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Beilage

Sonnabend, 18. April 1931

( hui 228WarDer Abend

Shadausgabe des Vorwärts

Flüge ins Reich des Todes

Die ersten wissenschaftlichen Ballonaufstiege- Glaisher erreicht 9000 Meter Höhe Tragödie in der Luft- Vorstoß in die Stratosphäre Von Hardy Worm

Der Gedante, das Luftfahrzeug in den Dienst der Wissenschaft| zu stellen, ist so alt wie die Luftfahrt selbst. Ehe es noch gelang, große Strecken zu bewältigen, stieg der Freiballon schon zu Höhen empor, die nicht allzuviel unter der Höchstgrenze liegen, die wir heute erreicht haben. Es sind das 13 157 Meter, die der Amerikaner Soucet mit dem Flugzeug, und 12 872 Meter, die der Amerikaner Gray im Jahre 1927 mit dem Freiballon er­reichte. Der Ozean wurde bezwungen und weite Streden Landes, im Erreichen der Höhe aber war uns eine Grenze gesetzt. Man hat Pilotballons aufsteigen lassen, die 30 000 bis 35 000 Meter hoch emporstiegen; wir wissen, daß es in der Stratosphäre Edelgase gibt, die leichter sind als Wasserstoffgas, feine Inftru mente brachten uns teilweise Kunde von der chemischen Zusammen fegung der oberen Luftschichten, aber die menschliche Kontrolle über die Arbeit der Instrumente hat gefehlt. Da jedoch die Entwicklung der Luftfahrt unweigerlich über die Eroberung der Stratosphäre gehen wird, gibt es in den nächsten Jahren feine brennenderen Aufgaben als Expeditionen in die Region des luftverdünnten Raumes. Leider gibt man in den Staaten, die nicht so start unter der Wirtschaftskrise zu leiden haben wie wir, mehr Geld für die Weiterentwicklung des Flugzeuges zum Zerstörungsmittel aus als für wissenschaftliche Luftfahrtsorschung, die für unsere Zivilisation und Kultur von außerordentlicher Bedeutung ist.

Die erste Luftreise, die rein wissenschaftlichen Zwecken dienen follte, unternahmen der belgische Physiker Robertson und sein Landsmann Lhoest. Sie starteten am 18. Juli 1803 in Hamburg und benutzten zu ihrem Fluge einen in Meudon hergestellten Ballon. Die Wissenschaftler blieben über fünf Stunden in der Luft, erreichten eine Höhe von 7400 Metern und landeten in der Nähe Hannovers .

,, Während der Versuche, die wir anstellten", berichtete Robert­son, empfanden mir eine Art Beflemmung, ein allgemeines llebel­befinden. Das Ohrensausen, an dem wir litten, wurde immer schlimmer, als das Barometer unter 13 30ll sant. Der Schmerz, den wir fühlten, war dem ähnlich, den man empfindet, wenn man den Kopf ins Wasser steckt. Unsere Brust schien erweitert und ohne Spanntraft zu sein, mein Puls schlug sehr rafch, weniger der des Herrn Lhoeft; gleich mir hatte derselbe aber angeschwol lene Lippen und blutunterlaufene Augen, alle Benen waren angeschwollen und traten auf dem Handrücken hervor. Zulegt trat bei uns eine Art physischer und moralischer Apathie ein, so daß wir uns taum noch wach halten konnten. Bon den zwei Vögeln, die mir mitnahmen, starb der eine; der andere, den wir in großer Höhe aus der Gondel gemorfen hatten, fiel mie ein Stein herab."

einen

Die auf dieser, und noch zwei anderen Luftreisen gewonnenen. Forschungsergebnisse wurden von der wissenschaftlichen Welt mit Recht start angezweifelt, und die Pariser Akademie erteilte den jungen Phyfifern Gay- Lussac und Biot den Auftrag, eben­falls einen Höhenflug vorzunehmen, um die Robertsonschen Resul tate zu überprüfen. Da die beiden Physiker nur Ballon fleinen Durchmessers hatten, erreichten sie nur eine Höhe von 4000 Metern. Gay- Lussac stieg daher im September desselben Jahres mit einem anderen Ballon allein auf und drang bis zu einer Höhe Don 7016 Metern Dor. Er stellte einige wissenschaftliche Versuche an und gelangte zu Resultaten, die denen Robertsons durchaus widersprachen. Leider gewährte man Gay- Lussac nicht die Mittel, um seine Unter Gay- Lussac und Biot suchungen planmäßig fortzu­bei einem wissenschaftlichen Slug 1804 sezen. Wenn man von einem Höhenflug des englischen Astro­nomen Spencer Rush abfieht, schloß mit den Gay- Lussacschen Bersuchen für eine Reihe von Jahrzehnten die Periode wissenschaft licher Ballonaufstiege. Es war dies auch die Zeit, in der das Fluggerät feine Weiterentwicklung erfuhr, und das Interesse für die Aeronautik erlahmte.

Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts folgten wieder einige wissenschaftliche Höhenflüge, von denen die des Engländers Welsh die für die Aerologie bedeutsamsten waren. Welsh unter­nahm im Jahre 1852 vier Luftreisen, deren wissenschaftliche Resul­tate ziemlich einwandfrei waren. Seine verdienstvolle Arbeit wurde Don Glaisher und Corwell fortgesetzt. Glaisher, Direktor des Greenwicher meteorologischen Institutes, unternahm im ganzen 28 Luftreifen, deren eine den beiden Luftschiffern beinahe verhängnisvoll geworden märe. Ueber diese Hochfahrt, die ara 5. September 1862 stattfand, gibt Glaisher in seinem Buch Travels in the air" folgende Schilderung:

Um 1 Uhr 39 Minuten erreichten wir 6437 Meter. Das Thermo­meter zeigte 13 Grab unter Null. ( Sicherlich falsche Messung. In diefer Höhe herrscht eine viel niedrigere Temperatur. D. Verf.) Bis jetzt hatte ich meine Bemerkungen ohne Schwierigkeiten nieder

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aufzurichten, aber es geht nicht. Da wird er von Crocé am Arm geschüttelt. Werfen Sie Sand aus! Sand!" brüllt er. Tissandier kann sich nicht rühren. Schon wieder am Rande der Bewußtlosigkeit sieht er, wie Crocé Sand abwirft, wie er Geräte und Kissen über Bord wirft. Der Ballon schießt wieder in die Höhe. Es ist nie festgestellt worden, in welcher Höhe Crocé und Sivel die Sauerstoff- Flaschen

geschrieben, während Corwells Kräfte erlahmten. Es dauerte jedoch| fich fam, merkte er sofort, daß der Ballon fiel. Et versucht, sich nicht lange, so ward es mir selbst unmöglich, die Instrumente zu er­kennen. Ich bat Corwell, mir behilflich zu sein, allein infolge der wirbelnden Bewegung des Ballons war das Seildes Bentils in Unordnung geraten und Corwell mußte daher aus der Gondel auf den Reifen steigen, um dasselbe wieder zu ordnen. Erschöpft mollte ich mich mit dem rechten Arm auf den Tisch stützen. Ich vermochte es nicht. Der Iinte Arm war ebenfalls ge= lähmt. Hatte ich mich bis dahin über alle Bewegungen des Rückgrates und des Halses vollkommen Meister gefühlt, so war ich nun auch der leichtesten Regung unfähig geworden. Corwells Ge­stalt verschwamm mir zum Schatten, und als ich versuchte, mit ihm zu sprechen, versagte die Zunge ihren Dienst. Gleich darauf umhüllte mich dichte Finsternis, der Sehnerv hatte seine Kraft ver­loren. Ich wurde bewußtlos. Plötzlich hörte ich die Worte Temperatur" und" Beobachtung". Ich merkte, daß Cormell mit mir sprach. Ich erkannte nun undeutlich die Instrumente, bald auch, die anderen Gegenstände, und jetzt erhob ich mich schwer und lang fam. Corwell erzählte mir nun, daß er den Gebrauch seiner Hände verloren habe. Er zeigte fie mir, fie maren fast

"

Tragödie in der Luft: Expedition Tiffandier- Sivel- Crocé

schwarz Während er auf dem Reifen der Gondel saß, mar er plötzlich von einer furchtbaren Kälte gepadt worden. Zugleich hatte fich dickes Eis auf den Stricken und um die Mündung des Ballons herum gelagert. Außerstande, sich seiner Hände zu bedienen, mußte er sich auf den Ellbogen in die Gondel hinabgleiten lassen. Nun will er schleunigst das Ventil öffnen, um den Ballon zum Sinken zu bringen, aber die starren Hände widerstreben, und erst, als es ihm gelingt, das Seil mit den Zähnen zu fassen, vermag er das Ventil zu betätigen."

Glaisher mar damals der Ansicht, 11 000 Meter Höhe erreicht zu haben. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß er die Höhe von 9000 Metern überschritten hat. Immerhin eine außerordentliche Leistung, wenn man bedenkt, daß weder er noch Corwell mit Sauerstoffgeräten versehen waren.

Eine der tragischsten Hochfahrten in der Geschichte der Aeronau tit unternahmen im Jahre 1874 Gaston Tissandier , Die Höhen Theodor Sivel und Crocé Spinelli expedition war mit der größten Umficht vorbereitet worden. Eine ganze Armatur von Meßgeräten befand sich in der Gondel, außer dem drei kleine Ballons, die Sauerstoff enthielten.

,, Donnerstag, am 15. April 1875, vormittags 11 Uhr dreißig Minuten hatte ich neben Crocé und Sivel in der Gondel des Benith" Platz genommen, und im nächsten Augenblid ließen wir die Gaswerke von La Villette unter uns. Langsam erhob sich der Ballon in einem wahren Strom von Licht. Licht ist Mut, Licht ist Freude, ist Leben!"

Drei Stunden später sollten Crocé und Givel Teblos in der Gondel liegen.

7000 Meter Höhe! Der Himmel ist klar, von durchsichtiger Bläue. Die Sonne blendet und brennt, aber gleichzeitig macht sich die Kälte bemerkbar. Tissandier will schreiben, die Hände bewegen. Seine Hände sind erstarrt. Er ist so fraftlos, daß er noch nicht einmal die Handschuhe anziehen tann. Er sieht Givel und Crocé om Boden fizen. Er blidt auf das Aneroid- Barometer, er ficht, daß der Zeiger unaufhaltsam vormärts rijdt, er mill rufen; 8000 meter! mill er schreien, aber seine Zunge bemegt sich nicht. Er verliert das Bewußtsein. Als Tissandier wieder zu

aus den erstarrten Fingern fielen und die beiden Luft­fchiffer den Erstickungs­tod starben.

Als Tissandier aber­mals aus seiner Bewußt­losigkeit ermachte, befand sich die Gondel in heftig rafft sich auf und friecht schlingernder Bewegung. Er auf den Knien zu seinen Gefährten. Hallo, Sivel! Hallo, Crocé!" Aber die. beiden rühren sich nicht. Sie fauern taub und stumm, in einem Winkel, den Kopf in Reisedecken gehüllt. Wieder schreit Tissandier, er stößt sie an. Plötzlich sieht er, daß er Tote Dor fich hat. Sivels Ge­

ficht ist schwarz, um seinen

Glaisher

geöffneten Mund liegt ge­frorenes Blut. Auch Crocés Augen sind glanzlos, starr, auch er blutet.

Tissandier landete glücklich nach einer gefährlichen Schleiffahrt in der Krone eines Baumes. Er hatte sich durch den Aufenthalt in der Region des Todes ein Gehör leiden zugezogen, das zur nölligen Taubheit führte. s

Trog einer großen Anzahl wiffenschaftlicher Ballonfahrten, die man noch in Frankreich und England unternahm, verfügte man bis zum Jahre 1890 noch über teine sicheren Temperaturbeobachtungen. Fast 90 Prozent aller im vergangenen Jahrhundert aufgenommenen Messungen, haben sich als wertlos herausgestellt, weil man die In­strumente im Korbe anbrachte, wo natürlich eine andere Tempe ratur herrschte als in der freien Atmosphäre. Erst als der Deutsche Aßmann das Aspirationspsychometer tonstruiert hatte, war man in der Lage, wirklich genaue Messungen der Temperatur und Luftfeuchtigkeit vorzunehmen. Das Jahr 1890 bildet dann auch den Ausgangspunkt der neuen Forschung, um die fich die Deutschen Groß, Ahmann, Berson, Süring, Elias und viele andere ganz besondere Verdienste erworben haben.

Nach die vielen, für Wissenschaft äußerst ersprieß lichen Höhenflügen starteten am 31. Juli 1901 Berson und Süring zu einen Fluge, bei dem fie 10 800 Meter erreichten und einen Weltrekord aufstellten, der erst 26 Jahre später durch den Amerikaner Gran verbessert wurde. Der Ballon Preußen", mit dem sie in Berlin aufstiegen, faßte 8400 Stubikmeter und hatte bereits nach vierzig Minuten 5000 Meter Höhe erreicht. Bier Stunden nach. dem Aufstieg befanden sich Berson und Süring an der Grenze der Tropiphäre. Sie hatten trog regelmäßiger Sauerstoffatmung heftig gegen die Müdigkeit anzufämpfen, fonnten aber gewissenhaft ihre Beobachtungen machen. Die Temperatur be-­frug 30 bis 40 Grad Kälte. Als die Ballonfahrer 10 500 Meter erreicht hatten, wurde Süring bewußtlos, und Berson zog das Bentil. Durch diesen Kraftverbrauch brach auch er erschöpft zu­

Sirel

sammen. Als der Ballon um 5000 Meter gesunken war, erwachten die beiden Forscher aus ihrer Ohnmacht. Sie litten an Atemnot und Angstgefühlen, Kopfschmerzen und Schlaffheit, auch Erbrechen stellte sich ein. Aber sie erholten sich bald, bekamen den Ballon in ihre Gewalt und landeten glatt.

Die äußerste Höhe, die der Mensch im offenen Ballonkorb er­

reichen fann, liegt zwischen 13 000 und 14 000 Meter. In dieser Höhe vermindert sich auch der Druck des eingeatmeten Sauerstoffs fo start, daß der Lunge nicht mehr die genügende Menge zugeführt werden fann.

Bei allen kommenden Höhenflügen wird man sich also einer luftdicht abgeschlossenen Gondel bedienen müssen, und die wissenschaftliche Welt ist auf die Ergebnisse des Fluges, den Brofeffor Biccard unternehmen will, äußerst gespannt.