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Kr. 208 45. jotrgang �0 Mitw-ch. 6. Mai 4SZt

Unbekannter Osten Friedliches Wandern an Seen, die niemand kennt

Nahe bei Berlin gibt e? Talzüge, Seenketten, hüglige Wälder. die fast unbekannt sind, obwohl sie an Ursprünglichkeit und echtem Tierweltmilieu Gebiete, die alsschön" anerkannt sind, weit über- treffen. Es geht heute nach Hönow und Mehrow, zwei Dörfer nörd- lich von Mahlsdorf-Kaulsdorf. Die Autobuslinie 39, die von dem Unte-grundbahnhof Lichtenberg -Fricdrichsfelde kommt, endet kurz vor Hönow -Süd. Ein kurzer Chausseeweg sührt hinein nach Hönow , einem Dorf wie tausend andere märkische Dörfer, charakteristisch durch die Stillosigkeit der Einzelbauten und das Aneinanderreihen der Gehöfte an der Landstraße. Kurz vor Hönow zur Rechten weioenumstandene Teiche, der Barsch- und Hechtsee. Zur Linken beginnt eine schmale gewundene Seenkette, die hier der Landschaft das Gepräge gibt. Das Hönower Gut, im Jugendstil erbaut, trägt nicht zur Berschönerung bei. Hinter dem

Erdwege, bebuschte Böschungen: in ihnen allen lebt urwüchsige Schönheit, die sich dem Suchenden offenbart. Vereinsamt ragen an einer Kiefernwaldschneis« Fichten hervor mit ihrem hohen dunklen Geäst. Krähen durchschweben spähend die Aecker. Wo der Haussee zu Ende ist, beginnt die Kette anderer Teiche, anderer Tüm- pel. Gestutzte Weiden und Erlen knospen, schräg zieht sich eine Doppelreihe Kastanien hin. Am Nordrande Hönows«in junger Birtenschlag inmitten durchforsteter Kiefern, Akazienstämme am Wege leuchten in ihrer gelbgrünen Rinde. Parzellierungsgelände > schneidet in die Eben«, man sieht es, aber schaut es nicht an. Wieder geht es am Ende der Teichkette auf die Chaussee, nach Mehrow zu. Der Wala tritt zurück, Baumkronenreihen verraten tieferliegende Straßen, die auch nach Mehrow führen. Weite grüne Saatflächen leiten zum Watdsaum, dazwischen ragen umgepflügte Erdstreifen. Wo das Auge keine Grenze durch irgendwelchen Hintergrund findet, da hebt sich der Kopf unwillkürlich. Der Kampf, das Gejag« der Wolken wird Blickpunkt. Von der Ebene ist dann nur noch ein schmaler Streifen sichtbar, well der Begriff der Weite, der Un- endlichkeit erschaut, erlebt wird. Der Horizont wird enger, Mehrow taucht auf. Bauernhäuser gruppieren sich entlang der Straße um den Dorfteich, niedrige, lang- gest. eckte rote Ziegelbauten beherrschen das Dorfbild. Ein Schorn- stein ragt aus einem Ziegelklotz hervor, aus einem Dickicht leuchten fast phosphoreszierend olivgrün die Stämme junger Akazien, schlank

Alte Weide am Hechtsee.

Gut führt ein Weg an der Kirchmauer entlang herunter zum Hausse« Die Hönower sind recht praktisch, denn einige alte Grab st«ine sind mit in die Feldfteinmauer eingelassem Das gleiche bezeugen einige Verbottafeln, die völlig unangebracht sind. Ein schmaler Fußpfad zieht sich am Haussee entlang, der durch seine Biegungen ständig Neues erschauen läßt. Eine abbröckelnde Mauer, der Widerschein der Erlen im Wasser, der durch schwache Wind- wellen ins Schwingen gebracht wird, abgesackt« Kähne, empor- steilende Pappeln, sanfte Höhenkurven der Ebene, ausgefahrene

stemmt sich ein Stahlmast, der nachts den Flugzeugen den Weg weist, ins Blau«. Hinter Mehrow wieder Accker, einige frisch ge- pflügt, den Erdschollen haftet noch der metallglänzende Schnitt der Pflugschar an. Gefällte Kastanien liegen zersägt aufeinander, das Geäst birgt knotige Zweigsormen mit dicken braunen Knospen. Man muß geruhsam, bedächtig wandern, muß Zeit haben, Be» sondere- zu beobachten, einem Lerchentriller, dem Zwiegespräch eines Finkenpärchens zu lauschen. So wird auch das Ohr der Wanderung teilhaftig. Es kommt ja nicht darauf an, baedekerartig die Orte, die Besonderheiten nach ein, zwei und drei Sternen zu gruppieren und danach zu wandern. Dielleicht werden noch ge- nauestens die Punkte angegeben, von denen man die schönste Aus- ficht genießen kann. Aber das ist kein echtes, schlichtes Wandern, sondern nur ein Dagewesensein. Allzu überschwengliche Naturschwärmerei muß vermieden wer- den, das Schöne soll auch im Einfachen, Unkomplizierten gefunoen werden. Es hängt viel ab von der persönlichen Einstellung. Eine Fabrikfassade irgendwo paßt sich in ihrem Farbton, in ihrem breit angelegten Bau organisch der Eben« an, der in der Fabrik Beschäf- tigte jedoch wirb den Bau hasien können. Der Landstrich Hönow-Mehrow ist kein typisches Wandergebiet. Nicht oft kommt ein Fremder dorthin zu den Dörfern am Rande Verlins. Gerade deswegen kann man hier in Ruhe wandern und sehen. Die Kette der Teiche, die grünen gewölbten Saatflächen, die jungen Wälder hier ergeben eine besondere Note der Landschaft: die Well« des Abseitsliegenden. Von Mehrow führt ein fester Feldweg nach Eiche, in dem nahen Marzahn hat man Anschluß an die Omnibuslinie 37, die den Wan- derer für 40 Pf.(Eisenbahnumsteigefahrscheln) über Biesdorf wieder in das Getriebe der Großstadt führt. Von Eiche über Ahrensfelde kommt man nach Falkenberg , auch von dort geht eine Omnibus- linie(A 40) nach Berlin-Weißensee (Buschallee).

Todesstrafe gegen Urban beantragt. Der Staatsanwalt glaubt nicht an die Darstellung des Täters.

Staatsanwalt Ortmann beantragte nach längeren Ausführungen gegen den Artisten Karl Urban, der am 20. Januar d. I. den Geschäftsführer des Mercedes - Palastes Ernst Schmoller getötet hat, wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub mit Todesersolg die Todesstrafe und den dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte» wegen unbefugten Waffenbesitzes ein Jahr Gefängnis. * Die Nachmittagsverhandlung gestaltet« sich nur sehr kurz und brachte im Gegensatz zum Lokaltermin keine neuen Gesichtspunkte zur Beurteilung der Tat. Kriminalkommissar Müller schilderte, unter welchen Umständen Urban fein Geständnis abgelegt hat. Er wußte, daß er einer Mvrdbefchuldigung gegenübersteht: er hatte auch die rechtliche Belehrung über die Folgen einer Mordanklage erhalten. Der Kriminalkommissar ist der Ansicht, daß Urban sein« Aussage entsprechend eingerichtet habe: es fei ihm deshalb in dieser Hinsicht nicht ganz zu trauen. So der Kriminalkommissar begreiflich, aber wenig überzeugend. JnteresiaMer war schon das Gutachten des Sachverständigen, des Medizinalrals Dr. D y r e n f u r t h. Urban, erklärt« er, sei im Grunde kein roher Mensch, eher ein weicher Charakter; allerdings konnte er auch mitunter brutal sein. Als psychopathtfcher Alkoholiker ist er Schwankungen ausgesetzt. Verschiedene Ein- zelheiten seiner Tot mag er wohl vergesien haben, sie können seinem Gedächtnis entschwunden sein angesichts der zermürbendeb Wirksamkell des Affekts. Es fei nicht Aufgabe des Sachoerstän.

digen, zu entscheiden, ob die vom Angeklagten gegeben« Darstellung richtig sei. Sollle sie stimmen, so würde man anerkennen müssen, daß bei einer Persönlichkell, wie Urban sie nun einmal ist. das heißt bei einem in seinem Benehmen schwankenden Alkoholiker, gelegentlich ein Versagen der Nerven gegenüber einer neuen Slluation vorkommen kann. Die Beweisaufnahm« ist geschlossen: Staatsanwalt Ortmann er- Hält das Wort zu seinem Plädoyer. Er sagt unter anderem: Selbst wenn es stimmen sollte, was der Angellagte von seiner Absicht erzählt, Sllbermann eineArtisteuohrfeige" zu verabfolgen, sv würde das von gefühlloser und gemeiner Gesinnung zeugen. Seme Erzählung stimmt aber nicht. Cr will hier dem Gericht ein Märchen aufbinden, um sein« Tat in milderem Lichte erscheinen zu lassen, um sie als gewöhnlichen Raub hinzustellen. Es ist erwiesen, tast Urban sich ständig in Geldverlegenheft befand, daß er flch unbedingt Geldmittel verschaffen mußte. Und so war er ausgegangen, um zu Geld zu kommen. Er hat den Revolver mit­genommen, weil er von vornherein die Absicht hatte, von ihm Gebrauch zu machen. Sofort nach Antritt in das Büro fiel der tödliche Schuß. Urban Hot den Mordplan vorbereitet und in die Tat umgesetzt. Rechtsanwalt Dr. Frey widersprach äußerst energisch der Argumentation und dem Antrag« des Staatsanwalts. Er versuHte den Nachweis zu erbringen, daß von einem Mordplan keine Red« sein könne und daß der Tod des Schmoller von dem Ange- klagten weder gewollt noch beabsichtigt war. Der Angeklagte nahm den Antrag des Staatsanwalls voll- kommen ruhig entgegen. Die Berkündung des Urteils findet heute um HIS Uhr statt.

ÄS. Roman aus dem Ungarischen von Alexander von S« c b e r Masoch- Er träufelte irgendein dampfendes, stark duftendes Ge- tränk einen Tfchaj oder Punsch vermutlich in sein Glas. aus einer Maschine, die in der Mitte des Tisches stand. Auch das war so ein seltsames Gerät wie alle Gegen- stände der Komödianten. Es war aus Kupfer und stellte eine Kreuzspinne dar und ringsum liefen die Spinnenfüße in kleine Hähne aus, aus diesen rann das Getränk. Unter dem bauchi- gen Behälter brannte eine blaue Flamme, der Rücken der Spinne war abnehmbar, und hier wurden die nötigen Zutaten eingesüllt. Eine wahrhaft königliche Unterhaltung entstand. Mister Jack, der für meinen Bater und meine Mutter den Dolmetsch machte, kam nicht mehr mit. So suchte mein Vater seine mangelhaften Sprachkenntnisse hervor, die Komödianten ver- suchten sich in schrecklichem Ungarisch, redeten mit Händen und Füßen, sagten einander unverstandere Grobhetten und nickten sich freundlich zu. Aber der gute Wille vermag alles. Es war schon sehr spät, als wir mit meiner Mutter heimgingen, und wir spürten an ihrer guten Laune, daß sie uns fast dankbar war, da sie durch uns ein wenig Freude erlangt hatte in ihrem traurigen Leben. Meinen Vater hiesten die Komödianten noch fest. Irgendwann in der Morgendämmerung vernahm ich im Halbschlaf aus dem anderen Zimmer, wo mein Vater schlief, sein Gebrumm und auch Mister Jacks Stimme. Anscheinend hatte er meinen Vater heimgebracht und auch entkleidet. Er mochte sich nach Herzenslust amüsiert haben. Mit einem Wort. die Freundschaft war nicht nur unter uns, sondern auch zwischen den Eltern mit den Komödianten geschlossen. Ich glaube, sie hatten meines Vaters Entgegenkommen schon jetzt reichlich erwidert. Meine Schwester und ich waren am folgenden und auch am dritten Tage bei Freddy zum Dominospiel und Kaffee.

Ja, selbst mein Vater ließ sich neuerdings öfter von Mister Jack überreden, dort einen Abendtrunk zu nehmen. Meine arme Mutter freut« sich über unsere Zerstreuung und Haupt- sächlich über meines Vaters Gemütsumschwung. Tatsächlich schien es, als hätte mein Vater etwas von Mister Jacks Laune übernommen. Er war kaum reizbar, ja, er spaßte manchmal. Und man mußte hören, wie er jetzt von den Komödianten sprach! Vergessend, daß in seinem Munde früher.Land- streicher" für sie die mildeste Bezeichnung war. Aber mit alldem zogen wir uns vor allem den Neid und die Mißgunst der Schneidersleute zu. Denn nicht genug, daß sie sich ihr Zimmer von den Ko- mödianten doppelt bezahlen ließen, preßten sie sie nach allen Richtungen hin aus. So daß die Direttorsleute, nachdem sie unsere Nachbarn, besonders die Frau, bald erkannt hatten, sich sowest als möglich von ihnen zurückzogen. Die Schneidersfrau kam täglich zu uns herüber, um gegen die Komödianten zu geifern und zu Hetzen, aber sie fand nicht viel Anklang, weder bei meiner Mutter, noch bei meinem Vater. Das reizte sie nur noch mehr, und jetzt wurden auch wir außer den Komödianten die Zielscheibe ihres Klatsches. So. daß wir in der Nachbarschaft bald in den Verruf gerieten, Freunde und Schmarotzer der Gaukler zu sein. Diese Nachrede wirkte sich natürlich auch auf meine Schwester und mich aus in der kleinen Well der Nachbartinder. Freddy und die kleinen Signorinas kümmerten sich gar nicht um andere Kinder. Die Kinder hingegen verspotteten mich und meine Schwester, wo sie uns trafen, wegen unserer Freundschaft mit den Komödianten. Wir waren jedoch nur stolz und glücklich darüber. Dreizehntes Kapitel, das eine Unglückszahl ist, wie bekannt. Auch diesmal macht sie sich peinlich femerkbar und gebiert eine kolossale, aber unfruchtbare Idee. Eines Tages klärte sich das Wetter. Es klärte sich schon in der Dämmerung. Nach so viel oerregneten, bedrückten Tagen war die untergehende Sonne in ihrem goldenen Leuchten so glücklich, so gesegnet zwischen den bunt geschmückten Wolkenteilchen wie eine soeben erblühte Blume. In der Morgendämmerung des nächsten Tages aber kam der Frost, Nebel fiel und es fror. Gegen Mlltag begann schneidender Wind zu blasen. Es mochte ein paar Tage vor Allerheiligen sein.

Als ich gegen Mittag von der Schule heimkam, lief ich in die Nachbarschaft hinüber. Im Nachbardorf traf ich die ganze Künsllergesellschaft. die Misters und Signores Sie beratschlagten auf dem Hose und ich hatte den Eindruck, als debattterten sie heftiger als sonst. Es war für mich überraschend, daß weder Mister Jacks komische Gesten, noch des Herrn Direktors gemessene Sprache Aufmerkfamkest erziellen, während bei einem erregten Zwischenruf Freddys plötzlich alle verstummten. Ich konnte Freddys Worte nicht verstehen, entnahm jedoch leicht aus seinem Gesichtsausdruck und seinen Bewegungen, was er meinte. Zweifellos hatte er Bedenken. Wie er in seinem dünnen Trikot mit erstarrten Fingern hoch oben auf den Stricken tur- nen würde, um beim Abschwung im schneidenden Wind die rettende Hand zu ergreifen. Auf seine Worte entstand große Niedergeschlagenhell bei der ganzen Gesellschaft. Meine Schwester kam mir nach, um mich zum Essen zu rufen, aber ich erfuhr noch, daß die Komödianten sich dennoch zur Borstellung entschlossen, und zwar auf Zureden der Signores. Meine Schwester und ich besaßen Eintrittskarten und hatten große Lust, hinzugehen, aber meine Mutter und mein Vater wollten diesmal nichts davon wissen. Und auch Mister Jack holte uns nicht, als hätte er geahnt, daß es sich nicht lohnte, die Erlaubnis durchzusetzen. Gerade von Mister Jack hörte ich nächsten Vormlltag, wie er, von der Kamelfütterung kommend, meinem Vater erzählte, daß die Aufführung mit einem vollständigen Mißerfolg endete. Er erklärte noch, es sei ihr Glück, daß die Signores nach Auf- tritten bezahll würden, sonst würden sie den Herrn Direktor ruinieren. So drängten natürlich sie am meisten zu wetteren Vorstellungen. Natürlich", sagte er,der Signore Robelly anzieht die Sweater und Iockeibluse, er nicht friert und auch die Akrobat. Auch ich als Clown Hab Kleider, ich anziehn Pelzleibchen und tanzen vor verehrtem Publikum, wenn Schnee. Aber fliegen! Das schlecht, schlecht, fürchterlich, schrecklich! Der Kleine, der Freddy, das unmöglich. Der krepieren, wenn noch einmal fliegt. Adieu Hippodrom, mein Herr!" Und was wird jetzt aus Ihnen?" fragte mein Vater. (Fortsetzung folgt.)