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BERLIN Freitag 17. April

1931

Der Abend

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48. Jahrgang

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Mord im Prenzlauer Gefängnis

Ein Oberwachtmeister von zwei Gefangenen erwürgt

Eine schwere Bluffaf wurde in der vergangenen Nacht im Prenzlauer Gerichtsgefängnis verübt. Der 55jährige Oberwachtmeister Neubauer, Vater von vier kindern, wurde von zwei Gefangenen, einem polnischen Schniffer, Anton Potati, und dem Schlächter Pilgram unter einem Vorwand in die Ge­meinschaftszelle gelodt, hinferrüds niedergeschlagen und er­drosselt Die Täter flüchteten und fonnten bisher noch nicht wieder dingfest gemacht werden.

Botafi und Pilgram waren zu Ende des vergangenen Jahres nach ihrer Aburteilung wegen gefährlicher Rörperver legung und unbefugten affentragens in das Prenzlauer Amtsgerichtsgefängnis eingeliefert worden. Beide hatten sechs Monate Gefängnis zu verbüßen. Im kommenden Monat wäre die Strafe abgelaufen. Botafi, der am 3. Mai zur Entlassung gefommen wäre, mußte mit der Möglichkeit einer Auslieferung au Folen rechnen. Gegen seinen Zellengenoffen Pilgram, dessen Strafe 8hn Tage später abgelaufen wäre, schwebte aber bereits wieder cin neues Verfahren wegen Urtundenfälschung und von der zuständigen Staatsanwaltschaft war deswegen bereits wieber eine Untersuchungs­haft verfügt worden Das Bleine Gerichtsgefängnis ist zur Zeit außerordentlich start, mit fiebzig Gefangenen, belegt. Die hohe Zahl rührt daher, daß bei den Unruhen am 20. März in Brenzlau eine ganze Reihe von Personen feitgenommen wurden, die sich im Ge­richtsgefängnis als Untersuchungsgefangene befinden. Wie die bis herigen Ermittlungen ergeben haben, muß sich der Mord gestern abend zwischen 22 und 22.30 Uhr zugetragen haben. Potaki und frin Stomplice fchüßten Krankheit vor und baten den Ober wachtmeister Neubauer. Der in der Nacht allein Dienst tat, ihnen Medikamente zu besorgen. Der Beamte hatte taum die Zelle be treten, als er von den beiden Berbrechern überfallen und erwürgt wurde.

Die beiden Verbrecher nahmen ihrem Opfer die Schlüffel ab und Schleiften die Leiche in den Keller.

Sie drangen bann in die affentammer ein, eigneten fich jeder zwei Pistolen und die dazugehörige Munition an, erbrachen dann in dem angrenzenden Büro eine Schublade und ents mendeten etwa zwanzig Mart. Nach vollbrachter Tat lehrten die beiden Burschen nochmals in den Zellengang zurüd. Sie be. freiten zwei Gefangene und zwangen fie unter Drohungen, ihnen den Weg nach Templin zu zeigen. Den beiben Männern blieb nichts weiter übrig, als dem Verlangen der Banditen nachzukommen. Sie gingen etwa eine Stunde mit den beiden mit, fehrten dann aber wieder freiwillig in das Gerichtsgefängnis zurüd, wo sie gegen 3 Uhr früh anlangten.

Auch die Berliner Kriminalpolizei ist von dem Ber. brechen und der Flucht sofort verständigt worden. Der Schnitter Botafi, der sich, ehe er ins Gefängnis fam, zuletzt in Trampe im Kreise Oberbarnim aufhielt, ist 1,78 Meter groß, er hat dunkelblondes Haar, gestuzten Schnurrbart, ovales Gesicht mit roter Nase, voll ständige Zähne und aufrechten Gana. Er spricht polnisch und deutsch . Eein Romplice Pilgram ist 1,76 Meter groß. ebenfalls schlank und dunkelblond und hat im Oberfiefer porn eine breite Zahnlüce. Ihn fennzeichnen Tätowierungen, ein Schlächterwappen mit Schiff und ein schlechter verheilter Handgelenksbruch, der verknorpelt ist.

Apritwetter!

Unsicherheit und niedrige Temperaturen.

Die Wetterlage ist in diesen Tagen außerordentlich un. sicher und, wenn die Anzeichen nicht frügen, ist auch weiterhin mit veränderlichem, also ausgesprochenem Aprilwelter zu rechnen. Die heute vormittag einsehende Aufheiterung wird leider nicht von allzu­langer Dauer sein, in den Abendstunden dürften ziemlich ergiebige Regenfälle einsehen.

Ueber der Nordsee lagert zur Zeit ein startes Tiefbrud gebiet, daß sich weiter füdöstlich ausdehnt und in den nächsten Stunden unser Gebiet wesentlich beeinflussen wird. Eine zweite Schlechtwetterzone schiebt sich aus dem Westen heran. Westdeutsch­land und Süddeutschland stehen bereits in ihrem Bereich. Stellen weise sind die Temperaturen in der vergangenen Nacht erheblich heruntergegangen. So herrschte östlich der Elbe allenthalben bis zu 2 Grab Rälte, fogar in den Außenbezirken Berlins wurde in der legten Nacht ½ Grad Kälte gemessen. Heute mittag stieg das Thermometer unter der Einwirkung der Sonnenstrahlung auf 12 Grad Bärme.

Nach einer vermutlich regnereischen Nacht dürfte für Sonnabend bei mechfeinber Bevöltung mit vereinzelten Schauern zu rechnen fein.

Ausrufung der Republik in Spanien

Die nach Zehntausenden zählende Menschenmenge an der Puerta del Sol in Madrid bei der Ausrufung der Republik und Hissung der ersten republikanischen Flagge

Margarete Wengels

In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag um| Mit heißen Wangen hörten die Jüngeren zu, wenn sie gelegentlich 2% Uhr ist nach einem langen schweren Krankenlager im in Freundesmitte von jenen Zeiten der Sozialistenverfolgungen Alter von 3 Jahren unsere Genoffin Margarete Weu erzählte. gels verstorben. Die Trauerfeie findet am Donners. tag, dem 23. April, nachmitags 2 Uhr, im Krematorium Gerichtsstraße statt.

Bor wenigen Tagen ging ich ein letztes Mal zu Genoffin Wengels. Sie sah und erkannte mich nicht. Ihr Geist war schon tot, spürte sie nicht, und doch welch qualvoll banges Sterben! Die indes ihr Herz noch schlug, ihre Lunge noch aimete. Schmerzen diesen niemals rastenden Menschen gekannt, der sich nie Ruhe ge gönnt. fie fonnten es nicht faffen, dieses tagelange langfame Sin dämmern, bis der Tod Erlösung brachte.

So wenig leicht ihr Sterben, so wenig leicht war das Leben unserer Margarete Wengels gewesen. In Krefeld , wo auch ihr Robert herstammte, am 29. Februar 1856 geboren. fiel ihre Jugend zeit in jenen aufreibenden Kampf zwischen Handwerf und Ma­schine, dem so manche scheinbar gesicherte Existenz zum Opfer fiel Ihre Eltern Seidenweber, ihres Mannes Eltern Strumpfwirter. Die älteren Wengels- Kinder wissen sich noch an Großmutters Web­stuhl von Besuchen her zu erinnern. Aber den damals jungen Robert Wengels und seine Margarete trieb es fort in die Großstadt Berlin , wo sie sich ein neues Leben schufen. Beide, jung und glühend begeistert für den Sozialismus, wur den fie rasch zu tüchtigen Funktionären der Partei. Längst bevor wir Frauen uns politisch organisieren durften, politifierte Mar garete Wengels ihre Klassengenossinnen, wann und wo immer fie erreichbar waren. Sie gehörte zum Vorstand des Vereins der Frauen und Mädchen der arbeitenden Klasse, der bis 1908 als Bil­dungsorganisation der Proletarierinnen in Berlin bestand. In Wirklichkeit als Mittel zum 3med regelmäßiger Zusammenfünfte sozialistischer Frauen, die durch den Verein in Fühlung miteinander blieben.

Schon die Zeit des Ausnahmegefeßes sah Genossin Wengels als eine der unerschrockensten und schlauften Berbindungsmänner" zwischen in Haft befindlichen Genossen und denen draußen. Der luftigen, heiteren und hübschen Rheinländerin gestattete selbst der unfreundlichste Gefängnisbeamte den scheinbar so harmlosen Be­fuch bei Freunden. Doch tam und ging sie nie ohne Nachrichten entweder ins Gefängnis hinein oder von dort herauszuschmuggeln.

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Margarete Wengels war der treueste, pflicht- und verant wortungsbewußte Funktionär, den es nur geben tonnte. Sie, die um die Gleichberechtigung der Frau tämpfte, sie hatte sie sich für ihre Person längst vor dem Jahre 1918, ja fogar längst vor 1908 erobert. Sie leistete jede Arbeit für die Partei, trotz einer neuntöpfigen Kinderschar und allerbescheidensten Verhältnissen. Der alte 4. Berliner Wahlfreis fannte fie gut, ebensogut großgezogen. Söhne und Töchter etwas lernen, sie zu tüchtigen wie ihr heutiger 5. Kreis. 3 Söhne und 6 Töchter hat sie Menschen heranwachsen zu lassen, dafür war dieser Mutter kein Opfer, teine Entbehrung zu groß. Und sie dankten es ihr alle mit stärkster Anhänglichkeit an das Elternhaus. Hart traf sie der Tod des einen Sohnes, der während des Krieges im Lazarett in Mazes donien zugrunde ging, wie auch des zweiten, der nach dem Kriege, doch auch noch als sein Opfer, starb.

Den Krieg hat sie betämpft von seiner ersten Stunde ant. Sie gehörte im März 1915 zu den wenigen tapferen deut­fchen Genoffinnen, denen es gelang, über die Grenze nach Bern zu tommen, um dort auf einer internationalen Frauen. fonferenz den ersten Versuch der Wiederaufnahme internationaler Beziehungen zwischen den sozialistischen Frauen aller Länder zu machen. Sie hat die Spaltung der Sozial­demokratischen Partei Deutschlands schweren Herzens mitgemacht und, auf der Seite der Unabhängigen stehend, nichts sehnlicher ges wünscht als die Wiedervereinigung. Sie war eine Stampf natur und darum war ihr der Kampf Lebensnotwendigkeit. Erstaunlich, wie sie trog Haushalt, Kindern und Parteiarbeit noch Zeit fand zum Lesen. Sie wollte sich selbst ein Urteil bilden über die politie schen Ereignisse. Sie glaubte an teine Autorität und nahm nichts gläubig hin. Ihr scharfer Verstand ging fritisch an alles heran; bei ihr überwog ganz gewiß nicht, was man den Frauen gern zum Vorwurf macht: das Gefühl. Das betätigte sie, wenn es galt, an­deren zu helfen, die in noch größeren Nöten waren als sie selbst.

Als nach dem Striege Frauen in die Parlamente einziehen fonnten, da schickte ihr Kreis fie als Stadtverordnete in das Berliner Rathaus . Dort wirfte fie insbesondere auf dem Gebiet des Schulwesens, denn sie wußie, was die Sajuie für das Proletarierfind bedeutet. Wie rasch arbeitete sie sich ein, die Aner­tennung aller Fachleute erobernd! Und als sie ihre Kräfte abe