Morgenausgabe Nr. 230
A 116
-tS.Iahrgang
Wöchentlich 85 Pf, monatlich 3,60 M. im voraus zahlbar. Postbezug 4,32 M. einschließlich 60 Pf. Postzeitun g». und 72 Pf. Postbestellgebühren. Auslands- abonnement 6,— M. pro Monat; für Länder mit ermäßigtem Drucksachen- vorto V.— M. ♦ Der»DonvSrts� erschetnt wochentäq» lich zweimal. Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Verlin und im Handel mit dem Titel.Der Abend" Illustrierte Beilage»Bolt und Zeit" Ferner.Frauenstimme�» �Technik".Blick in die Bücherwelt", »Iugend-Lorwärt«"u..Stadtbeilage*
Mittwoch 20. Mai 2931 Groß-Äerlin 10 pf. Auswärts 15 pf. Die eins polt Nonpareillezeile 80 Pf. Neklamezeile S.-» RM.„Kleine An« zeigen" das fettgedruckte Wort 25 Pf. (zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Pf. Rabatt lt. Ta?if. Stellengesuche das erste Wort lS Pf, jedes weitere Wort 10 Pf. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Ardeitsmarkt Zeile 60 Pf. Familien» anzeigen Zeile 40 Pf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3. wochentäglich von 81/» bis 17 Uhr. Der Verlag behält sich da» Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!
Berttner Voltsblatt Jentraloegan der GozialdemoSratischen-Davtei DeMchlMtds RedaktionundDerlag: Berlin SW 68. Lindenstr. 3 Fernsprecher: Dönhofs 832— LS? Telegramm-Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Vorwäris-Verlag G.m.b.H.
Postscheckkonto: Berlin 37 S3L.—Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3, Dt. B. u. DUc.-Ges., Depositen!., Jerusalemer Str. SS/SS.
Bilanz der Zolldebatte. Kein Ruhmesblatt der Diplomatien.
V. Lest. Genf , 19. Mai. (Eigenbericht.) Noch nie seit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund ist ein deutscher Vertreter am Rotstisch in einer so mißlichen Lage gewesen, als jetzt Dr. Curtius. Er hat sich noch mit Geschick und Würde aus der Affäre gezogen, wobei ihm zugute kam, daß er als Vorsitzender häufiger das Wort ergreisen konnte, um die schlimmsten Angriss« sosort abzuwehren. Aber der Gesamteindruck bleibt, daß Deutschland durch den plan der Zollunion bisher keine Lorbeeren geernlet hol. Es läßt sich kaum noch leugne», daß es sich damit in«ine nöllige Isolierung hinein monöveriert hat. Gerade wir Sozialdemokraten, die wir den Anschluß für gerecht halten und ihn ebensowenig preisgeben wollen wie unsere österreichischen Genossen, haben das Recht, ein Vorgehen zu bekämpfen, durch das die Verwirklichung dieses Ideals olles eher denn näher» gerückt worden ist. Denn die Aktion Schober-Curtlu» oder vielmehr die Aktion Schüller-Ritter hak nur die agilakorische Folge gehabt, daß die Außenminister Deutschlands und Oesterreichs am Ratstlsch immer wieder beteuern und. um ihr gutes Recht zu beweisen, beschwören mußten, daß sie niemals daran gedacht hätten, die Anabhängigkeit Oesterreichs anzukosten. Kalt lächelnd nahmen nacheinander Grandi, Benesch, Marinkowicz und B r i a n d diese» Gelübde mit lebhaster Ge- nugtuung zur Kenntnis. Sie unterstrichen es mit einer sast sadisti- schen Freude und ließen dabei trotzdem durchblicken, daß sie kein Wort davon glauben. So ist. als erstes bisherige».Resultat bi?!>er nur zu verzeichnen, daß Deutschland und Oesterreich gezwun- gen wurden, um die Reinheit ihrer Absichten zu beweisen, ein unfreiwillige» Bekenntnis gerode zu einem der ungerech- testen Artikel der Friedensschlüsse von Versailles und Sk. Ger- main. abzulegen. Möge die weitere Entwicklung bis zum September uns«ine neue Auflage dieses grausamen Spieles ersparen, möge es nicht mehr dazu kommen, daß Franzosen , Serben. Italiener und Tschechen mit erhobenem Zeigefinger von einer Gefährdung des Friedens durch Deutschland und Oesterreich sprechen und sogar, wie es sich 1)err Marinkowicz aus Belgrad leistete, eindeutige Anspielungen auf die Kriegsschuldsrage vom Juli 1914 zu machen. Di« Lösung des Konfliktes ist zwar erträglich, aber um so größer ist die Der- antwortung derer, die uns in eine solche Situation gebracht haben. Diese Schuld tragen nicht einzelne Personen, sondern jene wählermassen vom 14. September, die durch die Schwächung des porlamenlarischen System» die Macht der Verantwortung». losen Bürokratie gestärkt haben. Wie ganz anders war die Lage Deutschlands auf der Januar- tagung des Rates, als Curtius als Ankläger gegen das Gewalt- regime Pilsudsti austreten konnte und die gesamt« fortschritt-
liche Welt hinter sich hatte. Damals mußte sich Z a l e s k i verpslich- ten, auf der Maitogung Rechenschaft über die Besserung der Verhältnisse in Ostoberschlesien abzulegen. Im allgemeinen Trubel um die Zollunion ist dieses unendlich wichtigere Problem des Minderheitenschutzes fast völlig untergegangen. Die günstige Atmosphäre des Januar ist dahin.— piisudski- Polen droht aus dieser Tagung keine Gefahr mehr. Inzwischen setzt das Europakomitee feine Beratungen fort. Wenn sich heute die Vertreter der kleinen Entente so lebhaft für das französische Programm einsetzten, so geschah das nur, um eine Einheitsfront gegen dos Zollunionsprojekt zu bilden, nicht aber well sie daraus irgendeine positive Besserung erwarten. Auch Hcnderson tonnte nicht mehr tun als ein gründlicheres Bekenntnis zur Herabsetzung der Zölle abzulegen, aber auch er dürfte wissen, daß kein positiver Fortschritt aus diesem Bekenntnis hervorgehen wird. Der einzige posistve Gewinn dieser Tagung ist die sichtbare Entspannung, die infolge der maßvollen Rede Litwinow » zwischen der Sowjetunion und der übrigen Welt zu verzeichnen ist. hcnderson benutzte die Gelegenheil, um der Aussassung des russischen Außenministers hinzuzufügen, daß die Krise durch überflüssige Rüstungsausgaben und durch das internationale Mißtrauen verschlimmert worden ist. und versicherte ihm. daß keinerlei Kriegspläne gegen Rußland geschmiedet werden. ?. Dieselbe Erklärung gab mit betonter Freundlichkeit für Litwinow Z a l e s t i ab, der den versöhnlichen Charakter der Rede Litwinows unterstrich, sie als gcignet erklärte, mancherlei Mißverständnisse ans dem Wege zu räumen und sich daraus eine fruchtbare Zusammen- arbeit zwischen der Sowjetunion und dem übrigen Eurspa ver- sprach.— Wenn diese neue Tagung der Europakommission nichts anderes bewirft hat, als diese friedlich reformistische Rede Litwinows und die daraus entstandene politische Eni- spannung der Sowjetunion , so ist sie doch nicht ganz umsonst gewesen. Der Haager Gerichtshof. Der Stäicknge Internationale Gerichtshof im fjcuig(nicht zu oerwechseln mit dem Weltgcrichtshos) besteht aus 15 Mitgliedern, die von Zeit zu Zeit neu gewählt werden. Zur Zeit besteht der Gerichts- Hof aus dem Vorsitzenden Adatschi(Japan ), dem früheren amerikanischen Staatssekretär Kellogg , dem englischen Krön- juristcn Sir Cepil Hurst, dein französischen Juristen Fromageot, Professor S ch ü ck i n g(Deutschland ), Anzilotti(Italien ) sowie aus Vertretern von Spanien , Kuba , Holland , San Salvador , Rumänien , Belgien , Polen , Kolumbien und China . Der Gerichtshof beschließt mit Stimmenmehrheit: er tritt alljährlich am 15. Juni zusammen, kann jedoch in besonderen Fällen auch zu einem anderen Zeitpunkt einberufen werden.
Krisengefahr in Deuffchösterreich. Großdeutsche gegen Aeamiengehaltskürzung.
Wieo« 19. Mai. (Eigenbericht.) Wi« im Reiche, so haben auch wir ein ungedecktes Defizit im Staatshaushalt. Die Regierung plant u. a. auch eine Kürzung der Bezüge der öffentlichen Angestellten. Das lehnen aber die Groß- deutschen ab und von daher droht eine Regierungskrise. Man will ihren Ausbruch aber bis zur Rückkehr des Vizekanzlers Schober aus Genf hintanholten, um dann doch noch einen Ausgleich zu versuchen. Die Regierungsmehrheit besteht aus den Christlich - sozialen, den Großdeutschen und dem Landbund: und diese drei Parteien haben nur zusammen eine Mehrheit gegen die Sozialdemo- traten. Da die Großdeutschcn antiklerikal, der Landbund auch nicht klerikal ist, ist eine einheitliche Kulturpolitik dieser klassenmäßig bürgerlichen Mehrheit ohnehin nicht möglich. Die Wiener Bantsanierung. Au» dem Artikel des Genossen A ust e r l itz- Wien, den wir in unserer Sonnabend-Morgennummer veröffenllicht haben, war die Bedeutung der Katastrophe des führenden Bankinstituts für Deutschösterreich zu erkennen. Die Oesterreichische' Creditanstalt hatte 125 Willionen Schilling Aktienkapital und 49 Millionen offene Reserven: die Höhe der steuerscheuen stillen Reserven kennt man nicht. Der Verlust beträgt 149 Millionen, volle vier Fünftel de» Soaqeu. Roch uo. vorigen SeschSstojahr hat die Creditanstalt
Dividenden, gewaltige Tantiemen an ihre Aufsichtsrät« und enorme Pensionen an frühere Direktoren ausgezahlt. Ob- wohl der schwere Geschäftsverlust auch damals schon einer halbwegs gewissenhaften Leitung nicht verborgen geblieben sein kann. Die Aktien sind zum allergrößten Teil im Besitz ganz großer Kapitalisten, wi« Rothschild , Warburg , Urban, Mautner usw. Der Staat hat 199 Millionen Schilling zum Ersatz des Ver- lorenen hergegeben, die Nationalbank und Rothschild je.39 Mil- lionen. Wenn ein Privatgeschäft sein Kapital verliert, denkt der Staat nicht an Ersatzleistung: aber die Geschäftsteilhaber der Creditanstalt, nämlich die Aktionäre, brauchen den Verlust von 89 Proz. nicht zu tragen, ihre Aktien werden auf 75 Proz. des Nominalwertes abgestempelt statt auf 29 Proz. Der Slaal. der weil über die Hälfke des neuen Aklieakapilols hergibt, demnach auch dea entsprechenden Teil der Aktien haben müßte, verzichte» auf sein unbestreitbares Recht zugunsten dieser Aktionäre! Dagegen führten die Sozialdemokraten einen scharfen Kampf im Naticnalrat. dessen Bewilligung zur Hergabe von Staatsgeldern unentbehrlich ist. Unsere Genossen bestritten nicht die Notwendig- teit staatlicher Hilfe zur Aufrechterhaltung des noch vorhandenen industriellen Lebers. forderten ober, daß der Staat sich, ent- sprechend der Höh« seiner Hilfeleistung, die künftig« Leitung der Bank und damit des größten Teile? der Industrie des Landes sicher«.
Die Berliner Volksbühne. Eine Krage des Selbstbestimmungsrechts. Von Bobert Breuer. Seit einigen Wochen beschäftigen sich die Theatersachver- ständigen der Berliner Presse wieder einmal mit inneren An- gelegenheiten der Volksbühne. Sie tun das mit einer Heftigkeit, die nicht vor Komik zurückschreckt, stellenweise auch mit einem Unflat, der nur noch von Ahnungslosigkeit über-- boten wird. Die Herren scheinen restlos unorientiert zu sein, zum mindesten höchst einseitig, höchst befangen unterrichtet: eins aber vergessen sie ganz gewiß, eine sehr schlichte Tatsache: daß nämlich die Volksbühne nicht etwa die Bühne für das Volk ist, vielmehr die Bühne des Volkes, des Volkes Bühne, nicht also die Bühne, die irgendein Wohltäter für das Volk bereitet und bezahlt, vielmehr die Bühne, die das Volk — genauer gesagt: der im Verein Volksbühne organisierte Teil des Berliner Voltes— sich selbst geschaffen und aus Ar- beitergroschen aufgebaut hat. Mit dieser Feststellung soll nicht etwa der berüchtigte Standpunkt des„Herrn im Hause" befürwortet werden: aber es soll immerhin mit aller Deutlichkeit das Selbstbestimmungss recht der Berliner Volksbühne festgestellt sein. Es dürfte doch wohl einleuchten, daß auch die sogenannten anonymen Massen, wenn sie sich zu Tausenden und Zehntausenden zusammentun, um einer Idee zu dienen, uin solche Idee zu verwirklichen, sich hierfür Personen aussuchen, denen sie Vertrauen schenken und von denen sie sich angemessen und zweckmäßig vertreten sehen möchten. Dies eben gilt für die Ordner, für die Ver- waltung, den Künstlerischen Ausschuß und den Vorstand der Berliner Volksbühne, gilt auch, solange Vernunft waltet, für den kün st lerischen Leiter, der ja gleichfalls, wenn auch nur indirekt, ein Erwählter der Massen ist. Dieses ganze demokratische System der Volksbühne und dessen Handhabung bleibt die alleinige Angelegenheit der Mit- glieder. Die Oeffentlichkeit hat es allein mit den össcnt- lichen Angelegenheiten der Volksbühne zu tun, mit den Auf- führungen und den sonstigen Veranstaltungen. Hier hat auch die Theaterkritik die völlige Freiheit des Wortes. Wenn aber etliche Heißsporne nun schon seit Wochen— wie schon des öfteren ehedem— sich in das Vereinsleben der Volksbühne eindrängen, so liegt die Vermutung nahe, daß hinter solcher väterlichen, um nicht zu sagen onkelhaften, Fürsorge jene spießbürgerliche Anmaßun« steht, die noch immer im Volk dos Objekt sieht, das regiert werden muß, die noch immer nicht begreift, daß dieses Volk zur Selbstherrschaft reif geworden ist. Zur Selbstherrs6)aft, d. h. gegebenenfalls auch zum Irr- tum; um es ganz deutlich zu sagen: die bürgerlichen Herren hätten keinerlei Ursache, sich als Wächter der Kultur zu etablieren, wenn in dem proletarischen organisatorischen Leben der Volksbühne sich die Fehler häuften. Es gehört doch sonst zum Takt des Westeuropäers, daß sich niemand um das kümmert, was ihn nichts angeht. Die Affäre, für deren Auswalzung die Berliner Blätter ihr sonst so kostbares Papier vergeuden, fing damit an, daß ein Satz, der in den„Blättern der Volksbühne" veröffentlicht worden war, aus dem Zusammenhang gerissen, als Rebellion subalterner Instinkte, als Aufstand gegen die Kunst denunziert worden ist. Dieser Satz bezieht sich auf den Spielplan 1931/32 und lautet:„Ueber den Spielplan kann einstweilen nur soviel gesagt werden: er soll mehr als bisher auf eine heitere, unter» haltsame Note abgestimmt sein. Stücke, die politische und soziale Zeitprobleme behandeln, werden zurücktreten bzw. auf die Sonderabteilung beschränkt bleiben." Die Herren Fach- männer, die diesen Satz aufgespießt haben, haben ihre gläubi- gen Leser falsch unterrichtet. Sie haben— hoffentlich nur darum, weil sie die„Blätter der Volksbühne" gar nicht vor die Augen bekommen haben— ihren aufgescheuchten Lesern vorenthalten, wie es im Text weitergeht. Es ist notwendig, diesen Text vorzuführen:„Die Leitung der Volksbühne ver- schließt sich nicht der Tatsache, daß die große Mehrzahl der Mitglieder gerade in Zeiten wie den jetzigen, ein starkes Be- dürfnis nach Aufheiterung und Entspannung haben. Diesem Bedürfnis soll Rechnung getragen werden! Dabei wird natür- lich nach wie vor im Spielplan der Volksbühne alles Minder- wertige. Kitschige und Verlogene ausgeschaltet bleiben, und das Leichte, Unterhaltsame wird ernste, er- schüttern de Werke nicht verdrängen. Was In- szenierungen und Darstellungen betrifft, so werden sie auf gleicher Höhe stehen wie bisher. Im Theater am Bülowplatz bleibt Karl Heinz Martin künstlerischer Leiter. Günther Stark sein Helfer als Dramaturg und Regisseur. Das Ensemble«ich die besten der bisher osrpjUchtelen Kräfte auch