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Auf der Suche nach dem Frühling Eine misslungene Reportage Von Heinrich Hemmer  
Seit Wochen wartet Berlin   darauf, sich der erwachenden Natur in die Arme zu werfen. Winterforgenbleiche Ladeninhaber schnuppern an offenen Türen, in srischgeeggten Vorgärten, wo einige Pflänzchen noch ziemlich unvermittelt im chumus stecken und die Bäume ohne rechte Ueberzeugung ausschlagen, werden über den Zaun weg naturwissenschaftliche Gespräche geführt und die frischlackierten Gastgarten- und Balkonmöbel glänzen mehr rheu- matisch-feucht, als wirklich einladend, aber wer hat nicht das brüst- dehnende Gefühl, daß draußen vor denEinsalls"- respektive Aus- fallswren von Verlin der Frühling schon richtig webt und bebt...! Ursprünglich wollte ich durch den parzellierten K i n d l w a l d nach dem architektonisch einzigartig dastehenden Glienicke  . Flüchtige, im Auto erhaschte Bilder gaukelten mir märchenhafte Dinge von diesem Orte vor: Kühn kombinierte Landhäuschen, halb Rokoko eines, halb Ziegenstall, ein anderes im Maktaronistil mit sukzessive angebauten Quetschen für die großgewordenen Kinder und ein Steinhaus, wie es sachlicher nicht möglich, vier Fenster oben, viere unten, ist durch einen Zementbogen veredelt, auf dem der stolze Name Drachenburg  " prangt..., während ich mich erinnere, in H e r m s- darf selber eine auf strategischer Anhöhe gelegene regelrechte Festung mit runden Zackentürmen erblickt zu haben. Kurz, hier harrt eine interessante Gegend, in der eine lebhaste Phantasie mit viel prak- tischem Sinn gepaart ist, der Entdeckung. Menschwerdung am Orankesee. Indessen verplauderte ich mich, wie das so geht, in der eine behagliche Sitzwärme ausstrahlenden Stadtbahn bis zur Station Landsberger Allee  . Einmal in diese Regionen verschlagen, schritt ich der Behausung eines Freundes in Hohenschönhausen zu, entlang der endlosen Berliner Straße, auf der rechts prater- hafte, noch in tiefem Winterschlaf ruhende Karussells und Schaukeln auftauchten und links streberische Schrebergärten: überbereit aus das Erwachen der Natur, auf der Lauer vor dem Frühling liegend, um alle feine Wonnen zu erhaschen... und die übrigens(die Berliner Straße  ) doch ein Ende nimnit, bei einer alten Mühle, wo man ein Rad auf einem Schornstein liegen und den Klapper- st o r ch sein Nest bauen sehen kann(SjohenschönhalisVinnen: Achtung!) Im großen Bogen kam ich auf den neuausgelegten, mit einer Badeanstalt und einem Musik- und Tanzlokal ausgestatteten Orankesee zu, hinter dem man den Donner von einem halben Dutzend nebeneinander gelegener Kegelbahnen grollen hört. Aus dem See aber erwartete, in blauem Badetrikot, auf einem Segel- brett postiert, eine wohlgeformte Badenymphe in Gänsehäuien er- schauernd den Frühling, der sich ungalanterweise nicht blicken ließ. Mein Freund, derwilde che r m a n n", wie wir ihn im Gefangenenlager nannten, ein Teufelskerl von einem Schiffsjungen einst, für den kein Mast zu hoch, kein Land zu wild, kein Streich zu toll war, chermann, der einstmals mit einer hinterm Wagen herabhängenden Wurstkette durch die Hafenstädte zu fahren pflegte, dahinter olle Köter her waren, derwilde Hermann" empfing mich zahm in einem spieherlich geblümten Morgenrock. Und: es duftete so nach Kaffee und Kuchen, in der guten Stube, wo einen jeder Stuhl zum Hinsetzen, jeder Teller zum Zulangen und jedes Möbel zur Behaglichkeit einlud... mir wurde ganz' schwummerig zu- mute. Und als erst Frauchens Stimme vom Bette hinter der Tür nach Musike rief und das Radio, das neuinstallierte, neben der Kuschel-coucll und der hohen Stehlampe angeknipst wurde, und un- verzüglich, wie es tut, mit dem Wiener Strauß loslegte...Ja. ja", sagte Hermann, als mir vor Staunen die Augen im Kopf herumrollten,hier wird man eben zum Philister, das kommt von alleene und dagegen läßt sich nischt machen." Hermann ist jetztHerr Ingenieur" und tut nichts Tolleres als ein Vorsitzender des örtlichen Vergnügungsaus- s ch u s s e s zu tun pflegt. D. h. er arrangiert Krippenspiele, Zauber- Vorstellungen, Koffeekränzchen-Bälle, solid bürgerliche Amüsements (in seiner freien Zeit). Und er bestellte bei mir, seinem armen, noch immer vom Leben hin- und hergeworsenen Bohemefreund, der noch nicht die Wege des Gerechten wandelt und verlegen die unterm Tisch eingezogene Beine ineinander verflocht«in Drama. Einst gab ich ihm al» Respektsperson Unterricht, diesem jungen Vagabunden, und jetzt bestellt er, Bürger geworden, bei mir alten Vagabunden einFrühlingslied", eindezente s" Frühlings- erwachen" falls ich solches für den Ausschuh zu liefern imstande sein sollte In tiefen Gedanken über die Wandlung der Dinge zog ich von bannen und, als ich beim Klapperstorch vorbei kam, drohte ich ihm mit dem Finger: es war vielleicht doch schon Frühling hier unten, man merkt es nur nicht gleich. Ich verstoße gegen den guten Berliner   Ton. Bier Stunden später entstieg ich in Gesellschaft einer jungen Berlinerin, die meine Führung übernommen hatte, der Stadtbahn- stationKrumme L a n k c". Ob man jetzt links zur L a n k e hinabgeht oder rechts zum Schlachtensee: vom Frühling war nirgends eine Spur zu entdecken, er drückte sich nicht anders als in den hinausgeräumten Lackstühlen der beiderseitigen Gartenlokale und den mobilgemachten Kellnern aus. Aber eine merkwürdige düstere Schönheit strahlen die beiden Seeufer aus, so daß mir ganz königludwiglich zumute wurde und ich mich ruhig hätte von Schwänen über den See ziehen lassen können. Das Fräulein, das mit mir den romantischen Uferpfad entlang wallte, trug elegisch auf die Schutter fallendes Haar und ein Koffer- chen voll herrlichster Stullen. Sie sprach sanft, wenn sie sprach, und wenn sie schwieg, so sprach ihre Anmut für sie. Ich hätte in eine poetische Stimmung verfallen und das Gasthaus übersehen müssen, das mittewegs am See, teilweise wie über dem See steht. Keinesfalls sollte ich die Stufen zu der großen Ritterhall« so rasch emporgestiegen sein, allwo man auf drei Seiten den See erglänzen sieht, und hinten, auf der vierten, die B i e r g l ä s e r. Aber was ich dann tat, war einfach unverzeihlich. Es ist die eine schandvolle. niedrig« Handlung, mit der ich in dieser Stadt, die mich zwei Jahr« beherbergt, mein Gewisien belastet habe. Ohne dl« Stullen berührt zu haben, in schweigendem Ver- lunkensein schritten wir bald darauf dem See-Ende zu, wo nichts den Frühlingsschmuck angelegt� hat, außer den Trauerweiden. Der Frühlingsausslug hatte ein jähes, unerwartetes Ende genommen. Warum'? Oh. daß ich mich soweit vergessen konnte! Beim Kellner im Rittersaal, wo eine Pauke steht, als er nach unseren Wünschen fragte, bestellte ich(Barbar) was denken Sie? eine Molle und eine Tasse Kaffee. Ich hätte einen Fünf-Liter-Topp Kaffee bestellen müssen. Sonst nichts. Leider habe ich keinen Sinn für die Frühlingsträumereien romantischer Berlinerinnen. Eine
Tasse Kaffee, da» zieht ledes Atom von Poesie aus der Landschaft, und eine Molle entheiligt sie vollends, Eine mächtige Kaffeekanne imI r ü n e n", das macht den Frühling zum Frühling, den Mea- schen zum Menschen. Warum ist mir die Kaffeekanne nicht eingefallen! Dos Fräulein sagte kein Wort der Klage, sie meinte nur, persönlich mache ich nicht denselben Eindruck als durch meine Schriften. Oh Frühling! Oh Kaffeekanne! Eines blüht doch: das Geschäft. Zu Hause lag ein R o h r p o st b r i e f. Noch vor Torschluß war ich bei dem großen spanischen   Tenor es handelte sich um wichtige Geschäfte. Bald werde ich auf Zeitungshonorare nicht mehr angewiesen sein. Der Mann bietet mir an. sein Jmvresario zu werden. Wir reisen von Kurort zu Kurort, von Grand Hotel zu Grand Hotel. Ich werde die Frühlingstourneen festlegen, Geld ein- streichen, Geld auszahlen, alles liegt in meiner Hand. Ich werde vornehm gekleidet gehen, und auf Gänsebraten wie auf falschen Hasen herabblicken. Der große Tenor ist glücklich, einen Mann wie mich ge- funden zu haben. Monsieur", sagte ich bescheiden,aber ich bitte sehr, mein Herr, ich schätze mich gar nicht so hoch ein." Und nun nun soll ich vorläusig erst ein paar Briefe über- setzen. Englische, französische, deutsche: auf Engagement abzielende Agentenbriefe, die dahin und dorthin gehen, eh wir selbst da» tun. 20 Briefe: was verlangen Sie dafür, cber arni?" Ach Gott  , irgend etwas" sagte ich,30 Mark, wenn Sie wollen." Der Tenor lächelte wohltönend:Dreißig?"
Na also zwanzig" sagte ich.da wir doch auf große Geschäfte aus sind" Ich ging in Anbetracht meiner großen Zukunft bis auf fünf- zehn Mark herab, dann drückte mich der Tenor bis auf acht her- unter und gab mir drei. Er sieht nur wie ein Tenor aus, dieser Adonis  , dazu machen muß ich ihn erst: dann blüht der Geschäfts- frühling. Der Frühlingsbote. Tach Hein", sagte er und reichte mir die Hand,sehe ick dir ooch mal wieder?" Cr ist sechs Jahre alt. Er war aus der Peripherie der Stadt bis zum Kohlenkeller unten im Hause hergetippelt. SeinenFreund", den Kohlenhändler, zu besuchen, der öfter in seines Vaters Cxpe- ditionsgeschäft zu tun hat. Er war, ohne ein Wort zu sagen, zwei Stunden auf seinen kleinen Beinchen zu uns hergetippelt. Jetzt sitzt er mit dem Kohlenhändler am Biertisch wie ein Großer, spricht wie ein Großer und unterhält durch seine drastischen Redewendungen das ganze Lokal. Er ist fabelhaft, unerreicht in seiner jugendlichen Selbständigkeit. Er ist das Berlinerischste von Berliner   Frühlings- pflänzchen. Tach Maxe", sagte ich,du, ja du hast den Frühling im Leibe, kleener Sttopp." Und ich fühlte mich mehr frllhlingsberührt als den ganzen Tag über. Zumal ordentlich geheizt war im Lokal. 8. Tja, jetzt, da ich diese verfehlte Reportage über einen Frühling abliefere, der nicht da ist, strahlt er auch mit höhnischer Wärme und ich suche mit einem Bleistift wieder aufs Land nach einer, hoffen wir, glücklicheren Reportage.
Und trotzdem vorwärts? Henry Ford   persönlich unter Mitwirkung von Samuel Crowther
Der Prophet von Detroit  -Dearborn  , gleichzeitig reichster Mann von USA.  , hat ein nenues Buch") geschrieben, fünf Jahre nach der Veröffentlichung vonM ein LebeN und Werk", welches er 1925 dem staunenden Europa   vorlegte. Damals begannen wir mit unserer Rationalisierung undFordisierung", für viele war das Ford-Buch die Bibel, aus der sich klipp und klar ergab, daß damit auch für uns bessere Zeiten kommen würden. Wenn heute im Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise   Ford sich veranlaßt fühlt, unter dem MottoUnd trotzdem vorwärts" wieder das Wort zu ergreifen, so sind wir mit Recht gespannt zu erfahren, welch« Lösungen Henry Ford   vorschlägt. Zumal aus der Umschlag- feite zu lesen ist:Es verkündet klar und ehern die Gesetze einer kommenden Wirtschaftsordnung, die sich nicht aufhalten lassen wird." Vergegenwärtigen wir uns zunächst die tatsächliche Lage der Ford-Werk« in der Gegenwart und ihre Stellung inner- halb der amerikanischen   Wictschastskrif«. Der Verfasser hatte Ge- legenheit, letzten Herbst die Fordschen Betriebe in Detroit   zu be- suchen. Ansang Oktober 1930 mußte mit der dreitägigen Kurzarbeit begonnen werden, nachdem schon die ganze Zeit vorher Absatz- mangel zur4- T a g e- W o ch e" gezwungen hatte. Ohne irgendwelchen Lohnausgleich wohlgemerkt. Diese Arbeitsstreckung hatte jedoch noch nicht einmal die Aufrechterhaltung d�r Beleg- schaftsziffer ermöglicht. Von IIS 000 vor dem Krach vom Herbst 1929 sank die Zahl der Beschäftigten innerhalb eines Jahres auf etwa 70 00 0. Und alles das nicht lange nach der großen fünf- monatigen Reorganisation und Umstellung auf das bedeutend ver- besserte Modell A. Im Jahre 1930 ging der Absatz an Ford- Wagen um 20 Proz.(rund 2S4 000 Wagen) gegenüber dem Vorjahr zurück. Daraus ergibt sich zunächst einmal mit unwiderleglicher Klar- heit, daß das Ford-System mitten in den Strudel der Krise hinein- gerissen wurde, Zehntausende von Arbeitern mußten entlassen wer- den, bei Ford ebensogut wie bei den anderen Autornobilkonzernen. Viel schlimmer ist aber folgendes: Dem New-Porker Börsen- krach vom Oktober 1929, der in USA  . die große Krise für den außenstehenden Betrachter so dramatisch einleitete, war seit Juli bereits ein auffallendes Sinken der Automobilproduktion und im Verein damit der Stahlerzeugung vorausgegangen. Mit anderen Worten, die U e b e r p r o d u k t i o n bei Ford und General Motors   war schlimmer als auf allen anderen Gebieten, sie gab das eigentliche Sturmsignal, die Automobilindustrie marschierte an der Spitze andere mit sich reißend in die Krise. Und zwar weil der große General-Motor-Trust mit seinem Chevrolet-Wagen auch zutttF o r d- S y st e m", d. h. zu seinen Methoden von Pro- duktion und Absatz, übergegangen war. Ohne diese Tatsachen zu kennen, hat es überhaupt keinen Sinn, an die Kritik des Fordschen Buches heranzugehen. Sie sprechen eine lebendigere und schärfere Sprache der Kritik, als Worte dies tun könnten. Je weiter man in dem Buch vordringt, eine Rechtfertigung der früheren Ideen Fords gegenüber der vernichtenden Wirklichkeit erwartend, um so bedrückter wird einem zu Mute. Das Ganze stellt sich als weiter nichts als eine variierte Wiederholung des Buches von 192S heraus, kein einziger neuer wegweisen- der Gedanke ist darin zu finden, nur erst blumenreich umschrieben und schließlich wörtlich wiederholt sein altes Glaubensbekenntnis: 1. Keine Furcht vor der Zukunft.... 2. Mißachtung der Kon- kurrenz... 3. Dienftteistung dem Nutzen voranstellen. j usw." Er- gebni» daraus: weiterer Konkurrenzkampf bis aufs Messer., Hören wir Fords persönliche Aeußerungen zu einigen Gegen- fragen. Zur Arbeitslosigkeit bemerkt er:Für jeden ist Arbeit in Fülle vorhanden.... Arbett ist stets vorhanden, aber worauf die Menschen warten, das ist Anstellung." Demzufolge wendet er sich auch gegen die Notstandsarbeiten von Staat und Ge- meinde:Die Beschäftigung von Menschen mtt nutzlosen Aufgaben schafft nur«inen schlimmeren Zustand als jenen, den wir zu ver- meiden, suchen. Zweifellos ist es billiger, einer Notlage du.ch Al- mosen in irgendeiner Form abzuhelfen, als Almosen unter der Maske der Arbeit auszustellen. Beide» jedoch ist unnötig." Ein anderes Mal bekennt er offen:Unsere Generation hat wenig
*)Und trotzdem vorwärts." Von Henry Ford  : unter Mitwirkung von Samuel Crowther(Paul List Verlag  , Leipzig  .
Entschuldigungsgründe für die sogenannten schweren Zeiten. Für äußer st e Armut gibt es überhaupt kein« Ent- schuldigung." Darum also sind Almosen öffentlich« Er- werbslosenunterstützung gibt es in USA  . sowieso nicht nach Henry Fords   Ansicht also ebensounnötig" wie Notstandsarbeiten. Wir wollen nicht unerwähnt lassen, daß die Ausführungen Fords über die technische Vervollkommnung der Massenproduktion, über die Fortschritt« in der Anwendung der Präzisionsmechanik und die damit verbundene qualitative Hebung der Massenproduktion so- wie über die Automatisiening oder Halbautomatisierung mancher Arbeitsgriffe recht interessant zu lesen sind. Alle Achtung vor dem Techniker Ford wenn nur seine volkswirkschaftlichen Grundsätze ebenso präzis konstruiert wären wie seine Auto- mobile! Wir wallen bei alledem nicht vergessen, daß Ford der fort- schrittlichste Vertreter de» amerikanischen Kapitalismus ist. Er sieht, daß das Grundübel in der zu niedrigen Kaufkraft der Massen und einer zu willkürlichen Verteilung der Produktion besteht. Er sagt an einer Stelle z. B.:Falls jedoch keine hohe» Löhne gezahlt werden und kein zunehmender Druck nach immer höheren Löhnen besteht, dann kann der Warenbestand nicht auf- genommen werden und der Antrieb zur Produktion fällt weg." Freilich zahlt er seine für ungelernte Arbeiter relativ hohen Löhne hauptsächlich nicht aus dieseni theoretischen, sondern aus einem anderen, praktischen Grunde. Die feingegliederte, hochorganisierte Fließband- und Kettenproduktion würde unmöglich und unwirtschaftlich werden, wenn der Arbeiterwechsel so hoch ist, wie er es Int Anfang der Fordproduktion war. Das führte Ford inMein Leben und Werk" selbst aus. Weiterhin ist in Amerika  das Wegbleiben von der Arbeit für einen Tag eine sehr häufige Erscheinung. Die Fordfabrikation kann aber nur bei äußerster Arbeitsdisziplin existieren. Der hohe Lohn ist gewissermaßen eine Prämie, ein Anreiz dafür. Wer dagegen ohne sehr tristigen Grund verstößt, wird wie in Amerika   üblich fristlos entlassen. Ebenso wer versucht, eine gewerkschaftlich« Organisation in den Fordbetrieben aufzubauen. Ford ist so naiv, zu behaupten, daßseine Leute" selber gar kein Interesse daran hätte». Daß der Mehrwert aus dem Fordschen Wirtschaftssystem nicht verschwunden ist, bestätigt Ford mit folgenden Worten:Wir sind stets die Gewinner, sobald die Leute die höchsten Raten, die wir bezahlen können, sich zu verdienen vermögen. Es ist ein Unglück(für H- Ford der Ref.), daß nicht alle Arbeiter das wollen oder können." Dieser Sag sollte als Motto am Anfang des Buches stehen. Wo der Mehrwert nicht verschwunden ist, bleibt das kapitali- stisch« Wirtschaftssysteni und die dazu gnhörigen Wirtschaftskrisen. Warum ist trotz der relativ hohen Löhne und Kaufkraft breiter Arbeiterschichten die Krise in USA  . so heftig und anhaltend in ihrer Wirkung'? Di« Antwort mag paradox klingen: Die hohen Löhne zur Zeit derprosperitz-", der Wirtschaftsblüte, veranlassen die immer stärkere Verbreitung der Krisenauswirkungen, sobald die Krise einmal eingesetzt hat. Wir erinnern uns, daß allein bei Ford 40 000 Arbeiter mit hohen Durchschnittslöhnen arbeitslos wurden. Der Ausfall ihrer Kaufkraft wiegt weit schwerer als der Ausfall der Kaufkraft schlecht entlohnter Arbeiter. Die letzteren besitzen sowieso sehr wenig und konnten sich auch nie ein Auto, auch nicht aus Ab Zahlung, leisten. Die Arbeitslosen Henry Fords   jedoch mußten ihre auf Abzahlung gekaufen Autos, Häuser und Radioapparate zurück­geben, als sie den Verdienst verloren. Ford sieht in seinem Buch an diesen absichtlich vorbei. An die Stelle von Beweisen setzt er leere Behauptungen, die in jedem Kapitel wiederholt werden, wie z. B.:In unserem Lande kämpft tatsächlich niemand niehr bloß um da» nackt« Leben." Schließlich sucht er die Verantwortung für die Wirt- schastskrise von den Wirtschaftssllhrern überhaupt abzuwälzen, indem er einfach erklärt, die Leute hätten leider in guten Zeiten übertrieben viel eingekauft, nun hätten sie eben gar keine Mittel mehr. So gelangt er zu der Weisheit letztem Schluß:Letzten Endes hängt die richtige Leitung des Landes von jedem einzelnen Haushalt ab." Dieses von gelstreich klingenden Oberflächlichketten angefüllte Buch mag der Psyche des amerikanischen   Durchschnittsbürgers, des Bewohners von S. LewisHauptstraße", angepaßt sein, dem kritisch 'denkenden Europäer jedoch ist es eine Enttäuschung, und er muß über die neue Heilslehre verwundert den Kopf schütteln. Dr. Klein.