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Nr. 255* 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Donnerstag, 4. Inn » 4934

Berlin ringt sich durch I Programm des Siadthammerers/ Weg mit dem Unrecht/ Appell an Reich und Staat

In der gestrige« Sitzung des Stadtparlaments. in der wieder bestellt« Radaumacher die Arbeit zu stören versuchten, brachte der Stadtkämmerer, Genosse Bruno Asch , den Haushaltsplan für das laufend« Etatsjahr ein. Berlin zahlungsfähig zu erhalten, um Löhne. Gehälter und soziale Unterstützungen auch in der schwer- sten Krise weiter auszahlen zu können, ist die Aufgabe, die es zu lösen gilt. Die sachlichen, klugen und von hoher Verantwortung getragenen Ausführungen des Kämme» rers wurden oft von den Anhängern der Radauparteien unterbrochen, wobei die Störer im Plenum und auf der Tribüne sich eifrig sekundierten. Schreien können diese Maulhelden alle ausgezeichnet, keiner der Hetzer aber weiß einen besseren Weg zu weisen. Im Rathaus wird in den nächsten Tagen und Wochen mit Hochdruck gear- bettet werden müssen, um den Etat der Viermillioneu- stadt unter Dach und Fach zu bringen. Für morgen und Sonnabend sind bereits vom Vorsteher außerordentliche Stadtverordnetensitzungen angesetzt worden. Trotz aller Deckungsversuche und rigoroser Sparmaßnahmen bleibt im Etat ein Defizit von 92 Millionen. Dabei wachsen die Sozialausgaben der Riesenstadt, in der jeder Ver» elendete, jeder Abgerissene noch Unterschlupf zu finden hofft, von Tag zu Tag. Und die Steuereingänge gehen weiter zurück! Wie lange wollen Reich und Staat noch tntt der dringenden Hilfe warten? Die Rede des Etadikämmerers Genosse Asch führte aus: Der Haushaltsplan schließt in der Ordentlichen Verwaltung mit 1098 000 000 M. ab gegenüber IIIS 000 000 M. im Jahre 1930. in der Außerordentlichen Berwallung mit 287,3 Mill. M. gegen 41,9 Mill. M. im Jahre 1930. Auf allen Gebieten der städtischen Verwaltung sind einschneidende Sparmaßnahmen durchge» führt, die den Haushaltsbedarf der einzelnen Kapitel zum Teil er- heblich gesenkt haben. So haben sich die laufenden Aufwendungen für die Bauverwaltung von 38,S Mill. auf 34, S Mill., für da» Wohnungs- und Siedlungswesen von 141 Mill. auf 79,5 Mill.(wegen Wegfall eines erheblichen Teils der Hauszins- steuer), im Schulwesen von 148 Mill. auf 132,7 Mill., im G e- sundheitswesen von 12S,6 Mill. auf 115,6 Mill. gesenkt. (Hört, hört im Haufe.) Alle Ersparnismaßnahmen aber sind in ihrer Wirkung mehr als ausgeglichen durch den ständig steigenden Bedarf des Wohl- fahrtsetats, der für das Jahr 1931 den gewaltigen Zuschuß- bedarf für Wohlfahrtserwerbslose in Höhe von 158 Mill vorsieht gegenüber einem Voranschlag für 193Y von 46 Mill und einer Ist- Ausgabe für 1930 von 78 Mill M. Durch diese Entwicklung der Wohlfahrtserwerbslosigkeit und die gleichzeitig steigenden Zahlen der übrigen Hilfsbedürftigen steigt der gesamt« Wohlfahrtsaufwand der Stadt auf einen Zuschußbedarf von 352 Mill. M. Das ist mehr als der 6 X fache Betrag des llahres 1924. (Lärm bei den Komm, und Nazis.) Während die Aufwendungen der Stadt, insbesondere auf dem Ebnete der Wohlfahrtspflege, fest der Stabilisierung der Währung

eine ständig steigende Tendenz zeigen, hat sich die Finanz- ausgleichsgesetzgebung fortgesetzt zuungunsten der Stadt verschlechtert.(Sehr richtig! bei den Soz., Lärm bei den Komm.) Das Anrecht an Berlin . Bei allen finanziellen Ausgleichsmaßnahmen zeigt sich die e i n- seittge Wirkung gegen Berlin . Bei der H a u s z i n s st e u e r sind die bisherigen Verhältnisse bekannt. Sie sind empfindlich ver- stärkt durch die neuen, im Jahre 1930 erlassenen Bestimmungen der Notverordnung und der Preußischen Finanzausgleichsgesetz- gebung. Berlin liefert au« seinem bisherigen Wohnungsbananteil wei­tere annähernd 60 Mill Tll au die preußischen Ansgleichsfonds zur Realsteuerfenkung und zum Wohnungsbau. Da die Realsteuersenkung in Preußen nicht schematisch, sondern nur bis auf den Landesdurchschnitt erfolgt und Berlin bei der Gewerbe- steuer unter dem Landesdurchschnitt bleibt, erhält es bei der Ge- Werbesteuersenkung überhaupt kein« Rückvergütung, bei der Grund- oermögenssteuersenkung eine Vergütung von rund 150 000 M. Wenn auch in diesem Jahre erstmalig ein größerer Bettag aus dem Woh- nungsbau-Ausgleichsfonds der Stadt Berlin zufließen wird, so bleibt doch eine erneute Schädigung der Reichshauptstadt um rund 45 Will. M. festzustellen. Bei der Kraftfahrzeugsteuer wird Berlin , obwohl es nach seinem ungewöhnlich hohen Aufkommen und der Größe des Stadtgebietes Anspruch darauf hätte, wie eine preußische Provinz

behandelt zu werden, erheblich beeinttächtigt, so daß die Berliner Straßenverhällnisse sich fortgesetzt verschlechtern und wesentlich hinter denen zahlreicher Provinzen zurückbleiben, die aus dem Ver- liaer Auskommen unterstützt werden. Die schwere Wirtschaftskrise wirkt sich im Etat der Stadt in besonders starkem Maße bei den Steuereingängen aus. Legt man die Steuersätze und die bis zum 31. März 1930 erhobenen Steuern zum Zwecke des Vergleichs zugrunde, dann be- trägt das Soll im Etat 1931. rund SS bis 90 Millionen Mark weniger als im Haushaltsjahr 1929 vereinnahmt wurden. Der Rückgang der Einnahmen auf der einen Seite, die Steige- rung der Wohlfahrtslasten auf der anderen hat, wie oben bereits dargelegt, zu einer erheblichen Einschränkung auf allen anderen Arbeitsgebieten geführt. Das bedeutet für die Berliner Wirtschaft, daß die Stadt in stärkstem Maße als Auftraggeber auf den verschiedensten Se- bieten ausfällt und durch diese Notwendigkett, mit eigenen Investierungen zurück­zuhalten, die Wirtschaftskrise leider weiter steigert. Die Kassenlage der Stadt ist durch die Bewag-Transaktion vorübergehend erleichtert, es bleibt aber zu berücksichtigen, daß durch den Fehlbettag des Haushalts 1931, sowohl in der Ordentlichen Verwaltung, als auch in der Außerordentlichen Verwaltung erhebliche Kassenbedürfnisse

Nur keine Arbeit schaffen! Die Kommunisten im Bunde mit den Arbeiterfeinden.

wie ernst es die Kommunisten mit der Fürsorge für die Er- werbslosen und mit der Beschaffung von Arbeit und Arbeits- gelegenheil nehmen, zeigte sich gestern abend in der Stadtverordneten. Versammlung mit einer Deutlichkeit, wie sie eben nur die kommu- nisten liefern könuen. Sie lehnten den Neubau für das Ar- beltsamt Südost ab und fanden dabei eine Mehrheit in der Gemeinschaft aller Reaktionäre, den Deutschnationalen. National- sozlalisten und der wirtschastspartei. Dl« Stadt Berlin ist gesetzlich verpflichtet� der Reichs- anstatt für Arbeitslosenversicherung für ihre Arbeitsämter Näume zur Verfügung zu stellen; das Arbeitsamt Südost war mangels anderer freier Räume in einem allen, baufälligen Lag.erschup- p«n in der Hermanttsttaße untergebracht und deshalb war die Er- stellung eines Neubaues gerade für dieses Amt besonders nötig. Unter den furchtbaren räumlichen und sanitären Vechältnissen hatten nicht nur die Angestellten des Amtes zu leiden, sondern auch die Er- werbslosen, die in diesemAmtsgebäude" abgefertigt werden muß- ten. Sehr oft haben sich in turbulenten Szenen auch kommu- n i st i s ch e Erwerbslosendeputationen über die schrecklichen Ver- Hältnisse beschwett, oft genug haben Kommunisten und Sozial- demokraten eine Aenderung der Zustände gefordert. Jetzt war es endlich so weit, daß Berlin 900 000 M. im Wege einer Anleihe

bewilligte, wozu der fast ebenso hohe Zuschuß der Reichsanstalt kommen sollte. Man kann sich einfach nicht vorstellen, daß«ine Patte i. die ihr« angebliche Fürsorge für die Erwerbslosen nicht laut genug in die Well hinausschreien kann, ein solches Projekt ablehnt. Herrn Bänsch, selbst Angestellter eines Arbeitsamts, blieb es vorbe- behalten, die ablehnend« Haltung seiner Fraktion zu begründen. Nun sollen also nach dem Willen der Kommunisten die Erwerb». losen weiter in dem baufälligen Lagerschuppen abgefertigt werden. die Angestellten sollen weiler guter den- unwürdigsten Berhältnissen arbeiten, ein Bau im werte von über{& Millionen Mark soll ün- gebaut bleiben und Tausenden von Bauarbeitern soll diese will- kommen« Arbeitsgelegenheit entgehen. So setzen die Kommunisten ihr Arbeitsbeschassungsprogramm in die Tat um, ihr Programm, das sie erst in der vorigen Woche bombastisch in ihrem Hetzblatt oerkündeten! Schade, daß dies« arbeiterfeindliche, verräterisch« Haltung die Tribünenbesucher nicht miterleben durften: ihnen wäre vielleicht doch ein Licht aufgegangen über die Erwerbslosensürsorxe der Kommunisten. In der Oeffentlichkeit aber, auf den Stempelstellen, ganz besonders aber im Baugewerksbund werden unsere Genossen jetzt dafür zu sorgen haben, daß den Kommunisten die Heuchler- maske vom Gesicht gerissen wird.

Von I. ILF UNO FPETROW

Das ist nicht schön von Ihnen, Genosse Bender", sagte Worobjew und sein grüner Schnurrbart bebte. Diese Motte flößten dem schon ermüdeten Ostap neue Kraft ein. Sein herzliches Lachen dauerte noch zehn Minuten. Dann wurde er plötzlich ernst.Warum sehen Sie mit so bösen Augen auf mich, wie der Soldat auf die Laus? Sie wissen ja nicht, wie Sie ausschauen!" Der Apotheker hat mir doch versichert, es fei eine radikal schwarze Farbe. Daß man sie weder mit kaltem, noch heißem Wasser, noch mit Seife oder Petroleum herunterbringt. Ge- schmuggelte Ware..." Worobjew war mutlos. Jetzt erhob sich der Hausmeister. Als er seinen Herrn mit dem grünen Schnurrbart erblickte, bekreuzigte er sich und erbat Geld, um den Katzenjammer zu verjagen. Geben Sie dem Märtyrer der Arbeit einen Rubel," sagte Ostap,aber bitte, nicht auf mein Konto. Das ist Ihre Privatsache... Warte, Väterchen, geh noch nicht, wir müssen noch etwas besprechen." Ostap fragte den Hausmeister wegen der Möbel aus, und fünf Minuten später waren die Konzessionäre über alles orientiert. Im Jahre 1919 hatte man die Möbel ins Woh- nungsamt geschafft, mit Ausnahme eines Stuhles, der zuerst bei Tichon war und sodann vom Verwalter des Hauses für Altersfürsorge übernommen wurde. So befindet sich dieser Stuhl hier im Hause?" Sehr richtig." , Sag' mir, mein Freund," fragte Worobjew mit ge- heimer Angst,«hast du den Stuhl in der Zeit, da er bei dir war. nicht... repariett?" , Es war nicht nötig, ihn zu reparieren. Das war noch gute,' alte Arbeit. So ein Stuhl kann dreißig Jahre über- dauern." Nun geh, mein Freund, hier hast du noch einen Rubel und erzähle niemandem, daß ich in der Stadt bin."

Wie ein Grab, Bürger Worobjew." Und schon war er draußen. Ostap rief aus:Das Eis fetzt sich in Bewegung", und er begann, sich mit dem Schnurrbart Worobjews zu beschäf- tigen.Wir werden ihn neu färben müssen. Ihr.Titanik' ist nur zum Hundefärben gut. Und jetzt geben Sie mir Geld, ich hole etwas Besseres." Bald kam er mit einer neuen Mixtur wieder,.Najade'. Hoffentlich ist sie besser als Ihr.Titanik'. Ziehen Sie den Rock aus." Das Mysterium des Umfärbens begann. Ostaps nette braune Farbe aber vermischte sich mit dem grünen Titanik- Überbleibsel und verlieh überraschenderweise dem Kopf und Schnurrbart Worobjews die Farben des Sonnenspektrums. Einen solchen Schnurrbart hat nicht einmal Aristide Briand ", bemerkte Ostap munter.Ich würde Ihnen aber nicht raten, mit dem lila Schnurrbart hier in Rußland herum- zulaufen. Wir werden gezwungen sein, ihn abzunehmen." Das lasse ich nicht zu", sagte Worobjew betrübt.Das ist ausgeschlossen. «Ist Ihr Schnurrbart vielleicht ein teures Andenken?" Es darf nicht sein", wiederholte Worobjew und ließ den Kopf hängen. Also bleiben Sie Ihr ganzes Leben lang in der Haus- meisterwohnung sitzen und ich werde selbst die Stühle holen. Der eine Stuhl befindet sich knapp über unserm Kopf." Also rasieren!" Bender fand eine Schere und im Moment siel der Schnurrbatt, den Worobjew jahrzehntelang gehätschelt hatte, geräuschlos zu Boden. Und vom Haupt das radikal schwarz, grün und ultraviolette Haar. Als der Generaldirektor mit dem Haarschneiden fertig war, nahm er eine alte Gilette- klinge aus der Tasche und begann Worobjew, der dem Wei- nen nahe war, zu rasieren. Die letzte Klinge opfere ich für Sie. Vergessen Sie nicht, zwei Rubel für Haarschneiden und Rasieren auf meine Habenseite einzutragen." Mitten in seinem Kummer, vor Schmerz bebend, konnte Worobjew doch die leise Frage nicht unterdrücken:Warum so viel? Ueberall kostet es vierzig Kopeken." Für meine Verschwiegenheit, Genosse Feldmarschall." Es ist unbeschreiblich, wie sehr ein Mensch leidet, der mit einer alten Giletteklinge rasiert wird, Aber alles nimmt ein Ende.... »Fettig. Ueberästhttifche Menschen werde» ersucht, nicht

hinzusehen! Jetzt sehen Sie Bobottkin ähnlich, dem Darietä- sänger." Worobjew putzte die Haarreste weg und sah sich heute schon zum ixtenmal in dem Spiegel. Was er sah, gefiel ihm aber. Ein immerhin junges Schauspielergesicht, durch Leiden geläutert. Vorwärts also!" rief Ostap.Ich gehe ins Wohnungs- amt, besser gesagt in das Haus, wo es sich einmal befand, und Sie gehen zu den alten Weibern ." Ich kann nicht," sagte Worobjew,mir bricht das Herz, wenn ich jetzt mein eigenes Haus betreten soll." Ach, sieh mal! Eine rührende Geschichte! Der ver- jagte Herr Baron . Nun gut, gehen Sie ins Kommissariat und ich werde hier arbeiten. Rendezvous hier in der Haus- meisterwohnung. Allez." Der Dieb Der Wirtschaftsverwalter des Versorgungsheims war«in verschämter Dieb. Sein ganzes Wesen sträubte sich gegen das Stehlen, er konnte aber nicht anders, es drängte ihn immer dazu. Er stahl und schämte sich. Er stahl andauernd, und seine rasierten Wangen wurden dabei schamrot. Er hieß Alexander Iakowlewisch, seine Frau Alexandra Jakowlewna. Er nannte sie Saschi, sie ihn Alchen . Ostap Bender öffnete die mächtige Eichenholztür zu Wo- robjews Haus und befand sich im Vestibül. Ein Geruch von angebranntem Brei war hier zu spüren. Von oben her tönte Stimmengesumm. Niemand war da und niemand kam. Eine ehemals lackierte Holztreppe führte nach oben. Ostap stieg die Treppe hinauf. In dem ersten Zimmer, das hell und geräu/nig war, saßen fünfzehn alte Frauen im Kreis. Alle in billigen grau- leinenen Kitteln. Die Alten streckten neugierig die hageren Hälse, sahen den Mann an, der plötzlich in ihre Mitte trat und sangen dabei: Ich höre eine Troika läuten Und rings liegt Schnee wie weißes Kleid." Der Dirigent mit Bluse und Hosen, gleichfall» aus Leinen, gab den Takt mit beiden Händen, drehte sich herum und ttef: Leiser! Kokuschkina leiser!" Er sah Ostap, konnte aber den Schwung seiner Hände nicht unterbrechen. Er blickte ihn nur ungehalten an und dirigierte weiter.(Fottsetzung folgt.)