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Beilage

Mittwoch, 20. Mai 1931

tolln eun olb Der Abend

Shadausgabe des Vorwärt

Zwei Frauen und ein Mann

Drei Interviews um Gandhi - Von Paul Beer- Bombay

Im schmalen dunklen Gang der Wohnung Rimashantars stoße ich auf Gandhi. ( Die Inder nennen ihn Gandischi, die Briten : Herr Gandhi .) Ehe ich ihn begrüßen fann, fällt mir eine etwas schroffe Stimme vors Wort und sagt: Der Mahatma tann nur nach vorheriger Anberaumung eine Unterredung gewähren." Der Träger dieser Stimme ist ein Weißer mit ganz furzgeschorenem Kopfhaar, einem dünnen Bartanslug auf der Oberlippe und einer Brille. Wie kommt denn der Europäer in dies Haus voll Inder? frage ich mich. Es ist wohl ein neuer Sekretär Gandhis , gebe ich mir zur Antwort.

Frau Gandhi

Wenn Gandhi am Gange steht, so fann Frau Gandhi nicht ferne sein, und so werfe ich einen Blick in jedes Zimmer, das in dresen schmalen Gang mündet, und da saß sie auch in einem, ganz allein am Steinboden, und drehte das Spinnrad, die Scharfa. Ich sezze mich vor sie und beginne sie zu zeichnen. Ohne mich zu ftören, läßt sie mich gewähren, und ohne sich stören zu lassen, spinnt ste fort. Sie denkt nicht daran, still zu halten, sondern blickt bald , bald dort hin, wendet den Kopf, wie das so ihre Arbeit er fordert. Aber auch wenn andere Besucher ins 3immer treten, furbelt sie stets das Holzrad weiter, mehr vertieft in dessen Schwung als in den der Redner, die ihre Grüße entbieten.

Fertig, bitte ich um ihre Unterschrift auf ihr Bild. Als sie es erblidt, sagt fie: No good! Nein, nein, das ist nicht gut. Ich sehe darauf viel zu alt aus. Ich bin sechs Monate jünger als Herr Gandhi . Das Bild ist no good." Deffenungeachtet läßt sie sich zur Unterschrift bewegen. Das geht aber nicht so rasch, denn die Kunft des Schreibens ist eine seltene in Indien , besonders bei Frauen. Die Unterschrift tommt mit vereinten Kräften zustande, das heißt, jemand anders setzt den fehlenden i- Puntt" dazu und was sonst noch gebricht.

,, Wie haben Sie Ihren Mann tennengelernt?" frage ich Frau Gandhi , die, wenn auch nicht glänzend, so doch verständlich englisch spricht.

" Das ist schon 47 Jahre her. Ich war damals 14 Jahre alt. Damals ist mein Vater zu einem seiner Nachbarn in Borbundar ge­gangen und sagte ungefähr: ich habe eine Tochter und ich biete fie deinem Sohn als Frau an. Nun ist dieser Nachbar zu uns ge= fommen, um porerst zu sehen, wie ich bin, ob ich für seinen Sohn gut genug bin. Dann hat er von meinem Bater mein horo ftop perlangt( Das Horoskop wird von jedem Hindulind fofort nach der Geburt von Familienaftrologen gestellt.) Dann hat er es zu Hause mit dem Horoskop seines Sohnes verglichen, um zu sehen, ob eine günstige Beziehung zwischen den Sternen besteht, unter welchen er und ich geboren sind. Das war wohl der Fall, und deshalb habe ich Herrn Gandhi geheiratet."

Und find Sie glüdlich?"

" Yes, very happy.".

"

Haben Sie nie mit Ihrem Mann geftritten?"

Rein, man fann nicht mit ihm streiten."

Wie lange haben Sie ihn vor der Hochzeit gefannt?"

Das erstemal habe ich ihn am Hochzeitstage gesehen." Werden Sie, wenn Ihr Mann zur Konferenz mit Macdonald

nach London fährt, mitfahren?"

1.

Ich weiß nicht, ich glaube nicht."

" P

Bollen Sie mitfahren?"

Nach einer Pause sagt sie gedehnt: Nein."

"

Aber warum nicht? Waren Sie schon in Europa ?" Noch nie."

,, Sind Sie nicht neugierig, Europa fennenzulernen?" Rein, Indien ist beffer."

Warum wollen Sie nicht Europa besuchen?"

Herr Gandhi sagte, Europa ist falt."

Ich glaube, sie würde doch gern Europa sehen wollen, aber sie wird es niemals verlangen.

Was denken Sie über die Verwendung ausländischer Stoffe?"

edvezeer

Alles fönnen sie in Indien machen, wir haben viel Baum­wolle hier. Sie müssen nicht an Japan und England Aufträge geben. Dabei blidt sie vorwurfsvoll auf meinen Anzug und weist auf ihren Sari mit dem fünf Zentimeter breiten schwarzen Rand. Der ist in Indien erzeugt."

Mir fällt die Tätowierung ihrer beiden Hände auf, und ich frage, was die Zeichnung darstellt. Blumen," fagt sie.

Wann wurde das gemacht?"

As ich fünfzehn Jahre war," und sie zeigt mir noch mehr blaue Blumen an den Füßen und einen blauen Bunft am Kinn und erläutert eifrig: Alles wurde gleichzeitig gemacht, es wurde mit einer Nadel in die Haut gerigt."

Tut das nicht weh?"

Dja."

ab manum tnt man das down?"

Ihre Antwort ist ein Lachen. Ohrringe trägt sie teine, dafür| s'applique à contempler sa vie plus on y trouve à apprendre ."

zwei billige rote Glasringe um die Handgelenke. Ihre grauen Haare, auch weiß gewordene sind darunter, find in Unordnung. Ihr Ge­sicht zeigt die Spuren der Wechselfälle ihres bewegten Daseins, ein Gesicht, wie man ihm auf deutschen Bauernhöfen begegnet, wenn die alte Bäuerin die Brille aufgesetzt hat, um zu lesen. Die vielen parallelen Sorgenfurchen auf ihrer Stirn fünden von den Tagen, die ihr Mann hinter Gefängnisstäben auf die Befreiung feines Landes gewartet hat.

( Er ist ein Buch, das man nie auslieft. Je länger man seinem Lebenslauf folgt, je mehr findet man daraus zu lernen.) Und da bei legt sie wieder eine Dattel in die Dose. Diese Datteln sind für Gandhischi," sagt sie, er hat Datteln besonders gern."

Jetzt verstehe ich auch, was in den vielen Paketen ist, die un­bekannte Leute von Zeit zu Zeit an der Tür abliefern. Die Inder wetteifern darin, ihrem Führer Früchte zu senden, das mit ihr magerer ausgemergelter Mahatma ihnen nicht in der fritis

" Wie oft im Leben", frage ich, war er" und ich weise auf sein schen Periode ihres Befreiungskampfes weghungert. Fräulein Mira Gemälde an der Wand," gefangen?"

Nun zählt sie mir vor, als handle es sich nur um das Aufzählen von Erholungsferien. Einmal neun Monate, einmal zwölf Mo­nate, einmal drei Monate, einmal zwei Monate, einmal drei und jezt wieder neun Monate." Ich mache eine Addition und fage ihr die Summe. Es wird mehr sein," meint sie, ich fann mich nicht so genau erinnern."

Und was taten Sie, während Ihr Mann im Gefängnis meilte?" Ich habe weitergearbeitet." und emsig dreht sie an der Kurbel ihrer Scharka.

Mira Behin

Ein junger Inder fragt mich, ob ich nicht auch Fräulein Madelaine Slade, die englische Anhängerin Mahatma Gandhis , tennen lernen will." Selbstverständlich," erwidere ich und kann kaum meine Freude über dieses Zusammentreffen der­bergen, denn schon seit Jahren war es mein Wunsch, dieser Frau, von der ich ab und zu in furzen Zeitungsartikeln Merkwürdiges er­fahren habe, persönlich zu begegnen.

Der junge Inder führt mich aus dem Zimmer Frau Gandhis , das auf dem linken Traft des schmalen dunklen Ganges liegt, der

योग, महिल

Mara beb

die Hauptverkehrooder Bombays darstellt, wenn Gandhi in der Stadt ist, in den Raum gegenüber. Da fizen in bünte Tücher ge hüllt, einige Hindufrauen auf Teppichen und schauen zu, wie eine in weiß gehüllte Genoffin Datteln entfernt und sie in eine Aluminiumdose legt. Ich sehe nur ihren Rüden, zu dem sich jetzt der Inder beugt, um meine Anwesenheit mitzuteilen. Freundlich lädt fie mich ein, mich neben sie zu setzen. Wer ist das? Das ist ja doch der neue Sefretär Gandhis , der mich vorhin schroff abgewiesen hat!

,, Sind Sie das Fräulein Slade?" frage ich ungläubig. " Nein," sagte der Mann in Frauenkleidern, das Fräulein Slade ist vor fünf Jahren gestorben, ich heiße Mira Behin." Was bedeutet dieser Name?" frage ich verwirrt.

Er bedeutet: deine Schwester, Gandhischi hat ihn mir gegeben."

"

Ich werde immer verwirrter, während der Mensch neben mir ruhig seine Datteln entfernt. Waren Sie schon in Wien ?" frage ich, um irgend etwas zu fragen.

Ja, zwei Wochen lang, ich liebe Bien sehr, weil ich Beet. hoven liebe. Ich habe sein Haus in Döbling gesehen. Das Haus, wo er seine wundervollen Melodien niedergeschrieben hat." Sie halten sehr viel von Mufit?"

Ja, ich wollte zuerst Sängerin werden und zur Oper, ich habe Gesang studiert, aber ich hatte zu wenig Talent." Nun sind Sie ja dennoch ans Theater gekommen," falle ich ein, an eine Bühne, die noch viel größer ist als alle Theater der Erde."

Ja, das ist wahr," sagt Mira Behin, und ich fühle in dem wärmer und weiblicher werdenden Ton ihrer Sopranstimme, daß sie sich verstanden weiß. Die anfängliche Eisdede der Engländerin war geschmolzen.

Ezählen Sie mir etwas aus Ihrer Kindheit und besonders gern möchte ich wissen, wie Sie zu Gandhi gelangt find."

Meine Jugend verbrachte ich auf einem großen Landgut reicher Verwandter, ich war viel allein, meine Eltern waren streng tonservativ. Aber das ist alles ganz gewöhnlich und uninteressant. Mein Leben ist ganz gewöhnlich bis zu dem Tage, wo mir das Buch Romain Rollands über Gandhischi in die Hände fiel. Nachdem ich es gelesen hatte, fuhr ich zu Romain Rolland , um mich mündlich zu vergewissern über alles, was er geschrieben hatte. Sein Gespräch erweckte in mir immer stärker werdend den Bunsch, Gandhischi persönlich fennenzulernen. So bat ich brief. lich, in seine Ashramschule aufgenommen zu werden. Er ant­wortete mir. Er beantwortet jeden Brief, den er bekommt. Er teilte mir die Regeln der Aschramschule mit, die strenger sind als die Gesetze mittelalterlicher Klöster, und falls ich diese Regeln an­nehmen könne, war ich eingeladen, eine Prüfungszeit in seiner Schule zu verbringen.

"

Wenn Sie mit Romain Rolland verhandelt haben, sprechen Sie wohl auch französisch?"

Ich bin ganz aus der Uebung, ich spreche es schlecht." Ich frage sie dennoch französisch, welchen Eindruck Gandhi auf fie machte, als sie in Indien antam.

Behin ist der Küchenchef Gandhis , und stolz erklärt sie mir, daß sie auch seine Wäsche in Ordnung hält. Ich blicke auf ihre Hände. Sie stehen zu dem kultivierten, durchgeistigten Profit im Biderspruch. Es sind Hände der Arbeit. Hände, die in kräftige Unterarme übergehen und in muskulöse männliche Bizeps. Auch dieser Stiernacken ist durchaus männlich. Und das Mussolinikinn. Jemand ruft sie. Der Mahatma war zurückgekehrt und mußte fein Mahl einnehmen...

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Es ist ein weiter Weg, den die Tochter des tonjerva tiven englischen Admirals Slade der im Persischen Meerbusen mit Banzerfreuzern manövrierte gegangen ist. Ginz gewaltlose demütige Desch Sevika, die den Schwadeschi- Schwur abgelegt hat, feine britischen Stoffe zu tragen, die Hindustani spricht, in Sandalen läuft, unter Indern lebt, speist, schläft, die Leiden und Freuden dieser indischen Menschen teilt, ist aus einer aristokra­

tischen Bürgerin Groß- Britanniens geworden. Eine der Heroinen der indischen Boltsbewegung ist diese englische Miß. Wir müssen viele Seiten im Buch der Geschichte zurückblättern, bis wir solchen Gestalten begegnen wie der Mira Behins. Wieviel Klassen und Raffenvorurteile hat diese Frau niedergeschlagen! Wieviel stummer Mut und männlicher Bille ruht hinter ihrer weißen Sari! Wieviel verschleiertes Berzichten in einer Epoche frivoler Genußsucht und unersättlicher Geldgier. Diese Engländerin ist tiefer in den Sinn von Gandhis Botschaft an die Menschheit eingedrungen als viale ihrer indischen Brüder und Schwestern. Darum: es ist ein weiter Weg vom Admiral des Persischen Meerbusens zur Afchramschüle in Mira Behin.

Jawahalal Nehru

Welcher Mensch von allen, denen Sie jemals begegneten, hat Sie am tiefften beeindrudt?" frage ich den Präsidenten des Indischen Rationaltongreffes Bandit Jawa hatal Nehru,

rada Nach furzem Nachdenter fagt er: Ginst ein."

"

Begen der Relativitätstheorie?"

Rein, wegen seiner Bescheidenheit."

Wie lange waren Sie in Deutschland ?"

,, Etwa drei Monate."

u

" Welches Volk beurteilen Sie als das höchst zivilisierte der

Erbe?"

,, Das französische."

,, Glauben Sie, daß, wenn Gandhi nach London geht, er ers reichen wird, was er will?"

,, Nur, wenn dabei der Druck Indiens auf England fortbesteht." Und wenn Sie die nationale Unabhängigkeit eritritten haben, was werden Sie dann tun?"

Versuchen, eine sozialistische Republit aus Indien zu

machen."

Wenn Sie in dieser Republik einen Ministerposten sich aus­

wählen fönnten, nach welchem würden Sie greifen?"

Nach langem Nachdenten sagt er: Kriegsminister." " Kriegsminister?" frage ich erstaunt.

,, Nein, Minister des Innern" nimmt er sofort zurück. Wie alt sind Sie?"

41 Jahre." Jers

Er sieht jünger aus. Sein Temperament macht ihn junger und wohl auch der Umgang mit der Jugend, denn er ist der eigentliche

free faulbeer iam

Boulber

Führer von Jung- Indien . Briefe indischer Jugendverbände häufen fich auf seinem Tische, Abordnungen kommen, von denen kein Glied über 20 Jahre alt ist. Und wie überall, stehen die Jungen am linken Flügel. Jamahalal Nehru hat eine Zeit in Sowjetrußland verbracht, was seine sozialistische Einstellung noch verständlicher macht.

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Was wird Ihre erste Berordnung sein, die Sie als Minister des Innern erlassen werden?"

,, Es wird viele erste Berordnungen geben."

" Wer ist Ihr bester Freund?"

,, Das ist eine sehr indiskrete Frage."

Wieso denn? Als ich Mahatma Gandhi dieselbe Frage stellte, jagte er ohne Umschweife und ohne irgendeinen Anstoß zu nehmen, Gott sei sein bester Freund."

Lachend gibt Jawahalal Nehru zur Antwort: Ich fürchte, ich

Il est un livre qu'on ne finit jamais de tine Plus anche mit dem mächtigen nicht auf jo gubem Fuße wie er."