Morgenausgabe
Nr. 196
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Dienstag
28. Apríl 1931
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Spiel mit Kriegsopfern! Snowdens neue Steuern.
der
Die deutsche Deffentlichkeit konstatiert mit Ueberraschung das plötzliche Auftreten einer imposanten, förmlich aus dem Boden gestampften Bewegung der deutschen Kriegsopfer. In Berlin , Frankfurt , Jena , Breslau , Köln , Stettin , Dresden , Gelsenkirchen , Königsberg haben sie sich zu Kundgebungen zusammengefunden, die bis zu 15 000 Teilnehmer zählten. Weitere Demonstrationen in allen größe ren Städten Deutschlands sind in den nächsten Tagen geplant. Träger dieser Bewegung ist der Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, die größte und erfolgreichste der deutschen Kriegsopferorganisationen. Was sind die Ursachen ihrer fpontann Bewegung, von der rund eine halbe Million Menschen ihre allmähliche Ausräumung ist zugesichert worden.
Die deutsche Kriegsopferversorgung beruht auf einem modernen, auf sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebauten Recht, das unter dem ersten Kabinett Hermann Müller im Jahre 1920 geschaffen worden ist. Nach vorübergehenden Rückschlägen während der Inflationsperiode ist dieses Recht unter stärkster politischer Mitarbeit der Sozialdemokratie weiter verbessert worden. Die noch verbliebenen Mängel sind von allen Regierungen und Parteien anerkannt, ihre allmählige Ausräumung ist zugesichert worden.
Seit zwei Jahren ist in dieser Arbeit ein empfindlicher Rückschlag im Gange. Großkapitalistische Kreise und ihre Presse haben die Versorgungslast zum Gegenstand von Angriffen gemacht, die von keinerlei Sachkenntnis getrübt waren. Der Hansabund hatte ein Sparprogramm vor= gelegt, daß der Versorgung den Betrag von 225 Mil lionen Mart jährlich entziehen wollte. Der frühere Reichsarbeitsminister Wissell hat sich mit stärkster Energie gegen diese wahnsinnigen Pläne gewandt. Er wurde dafür in der kapitalistischen Presse als ein Mann bezeichnet, der die Rentenpsychose züchte und Unwürdige an die ,, Krippe" lasse. Kaum zehn Jahre nach Beendigung des Krieges hatte sich aber in vielen, Köpfen der ,, Dank des Vaterlandes" in eine Futtertrippe verwandelt! Wegen einiger vertretbarer Sparmaßnahmen, die in erster Linie den Zweck haben sollten, den weitergehenden Angriffen auf die Versorgung die Spitze abzubrechen, wurden Wissell und die Sozialdemokratie gerade abzubrechen, wurden Wissell und die Sozialdemokratie gerade von den Kreisen in der bösartigsten Weise angegriffen, die vor rigorosen Eingriffen in die Rechte der Kriegsopfer nicht zurückschreckten, als sie die Sozialdemokratie in der Regierung abgelöst hatten. Durch Notverordnungen und Verwaltungsmaßnahmen sind rund zwei Dutzend Eingriffe in das materielle Recht und in das Rechtsmittelverfahren vollzogen worden.
Motorräder, Benzin, Grundbesitz.- 800 Millionen 800 Millionen Mark für Arbeitslose.
London , 27. April. ( Eigenbericht.)| Ergebnis der Erbschaftssteuer 82 610 000 Pfund Sterling ein
Der„ Budget- Tag" ist einer der größten Kalendertage im politisch- parlamentarischen Leben Englands. Als Abschluss des schwersten Krisenjahres in der englischen Geschichte wurde deshalb die am Montag gehaltene Rede des Finanzministers durch den 3weifel, ob es dem vor zwei Monaten schwer erkrankten Snowden möglich sei, seinen Etat persönlich einzuführen.
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Große Menschenmengen erwarteten den Finanzminister vor dem Parlamentsgebäude. Das Haus felbst war bis auf den letzten Platz von erregten Abgeordneten und Zuhörern überflutet. Bon seiner Frau und zwei Aerzten begleitet tam Snowden unbemerkt ins Haus. zwei Stöden gestützt den Sigungssaal betrat. Stürme aller Parteten begrüßten ihn, als er auf 3zwei Stöcken geſtützt den Sizungssaal betrat.
Um seine Redezeit abzukürzen, hatte der Schazkanzler bereits zwei Stunden vorher den Abgeordneten einen gedruckten Bericht über die Einnahmen und Ausgaben des Vorjahres überreichen lassen. Daraus ist zu entnehmen, daß die Ausgaben im Jahre 1930/31 die Summe von 799 Millionen Pfund Sterling erreicht haben, gegenüber 749 Millionen Pfund im Vorjahre und 197 Millionen Pfund im Jahre 1913/14. Infolge der Wirtschaftskrise sind diesmal die Einnahmen erheblich unter dem Voranschlag zurüdgeblieben. Die Arbeitslosenunterstügung hat die hierfür einge setzte Summe um 10% Millionen Pfund über schritten. Insgesamt hat im vergangenen Jahre die Arbeitslosenfürsorge dem Staat 32 Millionen Pfund gekostet. An dem schriftlichen Bericht Snowdens ist besonders bemerkenswert, daß als
gegangen
find. Die Schulden und Staatsanleihen fonnten zwar um rund 55% Millionen Pfund vermindert werden, haben jedoch noch immer die phantastische Höhe pon 7 413 278 000 Pfund Sterling. Von den deutschen Reparationszahlungen hat England im vergangenen Jahre 9 Millionen Pfund erhalten.
Die erwarteten Sensationen für den neuen Etat sind in der Rede des eisernen Schazkanzlers" aus geblieben. Trog größter Sparmaßnahmen balancieren die Einnahmen und Ausgaben für das Jahr 1931/32 in der Summe von 803 366 000 Pfund Sterling.
Für den Arbeitslosenfonds find diesmal 40 Millionen eingesetzt. Für 37% Millionen Pfund im neuen Etat waren feine Einnahmen zu finden. Snowden deckt sie durch Verdoppelung der Motorradsteuer auf 30 Schilling und eine Erhöhung der Benzinsteuer von vier auf sechs Pens, eine Maßnahme, die der Schazkanzler sofort in Kraft treten läßt. Der große Rest des Defizits soll durch Erhöhung der Steuer auf den Großgrundbesiz beseitigt werden. Die Art dieser Zusatzsteuer überläßt Snowden der Finanzfommission. Eine Erhöhung der Einkommensteuer lehnt der Finanzminister ab, da sie nur ein Anreiz sei zu einer Herabsetzung der Löhne. Mit Ausnahme der von den Arbeitgebern und Angestellten zu erhebenden Einkommensteuer muß diese im kommenden Jahre zu zwei Dritteln bereits am 1. Januar entrichtet werden. Das letzte Drittel wird am 1. Juli fällig. In dem Etat ist keine Zollerhöhung und feine Erhöhung der Lebenshaltungskosten enthalten.
Stegerwald gegen Schiele.
Differenzen um die Zollpolitik.- Vertagung der Kabinetts- Entscheidung?
Jnnnerhalb der Reichsregierung wurden in. den letzten Tagen| um sc weniger wahrscheinlich, als der Standpunkt von Steger. wiederholt Besprechungen über neue von dem Reichs- wald in früheren Stadien in weitgehendem Maße von Brüning ernährungsminister Schiele verlangte 3ollerhöhungen ge- geteilt wurde. führt. Die Differenzen sind nach wie vor außerordentlich großz. Sie fonnten bisher nicht beigelegt werden.
Wie im März, so ist auch diesmal eine Verständigung zwischen den verschiedenen Auffassungen der einzelnen Reichsminister außer ordentlich schwierig. Dem Reichsernährungsminister stehen alle diejenigen Minister gegenüber, die von den Zollerhöhungen eine sehr gefährliche Zuspitzung der Beziehungen Deutschlands zu den Ostseestaaten und Holland befürchten, die einen sehr beträchtlichen Teil der deutschen Ausfuhr aufnehmen. Bei dem Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwald, der als der schärfste Gegner der Pläne Schieles angesehen werden kann, spielt neben den gekennzeichneten Gesichtspunkten auch die Berteuerung der Lebenshaltung, die mit den Zollerhöhungsplänen verbunden wäre und die nicht nur seine Lohnabbauaktion nachträglich verurteilen, sondern auch schwere gefährliche innen politische Spannungen hervorrufen würde, eine ent scheidende Rolle.
Obwohl diese Eingriffe sehr empfindlich waren, blieben die Massen der Kriegsopfer verhältnismäßig ruhig und überließen die Vertretung ihrer Interessen den Leitern ihrer Organisationen, die in der Verhandlung mit Regierung und Parlament über eine große Erfahrung verfügen. Die bisherigen Maßnahmen trafen außerdem vorwiegend solche Personentreise, die erst eine Versorgung erstrebten. Im Zusammenhang mit dem neuen Defizit, das infolge der anhaltenden Verminderung der Reichsein nahmen in beträchtlicher Höhe im laufenden Rechnungsjahre zu erwarten ist, hat sich herumgesprochen, daß die Reichsregierung, nun auch die Bezüge der Kriegsbeschäder digten und Kriegshinterbliebenen, deren Ansprüche zweifelsfrei und seit Jahren bestehen, bei der , bei d Durchführung ihrer Sparabsichten antasten will.
Zur Durchführung solcher Pläne reicht die Sparermächtigung, die der Reichsregierung im Haushaltsgefeß für 1931 gegeben worden ist, nicht aus. Sie können nur durch eine neue Notverordnung verwirklicht werden. Für die Versorgung der Kriegsopfer sind im Haushaltsplan 1931/32 rund 1300 Millionen Mark eingesetzt. In diese Summe teilen fich 838 953 Kriegsbeschädigte, 378 000 Kriegerwitwen, 621 000 Kriegerwaisen und 366 462 Kriegereltern. Die Durchschnittsrenten sind von solcher Bescheidenheit, daß die Empörung, die sich jetzt gegen die Absicht der Regierung in elementarer Weise geltend macht, nur zu verständlich ist. Dieser Abficht muß mit aller Energie entgegengetreten werden. Die Kriegsopfer fühlen sich durch diese Pläne brüskiert und für die ungeheuren Blutopfer und die treue Hingabe an das Ganze, dessen sie sich im Krieg wie im Frieden befleißigt haben, mit schnödem Undant belohnt. Die 2½ Millionen versorgungsberechtigten Kriegsopfer in Deutschland sind ein politischer Faktor, dessen Einfluß sich infolge der besonderen mora
Wenn aber in der Presse behauptet wird, daß Stegerwald in Kabinetissitzung am Sonnabend mit seinem Rücktritt gedroht habe und jetzt als Antwort darauf der Rücktritt Schieles in der agrarischen Presse als nahe bevorstehend bezeichnet wird, so muß man diese Gerüchte mindestens zunächst als verfrüht ansehen. Es ist nicht anzunehmen, daß Stegerwald seinen Rücktritt volizieht, ohne daß der Rücktritt von Brüning und damit der Sturz der Gesamtregierung herbeigeführt würde. Das aber ist
lischen Kraft, die ihrer Ansprüche an den Staat innewohnt, in allen Verästelungen des Volkstums geltend zu machen weiß. Das Unrecht, das man diesen durch den Krieg um Glück und Gesundheit betrogenen Mitbürgern zufügt, wird sich bitter rächen. Es wird um so aufreizender wirken, als es gegenüber Ansprüchen vollzogen werden soll, die durch die Verfassung nicht einen so bevorzugten Schuß genießen wie die Pensionen der Offiziere, der hohen Beamten und der Minister, die nach altem Recht versorgt sind. Die empörenden Mißstände, die auf diesem Gebiete die öffentliche Meinung seit Jahren erregen, bestehen unvermindert fort. Die Regierung hat zwar einen Gesezentwurf über die
Da vermutlich die Gegensäge, die schon im März zu einer Ver= tagung der Zollerhöhungspläne geführt haben, sich auch jetzt nicht überbrüden lassen, so dürfte eine nochmalige Vertagung wenigstens bis nach den Genfer Verhandlungen als der von der Regierung zu beschreitende Ausweg zu betrachten sein.
Eine solche Bertagung ist aber nicht möglich bei den Forde rungen nach Ermäßigung der 3ölle, insbesondere der Ermäßigung des Bolles auf Beizen, Roggen und Gerste. Hier handelt es sich um eine Frage, deren sofortige Erledigung unbedingt erforderlich ist. bedingt erforderlich ist. Bei Aufrechterhaltung der bisherigen Bollfäße für Getreide wird den bisherigen Erhöhungen der Brotpreise in einigen Orten Deutschlands bald eine allgemeine Erhöhung in ganz Deutschland folgen. Die Regierung ist aber durch das letzte Zollermächtigungsgesetz verpflichtet, alles zu tun, um einer Brotpreiserhöhung über den bisherigen Stand hinaus vorzubeugen. Diese Verpflichtung muß erfüllt werden. Sie läßt keine Bertagung der Zollermäßigungen auf Getreide zu.
Die Entscheidung über das Brot.
Im Laufe dieser Woche muß sich die Reichsregierung entscheiden, ob sie die gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen und in ehrlicher Auslegung des letzten Ermächtigungsgesetzes eine Senkung des Brotpreises durchführen will. Auch heute warnen wir die Reichsregierung, sich nicht den Forderungen der agrarischen Katastrophenpolitiker zu beugen und in völliger Verkennung der
Pensionstürzung dem Reichstag vorgelegt, aber wir haben nicht gehört, daß die Regierung, die alle ihre finanziellen Maßnahmen im Eiltempo durchführt, jemals ihren Einfluß zugunsten einer beschleunigten Erledigung dieser Frage geltend gemacht hätte. Das läßt tief blicken. Die Kürzung der Bezüge unserer Kriegstrüppel, hilfloser Waisen und alter Eltern glaubte man aber ohne Befragung der Parlaments und der Beteiligten in aller Stille im Handumdrehen vollziehen zu können Wir warnen die Regierung vor diesem Schritt. Er wird sich politisch als ein großer Fehlschlag erweisen. Der Massenaufstand der Kriegsopfer wirkt alarmierend