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BERLIN  Mittwoch 20. Mai

1931

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Tome

Der Abend

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B116 48. Jahrgang

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Wendung im Fall Bullerjahn

Die Bernehmung des Zeugen v. Gontard angeordnet

In der Straffache Bullerjahn ist dem Verteidiger Dr. Kurt Rosenfeld folgender Beschluß zugestellt worden:

1. Der Antrag des Rechtsanwalts Dr. Kurt Rosenfeld auf Wiederaufnahme des durch rechtskräftiges Urteil des 4. Straffenats des Reichsgerichts vom 11. Dezember 1925 gefchloffenen Verfahrens ist an sich zulässig.

2. Der Generaldirektor Paul von Gontard   in Berlin  10, Bendlerstr. 41, foll als 3euge vernommen werden, und zwar insbesondere darüber, ob er den Zeugen Krüger, Geyer und Köppner, die in dem Urteil als Angaben des unbefannten Gewährsmannes bezeichneten Erklärungen gemacht hat und ob diese Angaben richtig sind.

Die Bernehmung der Zeugen soll, soweit zuläffig. gemäߧ 369 2bf. 2 Stpo. eidlich erfolgen.

Mit der Bernehmung des Zeugen wird der Berichterstatter Reichsgerichtsrat Coenders und im Falle feiner Berhinderung Reichsgerichtsrat Dr. Klimmer beauftragt.

3. Die Beschlußfaffung über die Anordnung der Ge. hebung weiterer Beweise bleibt vorbehalten.

4. Dem Anfrage auf Aussehung der Strafvollstreckung wird nicht stattgegeben, well zu einer solchen zur Zeit ein Anlaß nicht vorliegt. gez. Schmih, Coenders, Klimmer.

Der Beschluß des Reichsgerichts bedeutet noch nicht die Wieder. aufnahme des Verfahrens, wohl aber den nach der Strafprozeßord nung der Wiederaufnahme vorangehenden und für sie entscheidenden Schritt. Wird nämlich ein Antrag auf Wiederaufnahme an fich für zulässig befunden, wie es hier der Fall ist, so beauftragt das Ge­richt einen Richter mit der Aufnahme der im Antrag angetretenen Beweise. Von dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme hängt es dann ab, ob die Wiederaufnahme des Verfahrens verordnet wird. Bringt die Beweisaufnahme feine genügende Bestätigung der in dem Wiederaufnahmeantrag aufgestellten Behauptungen, so wird der An­trag als unbegründet verworfen. Andernfalls ordnet das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Haupt­rerhandlung an. In der erneuten Hauptverhandlung wird dann endgültig über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten ent­schieden.

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Wenn es sich hiernach im Fall Bullerjahn auch zunächst nur um ein Vorverfahren zur Erreichung der Wiederaufnahme handelt, so ist dieses doch nur von besonderer Bedeutung, weil schon dieses Vor­verfahren wenigstens zum Teil den wesentlich sten Mangel heilt, an dem das Urteil des Reichsgerichts in Sachen Bullerjahn vom Jahre 1925 gefrankt hat. Man mag zur Schuld­frage an sich stehen wie man will, auf jeden Fall war es ein un­erträglicher Zustand, daß Bullerjahn im wesentlichen auf das nur indirekt nämlich durch Mittelsmänner vorgetragene Zeug nis eines unbekannten Gewährsman ne s" hin zu

15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Der Angeklagte fannte in der Hauptverhandlung die Person des Belastungszeugen nicht. Es wurde ihm dadurch unmöglich gemacht, die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen anzuzweifeln, ihn auf etwaige Irrtümer hinzuweisen. ihn anderen Zeugen gegenüberzustellen usw. Ein solcher Zustand bedeutet für jeden Angeklagten eine unerträgliche Ein­farantung des Verteidigungsrechtes, und es war für die Rechtsprechung ein geradezu fatastrophaler Zustand, daß das höchste deutsche Gericht im Falle Bullerjahn ein derartiges anonymes Belastungsverfahren sanftioniert hat.

Später hat sich herausgestellt, daß der anonyme, in der Hauptverhandlung nicht genannte Zeuge der nunmehr vielgenannte Herr v. Gontard gewesen ist. Seine Vernehmung, wahrschein= lich unter Eid, wird jetzt erfolgen. Was sie ergeben wird, können wir nicht voraussagen, es bleibt abzuwarten. Mit Recht wird man fich fragen, was denn nun verloren gewesen wäre, wenn Herr v. Gontard   schon im Jahre 1925 unter Eid vernommen und dem Angeflagten in der Hauptverhandlung gegenübergestellt worden wäre. Das Reichsgericht muß sich selber heute sagen, daß durch die damalige übergroße Rüdfichtnahme auf die Person des reichen Generaldirektors, die bei weniger vermögenden Personen wohl faum erfolgt märe, fast fieben Jahre lang das Gefühl peinlicher Rechtsunsicherheit erzeugt worden ist. Die Klarheit, die das Reichsgericht sich jetzt durch die Vernehmung v. Gontards ver­schaffen will, hätte es schon im Jahre 1925 haben können. Der Borwurf, daß ein Gericht verurteilt und wie hier zu 15 Jahren Zuchthaus, mas praktisch die Auslöschung eines Menschenlebens

ETA

Italien gegen Deutschland

Grandi läßt Curtius im Stich

3m Namen aller erklärte Curtius, der Völkerbund sei mit Spanien  .

Die heutige Ratssitzung brachte den Anhängern eines| bundsrat begrüße die warme Mitarbeit Spaniens  . Herr Lerroug Zusammengehens mit Italien   eine neue bittere Ent habe gesagt, Spanien   sei mit dem Völkerbund. täuschung. Mit einigen beschönigenden Reden ließ Herr Grandi Deutschlands   Antrag auf vollständige Rüstungs­angaben für die Abrüstungskonferenz fallen und sprach fich mit England, Frankreich  , Polen   und Japan   gegen Deutschland   aus. Curtius fand sich mit seinem Antrag völlig isoliert.

Die Sigung begann mit Berichten über wirtschaftliche Fragen. Dann berlas Perroug Spanien den Kommissionsbericht über Kontrolle der privaten und staatlichen Waffenfabritation:

die Budgetfachverständigen haben feine Methode für eine detaillierte Beröffentlichung des Materials nach Kategorien gefunden.

Es soll daher der Abrüftungskonferenz überlassen bleiben, die Beröffentlichung der Daten über die Waffenfabrikation zu be­schließen. Henderson forderte die Staaten nochmals auf, die noch nicht in Kraft bestehende Konvention über private Waffen­fabrikation zu ratifizieren. Lerroug fügte hinzu, das neue Spanien   werde an den Arbeiten des Völkerbundes mit größtem Interesse teilnehmen. Curtius dankte sehr warm; der Bölker­

E

In Braunschweig  

Gegen hunderte von Eltern, die an dem Schul­ftreit der weltlichen Schulen beteiligt waren, wurden dreilägige Haftstra en verhängt.

Franzen: 3ch baue eben folange neue Flügel ans Zuchthaus an, bis es für die gesamte marristische Bes bölferung reicht."

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bedeutet ohne sich den ihm höchst erreichbaren Grad von Klarheit verschafft zu haben, wiegt außer ordentlich schwer, doppelt schwer, wenn er gegenüber dem obersten Gericht erhoben werden muß. eins

Der Gesundheitszustand Bullerjahns, der seine Strafe jegt im fiebenten Jahr verbüßt, soll außerordentlich schlecht und feine Haft fähigkeit in Frage gestellt sein. Die Nictunterbrechung der Straf haft bedeutet, zumal fast die Hälfte der Strafe schon verbüßt ist, eine erhebliche Härte.

Südslawien ließ erklären, daß es die von Henderson er­wähnte Konvention nicht ratifizieren könne ohne Abänderungen, die seiner Sicherheit Rechnung tragen.

Den Bericht über die Vorbereitung der Abrüftungskonferenz erstattete Lerrour, doch wird die wichtige Frage der Tabellen für den Rüstungsstand als besonderer Punkt behandelt. Ueber den Tagungsort wird eine geheime Ratssitzung entscheiden, da Spanien  nochmals die offizielle Einladung Barcelonas   wiederholte. Henderson begründet den englischen Vorschlag, als gemeinsame Tabellen für die Rüftungsangaben jene Tabellen zu nehmen, die im Borentwurf der vorbereitenden Abrüftungsfommission enthalten sind.. Deutschlands   Tabellen feien genau ausgearbeitet und gewiß eine bee, aber das sei ihr größter Fehler, da es fich nicht um Ideen, sondern um praktische Arbeit handle. Da auch die Budgetsach­verständigen sich für die Tabellen des Borentwurfes ausgesprochen haben, schlug Henderson vor, der Rat möge jene Tabellen für alle Staaten empfehlen.

Curtius begründete den deutschen   Tabellenvorschlag mit dem Fehlen wichtiger Angaben in den Tabellen des Borentwurfs, nämlich des lagernden Materials und der ausgebildeten Reserven. So fönne tein Vergleich möglich sein. Er glaube daher, daß Deutschlands   Borschlag, der bessere sei und empfehle dessen Annahme.

Briand   hielt dem deutschen   Vorschlag entgegen, er enthalte Angaben, die den Prinzipien entsprächen, welche die vorbereitende Abrüstungskommission angenommen hat. Um die Arbeiten nicht zu tomplizieren und zu gefährden, müsse man sich an die vorbereitenden Arbeiten halten. Daher sei es Frankreich   unmöglich, die deutschen   Vorschläge anzunehmen. Während 3aleski- Polen  völlig für den englischen Vorschlag eintrat, führte Grandi= Italien   einen regelrechten Eiertanz auf; Deutschlands   Vorschläge feien zwar vollständiger, aber sie tönnten Schwierigkeiten hervor­rufen. Während Italien   früher für die deutschen   Vorschläge ge­mesen ist, nimmt er aus praktischen Gründen und um besser vorwärts zu tommen", jetzt den englischen Vorschlag an, unter dem Vorbehalt, auf der Konferenz Erweiterungen anzu­

regen.

Auf Antrag Lerroug wurde die Entscheidung auf Freitag ver­tagt. Der Rest der öffentlichen. Sigung war von Berichten über Hygiene, Frauen und Kinderschuß-, sowie statistische Fragen ausgefüllt.

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Der Bölferbund hat in nichtöffentlicher Sigung heute mittag zum Tagungsort der Abrüstungskonferenz Genf bestimmt.

Antimargiften, fusch!

Befehl vom Hafenfreuz.

Oldenburg  , 20. Mai.  ( Eigenbericht.) Die Nationalsozialisten sind durch ihren Wahlerfolg in Olden­ burg   wieder einmal größenwahnsinnig geworden. So ertiärt das Oldenburger Hitlerblatt Nordwestdeutscher Freiheitskämpfer", die Nationalsozialisten seien selbstverständlich bereit, für die oldenburgische Regierung und für die Leitung des Landes die Berantwortung zu übernehmen. Es liege nur bei den Mittel­parteien, ob ein regierungsfähiges Kabinett zustande komme oder nicht. Die Nationalsozialisten würden ihre Forderungen for­mulieren und diese dann den Nichtmarristen zur Unter­fchrift vorlegen. Würden diese Forderungen abgelehnt, dann würden die Nationalsozialisten mit allen denkbaren verfassungs­mäßigen Mitteln der Obstruktion versuchen, die bürger lichen Parteien zu zwingen, auf den Willen des Volkes zu reagieren. Es heiße also entweder: Zusammengehen der nicht­marristischen Barteien oder aber Sturz der Regierung

und Neuwahlen!

Allem Anschein nach soll sich in Oldenburg   das national­fozialistische Regierungsexperiment, wie in Thüringen  , wiederholen.