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Nr. 24148. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mittwoch, 27. Mai 1931

Fahrendes Volk

Die Welt der reisenden Schausteller

Hausier- und Straßenhandel

zuzulassen, weil sich durch sie die Frequenz des Straßenverkehrs und somit auch ihr Umsatz hob. So ist das Wandergewerbe als lebenswichtiger Faktor gar nicht aus dem deutschen Wirtschaftsleben hinwegzudenken. Auch der Hausierer hat sich gewandelt. Fristen noch tausende kleine Existenzen mühselig durch Trepp- auf- Trepp- ab­Steigen ihr Leben, so hat sich doch eine große Zahl modernisiert. Fahrrad und Motorrad genügen nicht mehr, jetzt muß es schon ein Traktor sein, an den man seinen Laden anhängt und von Ort zu Ort zieht. Es gibt ganze Dörfer in Deutschland , in denen die

In den Rahmen des Wandergewerbes fügt sich heute, was im Gegensatz zu dem stehenden Gewerbe auf Meisen, Märkten, Volksfesten, auf Straßen und Pläßen, auch im Hausier­handel und sonstigen Gelegenheiten tälig ist. Ebenfalls zählt zu ihm der Stand der reisenden Schausteller und die Unternehmungen großer Voitsbeluftigungen, die mit Lichterglanz und Musik die Menschenmassen anloden. Geschichtlich betrachtet hat das fahrende Volk" mur zeitweise und meist nur in den Zeiten bigotten Muckertums unter dem Odium der Herabsehung gelitten, wie sich auch heute seine Organisation, der Reichsverband ambulanter Gewerbetreibender", mit Energie gegen Anfeindungen solcher Art zu wehren versteht. Im Mittelalter wie noch heute waren die reisenden deutschen Kaufleute gern­gesehene Gäste auf allen großen Handelspläßen der Welt, die hochwertige Produkte deutschen Fleißes mitbrachten. Sie vermittelten Zeitungen und Nachrichten und sorgten so für Aufklärung; der gehemmte Bildungstrieb im Volt wurde durch Schaustellungen seltener Tiere, wissenschaft­licher Erfindungen u. a. angespornt, was heute in abgeschlossenen Landgegenden noch geschieht. Man braucht nur an die großen Erfindungen des letzten Jahrhunderts: Dampffraft: Elektrizität, Film und Sprechmaschine, zu denken: immer waren es Schausteller, die diese Erfindungen populär machten. Die Budenmänner und Aus= rufer auf dem Podium ihrer bunten Zelte zeigten den breiten Massen zuerst das Wunder der Voltaschen Induktion, der Influenzmaschine und anderer physikalischer Experimente, fie brachten auf Ausstellungen die ersten elektrischen Bahnen heraus und waren es selbst, die für ihre Plätze und Wagenparts als erste Dampf- und Explosionsmaschinen in Bewohner durch die Dürftigkeit der Umgebung gezwungen sind, von Dienst stellten,

Die große Wanderung.

Heute fallen dem Wandergewerbe andere Aufgaben zu, und

Fliegender Geschirrladen auf der Landstraße

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die

hebung des Reichswirtschaftsrats schäßt man den Gesamtumsah der Wandergewerbetreibenden mit einer Milliarde Mark ein. An Ge­werbesteuer vereinnahmt das Reich nach Erhebungen des Verbandes etwa 8 356 000 Mart vom fahrenden Volk", dazu kommen andere Steuern, fommunale Abgaben, Landessteuern, die teuren Stand gelder, Bahnfrachten usw., Riesensummen, die das Wandergewerbe aufbringt. Die statistische Erfassung des Wandergewerbes vom Jahre 1926 ergab annähernd eine Viertelmillion Menschen. Es nimmt nicht wunder, wenn man erfährt, daß ein einziges Schau­stellerunternehmen, wie das einer Münchener Firma, die Berg und Talbahnen aufstellt und eine solche, die größte in Europa zur Zeit, in Schloß Schönholz bei Pankow es­richtet, mit Millionen rechnet, die im Betrieb stecken. Ein anderes Unternehmen, das ethnologische und andere Schaunummern bringt, muß ebenfalls mit Millionen umspringen, wenn es fremde Völker­die Lippenneger, stämme zur Schau stellt, wie jetzt nach dem tommen. 300" Schon die Haftung für die fremden Menschen an ihren ein­heimischen Staat beträgt Hunderttausende. Neben diesen Großen des Gewerbes finden viele fleine aufstrebende Existenzen ihren Play; ein jeder ist bemüht, für die wenigen Groschen bieten. Eintrittsgeld Vollwertiges zu Die Karussells, Spielbuden, Schießbuden, Würstchen­verkäufer, Flohzirkusse usw. machen das Bild vollständig. Eine seltene Verbundenheit eint das muntere Volk, das so untrennbar mit seinem Beruf verwachsen ist. Mögen die Ge­schäfte im Wechsel der Zeitenläufe gut oder schlecht gehen, man hilft sich gegenseitig immer wieder auf die Beine und kämpft gemeinsam für das Ansehen des Standes.

In der öffentlichen Meinung gilt es viele eingewurzelte Borurteile zu bekämpfen. Das Schaustellergewerbe mehrt sich selbst energisch gegen Auswüchse in seinen Reihen und empfindet es als Schande, wenn die Polizei Selten eingreifen muß. wird dazu der Anlaß geboten, und in Wirklichkeit geht es recht harmlos auf den Berliner Rummelplätzen zu. Bekannte Städtebauer fordern mit Recht das bunte Bild belebter Volksfeste inmitten der Stadt.

diese Veränderung gibt ihm auch ein anderes Geficht. Die Schau- auf der Chaussec, dieses Klappern ist Muſit für die Ohren ver Go läßt Goebbels Mordhezze freiben!

steller auf den Märkten, die Hausierer und Straßenhändler sind Ventile in dem großen Handelsorganismus, den der Staat in sich darstellt. Bei stockenden Märkten beleben sie die Wirtschaft und bringen noch Waren an den Mann, befördern den Geldumsatz, wo ein anderer die Hoffnung schon aufgibt. Bei der Errichtung des Hamburger Doms, des bekannten norddeutschen Volksfestes, merden eine Million Mart ausgegeben für Holz bauten, Arbeitstöhne und Sonderanschaffungen. leber 400 Zimmerleute, über 300 Maler, über 1600 Handarbeiter find nötig, um einen vierwöchigen Weihnachtsmarkt aufzubauen. 400 Wohn- und Packwagen, 500 andere Betriebswagen erscheinen auf der genannten Budenstadt, die ein gewaltiges Rapital repräsen­tieren. Eine Sparte der großen Organisation, die in viele Gruppen geteilt ist, der Straßenhandel für Obst und Gemüse, vermittelt etwa 70 Broz. der leicht verderblichen Ware in die Hände der Konsumenten. Seit in Hamburg aus Verkehrsgründen die Fisch händler von den Straßen der inneren Stadt verschwunden sind; leiden die Finkenwärder Fischer Not. Geschäftsleute, die aus Kon­furrenzgründen durch Eingaben an die Behörden die Straßen­händler vor ihren Geschäften vertrieben haben, kamen bald mit Eingaben an die Behörden gelaufen, die Straßenhändler wieder

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لاجات

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Auble

VON

1. ILF UND F. PETROW

Copyright Paul Zsolnay Verlag Berlin - Wien .

Die drei Nymphen" sahen einander an und seufzten

laut auf.

Derartige Gespräche hielten Worobjem auf und er fam, ganz gegen seine Gewohnheit, etwas zu spät ins Büro. Er entnahm der Schublade ein blaues Filzpölsterchen, tat es auf den Stuhl, zwirbelte seinen Schnurrbart parallel zur Tischlinie zurecht und ließ sich auf dem Bölsterchen nieder, so daß er etwas höher saß als seine drei Kollegen. Worobjem fürchtete sich nicht vor Hämorrhoiden, aber er wollte nicht die Hose durchwegen, deshalb benügte er den blauen Filz.

3wei junge Leute, ein Mann und ein junges Mädchen, marteten bereits und verfolgten verlegen die Manipulationen des Sowjetangestellten. Der Mann im wattierten Tuchrock war durch die Büroatmosphäre, den Geruch der Tinte, die Wanduhr, die schwer und oft seufzte, und besonders durch die an der Wand befindliche strenge Inschrift ,, Wenn du deine Angelegenheit erledigt hast, so entferne dich!"- ziem lich niedergedrückt. Schon wollte er sich, ohne erst über sein Anliegen zu sprechen, entfernen. Seine Sache erschien ihm jetzt so nichtig und es war gewissenlos, einen so ansehnlich grauhaarigen Bürger wie Worobjem ihretmegen zu be­unruhigen. Für Borobjew indes war es selbstverständlich, daß die Angelegenheit des Besuchers nicht wichtig war und daß er warten könne, und so schlug er eine Faszikelmappe auf und vertiefte sich in die Papiere. Das junge Mädchen in langer Jade, mit glänzenden schwarzen Borten benäht, flüsterte ihrem Gefährten etwas zu und näherte sich Worobjew zaghaft, vor Scham errötend.

,, Genoffe", sagte sie ,,, wo ist hier..."

Der Mann im wattierten Rod atmete erleichtert auf und stieß unerwartet hervor: Heiraten!" Worobjem heftete den Blick aufmerksam auf die Holz­barriere, hinter der das junge Paar stand: Geburt? Tod?" ,, Heiraten", wiederholte der Mann im Rod und blidte perloren umher.

Das junge Mädchen begann unmotiviert zu lachen. neobjem mochte fich mit der Geschicklichkeit eines Laichens

alters her als Hausierer zu reisen. In einem solchen Dorf von 800 Einwohnern fauften sich innerhalb eines Jahres 32 Haufierer je einen Trattor. Klappert dann solch ein fliegender mit Eisenwaren oder Töpfen behängter Laden recht lustig Leute, die ihren Nutzen davon haben. Der Neuheitenhändler und Spezialist mit seiner großen Rednergabe darf nicht unerwähnt bleiben, der manchem unscheinbaren Gegenstand zu einem Welt­erfolg verholfen hat. In Berlin stellt die Finanzbehörde 16 000 Straßenhandels- Steuerhefte aus. Die Zahl der Straßenhändler und Hqusierer in Deutschland wird mit 80 000 men­schen nicht zu hoch geschätzt. Wir dürfen nicht verkennen, daß es ebenso viele Familien sind, die auf ehrliche Weise ihr Brot suchen und auch finden. hire mis ragad pineda

Fast eine Biertelmillion lebt davon.

FEXTINCT

Die Leute mit den Karussells und den Buden voll Sehenswürdig feiten ziehen auch nicht mehr wie ehemals im Zigeunermagen im Lande umber. Heute sind es geräumige, mit allem Komfort aus­gestattete Wohnwagen, vor die ein Motor gespannt ist, die Menagerie oder die Geräte für den Karussellaufbau hängen hinten daran. Sieht man einmal hinter die Kulissen dieser modern auf­gezogenen Unternehmungen, so wird man erstaunt sein über die Riesensummen an Werten, die in dem Gewerbe investiert liegen. Auch der Umsatz ist nicht gering, den sie machen. Nach einer Er­

spielers an die Arbeit. Er schrieb mit seiner Altweiberschrift| die Namen des Bräutigams und der Braut in die dicken Bücher, befragte streng die Zeugen, die die Braut vom Hof heraufholte, behauchte lang und zärtlich die viereckigen Stempel und drückte sie auf die schmierigen Pässe. Dann nahm er von den jungen Eheleuten zwei Rubel entgegen und sagte lächelnd: Für die Erfüllung des Saframents." Er erhob sich und streckte gewohnheitsmäßig er hatte vor Jahren ein Mieder getragen die Brust heraus. Leuchtend gelbe Sonnenstrahlen lagen wie Epauletten auf seinen Schul­tern. Er sah etwas lächerlich, aber ungewöhnlich feierlich aus. Die konkaven Gläser seines Zwickers glänzten weiß. Die jungen Leute standen da wie Lämmer.

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euch, wie man früher sagte, zur legalen Eheschließung zu ,, Junge Leute", sagte Worobjem feierlich ,,, erlaubt mir, gratulieren. Es ist sehr, sehr erfreulich, junge Menschen, wie ihr es seid, zu sehen, die einander an der Hand halten und der Erfüllung ewiger Ideale entgegenschreiten. Sehr, sehr erfreulich."

Nachdem er diese Rede gehalten hatte, drückte er den Neuvermählten die Hand, setzte sich nieder, mit sich selbst äußerst zufrieden, und nahm die Lektüre seiner Papiere wieder auf.--

Der Arbeitstag neigte seinem Ende zu. Bom benach­barten Kirchturm läuteten die Glocken. Die Fensterchen erzitterten. Die Dohlen flogen vom Glockenturm, schwirrten über dem Marktplaß und verschwanden. Der Abendhimme! verdunkelte sich über dem leergewordenen Platz.

Alles was an diesem Tage geboren werden sollte, wurde geboren und in die dicken Bücher eingetragen. Die heiraten wollten, waren verheiratet und tamen in die dicken Bücher. Nur gab es, zum Schaden der Sarggeschäfte, feinen Todes fall. Borobjem legte seine Papiere zusammen, tat sein Bölsterchen in die Lade, fämmte seinen Schnurrbart zurecht und bereitete sich schon vor megzugehen, von der dampfenden Suppe träumend, als sich die Bürotür öffnete und auf der Schwelle der Sarghändler Bezentschuk erschien.

"

,, Meine Hochachtung, teurer Gast", lächelte Worobjem. Was haben Sie mir zu erzählen?"

Das wilde Geficht des Händlers leuchtete in der Däm merung, er sprach aber nichts.

,, Nun", sagte Worobjem etwas strenger. ,, Berflucht noch einmal, kann denn die Nymphe" gute Ware liefern?" fragte der Sarghändler. Kann sie den Kunden zufriedenstellen?"

"

Was wollen Sie eigentlich?" fragte Worobjem.

,, Von der Nymphe" spreche ich. Drei Familien leben non einem einzigen Geschäft. Wie tönnen je da gutes

Das Märchen von der durchschnittenen Kehle.

Vor einigen Tagen wurde in der Nähe der Ortschaft Buch ein SA.- Mann namens Fedde angeblich von Kommunisten überfallen und durch einen Messerstich am Halse verletzt. Der Angriff", das Berliner Organ des Herr Goebbels , nahm den Vorfall als An­laß zu einer wüsten Mordheßze gegen das ,, rote Gesindel".

"

In großen Lettern war in dem nationalsozialistischen Standal­blatt zu lesen, daß einem SA.- Mann die Kehle durchschnitten sei". Im allgemeinen pflegen Menschen mit durchschnittener Kehle das Beitliche zu fegnen. Dieser SA.- Mann Fedde läuft aber bereits feit dem 1. Feiertag wieder quietschvergnügt umher und trägt nicht einmal mehr einen Verband, woran man erkennen kann, wie schwer" die Berlegung gewesen sein muß. Er hat faum zwei Tage im Krankenhaus zugebracht.

Recht interessant sind die folgenden Feststellungen: Fedde, der Mann mit der durchschnittenen Kehle, begab sich nicht etwa gleich in ein Krankenhaus, sondern er suchte erst einmal das Parteibüro in der Hedemannstraße auf, um dort seinen lebensgefährlichen Zu­stand zu demonstrieren. Er erklärte dort, daß alle Aerzte von der SPD. verfeucht seien und er als deutscher Mann" sich nicht in

Material geben, die Ornamente sind ordinär und die Quasten schütter, verflucht noch einmal. Meine Särge aber sind aus­gewählt gut, wie junge Gurken für Liebhaber...

,, Bist du verrückt geworden?" sagte Worobjem kurz und schritt zur Tür. ,, Du wirst noch mitten unter deinen Särgen den Verstand verlieren."

Bezuntschek öffnete zuvorkommend die Tür, ließ Worob­jem vorausgehen und folgte ihm dann, vor Ungeduld zitternd. ,, Ja, als noch die Firma zu ihren Diensten" existierte, da war's etwas anderes. Keine andere Firma, weder hier noch in Twer , fonnte Särge liefern wie sie, verflucht noch ein­mal. Jetzt aber, ich sage es Ihnen offen heraus, ist meine

Ware die beste."

Worobjem wandte sich ärgerlich um, sah Bezentschuk eine Sekunde lang an und ging weiter.

Die drei Besitzer der Nymphe" standen in derselben Stellung vor dem Laden, wie sie Worobjem am Morgen ver­lassen hatte. Es machte den Eindruck, als hätten sie seither fein Wort miteinander gewechselt. Der seltsame Ausdruc ihrer Mienen und die geheimnisvolle Befriedigung, die träu­merisch in ihren Augen glänzte, ließen erkennen, daß sie von etwas Außergewöhnlichem wußten.

Als Bezentschut seine kommerziellen Feinde erblickte, fuchtelte er verzweifelt mit den Händen und flüsterte etwas hinter Worobjem. Der verzog das Gesicht und ging rasch weiter.

,, Sie können ihn auch auf Kredit haben", äffte Bezentschuk den andern nach.

Die drei Besizer der Nymphe" aber sagten nichts. Sie segten sich in Bewegung und schritten schweigend hinter Borobjem einher, lüfteten andauernd ihre Müzen und grüßten höflich.

Worobjem, außer sich gebracht durch die dummen Reden des Sarghändlers, eilte schneller als gewöhnlich die Treppe hinauf und betrat mit großem Appetit das Vorzimmer. Ihm entgegen fam der Pope der Laurentiuskirche, Bater Fedor. Der hob mit einer Hand den langen Schoß seines Priester­mantels und lief fiebernd, ohne Worobjem zu beachten, dem Ausgang zu.

Jetzt erst fiel Worobjem eine ungewohnte Sauberkeit in der Wohnung auf, eine andere Anordnung der wenigen Möbelstücke, und er fühlte ein Kizeln in der Nase, verursacht Don starkem Medizingeruch. Im ersten Zimmer fand er die Nachbarin, die Frau eines Agronomen, Frau Kuznezowa. Sie zischte etwas und winfte mit der Hand. Es geht ihr schlecht, sie hat soeben gebeichtet. Vater Fedor war eben bei ihr. Machen Sie tein Geräusch mit den Stiefeln."

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( Fortsetzung folgt) 1