Nr. 236 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 23. Mai 1931
Vom Teehaus zum Elendsquartier Hundesteuer ab 24. Mai.
Die neue U- Bahn- Linie Alexanderplat- Friedrichs| Leipzig als Gefangener auf dem Schloß. Seit über hundert Jahren felde hat uns das„ Charlottenburg des Ostens", wie ist Schloß und Park Besitz der Herren von Trestow. Ein beschauFontane das Schloß in Friedrichsfelde mit seinem weitläufigen Part liches Stück Natur und Vergangenheit inmitten einer raftlos vornennt, bedeutend näher gebracht. Zu Fontanes Zeiten erforderte wärtsjagenden Zeit. diese Neise für den„ ,, Westender" freilich einen Entschluß. Hatte man sich glücklich durch die Steinfästen des alten und neuen Berlin durchgeschlagen, so mußte man noch einen fuchsroten Omnibus mit Hauderer Tradition besteigen, um an Ort und Stelle zu kommen. Heute geht man von der Endstation der U- Bahn durch die ländliche Wilhelmstraße und steht bald vor dem altertümlichen Barkeingang, dessen Pfeiler mit schweren Steinvasen abschließen. Das reiderzierte Eisengitter des Tores steht offen und ladet jedermann zum Betreten des Parkes ein. Zur rechten Hand die ansprechenden Mansardenhäuschen der Gutsverwaltung und der Schloßangestellten. Auf der von stattlichen Bäumen flankierten Allee rollt ein hochfigiges Auto von Anno Tobat" mit dem Schloßbefizer dem Aus= gang zu. Das Schloß selbst macht mit seiner langen, gleichartigen Front einen ziemlich nüchternen Eindruck, der nur durch die wunderbare Baumlandschaft mit dem kleinen Weiher gehoben wird. Eine wahre Idylle aber ist das, allerdings nur auf verbotenen Wegen zu erreichende poetische Tee häuschen. Obwohl es auf einer Anhöhe liegt, ist es durch den dichten Baumbestand so gut wie verdeckt. Die großen Fenster mit den gotischen Spitzbogen find mit Brettern verschlagen. An zahlreichen Stellen ist der rotbraune Berputz abgefallen und aus den Fensterrizen strömt eisige Luft. Seitlich von der Anhöhe führt ein Stollen zum Keller. Bettler hausten hier unten während des ganzen Winters, und obwohl der Stollen erst fürzlich zugeschüttet wurde, wurde er von einem Liebhaber des seltsamen Quartiers erneut ausgebuddelt. Rosenfelde hieß noch bis 1700 Schloß und Bart. Der Holländer Benjamin Raule erst schuf an Stelle des alten Jagdschlosses einen Sommerpavillon und ließ durch holländische Gartenfünstler den weiten Part anlegen. Nach ihm hatte hier der Herrenmeister des Johanniterordens, Markgraf Albrecht von Schwedt , seinen Sig; er ließ das Schloß aufführen, dessen Grundinauern noch heute stehen. Eine Bildersammlung wurde angelegt und nach dem Muster des Rheinsberger Hofes gelebt. In bunter Folge wechselten die Schloßbesizer. Nach der Herzogin von Kurland die Prinzessin von HolsteinBed, unter deren fröhlichem Regime die Arbeitsluft und Sitte" unter den Dorfbewohnern bedenklich zurückging. Auch der König von Sachsen meilte, allerdings unfreiwillig, nach der Schlacht bei
Die neue Lindenstraße.
Freigabe des Durchbruchs zum Spittelmarkt. Heute wird die neue Durchbruchstraße in Berlängerung der Lindenstraße zwischen Beuth - und Kommandantenstraße dem öffentlichen Verkehr für Fahrzeuge übergeben, nachdem schon fur; coe Weihnachten ein Bürgersteig für den Fußgängerverkehr freigegeben war.
Bor mehr als 25 Jahren wurde der Plan zum Durchbruch der Lindenstraße nach dem Spittelmartt gefaßt, im Jahre 1910 wurden die Fluchtlinien für eine Straßenbreite von 24 Metern festgesezt, aber der Krieg und die Nachkriegszeit verhinderten die Ausführung des Planes. Das Anwachsen des Verkehrs besonders im Zentrum von Berlin in den letzten Jahren verlangte eine Nach prüfung der anfänglich festgesetzten Fluchtlinien; der im Jahre 1930 festgesette Fluchtlinienplan sah eine Breite von 32 Metern vor,
maligen Hausteller mit angefahrenem Sand vorgenommen werden, die bei dem damaligen Mangel an gutem Boden in Berlin lange Zeit beanspruchte, so daß erst im September 1930 mit dem Einbau der Bersorgungsleitungen begonnen werden fonnte. Bor dem Einfegen des Frostes wurden noch die beiderseitigen Bürgersteige fertig gestellt, die übrigen Pflasterarbeiten mußten aber bis zum Frühjahr 1931 verschoben werden. Mit Rüdficht auf die zu erwartenden Sadungen in dem aufgefüllten Boden konnten die beiden Richtungs: fahrdämme zunächst nur provisorisches Steinpflaster erhalten. Erst wenn der Berkehr die Straße festgemalzt hat, werden die Dämme das endgültige Rauhasphaltpflaster bekommen.20
Der mittlere Gleistörper wird solange, bis die Straßenbahn ihre Gleife einbaut, als Autopartplatz hergerichtet, eine will tommene Abstellmöglichkeit für die bisher in den Nebenstraßen Die neue Durchbruchstraße wird den parkenden Autos bieten. Namen Lindenstraße erhalten.
daß heißt, zwei je 4,20 Meter breite Bürgersteige, zwei Richtungs. Vor dem Urteil im Scheuen- Prozeßt.
fahrdämme von je 8 Metern Breite und in der Mitte ein eigener Gleisförper für die Straßenbahn, 7,60 Meter breit.
Drei Häuser in der Beuthstraße und zwei Häuser in der Kommandantenstraße mußten beseitigt werden. Nachdem sie von Mietern geräumt waren, wurde im November 1929 mit dem Abbruch begonnen. Im Juni 1930 tonnte die Berfüllung der ehe.
Tersanky J. Jeno
DIEFLIEGENDE
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AMILIE
Im Prozeß Frau en gegen Redakteur Frey fanden gestern die Plädoyers der Parteien statt. Für Dr. Frey sprach Rechtsanwalt Dr. Löwenthal, der die Verwerfung des ersten Urteils und Freispruch beantragte; für Frau Weyl Rechtsanwalt Otto Landsberg , der für die Verwerfung der Berufung des Angeklagten plädierte. Im gleichen Sinne äußerte sich auch der Staatsanwalt. Das Urteil ist heute zu erwarten.
Wachhunde bleiben steuerfrei. Gleichzeitig mit der Verfügung der neuen Biersteuer, die ab 1. Juni in Berlin verdoppelt wird, erläßt der Oberpräsident auf dem Berwaltungswege die neue Hundesteuerordnung für Berlin , die bereits am 24. Mai in Kraft treten wird. Der Hundesteuer war in der Form, wie sie der Magiftrat vorlegie, die Genehmigung durch die Stadtverordnetenversammlung versagt worden. Auch die gemeinsame Beratung zwischen dem Magiftrat und dem Stadtgemeindeausschuß hatte zu feiner Verständigung geführt. Durch die Verfügung des Oberpräsidenten erhält die Magistratsvorlage nunmehr Gesegestraft. Die Hundesteuer soll für das Jahr 1931 7 bis 8 millionen Mark einbringen.
Der Oberpräsident begründet seinen Schritt damit, daß der Haushaltsplan für die Stadt Berlin nur unter Heranziehung aller gesetzlich möglichen Steuerquellen zum Ausgleich gebracht werden kann. Nach der neuen Hundesteuerordnung muß jeder im Stadtbezirk Berlin wohnende Bürger für einen über zwei Monate alten Hund eine jährliche Steuer von 60 M. entrichten. Für den zweiten Hund in demselben Haushalt beträgt die Steuer 120 M., für den dritten Hund 180 M. Die Steuer wird auf Antrag ermäßigt auf ein Fünftel des Steuersatzes bei finderlosen Ehepaaren über 60 Jahre( bisher 50 Jahre) und alleinstehenden Personen über 60 Jahre( bisher 50 Jahre), die ein Jahreseinkommen bis zu 1200 Mart haben, sowie bei hochgradig schwerhörigen Personen, die auf das Halten eines Hundes angewiesen sind. Für Hunde, die zur Bewachung von Gebäuden, Gehöften, Plägen und Kleingärten gehalten werden, tritt eine Ermäßigung auf ein Biertel des Steuersages für den ersten Hund ein, bisher wurde in solchen Fällen Steuerfreiheit gewährt. as
Bollkommen steuerfret sind nur Wachhunde für einzeln liegende Gehöfte, ferner der Führerhund eines Blinden und die Dienst hunde staatlicher Anstalten.
Gefängnis für den Meisterspion". Geine Briefbogen der Reichsbehörden waren gefälscht.
Der Prozeß gegen den Kaufmann Adolf Thum, der sich mit Hilfe gefälschter Schreiben des Auswärtigen Amtes somie des Sekretariates des Reichspräsidenten eine größere Entschädigungssumme auszahlen laffen wollte, wurde zu Ende geführt. Aus den Akten des Reichsentschädigungsamtes, die das Gericht für diesen Prozeß angefordert hatte, ging hervor, daß die Angaben des Angeklagten über seine Agententätigkeit nicht zutreffen fonnten. In früheren Eingaben an die Behörden hatte er niemals erwähnt, daß er eine derartige Tätigkeit ausgeübt hatte und daß ihm die Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes, wie er jetzt behauptet, zu Beginn des Weltkrieges mehrere hunderttausend Mart als Be
zahlung seiner Dienste ausgezahlt hätte. Demgegenüber war aber eine Zeugenvernehmung für die Schuld des Angeklagten von ent scheidender Bedeutung. Ein 3euge, der mit Thum im gleichen Männerheim, gewohnt hatte, befundete vor Gericht, daß er die Betanntschaft Thums mit einem Druderei= besiger vermittelt habe. Thum habe Briefbogen von Reichsbehörden angefordert und sich bereit erklärt, für diese kleine Drudarbeit 1000 Mart zu zahlen, wenn ihm das Geld vorläufig gestundet würde. Auf Grund dieser Beweisaufnahme hielt es das Gericht für erwiesen, daß die Fälschungen zumindest auf Veranlassung des Angeklagten vorgenom men worden seien und daß seine Forderung nicht zu Recht bestehe. Thum wurde daher vom Schöffengericht Berlin- Mitte wegen schwerer Urkundenfälschung und versuchten Beiruges gegenüber dem Reich sowie wegen vollendeten Betrugs gegenüber einer Vermieterin zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Pfingsttonzert des Reichsbanners. Am 24. Mai( 1. Pfingstfeiertag) veranstaltet der Ortsverein Friedrichshain des Reichss banners Schwarz- Rot- Gold in der Alten Taverne, Alt- Stralau 26, ein großes Früh- und Nachmittagskonzert, ausgeführt von der Gesamtkapelle des Ortsvereins Friedrichshain . Das Frühkonzert findet von 6 bis 10 Uhr, das Nachmittagskonzert von 15 bis 23 1hr statt. Leitung: Kameraden Beetz und Brückner. Eintrittspreis 25 Pf. Um rege Beteiligung wird gebeten. Ein Früh
Ihnen gesehen hätte?"
Einmal zog ein Romödiantentrupp durch das Dorf, mit den Komödianten: Sagen Sie mir zuerst, was er schon an zwei Wagen. Auf dem ersten war eine ähnliche, nur größere Tafel angebracht, wie sie auf Plachenwagen zu finden sind. Der zweite glich einem Möbelwagen, nur hatte er Fenster und einen
Geschichte eines Rauchfang.
Autisten
Roman aus dem Ungarischen von Alexander von Sacher Masoch.
( Schluß.)
Unter seinen Händen verwandelten sie sich in zwei strahlende Wundertiere und waren dabei so zutraulich, daß sich die Kinder des Vizebürgermeisters an ihren Schweifen schaufelten.
Solch ein Traben, Galoppieren und alle Künste der hohen Schule hatte das Dorf noch nie erlebt, wie es der Gaufler beim morgendlichen Bereiten zeigte.
Der Ruf des neuen Hengstwärters drang in das Nachbardorf, ja, der Oberstuhlrichter wollte ihn als Paradekutscher für sein Bierergespann anstellen. Bei doppeltem Lohn.
Mister Fred fesselten jedoch jetzt schon stärkere Bande an Die Gemeinde, als das Amt eines Paradekutschers.
Die Magd des Lehrers war fein junges Mädchen mehr, aber ihr Vorzug war nicht dies, sondern vielmehr die Tatsache, daß sie früher jahrelang in einer sächsischen Stadt gedient hatte, bei einem Hauptmann, so daß sie ziemlich gut deutsch quasselte.
So machte der tommende Herbst den Lehrer zum Paten eines kleinen Söhnchens, dieser glücklichen Verbindung entsproffen. Hier stellte sich endlich heraus, daß Mister Fred gar nicht so hieß, wie er sich nannte, sondern Franz Schafranet. Diesen Namen erhielt auch der Reugeborene mit auf den Lebensweg.
Jahre vergingen.
*
Etwa in der Mitte des Dorfes, auf dem Platz vor dem Gemeindehaus, hielten sie an. Aus der Tür des hinteren Wagens sprangen vier oder fünf phantastisch gekleidete Gaukler auf die Tafel des ersten Wagens hinüber.
Das geschah natürlich schon vor einem ansehnlichen Menschenauflauf.
Auf der Tafel begannen nun die Komödianten Saltos zu schlagen und gingen auf den Händen, zum Gaudium des Publikums.
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Der Komödiant war ein wenig überrascht, aber gleich fertig mit der Antwort: Geschätzter Herr, Sie täuschen sich, weil wir hier auf der Straße spielen. Bir tamen nur heute aus R. herüber vom Kitscher- Zirkus. Hier sahen weder Sie noch andere schwerlich solche Darbietungen.
,, Was Sie fagen? Daß Sie vom Kitcher fommen? Na und?" sagte der Mann.
Rennen Sie ihn vielleicht!?" rief der Gaufler. Komödianten ein wenig spöttisch musternd, dann fügte er ,, Kitcher und Kompagnie?" entgegnete der Mann, den hinzu:„ Hörten Sie je von Mister Adam bei Kitcher und Rompagnie? Von Mister Fred? Dann sehen Sie mich genauer an. Sie haben noch die Lampen angezündet, als ich hauses ein fleiner Knabe zu den anderen Kindern in ebenso mödianten um den Mann, sogar der Kutscher des WohnNach einiger Zeit lief aus dem Hostor des Gemeinde- Meister Kitcher das Publikum brachte, lieber Karl Leding. Bei diesem Gespräch drängten sich bereits die andern Kofleinen Höschen, rundem Hütchen wie die anderen, um Maul- wagens redte den Hals nach ihm. Der Mann hätte nicht mit affen feilzuhalten oder beim Anblick der Komödianten vor Bewunderung von einem Bein auf das andere zu treten.
Gerade, als nach Beendigung der Darbietungen zwei Komödianten gleichzeitig von der Tafel herabsprangen mit je einem Blechteller, damit der eine das flüchtende Publikum dem anderen in die Arme trieb, trat aus dem Tor des Gemeindehauses ein Mann. Grauhaarig, aber hochgewachsen und gut genährt in ebensolchen engen Hosen und Stiefeln wie die anderen männlichen Dorfbewohner.
Er warf mit gerunzelten Brauen einen Blick auf die Gauklerwagen, dann, als er seinen Sprößling erblickte, rief er ihn an: Fränzchen! Hallo, marsch hinein!
Gerade in diesem Augenblid trafen die zwei einsammelnden Komödianten vor dem Manne zusammen, und seine Strenge gewahrend, bemerkte der eine in deutscher Sprache zum andern: So ein Mordster!! Er zürnt seinem Söhnchen, weil er uns zusah. Gott bewahre uns vor diesen Bauern.
Daraufhin sagte der Mann in fließendem Deutsch zu
zehn Mündern alle Fragen beantworten fönnen, die ihn umschwirrten. Aber nach ein, zwei kurzen Antworten sagte er nur soviel: Wundert euch nicht über mich. Ich sage euch, es wäre auch für euch besser, eine ehrliche Beschäftigung zu suchen. Auch ihr wißt, daß die Menschen nur so lange Beifall flatschen und zahlen, so lange ihr hüpfen fönnt zu ihrem Bergnügen wie die Affen. Wenn ihr euch die Knochen zerschlagt, dann könnt ihr ihrethalben auf der Straße frepieren. Ich danke schön für den Ruhm, meine Fraße auf jeder Straßenede platatiert zu sehen. Und nachher erkennt mich fein Hund wieder. Das habe ich zu sagen... Komm hinein, Fränzchen!"
Aber diese legten Worte jagte Mister Fred alias Franz Schafranek bereits zum jüngeren Schafranet und warf einen Gulden in den Teller des einen Komödianten. Der Gulden sprang über den Rand des Tellers und fiel auf die Erde.
Er nahm seinen Sohn bei der Hand und trat durch das Tor in den Hof des Gemeindehauses