Einzelbild herunterladen
 
Xr 164 48 Jitreang*j[(<��0 1*13? ß 1*�0 Dienstag. 21 April 1931
3)er späte Frühling.
Nach einem IV int er der Not, in dem e? für so oiele unserer Volks­genossen nur selten eine warme Stube gab, freut man sich doppelt über jeden wärmenden Sonnen­strahl ah Vorboten des mildtätigen Sommers. Seit vier Wochen haben mir nach dem Kalender Frühling in Berlin  , aber roer hat davon schon etwas gemerkt? Zu dieser Zeit, wo sonst in Werder  schon die Bäume blühten, stehen Baum und Slraudi noch fast ohne Knospen da. Wie auf dem einen unserer Bilder, das den verträumten Grimnitz- see- an der Heer­straße zeigt, ragen die Zweige der Bäume noch kahl wie mitten im Win­ter in den meist grauen Himmel. Der Grimnitz- see erwacht zwar auch im Sommer nicht. Obwohl an seinen Ufern der Verkehr der großen Ausfallstraße Berlins   nach Hamburg  Tag für Tag oorüberbraust und der Bezirk Spandau  seine Häuserreihen bis an seine Ostseite vorstreckt, er schläft imentdeckt im Sommer wie im Winter. Ginge es der Stadt Berlin   besser, der Grimnilzsee märe heute berühmt! Der Vor­gänger unseres neuen Oberbürgermeisters ging in seinen Plänen, Berlin   zurW eltstadt des Sportes" werden zu
Aber In der Xaubenkolonie richtet steh sehen alles auf den Sommer ein.
ITIe im IThUer: 3Säume noch ohne Htnospen, der See schlaft noch.
lassen, so weil, in Pichelsdorf an der Havel   einen riesigen, einzigartigen Hafen für den Bootssport anzustreben. Dazu Rollte der bis heute niemals beachtete Grimnilzsee ausgebaggert und erweitert werden. Daraus ist nichts geworden, und so träumt der Grimnilzsee weiter den Traum seligen Entdeckt­werdens...
Oer Prenzlauer Mord. pilgrams merkwürdiges Geständnis. Zu prenzlou sind die beiden zum Mörder an dem Ober. Wachtmeister Neubauer gewordenen Gefangenen Va lockt und V l l g r a m gestern noch einmal vernommen worden. Während P a t o c k i aussagt, daß er von der Tat über» Haupt nichts weiß und in der Zell  « erst aufgewacht sei. als Neubauer schon tot am Boden lag, hat Pilgram ein Geständnis abgelegt. Danach haben beide, den Beamten solange gewürgt,. bis er keinen Laut mehr oan sich gab, die Leiche schiersten sie gemeinsam in den-Keller. Neubauer �u töten sei nicht, ihre Absicht gewesen, sie wollten ihn nur unschädlich machen, um die Schlüssel an sich zu bringen. Der Pole Patocti wird aber mit seinem Leugnen wenig Glück haben, denn es ist völlig ausgeschlossen, daß sein Komplice den kräftigen Beamten allein überwältigt haben kann. Weiter hat Pll« gram eine äußerst merkwürdige Behauptung aufgestellt. Cr will in den Monaten Februar bis April sechs bis sieben Kassiber erhalten haben, die einen ausführlichen Plan zur Flucht enthielten. Vor allen Dingen sollte den politisch Inhaftierten die Flucht ermöglicht werden. Die Kassiber sollen noch den An- gaben Patockis jedesmal die UnterschriftRot Front' getragen haben. Wie Pilgram zu dieser Darstellung kommt und was er damit bezweckt, ist zunächst noch rätselhaft, denn keiner der poli-
tischen chäftlinge ist von den beiden Verbrechern befreit worden, obgleich hie Möglichkeit dazu in reichem Maße bestanden hat. Trotzdem wird die Untersuchung auch nach dieser Richtung sehr eingehend geführt, da Pilgram durch seinen Posten als Kalfaktor ziemlich leicht mit der Außen coest in Verbindung gelangen konnte. Wie wir noch erfahren, wird vermullich heute schon im Prenzlauer Amtsgerichtsgesängnis ein Lokaltermin abgehallen. Rechtsanwalt verletzt die Würde des Gerichts. Ein ungewöhnlicher Vorfall spielte sich gestern vor dqr P o t s» damer Strafkammer ab. vor der sich wegen unberechtigter Führung eine» Freiherrntitels der Rechtsanwalt Axel von Köhler zu verantworten hatte. Der Angeklagte war vom Anusgmcht in dieser Sache zu mehrtägiger Haftstrafe verurteilt, er hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Vor Eintritt in die Verhandlung lehnte der Angeklagte, der die Anwaltsrobe angelegt hast«, das Ge- rieht qb. Der Vorsitzende, Landgerichtsrat von Horn, verlangte darauf, daß der Angeklagte seine Robe ablege. Dem Verlangen widersetzte sich von Köhler, und erst, als der Vorsitzend« mit einer Ordnungsstrafe drohte, legte von Köhler die Robe ab und siehe da. er stand nun in Hemdsärmeln vor seinem Richter. Der Vor- sitzende erklärte darauf, daß dieser Aufzug nicht der Würde des Gericht» entspräche und forderte den Angeklagten auf, den Saal zu verlasien und sich eine dementsprechend« Kleidung zu besorgen.
Auch jetzt widersetzte sich von Köhler dieser Aufforderung, und erst, als seine zwangsweise Entfernung angeordnet war, verließ von Köhler von selber den Gerichtssaal. Es wurde ohne ihn weiter verhandelt. Sahm-Z�ede im Magistrat. »Schwere Aufgaben liegen vor uns!' Wie wir bereits imAbend" meldeten, hat Oberbürgermeister Dr. S a h m gestern um 1 Uhr in einer außerordentlichen Magistrats. sihung die Amisgeschäfte übernommen. Nach einer Begrüßungs­ansprache des Bürgermeisters S ch o l h, in der dieser sich gleichzeitig von den Akagistratsmitgliedern verabschiedete, sprach der neue Ober- bürzermcister zum erstenmal über die in der nächsten Zeit zu lösenden schweren Ausgaben. Zum Schluß seiner Rede überreichte Dr. Sahm dem scheidenden Bürgermeister im Namen des Magistrat» eine von dem Bildhauer Gruscm von Scholtz hergestellte Büste als Zeichen der Anerkennung und des Danke» für die geleistete Arbeit. Oberbürgermeister Dr. Sahm führte u. a. aus:Einswoidrittel Jahr ist die Stelle des Oberbürgermeisters verwaist gewesen und diese Tatsache ist auch im Hinblick aus das. was Sie, Herr Bürger, meister Scholtz, geleistet haben, von besonderer Bedeutung gewesen. Die Zwischenzeit hat ein« neue Regelung der Berliner   Verfassung gebracht. Die Stellung des Oberbürgermeisters ist anders gestaltet worden, die Verteilung der Macht zwischen Oberbürgermeister und Magistrat neu geregelt. Ich habe die«ine wichtige Bitte, daß wir die Schranken der Machtverteilung und die Möglichkeiten der Enl- faltung unserer Arbeit gegenseitig respektieren. Ein besonders Hanno- nisches Verhältms kann nur da erwachsen, wo die Gewaltenverleilung von allen aus innerer Ileberzeugung respektiert wird, und wir brauchen ein solches harmonisches Zusammenarbeiten, denn die Aus­gaben. die vor uns liegen, sind schwer. Für die Zukunft kann es eine AufwäNsbswegung nur geben, wenn wir gemachte Fehler klar erkennen. Wir wollen aus der Vergangenheit lernen für eine bessere Zukunft. Die Valancierung des neuen Etats wind sehr schwer zu finden sein, und wir werden in der Frage der Wohlfahrts- erwerbslosen Haich in Hand mit dem Deutschen Städtetag für eine Entlastung der deutschen   Städte kämpfen müssen." Frankfurt   sichert sich AfchS weitere Mitarbeit. Frankfurt   a. 20. April. Der Magistrat gab m seiner heutigen Sitzung dem Antrag von Stadtrat A s ch statt, ihn mit Rücksicht aus seine Wahl in Berlin   und die Notwendigkeit, das dortige Amt baldigst zu übernehmen, sofort aus seinem Dienstverhältnis zu entlassen. Der Magistrat beschloß serner, mit Stadtrat Asch eine Vereinbarung zu treffen, wonach er nach seinem Ausscheiden aus dem Frankfurter   Magistrat für gewisse Spezia lausgaben weiter zur Verfügung stehe, und zwar bis spätestens zum Dienstantritt seines Nachfolger».
Blinder Mörder im Hungerstreik. Der erblindete Mörder Stanislaus K u ch a r I k i. der vor einigen Monaten mit seinem Bruder bei einem Einbruch in Groß- Kreutz   einen Oberlandjäger und einen Landwirt erschossen hat, ist seit einigen Tagen im Potsdamer Gerichtsgefängm» in den Hungerstreik getreten. Er wurde künstlich ernährt und mußte heute nach M-oadit übergeführt iperden. Stanislaus war im Gegensatz zu seinem Bruder in legier Zeit sehr renitent geworden, Tchneefrühling in Oberitalien  . In der Provinz Mailand hat am Sonntag abend nach einem heftigen Gewüter schwerer Hagelschlag big Karten mit blühenden Bäumen, sowie die Kulturen verwüstet. Nach einem Sturm ist in Veltlin und in Trient   reichlich Schnee ge- fallen. In Trient   und Sondrio   hat es über eine Stunde lang geschneit. Starke Schneefälle werden auch aus den italienischen Voralpen und aus den Gegenden der ober» italienischen Seen gemeldet.
e-xS-r-
Ropan aii® dein Ungariadieo ron Alexander tob Sacher-Maioch. Alertes Kapitel, befriedigt mehr die Neugierde über die Vergongenhert des Lehrers als über den neuen Ankömmling. Weißt du", begann der Lehrer zwischen zwei Glaser, klingen,mein Vater war ein armer Mamt, aber nicht immer. er wurde es erst durch eigenes Verschulden. Meine Großeltern hinterließen uns einen hübschen kleinen Besitz in jenem Städtchen, und meine zwei älteren Schwestern wie auch mein Bruder, der Rechtsanwalt, hatten noch keine geflickten Kleider gekannt. Das heißt, ich und meine jüngere Schwester Pepi erbten ihre Garderobe immer erst, wenn sie bereits in dürftigem Zustand war. Meinen Vater steckten seine hochgeborenen Saufkumpane, nachdem sie mit ihm unser Vermögen oerspielt und vertrunken hatten, als Schreiber in die Kommitatsverwaltung. Vom Vermögen war uns nur mehr das Haus und die dazugehörigen Wirtschaftsgebäude geblieben. Die Stallungen waren leer, kein Pferd wieherte, kein Schwein grunzte darinnen. Mes hatte unser Zusammenbruch mst fortge, nommen. Nur ein paar einsame Hühner bevölkerten den Dunghaufen, der schon ganz mit Schierling   und Kletten über- wachsen war. Ilm   so schönere Spielplätze boten dies« Winkel. Die leeren Ställe und geräumigen Heuböden waren die Versammlungs» orte der Straßenjugend geworden. Wir gelangten von der Straße in den abgeschlossenen Wirtschaftstrakt, indem wir auf dem Bauch unter dem Tor hindurchkrochen. Aber ich kann noch heute nicht verstehen, was für ein Kind ich damals war. Ich führte den SpitznamenMumu", der mir anhaftete, weil ich sofort zu heulen begann, wenn mich die übrigen Kinder mit dem WortMumu verspotteten. Einen so furchtsamen Kerl, wie ich einer war, sah ich noch nie. Ich fürchtete mich vor unserm Hahn, vor den Hunden, hatte Angst in der Dunkelheit, aber auch bei hellichtem Tage, wenn man mich
nur eine Minute allein ließ. Ich fürchtet« mich vor dem eiser- nen Stiefelknecht meines Vaters, der die Gestalt eines Hirsch- käfers hatte und unter dem Bett stand. Und weshalb? Well man mich in noch jüngeren Jahren damit schreckte, daß er eines Tages hervorkriechen und mich in das Bein kneifen werde. Später, als Schuljunge, war ich glücklich, diesen Hirsch- käfer dann und wann mit den Füßen treten zu können, um zu zeigen, daß ich mich nicht mehr fürchtete. Vielleicht er- innere ich mich nur deshalb so genau an alles, weil für mich schon etwas, das für andere eine Kleinigkeit war, ein schreck- liches Erlebnis sein konnte. Wenn ich einmal den Mut hotte, auf den hinteren Schrägen eines fahrenden Wagens zu springen, so sehe ich noch heute, wie ich triumphierend, aber mit starkem Herz- klopfen, meine eigene Kühnheit bewundernd, wieder herunter-
ls ich mich im Laufe der Zeit mst der Straßenjugend besser anfreundete, wurde auch ich etwas kühner. Bis dahin aber bewunderte ich sie einzeln und gemeinsam als die größten lebenden Heiben. In der Nachbarschaft wohnte der Sohn eines Maurer« poliers. Hires Vandy war sein Name. Er war der berüchtigste unter den Straßenjungen. Der gefürchtetste Raufbold. Sie nannten ihn die Geißel der Straße. Ich gewann mst seine Sympathie dadurch, daß ich, als er den Vater eines anderen Jungen einenbesoffenen Schuster" nannte, zum Platzen bei« fällig lachte. Von diesem Tage an brauchte Bandy nur die Backen aufzublasen und ich lachte schon pflichtschuldigst, bis mich der Bauch schmerzte. Daheim behandeste man mich in erzieherischer Hinsicht sehr eigentümlich. Meine arme Mutter hielt mich ständig in strenger Zucht. Aber ihre liebe Hand war sehr zart, und ich fürchtete mich nicht sehr vor ihr. Wenn sie mir eine hinter die Ohren gab, begann ich zwar zu heulen, aber nur deshalb, weil ich wußte, daß nun die Berföbnung folgen würde. Dann schob sie mir immer die Sahneschüssel zum Auslecken hin, ich erhiell mehr Pflaumenmus oder sogar einen Apfel. Die Zucht meines Baters war schon gefährlicher. Man könnte sagen: vielseitiger. Der Hosenriemen war sein Lest« stern und Werkzeug:Marsch auf den Stuhl!" Dies bedeutete, daß ich mich quer über den Stuhl zu legen hatte, damit sich mein Hosenboden gehörig anspannte. Nie wagte ich vor einer Züchtigung zu entfliehen, wie es die anderen Kinder taten. Blaß und zitternd gehorchte ich dem Befehl auch dann, wenn ich die Straje nicht verdient
hatte. Ich protestierte nur dadurch, daß ich lauter zu heulen begann. Ost zerrte mich meine kleine Schwester an den Haaren, indem sie mir zurief:Dummkopf, verschwinde, lauf davon!" Nein, wie ein Bezauberter wagte ich nicht einmal um Handbreit von den Befehlen meines Baters abzuweichen. Denn mein Bater war ungemütlich und reizbar, wenn er sich etwas in den Kopf setzte oder wenn er übernächtigt war. Arme Mutter! Wieviel mußte sie leiden. Uns Kinder schlug er. wenn wir etwas gegen seinen Willen toten. Sonst aber hätten wir auch als Hähne auf der Turmspitze sitzen und krähen können, er hätte es nicht beachtet. Ich weiß nicht, ob ich außer der ständigen Geldknappheit. dem Alkohol und dem zunehmenden Alter noch als Entschul- digung gellen lassen kann, daß es meinem Vater unmöglich war, nach dem Gefängnis der Kanzleistunden außer dem Hause Unterhaltung zu finden, weil es nie reichte." Fünftes Kapitel, nähert sich schon dem Kern der Sache, behandelt aber noch immer allgemeine Dinge. Ich erinnere mich nicht, in meiner Jugend irgendeinen richtigen Jungenstreich ausgeführt zu haben. Das einzige, was ich mich zu tun getraute, war, baß ich mitunter verspätet heimkam. Der Hauptgrund meiner Unpünkllichteit war ein unge« heuer großer Platz in der Nähe unseres Hauses. Aus unserer Gasse gelangte man in eine breite Straße. Die eine Straßen- seite nahm ein sehr großer Kornspeicher ein. Er befand sich in einem ausgedehnten Garten, der mit langen, hohen Pfosten umzäunt war. Das ganze Objekt lag von der Straßenzeile zurückgedrückt, und so entstand davor der erwähnte große Platz. Auf diesem Platze arbeiteten die Zimmerleute. Hier konnte man schaukeln, indem man die Bretter übereinander- legte. Hier standen an Wochenmarkttagen die Dorstvagen, hier konnte man Obst und andere Dinge ergattern. Zahllose Sperlinge stristen sich hier um die zurückgebliebenen Abfälle, und wir schössen auf sie mit unseren Steinschleudern. Hier spielten wir Ball oder Räuber und Gendanjr. Aber hier waren auch, wenn sie das Städtchen aufsuchten, die Zelte der Zirkusse. Menagerien. Panoramen und Ka- russells aufgestellt. Nie werde ich vergessen, wie wir Knaben. uni ohne Eintritt fahren zu können, zu viert und fünft mit zwei bezahlten Landstreichern das Karussell drehten. (Fortjetzung folgte