1931
Der Abend
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Nr. 262
B 131
48. Jahrgang
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London , 8. Juni. ( Eigenbericht.) Nach der britisch- deutschen Ministerbesprechung in Chequers wurde folgende gemeinsame Mitteilung veröffentlicht:
Während des Wochenendes haben der Reichskanzler und der Reichsaußenminister ihren Besuch in Chequers abgestattet. Bon englischen Ministern waren anwesend, der Premierminister, der Außenminister und der Handelsminister.
Am Sonntag gab der Premierminister ein Frühstück, bei dem folgende Herren zum Teil mit ihren Damen zugegen waren: der deutsche Botschafter, der Erste Lord der Admiralität Alexander, der Gouverneur der Bank von England, Bernard Shaw , der Unterstaatssekretär im Foreign Office, Sir Robert Vansittart , der Privatsekretär des Königs, Sir Clive Wigram, Sir Frederick LeithRoß aus dem Schatzamt, Botschaftsrat Graf Bernstorff, Mr. Mal colm Macdonald , sowie Fräulein Ishbel Macdonald.
Der Besuch war vor einigen Monaten zum Zwede persön= licher Fühlungnahme vereinbart worden. Bei Gelegenheit dieser 3manglosen Zusammenkunft wurde
in freundschaftlicher Weise die Lage erörtert, in welcher sich das deutsche Reich und andere Industrieffaaten gegenwärtig befinden. Die deutschen Minifter betonten mit besonderem Nachdrud die Schwierigkeiten der augenblidlichen Cage in Deutschland und die Notwendigkeit der Schaffung von Erleichterungen. Die englischen Minister wiesen auf den internationalen Charakter der derzeitigen Krise und ihre besonderen Rüdwirkungen auf England hin.
Beiderseits herrschte Uebereinstimmung darüber, daß neben ben Maßnahmen, die jedes einzelne Land für sich zu ergreifen hätte, die Wiederherstellung des Vertrauens und die wirtschaftliche Wiederbelebung von internationaler Zusammenarbeit abhängig feien. In diesem Sinne werden beide Regierungen sich bemühen, die gegenwärtige Krise in enger Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Regierungen zu bekämpfen.
Der Gouverneur der Bank von England wird noch diese Woche mit dem amerikanischen Staatssekretär Mellon in London eine Besprechung haben, wobei natürlich auch das internationale Schuldenproblem und Maßnahmen zur Behebung der Weltwirtschaftskrise erörtert werden.
Curtius erläutert das Kommuniqué. Condon, 8. Juni. Reichsaußenminister Dr. Curtius gab den Vertretern der deutschen Presse zum Kommuniqué folgende Erläuterung: Im Vordergrund der Aussprache hat die Lage Deutschlands und die allgemeine Krife gestanden. Wir, insbesondere der Herr Reichs fanzler haben eingehend die finanziellen und wirtschaftlichen Berhältnisse Deutschlands , die innere und äußere Lage, die Notwendig. fein von Erleichterungen in aller Offenheit besprochen und haben freundliches Berständnis gefunden. Worauf die englischen Kollegen Wert gelegt haben, ergibt sich aus dem Kommuniqué. Einzelheiten mitzuteilen verbietet die Vertraulichkeit und Freundschaftlichkeit der Aussprache. Wir sind
übereingefommen, daß neben den Maßnahmen, die jedes Land für sich zu treffen hat, ein internationales Zusammenwirken erforderlich
ist. Darauf stellen sich beide Teile ein. Wir haben den englischen Kollegen, besonders Macdonald und seiner Tochter, unseren herzlichsten Dant ausgesprochen und den Wunsch hinzugefügt, ihre Gaft freundschaft zu vergelten. Wir hoffen, daß dies bald möglich sein mird. Auf eine Frage hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit erklärte der Außenminister: Wir haben die Verpflichtung, alles in Bewegung zu sehen um der gegenwärtigen Krise Herr zu werden. Die Anwesenheit des Gouverneurs der Bank von Eng lang, des permanenten Interstaatssekretärs des Foreign Office, Banfittart, und des englischen Finanzsachverständigen Ro B, ist Don besonderem Wert gewesen. Die Besprechungen haben im wesentlichen der Wirtschaftskrise gegolten. Andere Probleme, wie z. B. das der Abrüstung wurden gestreift, aber nicht vertieft. Es war das erstemal, daß seit dem Kriege außerhalb einer internationalen Konferenz deutsche Minister von englischen Ministern eingeladen worden find. Diese Tatsache allein ist von außerordentlicher Bedeutung.
Noch fein gemeinsames Vorgehen.
London , 8. Juni. ( Eigenbericht.) Der Verlauf der Besprechung in Chequers wird von der gefamten englischen Bresse als überaus glüdlich" bezeichnet. Der Daily Telegraph " fügt als einziges Blatt hinzu, daß die eng
lische und deutsche Regierung wahrscheinlich bald in Paris , den, anderen europäischen Hauptstädten und auch in Washington vorstellig würden, um gemeinsame Mittel und Wege zur Behebung der deutschen Wirtschaftsnot und zur Lösung der Weltwirtschaftskrise zu finden. Wie aus der englischen Presse hervorgeht, ist eine gemeinfame internationale Aktion zunächst nicht verabredet.
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Das Arbeiterfonntagsblatt ,, The People" bringt unter der Ueberschrift Was Deutschlands Ruin Amerika fosten würde" einen Artikel feines diplomatischen Korrespondenten, der eingangs auf die ungeheure Bedeutung des Besuchs der deutschen Staatsmänner hin Zur Chequers
- Konferenz Pressevertreter warten vor den geschlossenen Toren des Landschlosses Chequers, wo die Konferenz der deutschen und englifchen Staatsmänner unter Ausschluß der Deffentlichkeit stattfindet.
wies. Es handele sich dabei um den zukünftigen Wohlstand eines jeden Briten . Das Unglüd eines deutschen Bantrotts würde faft gewiß von einer Revolution begleitet sein. Eine deutsche Umwälzung könnte ganz Europa in Brand ſehen, wobei Rußland gewiß nicht den untätigen Zuschauer spielen würde. Für Großbritannien würde es bedeuten, jährlich 33 Millionen Pfund Sterling zur Zahlung an Amerita aufzutreiben. Die Folgen für die Vereinigten Staaten würden noch ernster sein.
Deutschlands Zahlungseinstellung würde die kleinen amerikanifchen Kapitalisten 500 Millionen Pfund Sterling foften, was die ohnehin schlimme Lage auf die Spige treiben, vielleicht sogar eine Revolution zur Folge haben würde. Der Mann der fleinen amerikanischen Staaten des mittleren Westens, der geistig 50 Jahre hinter der Zeit zurück ist, lasse sich nicht ermeichen, von seiner Forderung auf Zahlung der Kriegsschulden abzugehen. Er aber bilde bei weitem die Mehrheit der amerikanischen Wählerschaft. Sunday Times" veröffentlicht ein Interview mit dem englischen Wirtschaftsführer Sir 2. Bailen, worin dieser anregt, England folle die Wiederaufrollung der Reparationsfrage durch Aufschiebung seiner Kriegsschuldenzahlung an Amerika erzwingen.
Weltfrieden und Beseitigung der lähmenden Ungewißheit, so meint er, werden nur durch ein engeres Verhältnis zwischen dem britischen Beltreich, Deutschland und den Bereinigten Staaten fommen.
,, Daily Herald" schreibt im Leitartikel: Die Besprechungen von Chequers haben ihren 3wed erfüllt. Wenn in einigen Kreisen Enttäuschung darüber herrscht, daß die Zusammenkunft der britischen und der deutschen Staatsmänner feinen Blan für eine so fortige Aftion gezeitigt hat, so nur, weil man falsche Ermartungen gehegt hat.
3wed der Besprechungen war nicht, Pläne zustandezubringen oder endgültige Maßnahmen zu beschließen oder sie auch nur zu er. örtern, sondern die Lage zu prüfen und jede Seite mit Standpunkt und Problemen der anderen Seite vertraut zu machen.
Die Tatsache, daß dies geschehen, ist genau in dem Maße wertvoll, wie sie verwertet wird. Die Probleme find erörtert worden; aber sie sind dadurch nicht verschwunden. Der nächste
Schritt ist, den Satz des amtlichen Kommuniqués zu verwirklichen, der besagt ,,, in diesem Sinne werden beide Regierungen sich bemühen, die gegenwärtige Krise in enger Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Regierungen zu befämpfen".
Während der nächsten Monate müssen die Regierungen entweder direkt oder durch Genf oder in der vom Young- Plan vorgesehenen Weise Maßnahmen ergreifen, um den drohenden Sturm abzuwenden.
Es würde eine Katastrophe werden, wenn man warten würde, bis der Sturm losbricht, d. h. bis Deutschland von seinem Recht Gebrauch macht, den Transfer eines Teils feiner Reparationszahlungen anzuhalten, damit ein Loch in die Budgets jedes Gläubigerlandes zu reißen und die Zahlung der Kriegsschulden an Amerika unfagbar schwierig, wenn nicht unmöglich zu machen.
Mit jedem Tage wird es deutlicher, daß im Herbst eine solche Lage möglich oder beinahe unvermeidlich ist. Die Folgen würden unberechenbar, die indirekten Wirkungen auf den Kredit erschütternd sein. Stockung der Reparationszahlungen würde nur der erste Teil einer ganzen Rette wirtschaftlicher Erschütterungen werden. Die Frist wird mit jedem Tage fürzer, und die Unterredungen in Chequers werden gar nicht abzuschäzenden Wert haben, menn fie in absehbarer Zeit zu internationaler Zusammenarbeit führen, um der Krise zu entgehen, deren Schatten die Welt bedeckt.
Paris behauptet deutsches Druckmanöver. Paris , 8. Juni. ( Eigenbericht.) Das Chequers - Kommuniqué wird von der französischen Presse allgemein als der Beginn neuer Verhandlungen über das Reparationsproblem bezeichnet.
Ein Teil der Pariser Presse kritisiert es, daß die Kundgebung der Reichsregierung zu der neuen Notverordnung zu gleicher Zeit mit dem Beginn der Konferenz in Chequers veröffentlicht wurde. Die Kundgebung habe, so schlußfolgert der Sozialist Léon Blum , die englischen Minister gewisser. maßen vor eine vollendete Tatsache gestellt. Er fragt deshalb, warum man die Veröffentlichung nicht bis zur Rückkehr Brünings zurüdgestellt habe.
Der Sonderberichterstatter des ,, Matin" behauptet, daß Macdonald und Henderson durch die Veröffentlichung der Notverordnung während der Konferenz in Chequers in Berlegenheit gebracht worden feien. Der Temps" bezeichnet die Veröffentlichung während Chequers als ein Manöver, dazu bestimmt, den englischen Staatsmännern die Hände zu binden und der freundschaftlichen Unterredung" mit den deutschen Staatsmännern jenen Charakter einer Berhandlung zu geben, den die Londoner Regierung ihnen niemals habe geben wollen.
Erdbeben in England!
Alarm in London . Glasgow , Edinburgh .
London , 8. Juni. ( Eigenbericht.) In England, Schottland und Teilen von Wales wurde in der nacht zum Sonntag gegen 1.30 Uhr ein starker Erdstoß væ spürt. Das Beben soll das größte gewesen sein, von dem England bisher betroffen wurde. Die Erschütterung war so start, daß Kamine von den Dächern stürzten. Die Feuerwehren und Sanitätsstationen der englischen Hauptstadt standen die ganze Nacht über in Alarmbereitschaft. Größerer Schaden ist nirgends angerichtel worden. Der Herd des Bebens lag, nach amtlichen Feststellungen, 140 Kilometer entfernt.
Zu dem Erdbeben wird ergänzend gemeldet, daß es sich von der Südküste bis nach Glasgow und Edingburgh erstreckte. Aus Norfoll wird gemeldet, daß zur Zeit des Erdbebens der Himmel eine eigen artige Färbung annahm und ein unterirdisches Getöse zu hören war. Ueberall an der Küste sammelten sich am Strand die Bewohner, die sich aus ihren Häusern geflüchtet hatten. Trotz der Heftigkeit des Stoßes wurde bisher aus feiner Gegend, außer geringen Ge bäudeschäden, nennenswerter Schaden gemeldet. Menschenleben sind bisher nicht bekannt geworden.
Verluste
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