Zrederik Poulfen: SlltICOll tlfld Jltttlä Jhilorifierle llebertelsung aus dem S)änifchen von 3). Xiifchnal
Ich bilde mir ein, etwas von Tintenfischen zu verstehen. Ich weiß, daß der Kerl 32 Seelen hat, von denen jede einzelne einen Tritt oder einen Klaps braucht, damit sie ausgetrieben wird. Sonst fängt das Tier wieder an zu gehen. Sechs Stunden, nachdem man es verzehrt hat. steigen die Seelen, eine nach der anderen, den Hals empor und können nur mit einem kretltschen Gin, Zigutia, daraus vertrieben werden, der einem die eigene Seele beinahe mit herausräuchert. Aber die kleinen, scheinbar süßen und unschuldigen Tintenfische. die mir bei Rechtsanwalt Spinazzola zusammen mit Polenta auf einem Holzteller serviert wurden, waren von einer neuen, mir un- bekannten Rasse. Sie schmeckten lieblich, aber sie gingen nicht her- unter. Sie blieben in der Mundhöhle, krochen unter die Zunge und klebten sich mit Fangarmen und Saugnäpfen an den Speicheldrüsen fest oder sie stiegen zwischen die Kinnbacken und machten es sich dort bequem mit Schuppen und Flimmerhaaren Ich aß nur drei Happen, aber diese behielt ich auch bis zum Ende der Mahlzeit im Munde, und es war dach ein Frühstück mit acht tüchtigen Gerichten. Das alte Ehepaar ahnte nicht das geringste von meinen Qualen, denn sie selbst schlappcrten nur ein wenig Lindenblütentee und knabberten ihre Grissini, diese langen Piemontcser Brotstangen. d''e jeder kennt, der Turin besucht hat. Zeitweise glaubte ich, ich könnte wenigstens einen Happen herunterschlucken, aber es zeigte sich stets, daß er nur den Platz wechselte Ich gurgelte mit Chianti, mit Wermut und mit einem Schluck Kaffee, aber die Ueberreste dieser Tiere kehrten den Rücken und verzogen sich. Es war nicht weit bis zum Fenster, ein einziges kräftiges langes Spucken hätte mich befreit. Aber so blind waren die alten Menschen nun doch nicht, daß ich es wagen durfte. Der alte Spinazzola hatte für sich einen Fingerhut voll Wer- muth eingeschenkt, um mit mir anzustoßen und mir glückliche Reise zu wünschen. „Na, hier wird also getrunken", sagte die Signora ein wenig grimmig,„dann gehe ich also." Und sie ging wirklich, getreu ihrer englischen Herkunft, wackelte vor unseren erstaunten Augen über den Fußboden davon, stützte sich auf die Stühle und bekam auch richtig die Tür auf. „Gla, gla, gla", sagte Spinazzola,„sie ist gegangen! Gla, gla. gla." Er war so alt, daß er nicht länger lachen konnte, er konnte nur die Zunge gegen den Gaumen drücken und„Gla" sagen. Aber die alte Signora hatte sich an der Tür mngedreht und sagte: „Wie reizend du lachst. äsrlinL." In Wirklichkeit konnte sie gar nichts hören, aber Spinazzola Halle sich daran gewöhnt, Gesichter zu schneiden, wenn er lachte, weil sein Gelächter sie ersreute, als ein Zeichen von Jugend. „Trinke nicht zu viel, dsrlinx!" Mit dieser Bemerkung verschwand sie, aber ich mußte hingehen und ihr die Tür schließen helfen. So anmutige und häßlich« Menschen wie die alten Spinazzolas Hot die Well noch nicht gesehen. Cr Halle einen riesigen kurz- geschorenen Kopf und ein« Hautfarbe wie«in Bratapfel. Sein Blick war glasklar und still, zeitweise abwesend, als bemerk« er nichts mehr auf dieser Welt. Und sie war häßlich, wie es nur alle Eng» länderinnen sind, mit einem Körper wie«in Bootshaken, in schwere Seid« gekleidet und daraus der Kopf der Mumie Ramses' II . Di« Basedowsch« Krgnkheit hatte ihr die Augen aus den Höhlen getrieb.en und macht« ihren Anblick noch schrecklicher. Aber schon am zweiten Tag meine» Ausenthaltes bemerkte ich nicht mehr, daß sie häßlich waren. Nicht nur ihr« Daftfreundschast rührt« mich, die mehr englisch als italienisch war. Sie hatten den Adel de» Alter, in ihren Zügen wie die Greise Rembrandt ». Und am nächsten Tag«, als die Signora zum Rachmittagskaftee herein» kam, obwohl sie sich schon nach dem Frühstück schwach und müde gefühlt hatte, und als ich zur Tür lief, ihr den Arm bot und ihren wackelnden Gang stützte, da wandte sie, kurz bevor sie sich setzte, den Blick meinem Gesicht zu und sagte:„Ach ja, dank«! Das war, als ob ich einen Sohn hätte." Diese Worte wurden mit einer schmerzlichen Wilde gesprochen, die den alten Rechtsanwalt ebenso ergriff wie mich, während zu- gleich«in Schimmer der Verklärung auf ihrem gefurchten Antlitz erschien. Bon diesem Augenblick an wurde sie mir unsagbar teuer� als Frau, die niemals das höchste Frauengtück erlebte, al» Mutter, die vergebens ihre Arme dem ersehnten Kind« geöfsnet hat. Sanft nahm der alt« Mann die Hände seiner Frau zwischen seine Hände. Was ich bei diesem Anblick fühlle, läßt sich kurz so ausdrücken: hätte ich in diesem Augenbftck meine eigenen Ellern wählen können, so würde ich sicherlich die alten Spinazzolas gewählt haben. Rührend ist das Alter durch seine Offenheit, wenn man Der- trauen und Interesse zeigt. Weshalb ins Grab hinuntersteigen mit Gedanken und Stimmungen, die vielleicht«inen anderen noch er- freuen können? Nach dreitägigem Zusammenleben hatte ich einen Ueberblick üher Spinazzolas Praxis als Rechtsanwall und über die Der- trauensämter, die er in der kleinen piemontesischen Stadt bekleidete. nicht allein auf Grund seiner Einsicht, sondern vor allem, weil sein Geschlecht seit Jahrhunderten die führende PatrizUrfamili« der Stadt gewesen war. Seit 1499 hatte der Familie Spinazzola das Haus gehört, in dem er wohnt«. ,La, eine lange Zeit", bemerkt« ich, als wir nun allein beim Kaffee saßen und da» Gespräch vertraulicher wurde. „Meinen Sie? Sie haben fünfzig Jahre lang gelebt, und das ist nicht so lange, wenn Sie auf Ihre Kindheit zurückblicken, so ist es doch? Und ich bin fünfundachtzlg. Wenn ich das bißchen Lebens- zeit mal fünf nehme, kann Ich nicht nur meinem eigenen Stamm- vater, der dieses Haus baute, die Hand drücken, sondern ich kann auch im Kloster von Santa Maria della Grazia mit Lionardo spazieren gehen, in den Pausen, wenn er sich von seiner Arbeit am „Abendmahl" im Refektorium erholt. Ich kann ihn sehen mit seinem silbernen langen Haar, wie-r andächtig vor dem Ros«»rbusch steht, den man noch heute dort sehen kann und der wohl schon damals geblüht haben könnte. Es sind noch ein paar Menschen am Leben, die mit Napoleon und Goethe dieselbe Luft geatmet haben, und wenn man wie ich beinahe hundert Jahre lang gelebt hat, so ist selbst ein Jahrtausend nicht furchteinflößend. Es Ist über sechzig Jahre her. seit ich mich mit Evelyn verheiratet«, und ich liebe sie so sehr, daß ich find« die Stunden, die wir beieinander waren, sind nicht zahlreich genug gewesen. Und doch haben wir unsere Hände nur losgelassen, wenn die Arbeit oder andere Verhältnisse uns dazu zwangen." Er nippte ein wenig an seinem Wermut und sank in sich zu- sammen. Ich ließ ihn ruhig sitzen, ging leise zum Fenster und stand da in tiefen Gedanken, während«in paar Bissen vom Tintenfisch Himer»ine Dachtraufe flogen. Plötzlich hört« ich da, Gelächter des Allen:„Gla. gla. gla.
Es war nicht beabsichtigt, ernsthaft zu werden. Schenken Sie sich ein, mir auch ein wenig ja ein klein wenig nur, sonst wirst es mich UM und lassen Sie uns vergnügt sein. Jetzt werde ich Ihnen er- zählen, wie ich Evelyn eroberte, oder vielmehr sie mich, gla, gla, gla!" Seine alten Apfelhacken begannen vom Wein und von der Erinnerung auszublühen,, und es kam ein Ausdruck in seine Augen wie bei einem italienischen Droschkenkutscher, der einen„Inglese " richtig und gründlich über den Lössel barbiert hat. „Als ich 22 Jahr« alt war. wurde ich von meinem Vater nach London geschickt, nicht so sehr, um das englische Rechtswesen zu studieren, sondern vor allem, um mich mit den Verhältnissen und gesetzlichen Bestimmungen der englischen Aktiengesellschaften oertraut zu machen im Hinblick auf die Vertrauensposten, die ich einmal in meiner Heimatstadt übernehmen sollte. Ich war ein Hauptkerl, so ein richtiger Mandolinenitaliener, und Evelyn hat mir später gesagt, was sie am meisten bezaubert hat: die Art, wie ich eine Zigarette rollte, anzündete, in die Lust warf und mit dem Mund wieder aus- sing. Alles zusammen mit weichen, eleganten Bewegungen." Um das zu illustrieren, brach der Alte ein Grissino entzwei, steckte ein Ende in den Mund und ließ es nonchalant i» einem Mundwinkel hin- und herwippen. Wahrheitsgetreu muß ich aber doch mitteilen, er wirkte nicht besonders unterhaltsam wie ein Hauptkerl. „Ebenso bewunderte ich Eoelyne in den Dingen, die ich selbst nicht konnte. Sie war die erste Engländerin, die sich in kniefreiem weißen Rock an Fußballkämpsen beteiligte. Gewallige Lungen hatte das Mädchen, wenn sie über den Platz dahinraste und den Ball ins Tor beförderte. Jetzt k<mn sie nicht allein durch die Stube gehen. So endet die Geschichte, wenn sie lange genug gedauert Hai. Aber ebenso anmutig ist sie noch. Gla, gla, gla! Ich hatte Empfehlungen von Hause und wurde überall freund- lich ausgenommen. Die Engländer, diese kallen Engländer, sind das gastfreieste Volk der Erde. Nicht ich. sondern Evelyn hat mein Haus den Fremden offen und freundlich gemacht. Wir konnten uns sehen, so oft wir wollten, aber sobald wir uns als Berlobte anmeldeten, war es eine andere Sache. Ich hatte niemals einen anderen Gedanken gehabt, als daß mein Geschlecht alt und edel genug sei, aber gegen ihren schottischen Hochadel war es nur Halbblut. Außerdem war ich ein häßlicher, schwarzer, aus- ländischer Dingsda, mit dem Evelyn, das blonde Wunderkind, nie- mals glücklich werden konnte. Jetzt sind wir alle beide weiß, aber damals gähnte— auch koloristisch betrachtet— ein Abgrund zwischen uns beiden. Evelyns Vater war nicht der Mann, der Villen und Tränen nachgegeben hälle. Er war eine Führernatur und Halle Soldaten- blut in den Adern. Im indischen Feldzug Halle er Taten vollbracht, die an den Todesrill de» Balaklava erinnerten, und da er stets gut davonkam.. gewöhnte er sich daran, alles niederzuwerfen, was seinen Wünschen entgegentrat. Selbst den Tod hat er 15 Jahre lang hin- geHallen. Zuletzt Halle er die Gicht in Armen und Beinen, aber jeden Morgen erwacht« er mit der Zuversicht, daß irgend etwas geschehen würde. Drei Tage vor seinem Tod« kauft« er neue Jagd- Hund«, fall» er etwa am nächsten Morgen für die Fuchsjagd frisch genug sein sollte. Evelyn kam mit ihm nicht von der Stelle, und mich wollte er nicht sehen. Evelyn traf sich heimlich mit- mir und wir weinten zusammen. Eines Tages konnte ich keinen besseren Vorschlag machen, als daß sie mein würde, damit nichts uns mehr trennen könne. Sie stand vor mir und schlug ihr« Augen zu mir auf. Tränen zitterten darin. „So sehr also liebst du mich", sagte sie.„daß du sogar das tun willst." Ich gestehe, ich begriff sie nicht gleich. Erst aus den späteren Ereignissen erkannte ich, daß sie annahm, dies wäre für mich ebenso wie für sie selbst das äußerste und letzte, worauf man sich erst ein- läßt, wenn die Seele den allerhöchsten Liebesgipfel erklommen hat. So wenig konnte sie die Männer. Die Anzahl der Bücher, die ich gelesen habe, ist nicht gering. Aber niemals habe ich m den
Strophen eines Dichters einen so echten und schönen Ausdruck der Unschuld gefunden. Der Kampf stellte jedoch seilte Anforderungen und dieses Ge- spräch hinterließ Spuren. Eines Tages begann Evelyn an Umfang zuzunehmen. Die Familie wollte es nicht sehen, wollte es nicht glauben. Aber eines Tages wurde es zu deutlich und der Skandal war da. Schrecklich! Des Vaters Augen schleuderten Blitze, die sie in Staub auflösen sollten. Aber sie hielt aus, stand vor ihm mit derselben ruhigen Achtsamkeit wie aus dem Fußhallplatz. Keine Spur von Reue. Auch die italienische Kolonie in London war von dem Ereignis sehr in Anspruch genommen und amüsierte und vergnügte sich. Komplimente und Glückwünsche regnete» nur so auf mich herab und alle waren sich darüber einig, daß ich England und Evelyn mit gutem Gewissen verlassen durste. Das war ein erotischer Rekord, keiner meiner Landsleute konnte ähnliches berichten: eins der schönsten Mädchen aus dem höchsten englischen Adel versührl zu haben. Dieses Abenteuer genügte, einem Mann für den Rest seines Lebens an allen Kafseetischen Norditaliens Ansehen zu verschaffen. Als sie hörten, daß ich Evelyn heiraten wollte, waren meine lieben, gleichaltrigen Landsleute völlig darüber im klaren, daß das Geld mich lockte. Aber als bekannt wurde, daß Evelyn infolge ihres Fehltrittes enterbt werden sollte und daß ich sie trotzdem heiraten wollte, betrachtete jeder normale Italiener mich als Verrückten. Das war ein lehrreiches Erlebnis. Wir bekamen unseren Willen. Die Hochzeit fand statt. Auf Evelyns hartnäckigen Wunsch war die ganze Verwandtschaft einge- laden worden. Die Feier verlief wie sie verlaufen sollte, und wir langten wieder im Schloß an, um den Hochzeitskuchen zu essen. Die Stimmung war gedrückt, nur Evelyn sah vergnügt aus. Einen Augenblick nach der. Heimkehr verschwand sie in ihrem Zimmer und kam wieder zum Vorschein: schlank wie ein Fohlen. Die ganze Verwandtschaft brach in einen einzigen Schrei aus. „Wo ist das Kind?" „Hier", lachte Evelyn, und schleuderte einen niedlichen kleinen Fußball über die Häupter der Hochzeitsgäste. Der alte Lord fiel ohnmächtig um, aber als er wieder zu sich kam, mußte er sich geschlagen bekennen und lachte mit. Das wurde ein munteres Fest. Aber Evelyn und ich vergaßen niemals das Betragen der Verwandtschaft in den schlimmen Zeiten. Wir verzichteten aus jede Erbschaft und verbaten uns die gnädige Verzeihung, die uns nach vieler Ueberwindung in Aussicht gestellt wurde. Es gibt Leute, die meinen. Gott habe uns mit Kinderlosigkeit gestraft, weil wir die Verwandtschaft um unserer Liebe willen be- trogen haben. Das glaube ich nicht. Ich glaube eher. Gott hat uns seine Güte dadurch gezeigt, daß er uns so all werden ließ. Nicht allein deshalb, weil das Aller an sich ein schönes und reiches Geschenk ist. Ich erinnere mich, wie in London die Luft war: qualmig und schwer den größten Teil des Tages. Aber In den letztet? Nacht- stunde wurde die Luft wie durch ein Wunder rein, kühle Strömungen vom Lande und aus den Wäldern hielten ihren Einzug in die trübe Stadt und machten die Luft der Morgendämmerung lieblich. So erschien mir auch immee: das Leben des Menschen. Wir erinnern uns oll« an unser Morgengrauen, an die reine Luft der Kindheit, aber glücklicher sind jene, die die letzte kühle Luft erleben, wenn der Tageslauf des Lebens hinschwindet und sich einer neuen Morgendämmerung zuneigt. Aber nicht nur das. auch noch etwas anders». Wir sind jetzt so alt und schwach, daß ein einziger Kummer uns töten kann. Des- halb wird zwischen unseren beiden Todesfällen nicht viel Zell ver< gehen. Und so haben wir es auch immer gewünscht: so kurz nach- einander zu sterben als es irgend möglich ist. Ja, ja. ich bin«in aller Mann und habe gewiß zu lang» geschwatzt. Und jetzt dürfen sie auch nicht böse werden, wenn Ihnen sagt, daß ein kleiner Saugnapf, von eipem Tintenfisch in Ihrem Schnurrbart sitzt." Er leerte ein Fingerhutglas und war müde. Deshalb brach ich auf. früher als ich eigentlich gedacht halle. Als ich mich zum letztenmal nach den beiden Alle» umwandte, die mich bis zum Wagen hinausbegleiteten, siel es mir plötzlich«in, wem sie glichen, trotz der Barllosigkell des Mannes und der fabel - hasten Häßlichkeit der Frau: den allen Bibelgestalle» Simeon und Anna. Und im Nu fuhr mir da» schöne Bibelwort durch den Kops: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren." Al- ich im Expreßzug saß und mir eine Zigarette anzündet«, sing ich mst meiner Zunge das letzte, Stück Tintenfisch und sandte es im hohen Bogen zum Waggonsenster hinaus.
Georg Spahn JUmada: 3)08 Qeld liegt im 3lon*ertfaol In Klein-Kirschen traf sich August Pröll mit seinem Freunde Hermann Tinzen, der gerade eine große Reise unternahm und seinen Freund Pröll benachrichtigt hatte, sich mll ihm in der Nähe de» Eisenbahnknotenpunktes zu treffen. So setzte sich dann Pröll auf die Bahn und fuhr Tinzen, der eine halbe Stunde Aus- enthalt halle, entgegen. Die Freunde hatten sich eine geraume Zeit nicht gesehen, ihre Bekanntschaft stammte eigentlich von der Schulzell her und halle sich dann immer ein wenig durch Briefwechsel erhallen. Im Grunde wußten sie nicht viel voneinander, Pröll war oerheiratet und lebte da» Leben eines sich als Vertreter mühsam durchs Leben schlagen- den Mannes, während Tinzen einen nicht zu identifizierenden Beruf hatte, er tat mal dies, mal das, Dinge, die Geld brachten und nicht viel Arbeit verursachten. Pröll wunderte sich, wie elegant Tinzen daherkam. Er trug einen langen Gehpelz, und die Krücke seines Spazierstockes war aus getriebenem Silber. Man begrüßte sich und drückte sich warm die Hand. Dann kam man ins Gespräch, und Pröll klagte sein Leid über die schlechten Zeiten. „Na", meinte Tinzen.„da mußt du eben etwas unternehmen, was Geld einbringt." „Geld einbringt?" fragte Pröll erstaunt.„Ich habe doch keine Möglichkell mehr Geld zu verdienen, als ich als Vertreter verdienen kann." Tinzen pfiff etwas durch die Zähne und tat so, als ob er in eine allzu saure Gurt« gebissen hätte. „Du bist aber tomisch. Ich an deiner Stelle würde ein Konzert veranstalten." „Ein Konzert?" „Jawohl,«in Konzert." „Aber ich kenne ja keine Sänger." „Dann nimm Tino Pattiera ." „Wieso denn? Ich verstehe dich nicht." Und da sagte Tinzen seinem Freunde Pröll, wie man es machen müßte. So kam es. daß einige Tage später an allen Ecken und Zäunen von Klein-Kirschen Plakate prangten, in denen da» Konzert des großen Sängers angekündigt wurde. Zu diesem Konzert mußte
I natürlich jeder, der etwas auf seinen Rang hielt, gewesen sein, und die Nachfrage nach Eintrillskarten war außerordentlich groß. Eigenartigerweise waren die Karten berells nach den ersten zwei Tagen ausverkauft. Da jedoch noch ein« sehr große Anzahl von Bürgern Karten haben wollte, so mußten sie sich an die plötzlich aufgetretenen wilden Billellhändler wenden und Karten zu doppellen PreisMi taufen. , Am Abend des Konzerte» betrat August Pröll das Podium und sagte: „Meine sehr verehrten Herrschasten! Ich muß Ihnen die schmerz- liche Mllteilung machen, daß Herr Tino Palliera leider heute nicht disponiert ist. Das Konzert muß auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Das Eintrittsgeld wird an der Kasse zurückgezahlt." So mußte denn das Publikum an der Kaste Schlang « stehen, um dos Eintrittsgeld zurückzuerhalten. Natürlich wurde nur der Kasten- preis zurückgezahlt. Spät in der Nacht rechnete August Pröll mit seinen wilden Billetthändlern ab. die er aus Proviston engagiert hatte. Dann schickte er«in Dankschreiben an Hermann Tinzen, der den- selben Trick mit dem Konzert eben in Paris versuchte. Seil wann gibt es keine wilden Pferde mehr? Wilde Pferde gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Doch kamen st« noch im 16. Jahrhundert, jedenfalls aber ganz bestimmt noch un 15. Jahrhundert in den großen deutschen Waldgebieten vor. Wann das legt« wilde Pferd im Thüringer Wald erlegt wurde, kann nicht gesacsi werden, da es hierüber kein eigenUiches Material gibt. Daß die Waldgegend Milleleuropas im Allertum aber von Rudeln wilder Pferde belebt gewesen war, wird durch eine Reihe geschicht- liche Zeugnisse bewiesen. Auch später noch fehll es nicht an Belegen für das Vorkommen des wilden Pferdes in Deutschland und in den von Deutschland östlich gelegenen Ländern. So bittet beispielsweise Graf Gregor III. im Jahre 732 den Heiligen Donifazius, den Genuß des Fleisches wilder Pferde nicht mehr zu gesiatten. Doch es ist bekannt, daß noch um das Jahr 1000 die Bewohner von Sankt Gallen solches Fleisch gegessen haben. Im Jahr« 1593 werden die wilden Pferd«, die in den Vogesen lebten, ausführlich ge- schildert, und in Preußen jaate man noch zur Ordenszeit wilde Rosse. zu deren Erhallung Herzog Albrecht im Jahre 1543 einen Schonungs- befehl irließ Nach den neuesten Forschungen scheint es festzustehen. dotz es sich dabei nicht um oerwilderte, sondern um wirklich wilde Pferde handelt, von denen es zwei verschiedene Rasten gab: ein schwerer, großer, lanaköpfiger. westlicher Schlag, und ein kleiner. kurztopflger, östlicher Schlag. Di« letzten Exemplar« der letzten Rais« sind erst um 1380 in Rußland erlegt worden, wo man dieses Pserd Tartan nannte.