augenblick inne; man merkt, daß er auf ein Wort stößt, das ihm ungewohnt ist. Und jetzt... und jetzt, sie halten den Atem an: Stubbenlander Spargel 1,10 bis 1,20 Mart. Blumenkohl
Abstellen!" sagt Andreas ganz heiser. Luise stellt ab. Zehn Pfennig mehr also zahlt man für den Spargel vom Stubbenland. Sie haben beide Tränen in den Augen.
Zehn Pfennig also, und der Rundfunk verkündet das. Und das hat sieben Jahre gedauert. Sieben Jahre Not. Das hat zmei Menschen gekostet. Den Riesen Papendieck und die kleine buclige Anna, die so ungern starb. Das hat drei Rheumatismen und einen Blutsturz gekostet.
Das hat zwei Tiere geföstet, sie sollen nicht vergessen sein, Hans, ein Pferd, und Rolf, ein Hund.
Nun aber ist es soweit. Nun hat der Mann im Rundfunt zwischen Karotten und Blumenkohl den Stubbenlander Spargel genannt. Und er ist um zehn Pfennig besser als ge= wöhnlicher.. Das alles hat zehn Pfennig gebracht pro Pfund. Wie viele, große Unglücke sind doch nötig für ein einziges, leines Glüc! Nicht wehren gegen die Tränen. Bir dürfen es genießen, Das einzige, fleine... das gewaltige Glück! Das spielende Kind draußen stößt einen hellen, jubelnden Ein Habicht, der herniederstoßen wollte, flieht erschreckt in
das Glüd.
Schrei aus. die Bildnis,