Nr. 218» 48. Jahrgang
± Beilage des Vorwärts
Dienstag, 12. Mai 1981
Bauausstellung gut besucht Die Liliputbahn dampft um das große Freigelände.
Die am Sonnahendoor mittag eröffnete Deutsche Bauausstellung mar von den ersten Stunden an außerordentlich gut ix?- sucht. Vor allem am vergangenen Sonntag war die Messestadt das Ziel von Tausenden Berlinern. Der starke Besuch ist ein Be- roeis für das große Interesse, das alle Be- völkerungsschiditen an dieser Riesenausstellung nehmen. Die ungünstige Witterung der letzten Tage konnte dem Besuch keinen Abbruch tun. Eine begrüß ensrverte Erleichterung für die Ausstellungsbesucher ist die Liliputbahn. Wer vom Besuch der weitläufigen acht Hallen etwas ermüdet ist, setzt sich in die überdachten Wagen dieser sehenswerten„Kleinbahn" und fährt rings um das 70 000 qm große Freigelände. Der Hauptbahnhof der 1600 m langen Strecke befindet sich unmittelbar hinter dem deutschen Dorf". Der Weg führt zuerst an der Abteilung„Ländlicher Siedlungsbau" vorbei, überquert dann die interessante Ver- suchsstraße der Beratungsstelle für Teer- straßenbau; dann geht es im großen Bogen um den Zementhof. Von hier aus geht es an monumentalen Baumaschinen modernster Konstruktion vorbei, wo der Besucher erst den richtigen Eindruck erhält, wie klein das Zügle ist, mit dem er um die Ausstellung fährt. Wenn die Maschinen vorüber sind, taucht wieder eine ganze Siedlung von schmucken Kleinhäusern und landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden auf, bis die Bahn unter den Baumwipfeln eines Grunewaldzipfels verschwindet. Schließlich geht es in weitem Bogen noch einmal um das
Die Liliputbahn auf„großer4' Fahrt. ganze Freigelinde, wo kurz vor dem Musterfriedhof die Endstation ist. Schon die flüchtigen Eindrücke, die eine Fahrt mit der Liliputbahn vermittelt, sind grandios. Die. Bahn ist eines Sondererfolges sicher.
DerSturm auf den Eöen-Palasi Endlich die Plädoyers. Der endlose Prozeß Stief und Genossen nähert sich nun doch seinem Ende. Nach der stürmischen Freitagsitzung, mit der für diese Verhandlung völlig belanglosen Vernehmung der Herren Hitler . Stennes und We tz e l, ging es gestern sehr ruhig zu. Die Parteien schafften noch einige Zeugen herbei. Dann erhiell der Staatsanwalt S t e n i g das Wort zu einem dreistündigen Plädoyer, ta dem er die Schuld sämtlicher vier Angeklagten fest- ft KIte; er hielt es für erwiesen, daß ine Angeklagten Stieß und Wese- tn�'nn geschossen haben. Zu den Sträfanträgen kam es jedoch noch' nicht; Staatsanrvaltschastsrat Etenig fährt mst seinem Plädoyer heute fort. Ein heitererZwischenfall darf nicht unerwähnt bleiben. Der speziell für den Zeugen Hitler in der Freitagsitzung als Ofsizial- Verteidiger des Angeklagten Berlich eingesprungene Rechtsanwall Dr. Kamecke mußte gestern für einige Zeit der Verhandlung fern bleiben. Der Vorsitzende übertrug deshalb dem Rechtsanwalt Dr. Becker, der die übrigen drei Angeklagten verteidigt, auch die Verteidigung des Angeklagten Berlich, woraus Rechtsanwalt Dr. Becker erklärte: Nach der Ehrabschneiderei, die mir nach der Freitagsitzung im„A n- griff" zuteil geworden ist, mühte ich eigentlich darauf verzichten, hier als Offizialverteidiger des Angeklagten Berlich zu fungieren. Im
Interesse der Sache werde ich es aber nicht tun." Der„Angriff" hatte nämlich den Rechtsanwalt Dr. Becker wegen seiner peinlichen Fragen an den Zeugen Hitler als„Stennes-Mann" gebrandmarkt. Die Karriere des Rechtsanwalts Becker als Verteidiger der SA. - Leute scheint demnach zu Ende zu sein...
Venzinexplosion in Tempelhof . Hausangestellte schwer verletzt. Zu der Wohnung des Dr. Zur. F. Zefinghaus In der Äer tiner Straße 23 in Tempelhof ereignete sich gestern mchmUlag eine folgenschwere Benzin- und Gasexplosion, wo-. durch die Meter des Hauses in große Aufregung versetzt wurden.. In der Küche der Wohnung war gegen 17 Uhr die 26jährige Hausangestellte Liesbech Sprott mit dem Reinigen von Kleidungsstücken beschäftigt, wozu sie Benzin verwandte. In kurzer Zeit sammellen sich in dem Raum Benzindämpfe an, die durch die Flamme des Gaskochers zur Entzündung gebracht wurden. Unter westhin vernehmbarer Detonation er- folgte«ine außerordentlich heftige Explosion, der unmittelbar darauf auch noch eine kleinere Gasexplosion folgte. Durch den Luftdruck wurden mehrere Wände zum Ein stürz gebracht und die Fensterscheiben zertrümmert. Die Decken der unter dem
Explosionsherd liegenden Wohnung im 2. Stockwerk wurden so stark erschüttert, daß ein Einsturz befürchtet wurde. Die Hausangestellte mußte mit erheblichen Verletzungen ins'Tempelhofer St. Josephs- Krankenhaus gebracht werden. Die Feuerwehr war längere Zeit mit dem Forträumen der Trümmer beschäftigt. Schutz den Geldbrieflrägern. Reichspostministerium erläßt verschärfte Bestimmungen. Im Hinblick auf den Geldbriefträgermord in Berlin hat das Reichspostministerium die bestehenden, zur Sicherung der Geld- brief träger erlassenen Diensworschristen verschärst. Bis auf weiteres sollen Postanweisungen an unbekannte, nicht sicher und zuverlässig erscheinende Empfänger in keinem Fall zu- gestellt, sondern zur Abholung gegeben werden. Der bei der Vor- bereitung der Geldzustellung tätige Aufsichtsbeamte hat im Bc- nehmen mit den Geldzustellern festzustellen, welche Postanweisungen von der Zustellung auszuschließen sind. In solchen Fällen soll dem unbekannten Empfänger ein Benachrichtigungszeitel zu- gestellt werden, in dem die Abholung? st elle genau be» zeichnet ist. Der Geldzusteller darf auch bei dieser Gelegen- heit das Zimmer des Untermieters, oder wenn dieser selbst öffnet. die Wohnung nicht betreten. Der Empfänger hat sich bei der Ab- holung des Geldbetrages nach Maßgabe des Vordrucks auf dem Be- nachrichtigungszettel auszuweisen. Postanweisungen, die an fremde Personen in Hotels, G a st- Höfen, Fremdenheimen usw. gerichtet sind, können weiter- hin zugestellt werden, wenn es möglich ist, die Geldbeträge in einem Vorraum oder einem Gemeinschaftszimmer, das ollen Gästen zu- gänglich ist, auszuzahlen. Das Betreten der Einzelzimmer, in denen die Gäste wohnen, ist den Geldzustellern auch weiterhin ausdrücklich verboten. Diese Sicherungsvorschrift bezieht sich natürlich auch auf andere Sendungen, die der Geldzusteller mit sich führt, wie Nachnahmen. Zahlungsanweisungen. Die Erbschaft des Kapitäns. Es war wieder mal nichts mit den Millionen. Breslau . 11. Mai. In dem Mlllionen-Erbschastsprozeß wurde folgendes Urteil verkündet: Die geschiedene Lehrerfrou Schneider wird zu einem Zahr neun Monaten Gefängnis und der Rechtsanwalt und Notar Stiller aus Glatz zu 1 oier Monaten Gesäagaiso erurteilt. Zwei weitere Angeklagte erhielten je vier Monate Gefängnis. Es handelt sich hierbei um eine so abenteuerliche Vorgeschichte, wie sie wohl noch kein deutsches Gericht beschäftigt haben wird. Im Jahre 1639 starb in Paramaribo auf der Insel Surinam der Kapitän König. Im Jahre 1843, vier Jahre nach seinem Tode, wandte sich eine Frau König an das Auswärtige Amt mit der Angabe, der Verstorbene sei ihr Sohn, der als Oderschiffer nach Amerika ausgewandert und seinen Schwager zum Erben seines riesigen Vermögens eingesetzt habe. Dadurch kam die ganze Erbschaftsangelegenheit ins Rollen. In der Folgezeit traten immer wieder Personen an amtliche Stellen heran, mit der Behauptung, Erben des in Surinam Verstorbenen zu sein. Das Testament soll in den Iahren 1839/69 in Breslau ab- Handengekommen sein. Nachdem auch die angeblichen Erben vom Zioilkabinett Kaiser Wilhelm l. einen abschlägigen Bescheid erhalten hatten, ruhte die Angelegenheit etwa seit dem Jahre 1999. Im Jahr« 1929 griffen zwei Breslauer Rechtsanwälte die Sache wieder auf und wandten sich an das Auswärtige Amt, er- hiejt«n aber dort gleichfalls den Bescheid, daß die angeblich« Erb- schaft nicht bestände. Angeblich, um ihr« Forderungen auf die Erb-
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ftom«D 1IU dem Ongeritcbetl ron Alexander Tön Sacher- M noch.
Diese flehenden Worte klangen aus Mister Jacks Mund fast komisch. In der größten Not hörten wir ihn nie anders. als auf jene bitter-fröhliche Art sprechen. Man fühste, daß die Lage Frau Griseldes, seiner Schwester, ihn so sehr erregte und peinigte. Meine Mutter hatte auch sonst ein weiches Herz, das auch ihr vieles Leid nicht verhärten konnte. Wir sahen, daß sie ganz bleich wurde vor Rührung, als sie die traurige Lage Mister Jacks und unserer Freunde vernahm. Plötzlich wandte sie sich an Stelle der Schneiderin an den Schneider: „Also, Herr Nachbar. �nehmen Sie mir's nicht übel, aber ich wundere mich über Sie. Wenn Sie sagen, Sie haben Angst, daß Sie von diesen Leuten die Miete nicht bekommen, warum nehmen Sie ihnen dann das Geld mst Gewast? Wenn sie nicht zahlen, können Sie ihnen immer kündigen. Für diesen Monat haben Sie ihre Gebühr, so viel ich weiß, bereits erhalten. Aber ihnen den letzten Bisten Brot vor dem Munde wegstehlen, das hätte ich von Ihnen nie geglaubt. Und was haben sie Ihnen denn getan, daß Sie sie der Polizei melden wollen? Soviel ich weiß, hatten Sie nur Gutes von den Leuten, solange sie nicht in diese Lage gerieten. Und Sie hören ja, daß sie ihr Engagement erwarten und dann von selbst fortgehen." Der Schneider öffnete und schloß oerlegen den Mund und antwortete nichts. Er wußte gar keine Antwort. Seine Frau begann zornig zu quasteln, aber der Schneider knurrte sie jetzt energisch nieder: „Kusch! Du wagst es auch noch, die Gnädige zu be- leidigen! Sie hat recht. Die find uns bisher auch nichts schuldig geblieben. Mich hetzt ja auch nur diese Verrückte den ganzen Tag gegen sie auf", sagte er zu meiner Mutter und schrie seine Ehehälfte wieder an:„Sosort gibst du ihnen das Geld zurück. Ich will nicht, daß mein Name zum Stadt- gejpräch wird wegen deine« Geizes."
So kam es, daß die Schneiderin Mister Jack das Geld wütend hinwarf und schäumend vor Zorn, heillos fluchend, im Hause oerschwand. Mister Jack drückte meiner Mutter dankbar die Hand. Dann gab er auch dem Schneider die Hand und lud ihn zu einem Gläschen in ihr Zimmer ein. Wir genossen die Autorität durch die Person unserer Mutter hindurch in vollen Zügen, der Erfolg ihres Eingreifens beglückte uns. Wir wären lieber noch länger bei den Komö- dianten geblieben. Aber meine Mutter befahl uns heim. So konnten wir dann bei einem bemerkenswerten Fa- milienereignis zugegen sein. S iebzeh ntes K ap it el,' bringt großes Glück in die Familie des Helden, auch zum Vorteil seiner Freunde. Ueberhaupt erlebte damals das Ansehen unserer Familie und unsere Lebensweise für einige Zeit einen gewaltigen Um- schwung. Unserer früherer, größerer Besitz lag an der Grenze der Stadt. Der Wassergraben einer großen Fabrikanlage trennte ihn von der Landstraße. Einmal, gerade mitten in den Hundstagen, ging ein un- glaublicher Wolkenbruch nieder. Das Unwetter war so ge- wallig, daß— nach dem Bericht meines Vaters— die Blitz- schlüge so über die Straße liefen, wie die Hühner. Unser Kutscher brachte nach dem Gewitter die Nachricht heim, der Blitz habe einen alten, blinden Bettler mst seinem Sohn unter dem großen Maulbeerbaum unweit unseres Hauses erschlagen. Die zwei seien augenblicklich vollständig verkohll, so daß sie zu Asche verfielen, als man sie ausheben wollte. Meine Mutter trug damals gerade an meiner Schwester. Als sie den Bericht des Kutschers hörte, wurde ihr schlecht und so gebar sie meine Schwester früher. Nun aber, unser Kutscher brachte damals noch eine andere Nachricht. Das Hochwasser habe die Schleuse des Grabens durch- brachen und unsere Felder überflutet. Es ruinierte die ganze Maisernte und schleppte kürbisgroße Steine in die Aecker. Das bedeutete einen fertigen Haupttreffer für uns. Mais und Getreide wären vom Gewitter auch so zerstört worden, das Wasser und die Steine vervollständigten nur die Ber- heerung.
Mein Vater forderte auf den Rat eines uns bekannten Advokaten Schadenersatz von der Fabrik für den gesamten Verlust. Die Fabrik wollte nur eine sehr geringe Summe zahlen, also klagte mein Vater. Zur gleichen Zeit jedoch stand mein Vater bereits in Unterhandlung über den Verkauf unserer Felder, im Herbst wurde der Kauf perfekt und da er auch unser Vieh weitergab, vertaufte er auch die stehende Frucht. Jetzt also standen wir im Prozeß� mit der Fabrik. Es war ein langwieriger, nor- maler Prozeß mit Sachverständigengutachten und den üblichen Streckmitteln. Aber in der ersten Instanz behielt die Fabrik recht. Bis dahin kümmerte sich der Käufer nicht weiter um die Sache. Als jedoch die zweite Instanz uns in vollem Maße recht gab, da fiel ihm ein, daß er in jenem Jahr, als der Schaden stattfand, auch die stehende Frucht getauft hatte, der Schadenersatz also ihm zukam. So verklagte er uns noch vor dem Spruch der Kurie auf die Schadenersatzsumme und es gelang ihm auch durchzusetzen, daß die Summe hinterlegt wurde, als wir in der letzten Instanz gewannen. Nun, jetzt begann der zweste, noch verwickeltere und lang- wierigere Prozeß. In der ersten und zweiten Instanz verloren wir auch diesen. Aber unser Rechtsbeistand hielt große Stücke auf die dritte Instanz. In jenen Tagen nun. als das Schicksal die Komödianten so sehr heimsuchte, stand auch unser Haus vor einem Wende- puntt. Wenn wir den Prozeß verloren, dann fraßen die Prozeßkosten unser Haus, das so schon belastet war und wir waren der Willkür Fremder ausgeliefert, Henau so wie die Komödianten. "k Als wir mit meiner Mutter heimkamen, und mit unseren Schulausgaben begannen, trat mein Vater ein. Er setzte sich, wie er war, im Mantel an den Tisch und es schien, daß die Erregung sein Gesicht vollkommen verändert hatte. „Na, Mutter", sagte er,„was glaubst du, was ich bringe?" „Ach. Josef", sagte meine Mutter erbleichend vor Unge- wißheit,„quäle mich nicht, was bringst du?" „Das hier!" sagte mein Vater und legte ein Telegramm auf den Tisch. „Prozeß mit vollem Schadenersatz gewonnen, Brief folgt morgen. Dr. Taub." (Fortsetzung folgt.)