Morgenausgabe
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48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonnabend
16. Mai 1931
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Der Kampf um die Zollunion.
Vor der Ratsentscheidung über das Haager Gutachten.
V. Sch. Genf , 15. Mai. ( Eigenbericht.) Wo soll die österreichisch - deutsche Zollunion zunächst diskutiert werden: In der Europakommission oder im Bölferbundsrat? Ueber diese Frage verhandelt heute nachmittag in einer mehr. stündigen vertraulichen Aussprache im Hotelzimmer Henderson und die großen Vier", das heißt die Außenminister Englands, Frankreichs , Deutschlands und Italiens . Die Bier, von Henderson unterstützt, meinten, daß sowohl aus juristischen Gründen vor allem wegen der bereits vorliegenden Anträge Englands wie auch im Interesse des Prestiges des Bölkerbunds
-
rates dieses Problem
zunächst vor den Raf
gebracht werden müßte. Dr. Curtius widersprach zwar nicht, fündigte aber an, daß er in der für morgen angesetzten allgemeinen Aussprache der Europafommission über die wirtschaftliche Bage natürlich auch den deutsch - österreichischen Plan erwähnen würde. Man erkannte an, daß dies unvermeidlich sei, doch wird Curtius eine Form wählen, die eine sofortige Distuffion dieses Problems im Rahmen der Europafommission nicht erforderlich machen wird. Unter diesen Voraussetzungen fam man dahin überein, die erste wirkliche Diskussion über die Zollunion dem Rat vorzubehalten, der schon in seiner ersten Sizung am Montag über fie beraten wird. Bis dahin hofft man, die Einigung im Rat über die Einholung eines Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofes im Haag durch persönliche Aussprache zwischen den Ministern vorwegnehmen zu können. Denn nach Auffassung der Bölferbundsjuristen fann ein Rechtsgutachten des Haager Gerichtshofes über die Auslegung von Berträgen nur auf Grund eines einstimmigen Ratsbeschlusses eingeholt werden. Noch ist diese Einigung nicht vorhanden. Es heißt, daß Deutschland befürchtet, seine Zustimmung zu einer solchen Lösung würde eine Bertagung aller Zollunionspläne bis zum St. Nimmerleinstag bedeuten. Auch in manchen französischen Kreisen möchte man nach Möglichkeit eine solche Lösung vermeiden, die allzusehr den Charáfter einer großen Probe zwischen der französischen und der deutschen These befäme. Man würde es bei meitem vorziehen, menn man sich überhaupt auf einer ganz anderen Grundlage einigen fönnte, nämlich auf der Grundlage des viel besprochenen,
aber noch sehr vagen
franzöfifchen Gegenproduktes.
Bis gestern lag dieser Gegenentwurf mur in ganz allgemeinen Zügen vor. Inzwischen soll er eine etwas feftere Geftalt an genomen haben und vier Hauptpunkte borsehen:
1. Allgemeine internationale Rredithilfe für finanziell und wirtschaftlich bedrängte Staaten, darunter auch für die deutsche Industrie.
In Hindenburg fanden am Mittwoch Berhandlungen über den Brotpreis für den oberschlesischen Industriebezirk statt, an denen Bertreter der Bäderinnungen Beuthen , Gleiwig und Hindenburg , Vertreter der Mühlen und ein Vertreter der Regierung teilnahmen. Es wurde beschlossen, im Laufe der nächsten Woche ein Brot her. zustellen, das aus 70prozentigem Mehl gebaden ist. Für dieses
Brot tritt feine Berteuerung ein. Für das Brot von 60prozentigem Mehl, wie es bisher in den Handel gebracht wurde und das zunächst mit Tafelbrot bezeichnet wird, erhöht sich der Preis ab Freitag um 2 Pf. je Pfund.
Schiele und die Brotfabriken. Amtlich wird mitgeteilt: ,, Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Schiele hat am Mittwoch mit Vertretern der Brotfabriken Groß- Berlins die von der Reichsregierung zur Senkung des Berliner Brotpreises eingeleiteten Maß nahmen ausführlich besprochen. Der Minister hat hierbei den Ber liner Brotfabriken bekanntgegeben, daß sie zu den gleichen Bedingungen wie die übrigen Berliner Bädereibetriebe Roggenmehl beziehen könnten, das aus dem von der Deutschen Getreide- Handels Gesellschaft abgegebenen Roggen hergestellt wird. Die Vertreter der Brotfabriken haben erklärt, daß sie sich zu dem Angebot des Reichs ernährungsministers verbindlich nicht äußern fönnten. In wieweit die Brotfabriken im einzelnen von diesem Angebot Gebrauch machen werben, muß abgemartet werden."
2. Internationale industrielle Kartellvereinbarungen.
Treue.
Betrachtungen vor dem Braunen Haus .
Bor den Portalen des Braunen Hauses in München halten Tag und Nacht junge Hitler - Gardisten die Wache. Gravi
3. Internationale Agrarhilfe, insbesondere für die Südost tätisch wie friderizianische Grenadiere schreiten sie auf und ab. staaten.
4. Borzugszölle für Desterreich.
Es ist zu erwarten, daß in der Generalaussprache der Europafommission Briand diesen Plan, an dem insbesondere der französische Finanzminister Flandin und der frühere Handelsminister Loucheur start mitgemirft haben, in fonfreter Form entwideln wird. Bon seiner Aufnahme wird es dann abhängen, ob überhaupt der Rat einen formellen Beschluß hinsichtlich der Ueberweisung der Zollunion an den Haager Gerichtshof wird fassen
müssen.
Der Kontrollausschuß für die österreichische Bölkerbundsanleihe, der heute in vertraulicher Sigung zusammengetreten ist, hat unterdessen erklärt, daß er im gegenwärtigen Stadium und in Ermangelung positiver Informationen über den Inhalt der geplanten Zounllion teinen Beschluß fassen fönne. Er hat aller dings, und zwar mit Zustimmung des österreichischen Mitgliedes, sich grundsäglich für befugt erklärt, die finanziellen Rückwirkungen einer etwaigen Zollunion zu untersuchen. Das ist aber eine Selbstver= ständlichkeit.
Im übrigen fursierte heute abend auf Grund einer Wiener Meldung einer amerikanischen Agentur ein interessantes Gerücht, Es heißt: daß die Sanierungsaktion, die die österreichische Bundesregierung zugunsten der zusammengebrochenen Desterreichischen Kreditanstalt unternommen habe, mur möglich sein werde, wenn aus ländische Banken einspringen. Nicht zuletzt habe man sich
an die Pariser Rothschild- Banken gewandt,
die dem österreichischen Staat bei einer Sanierungsaftion helfen wollen, aber ihrerseits zur Bedingung machen, daß der Zollunionsplan aufgegeben werde. Inwieweit diese Darstellung zutrifft, bleibe dahingestellt. Sicher ist aber, daß der für die österreichische Wirtschaft überaus gefährliche Krach der Kreditanstalt die internationale Bewegungsfreiheit Defterreichs gegenwärtig noch mehr einengt als zuvor. Die deutschen Rechtstreise, denen an sich an der Zollunion nichts liegt, die aber in dieser Affäre eine glän zende Gelegenheit erblicken, der Reichsregierung abermals nationale Schlappheit und Berrat vorzuwerfen, fordern seit Tagen Curtius gebieterisch auf, durchzuhalten". Zum Durchhalten gehören allerdings in diesem Falle zwei. Inwieweit die Neigung zum Durchhalten bei der österreichischen Bundesregierung besteht, ist nach verschiedenen Wiener Aeußerungen der letzten Zeit einigermaßen zweifelhaft geworden. Ob sie in einer Unterredung, die zwischen Curtius und Schober heute abend stattgefunden hat, bestärkt wurden, fei offen gelaffen. Sie dürften aber nach dem Malheur mit der Kre ditanstalt jedenfalls nicht stärker geworden sein als vor drei
Bochen.
Höhe von 400.000 m. zur Verteilung gebracht. Aber mie? Von den 400 000 m. find allein dem Großgrundbesiz nicht weniger als 337 000 m. zur Verfügung gestellt worden. Der medlenburgische Bauernverein wird gegen diese Begünstigung des Großgrundbefizes bei der mecklenburgischen Regierung entschiedene Borstellungen erheben.
Schwerverlette in Stockholm . Massendemonstration gegen den Arbeitermord.
Stodholm, 15. Mai.( Eigenbericht.)
Nach den unerhörten Borfällen in Nordschweden, wobei füni arbeitslose demonstrierende Arbeiter vom Militär erschossen worden sind, veranstalteten die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften in Stocholm eine große Protest demonstration gegen die Gewaltmethoden der Sägewerksbesitzer und der Behörden. Die Stimmung in den betreffenden Gebieten ist immer nech sehr unruhig, und die Kommunisten treiben ihr Wesen unter den arbeitslofen empörien Sägewerksarbeitern. Die heutige Demonftration in Slodholm verlief in großen Zügen in Ruhe. Die fozialdemokratische Partei hat zu einer der machtvollsten Kundgebungen, die Stockholm jemals gesehen hat, aufgerufen. Die Arbeiter zogen zu Chren der Erschoffenen durch die Straßen mit bloßen Häuptern unter dem Gefang der Internationale. Abends fam es in verschiedenen Stadtteilen zu 3 usammenstößen mit der Polizei, die mit gezogenem Säbel gegen die Demonstranten vorging. Hierbei wurden verschiedene Personen schwer verlegt. Die Empörung gegen die in der Geschichte der schwedischen Arbeiterklasse einzigartigen Borgänge ist unter den Arbeitern des ganzen Landes ungeheuer. Die Stimmung in Stocholm ist spät abends noch sehr erregt.
105 Kirchen und Klöster zerstört. Nach Meldungen des Madrider Korrespondenten des Intransigeant" sind bei den Die mecklenburgische Rechtsregierung hat nunmehr die Büngsten Unruhen in Spanien im ganzen 105 Kirchen und Klöster zerstört worden, davon 27 in Sevilla , 25 in Malaga , 18 in triebsmittelfrebite an die mecklenburgischen Landwirte in Cordoba , 12 in Murcia , 14 in Valencia und 9 in Granada .
Wenn ein Besucher kommt oder geht, federt ihr brauner Arm, mit der Hakenkreuzbinde geschmückt, steil zum römischen Gruß empor.
Das Braune Haus ist ein feudaler Palazzo in der vornehmsten Straße im nobelsten Viertel der Residenz München . Man sieht es ihm an, daß er in diesem Winter der Not seine Million und mehr an Erwerb und Instandsetzung gekostet hat. Ringsum an der prunkenden Brienner Straße sind ihm Museen, Palais, Kunsthandlungen und Banken benachbart. Rein proletarischer Bau hat sich hier, gerade in der Mitte zwischen dem Obelisken am Karolinenplatz und den Riesenfäulen der Propyläen, einzuschleichen gewagt. Mitten im Herzen des Palastviertels residiert Adolf Hitler , wie es dem Heros einer Nationalsozialistischen Arbeiterpartei zufommt.
Ueber dem Dach wallt in schwerem Tuch ein mächtiges Hafenkreuzbanner. Aus dem Portal des Barkweges fährt, vom Doppelposten salutiert, ein Kraftwagen in Rot und Gold. Alles ist auf Repräsentation eingestellt: der große Balkon über dem Eingangstor, die römischen Feldzeichen, hakenkreuzperziert, deren Adler das Tor bewachen, der Vorraum nach der Straße zu. Die Welt soll sehen, hier waltet ein Großer seines Amtes. Scheu warten ein paar abgerissene junge Menschen, sichtlich noch unbewandert im neuen Grußgeremoniell, neben den prallen Figuren der Münchener Römer, die vor ihrem Herrn und Meister heute hier Wache halten dürfen.
Das alles steht da wie ein Monument der Macht und der Treue. Aber während sich so das Auge bestechen läßt, rückt das Gehirn zwei kurze Namen nur in das Blickfeld des Bewußtseins: Frid und Stennes! Sensation von gestern und doch mehr als Sensation. Symbole des Verfalls und der Untreue.
Fricks Sturz in Weimar , das war das erste Abrüden der alten Parteien von dem politischen Parvenü aus Braunau in Böhmen, der vergeblich sich einen Palazzo erwirbt, um sich der Aristokratie der Geburt und des Geldes anzugleichen. Macht? Macht ist es noch lange nicht, wenn man mit dem Gold der Industrie die Unzufriedenen, die Verzweifelten, die Ratlosen und die Beutejäger zusammentreibt und ihre bösen Instinkte zur Raserei aufpeitscht. Ist nicht Fricks Schicksal schon ein Stück Gözendämmerung des Dritten Reiches?
Treue? Als Stennes aufbegehrte, öffneten sich plötzlich alle Kloaken in der Verbotenen Stadt der Hafenkreuzmandarinen. Die gestern noch Herren mit unbegrenzten Vollmachten und Blutsbrüder auf Tod und Leben schienen, waren über Nacht Verräter, Schlemmer, Lackstiefelgigerl und Karrieremacher geworden. Und die Berliner Rebellen rächten sich für diese Freundlichkeiten, indem sie den Münchener Hof Adolf I. als ein schlimmeres Byzanz von Psychopathen, Anormalen, politischen Scharlatanen und satten Spießern brandmarkten, die längst vergessen hätten, wie es dem braven SA - Mann mit den zerrissenen Stiefelsohlen zumute sei. In welcher anderen
Partei wäre ein solcher Abgrund von Treulosigkeit denkbar!
Der Doppelposten des Braunen Hauses trottet auf und nieder. Es sieht sehr neu hier aus, sehr unfertig alles und frisch getüncht. Drüben hinter dem Park, ein paar hundert Schritte nur rückwärts, träumen in einem kleinen Kabinett der Pinakothek, Münchens reichster Gemäldegalerie, Albrecht Dürers vier Apostel in die ewige Zeit hinein. Vor ihnen, stolz und vornehm, empfängt des großen Malers Selbstbildnis seine Besucher. Seit Jahrhunderten schon und Jahrhunderte auch in Zukunft noch.
Wenn einst von Hitlers Drittem Reich nur noch vergilbte Blätter, Dokumente der Schande unserer Zeit, wissen werden, dann wird immer noch Dürers Kunst so lebendig zu den Menschen sprechen wie alles Große. Was ist schon das bißchen Hitlerei vor der Ewigkeit jenes Geistes, der Dürers Kopf sich schuf! Ausbruch einer franken Zeit. Eintagsgrille der Geschichte.
Während man so, ein menig träumend vor dem Palast des neuen Cäsar in München verharrend, durch die Tünche der Soldatenspielerei hindurch die Risse im Gemäuer seiner Residenz sieht, während man die Hände des Goebbels und Stennes an seinem Purpurmantel zerren fühlt, steigt langsam wie eine Vision in der Erinnerung empor das große Er