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(Beilage Montag, 8. Juni 1931

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Bewußtlos in 7000 Meter Höhe Ein Flugerlebnis von Walther Binder

Die in diesen Tagen gehäuften Berichte über P i c c a r d s Stratafphärcnflug rufen in mir die Erinnerung wach an ein abenteuerliches, aber grohartig schönes Flugerlebnis. Es war im schlimmsten dcr Kriegsjahre 1918. Immer ungünstiger lauteten die Meldungen, die von den Fronten ins Land kamen, immer unwiderstehlicher machte sich die ungeheure Material- Überlegenheit unserer Gegner bemerkbar. Besonders unsere Fliegcrwaffe wurde nach und nach trotz heroischer Einzel- leistungen mehr und mehr in die Defensive gedrängt. Da wir tn bezug auf Materialmenge unweigerlich unterlegen waren, so blieb die aufs höchste gesteigerte technische Lcistungs» f ä h i g k e i t unseres Fluggeräts eines der wichtigsten Probleme unserer Versuchswerkstätten. Eines Tages es war im Hochsommer wurde mir die Ausgabe zugeteilt, einen neuen verbesserten Zweisitzer mit hoher Motorenleistung auf seineGipfelhöhe" fliegerisch zu prüfen. Unter genauer Gewichtskontrolle wurden wir d. h. mein sehr zuverlässiger Monteur und ich mit vollen Tanks und ziemlich reichlichem Ballast versehen, wie es der normalen Belastung mit Beobachtung?- und Kricgsgerät entsprach. Die Sauerstofflasche mit zwei Schläuchen und Mundstücken versehen wurde zwischen meinem Begleiter und mir verstaut, um jenseits von etwa S000 Meter Höhe in Funktion zu treten. Ich wollte versuchen, die verlangte Gipfelhöhe von 6500 Meter nach Möglichkeit zu überfliegen. Da wir selbstverständlich durch keine Kabine gegen Luftstrom und Kälte gesichert waren, bestiegen wir, p e l z v e r b r ä m t wie die Eskimos, das Flugzeug. Noch einmal wurden Motor sowie alle Instrumente kurz überprüft, dann stieg unser Vogel dem bunt- wolkigen Firmament entgegen, in einigen Minuten sind wir bereit» über tausend Meter hinaus und die beiden Höhenmesier vor mir zwei weitere Höhenschreiber sind zwischen den Seitenstreben ange- bracht klettern unentwegt rasch weiter. 3000 Meter Höhe! Die Luft wird zum ersten Male unruhig, Wirbelbildun­gen setzen ein, offenbar hervorgerufen von zwei verschiedenen, sich aneinander reibenden Luftströmen. Während wir in etwa 1500 Meter Höhe bereits einer Kolonie harmloser, von oben Pracht- poll beleuchteter Haufenwolken begegnet sind, fetzen hier oben wei- tere unregelmäßige Woikenbildungen ein mit unangenehmen Böen, die mir zu schaffen machen. Doch unser Motor, der jetzt mit voller Höhenleistung arbeitet, hat bald auch diese Zone hinter uns gebracht. In 4000 Meter Höhe bemerke ich veränderte Windrichtung. Wir drehen wieder gen Westen der tiMtehenden Abendsonne entgegen. Wie weit unten liegen die Berliner Häuser: Dunst und Fern« haben längst alle Einzelheiten verschluckt. Zudem verdecken die unten immer mehr zunehmenden Wolken große Stücke der Landschaft. 5000 Meter... Es wird jetzt empfindlich kalt. Mein Monteur hat bereits den Sauerstoff in Gebrauch und hält mir lachend den91uckel* vor den Mund. Wie den Rauch aus einer türkischen Wasserpfeife saugen wir das lebenspendende Element aus der Flasche. 0000 Meter... Immer langsamer vettert jetzt unser treuer Vogel. Man merkt auch dem Motor den Sauerstvsfhunger an. Nimmt doch sein« Leistung mit der Höhe derart ab. daß sie bei 5000 Meter nur mehr die Hälfte der Bodenleistung beträgt. Bei uns sind also bereits über 100 Pferde auf der Strecke geblieben! 6200..., 6300.... 6400.. Nach unten wird die Orientierung schwierig. Berlin hat sich hinter einer geschlossenen Wolkendecke oersteckt, weit, weit drüben leuchtet noch ein Stückchen der markanten Havellinie herauf. H u r r a h: Der Zeiger rückt auf 6 50 0 Meter.... wir haben das gesteckte Mindestziel erreicht und noch steigen wir weiter: Die letzte Bodenficht ist verschwunden. Auf gut Glück habe ich mir unter Berücksichtigung des Windes ein paar markante Wolkenberge gemerkt, unter denen ich etwa unseren Flughafen vermute. Die Sonne beleuchtet im Niedersinken die unter uns sich bal- lende Wolkenpracht mit märchenhafter Farbeissülle. Unten jenseits der Wolkendecke muß langsam schon Dämmerung einsetzen. Di« Kälte ist groß, meine rechte Hand droht zu erstarren, aber seltsame Trägheit und Schwere aller Mieder hindert mich, sie durch Zklopfen oder schnelle Bewegung der Finger wieder zu be- leben. Immer näher rücken wir der 7000-Metergrenze. Man merkt nun deutlich am Absacken und an der veränderten Steuerwirkung, daß Motor und Flugzeug am Ende ihrer Möglich- teilen angelangt sind. 6S00.... 6000.. 6950 Meter... Ein« tödliche Beklemmung wird ganz plötzlich über mich Herr... Die Sonne wird dunkel, Nebelschleier senken sich über mich... Alle Glieder sind an die Steuer gefesselt, der Kopf will nach vorn sinken. Es wird mit einem Schlage Nacht. Wie ein Blitz zuckt aus Setlssterhalwngstrieb ein letzter Gedanke:... Sauerstoff- störung,.. Gas weg... runter... Daun versinN alles iu Nichts... Schrille» Pfeifen und ein Brausen wie van gewaltigen Wasser- Pillen find das erste, was aus Nacht und Vergessen wieder an mein Ohr Wägt....

Ich öffne die Augen... Hände und Füße finde ich un­verändert ani Steuer, der Motor ist ausgeschaltet, das Flugzeug selbst dreht sich in bedenklich steilem Kuroenflug. Schrill singen die Drähte, Flügel und Rumpf meines Vogels zittern zum Bersten. Mein Monteur ist so gut es gehen will aus seinem hin- teren Sitz halb nach vorn gekrochen und hält mit der rechten Hand das Höhenfteuer, das durch meinen leblosen Körper nach unten gc- drückt worden war... Der Höhenmesser zeigt 5100 Meter! Eigenartig..., dies alles überblicke ich im Bruchteil einer Sekunde, im Nu bin ich im Besitz meiner vollen Kräfte und tue völlig ruhig, was die Situation erfordert. Das Flugzeug gehorcht sehr bald den Steuerbewegungen und geht in flachen, ruhigen Gleitflug über. Dabei bleibt leider der stark abgekühlte Motor und mit ihm der Propeller st ehe n und trotzt allen Wiederbelebungsversuchen. Wie herrlich ruhig ist es nun um uns geworden: Dieser Segel- flug aus höchsten Höhen jenseits der Wolken wäre seligster Genuß, wenn die Ruhe für uns nicht zugleich etwas unheimlich wäre. Der Monteur kann nun ohne Schwierigkeit mit mir sprechen. Er teilt mir mit, daß meine Sauerstosszusührung an der Flasche abgerissen ist, so daß ich vermutlich schon längere Zeit statt Sauerstoff eisige dünne Höheilluft durch mein Mundstück eingesogen hatte, bis schließ- lich der Ohnmachtsanfall eingetreten ist. Mein Begleiter hatte trotz der höchst gefährlichen Lage mit größter Ruhe und Besonnenheit gehandelt. Jetzt galt es, mit stehendem Propeller bei völlig verdeckter Bodensicht möglichst aus unseren Flugplatz zu gelangen. An Hand der früheren Wolkenbeobachtungen nahm ich mir auf gut Glück ein

tiefes Wolkental als Ziel, in der Hoffnung, hier die dünnste Stelle zum Durchbruch noch unten zu finden. Bei 1800 Meter Höhe tauchten wir in dieW a s ch k ü ch e" unter. Wie weit reicht sie nach unten? Das war die Schicksaisfrage, von der die Möglichkeit einer glatten Landung abhing. Von Se- künde zu Sekunde wurde es dunkler um uns, die weißen Wolken hatten uns oben noch den Tag vorgetäuscht, der unten längst Abschied genommen hatte.

1500

1400

1300

1200

Jede hundert Meter sind eine Ewigkeit. Ich verliere das Ge- fühl für die Flugzsuglage und merke am Vibrieren deutlich, daß wir nicht mehr in Normallage sind. Da brauchbare In- strumeille fiir Wolken- und Nebelflug damals nicht existierten, ent- schied das richtige Gefühl des Führers über alles. Es ist höchste Zeit, daß wir aus diesem Hexenkessel heraus- kommen... Da endlich Lichter, noch einmal werden sie von einem Nebelsetzen verschlungen, dann russchen wir halb seitlich aus dem Nebelmeer... Häuser, Häuser in tief st er Dämme- rung, erleuchtete Straßen, so weit das Auge reicht ohne Zweifel sind wir mitten über Berlin . Ich habe also mit meiner Wolkenspekulation sozusagen mitten insZentrum" getrosten. In wenigen Augenblicken habe ich festgestellt, daß wir uns� etwa über dem Rathaus befinden. Eine Wendung nach Osten' und wir gleiten so flach als möglich in Richtung Johannisthal . Wenn olles gut geht, müssen wir es gerade bis zum rettenden Hafen schaffen. Knapp, sehr knapp geht es über die letzten Häuser, nun noch das Hallendach fast streifen es die Räder..., wenige Sekunden später stehen wir 50 Meter von den Flughallcn enssernt. 7000 Meter zeigte der Höhenschreiber...

Gastfreundschaft in Frankreich Die Eindrücke eines Handwerksburschen

Ich habe mich längere Zeit als Handwerksbursche in Frankreich aufgehalten und hatte dabei Gelegenheit, die Stimmung des Volkes und die Charaktereigenschaften der Bevölkerung kennenzulernen. Immer wieder konnte ich da die Fessstellung machen, daß eine tiefe Sehnsucht nach Frieden im französischen Volk herrscht, hat man doch die schweren Wunden, die der Weltkrieg schlug, noch nicht vergessen. Nirgends habe ich etwas von Deutschenhaß gespürt, nie ein unschönes Wort vernommen, wenn ich mich als Deutscher vor- stellte. Im Gegenteil, die Leute waren erfreut, einen waschechten allemanll" vor sich zu haben und gaben sich alle Mühe, mir durch Rat und Tat zur Seit« zu stehen. Viel eher kann man mit den eigenenLandsleuten" im Aus- land sein blaues Wunder erleben, wovon ich mehrer« drastische Fäll« erzählen könnte. Im folgenden will ich einen Vorfall schildern, der es verdient, der Oeffentlichkeit unterbreitet zu werden.

Ich kam von Spanien , war finanziell total abgebrannt und erwartete auf dem Postamt des französischen Seebades Biarritz etwas Geld von zu Hause. Als ich dort nachfragte, war jedoch noch nichts eingegangen. Ich hinterließ dem Beamten, er solle es mir nach Bordeaux , meinem nächsten Ziel, nachschicken. Doch als ich nach Bordeaux kam, war immer noch kein Geld da. Weil ich mich infolge meiner mangelhaften Sprachkenntniffe nur schwer mit den Beamten verständigen konnte, sucht« ich das deutsche Kon- sulat auf, um mir da Rat und Hilfe zu holen. Ehe ich zum Konsul vorgelassen wurde, mußte ich einen umfangreichen Frage- bogen ausfüllen, da die Angaben, die mein Paß enthielt, anscheinend nicht genügten. Ich schilderte dem Konsul meine Lage, erzählt« ihm, daß ich nahezu mittellos sei, daß jedoch auf den Postämtern Biarritz oder Bordeaux Geld für mich liegen müsse, das wahrscheinlich nur durch einen Irrtum nicht an mich ausgezahlt würde.(Es stellte sich später auch wirklich nur als ein Irrtum heraus.) Ich bat ihn, über den Verbleib meines Geldes Erkundigungen einzuziehen. Der Konsul, an sich ein freundlicher Mann, lehnte meine Bitte rundweg ab. Ebenso mein Ansuchen, mir eine gering« Summe zu leihen. So klug wie vorher und ohne einen Sou verlieh ich das Konsulatsgebäude. Eine kleine Unterstützung, die ich im Büro des f r a n z ö s i- schen Metallarbeiter-Verbandes erhielt, half mir über die nächsten Tage hinweg. * Einige Tage später befand ich mich wieder auf der großen Staatsstraße, die nach Tours und von da weiter nach Paris führt. Ich hatte gegen 6 Uhr abends ein kleines Städtchen passiert, in dem ich ober nicht übernachten wollte, da es mir noch zu zeitig dazu war. Ich tippelte weiter und kam nach einer Stunde an einen Wegweiser, an dem ich zu meiner Bestürzung las, daß es bis zum nächsten Ort noch 18 Kilometer seien. Etwas verdutzt setzte ich mich in den Straßengraben und hielt erst einmal Kriegsrat ab, was zu tun sei. Umkehren, zu der vor einer Stunde verlassenen Stadt? Dazu hott« ich absolut kein« Lust. In dem neben der Straße sich hinziehenden Wald übernachten? Dos dürfte, da es schon im September war, verdammt kalt werden Weitermarschieren bis zum nächsten Ort? Bis Mitternacht hatte ich da fast noch zu marschieren. Also was machen? Einer Antwort wurde ich enthoben. Denn plötzlich nahte sich ein Auto, ein Lieferwagen, dessen Führer ich schnell zuwinkt«. Bereitwilligst räumte er mir den Sitz neben sich ein. Der 18 Kilo- meter entfernte Ort war bald erreicht, doch konnte ich noch weiter

mitfahren, da der Chauffeur noch nach Angouleme wollte, einer Stadt, die ebenfalls an meiner Route lag. Er war, wie ich feinen Angaben entnahm, der Eigentümer des ÄZägens und unterhfttt gemeinsam mit seinem Bruder in Angouleme eine F r ü ch t e- Großhandlung." Nachdem wir 50 Kilometer zurückgelegt hatten, war Angouleme erreicht. In einer Seitenstraße wurde vor dem Hause, in dem sich das Geschäft befand, haltgemacht. Wir verliehen das Auto, und mein Begleiter suchte mit mir zunächst ein Speiserestaurant auf, wo ich mir auf seine Rechnung ein kräftiges und reichliches Abend- brot zu Gemüte führen konnte. Daraus gingen wir zu seinem Geschäft zurück, wo er mich seinem Bruder, dem Mitinhaber der Handlung und seiner jungen Frau, einer bildschönen Französin, vor- stellte. Man fragte mich dies und jenes, wollte gern näheres über mich wissen, doch es haperte mächtig mit meiner Sprachkenntnis. Da ging der Bruder hinaus und kam nach einigen Minuten mit einem Herrn zurück, der mich bei seinem Eintritt mit den, in deutscher Sprache gesprochenen Worten anredete:Na, wasist denn mit Ihnen los?" Ueberrascht vermutete ich, einen Landsmann vor mir zu haben, jedoch es war auch ein Franzose, der nur vor dem Kriege in Deutschland studiert hatte und die deutsche Sprache fast perfekt beherrschte. Ihm erzählte ich nun, woher ich kam und wohin ich wollte, daß ich kein Geld mehr habe, weil mir aus der Post das Malheur pas- siert wäre usw. Aufmerksam hörte er zu und verdolmetschte alles den beiden Brüdern. Die guten Leute waren platt! Zu Fuß von Spanien nach Deutschland ? Ist denn so etwas möglich? Sogleich machten sie mir das Angebot, mir eine Fahrkarte bis zur deutschen Grenze zu kaufen. Ich lehnte mit dem Bemerken ab, ich wolle mir erst Paris und das ehemalige Kriegsgebiet an» sehen. Meine Antwort wurde übersetzt, woraus man mir wenigstens «ine Fahrkarte bis Paris verschaffen wollte. Auch das lehnte ich ab, da mir ja eben das Laufen Spaß mache und man auf diese Weise Land und Leute kennenlerne. Die Franzosen , von Natur aus keine Wanderer, verstanden das nicht. Doch wollten sie mir durchaus helfen und boten mir deshalb Geld an, damit ich mir wenigstens meine Reise angenehmer ge- stalten könne. Darauf bat ich, mir 300 Franken zulejhen. Ich würde sie nach meiner Heimkehr sofort, zurücksenden. Aber selbstverständlich! Auch mehr könnte ich haben! Man zählt« die Summ« sofort auf und überreichte sie mir. Ob ich Zinsen dafür zahlen solle? Ach bewahre! Und das Rücksenden habe Zeit, bis ich das Geld einmal übrig hätte und mühelos entbehren könne. Doch das war noch nicht alles. Nachdem ich mich mit dem Dol- metscher noch ein Weilchen über die verschiedensten Fragen unter- halten und er sich dann oerabschiedet hatte, mußte ich mich mit in die Wohnung meines Gönners, die sich über den Geschäftsräumen befand, begeben. Hier wurde mir von seiner liebenswürdigen Gattin zunächst allerhand in meinen Rucksack gepackt, was ich auf der Weiterreise gebrauchen konnte: Ein großes rundes Brot. eine Flasche Wein, verschiedene Sorten Früchte, ein paar Strümps«, (die ich dringend gebrauchen konnte) und sonstige Kleinig­keiten. Außerdem bekam ich noch 10 Frank extra zugesteckt. Dann erhielt ich, da es unterdessen schon spät geworden war. ein Bett angewiesen, in dessen saubere Kissen zu legen ich mich fast scheute, denn durch dos lange Herumstromern war ich nicht gerade in der besten Verfassung. Und am nächsten Morgen zog ich nach einem vorzüglichen Frühstück mit schwerem Rucksock weiter... Auch später noch habe ich sehr nette und hilfsbereite Leute nz Frankreich kennengelernt. Ruäolk Schneider.