föellage Freitage 12. Juni 1931
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Waiferiporlrapfodie im Siegen Sine durchaus rtäfferige Qefchichte/ Ton Heinrich Memmer
Ich bin ein„blutiger Laie", wie mein Freund, der enragierte Wassersportler, diese anormale Menschenkategorie(frei nach dem Englischen) nennt, Leute, die nicht einmal den Besitz eines Bootes anstreben, aber urplötzlich hat sich an dieser allgemeinen, alle Volksschichten umfassenden begeisterten Liebe des Berliners für diese eine Sache, an dieser seiner größten Verbrüdertheit und Begeiste- rungssähigkeit die meine entzündet. Wenn mir wieder einer be- hauptet, daß Berlin keine Seele besitzt— es gibt nicht wenig solcher Leute in der Welt—, führe ich ihn schnurstracks zu jener Bank, wo ich gestern vom Regen eigentlich in die Traufe der tief herab- hängenden Zweige einer Werftweide geflüchtet war. Dort, in dieser Ecke des zusammengeballten Wassersportbetriebes wird ihm der innere Sinn des da und dort in Bruchteilen Erblickten(durch die allgemeine Stadtatmosphäre immer wieder Verwischten) ein- für allemal klar vor Augen treten, und er sieht(hoffentlich ist es ein! fchaft auffressen.. einflußreicher Weltpolitiker) diese vielfach so spröde anmutende Frauen niemals. Berlinerstadt, wie ich es feit gestern tue, von der einnehmendsten, zugleich rührendsten und schillerndsten, von der herzaufschließendsten Seite. Und sollte er— dieser Berlinanfchwärzer— dem meerbeherr- schenden englischen Volk angehören, das das Wort„Boot" öfter und gewichtiger als jedes andere im Munde führt, so werde ich nicht anstehen, ihm unter die Nase zu reiben, daß dieser so seltsam see- männisch empfindende Binnenlandsberliner, der allerdings im Vsr- gleich zur kleinen Themse über ihn rings umgebende wald-, park-, wiesen- und stadtumsäumte Riesenwasserslächen verfügt, die schönsten, ausgedehntesten und verzweigtesten, die irgendeine Stadt der Welt aufweisen kann—, daß dieser auf ehemaligem Meeresboden ohne Weltruf herumschinakelnde märkische Großstädter eine verdammt andere Sache aus dem Wassersport herausgeholt hat als der traditio- nelle vielgerühmte Wassersport«nglishman. Nicht eine mon- däne, sich auf teppichbelegte Punts beschränkende Angelegenheit, nicht eine sportlich angehauchte Gesellschafts funktion mit preziösen, teeservierenden Sonnenschirmladies ist der Wassersport in Berlin , sondern ein Volks sport— eine Volts erholung, ein Volks- vergnügen. Das Volk ist bei diesem in 100 Romanen verherrlichten, aus Dutzenden von Flüssen in ollen fünf Erdteilen nach englischem Muster betriebenen fashionablen englischen Wassersport bestenfalls Zuschauer. Ein simpler Nichtsportklubruderer gilt als Eindringling unter diesen zum ckolcelarnientc, zum Herumliegen und Träumen einladenden punts, die man nebst.Kanadiern" auch häusig in dem sich an englische Gebräuche anlehnenden Hamburg findet. In Berlin stellt das Volk, das emsige Paddlervolk den Hauptkontingent der Wasserfahrer. Der Berliner ist ein demokratischer Wasiersportler. Wie Windmühlen drehen sich die Paddel vor mir im Kreise. Kleine, kleinste, frisch-frank-fröhlich bemannte und beweibte, blitzblank saubere Spitzboote kommen vorübergeschossen... landen neben meiner Trauerweidenbank, auf der ich gebannt im Nassen sitze, auf die es naß herunterfließt. Ein Paddlerpaar fährt ein... Ich habe sie so oft gesehen, aber nie recht beachtet.. diese „Wasserflöhe" auf die die zwischendurchkreuzenden Segeljollen herabgucken.... während die großen Motor- und Segelkreuzer ihrer- seits auf diese herabblicken..., ich, der ich auf dem bauchigen Dampf- schiff ziemlich verständnislos auf alles dieses Wassergewimmel herab- zublickcn pflegte— ein blutiger Laie. Aber: hier liegt jetzt so ein putziges Dingelchen zum Greifen nahe vor mir, mit geklinkerten Planken: und ein Paar springt heraus, das süße kleine Steuer vor- sichtig aushenkend, die geliebte leichte Last sachte auf einem Eisen- roller unter das schützende Schuppendach fahrend: vorsichtig auf einen Bock hebend, mit Gummischwamm abtrocknend, mit Leder- läppen abreibend, mit fürsorglicher gemeinsamer Liebe wie ein Kind hegend und pflegend: und nach unendlichen Prozeduren in ein all- bedeckendes Persenning-Segeltuch eintaschend, um— eine Stunde ist vorüber und die Sonne scheint wieder— das Wickelkind sorgsam, von außen, in das enge Abschlußschlasgemach zu schieben, unter dem und neben dem sich in langen Reihen viele solche Schließfächer mit anderen Kindern befinden, alle Arten, olle geliebt und alle betreut. Da kommt ein Schwimmhosenmann jetzt mit einem noch spitzeren, dünneren Scharpieboot und fäyrt nach vielen Umständlichkeiten mit einem seitlichen Motor aus, zwei braungebrannte Faltbootjünglinge, die ja auch Paddler sind, schlüpfen vor den Weidenzweigen tief in ihr Schlupfloch. Damenmannschaften, Herrenmannschaften rekrutieren sich unter Kommandorufen, Motorgeknatter, ober... Meine Gedanken sind noch immer bei dem Paddlerpaar, denn ich kenne auch so ein typisch-berlinerisches, durch eine Paddelboot- Partnerschaft eng und fest aneinandergeschmiedctes Liebespaar, das jetzt gerade(Markbauern, achtet auf eure Kartoffeln!) sich auf einer Urlaubswafserzigcunerwanderung mit unbestimmtem Ziel und unbegrenztem Enthusiasmus befindet, ein Gummi- bodenzelt zum Kampen mitführend und— und ihr neues Ge- burtstagsblechgefchirr, das er praktischerweife' geschenkt hatte,„Walterchen"... und ich hoffe nur, die Tapferen holen sich keinen Rheumatismus dafür, daß sie sich einem Interview entzogen haben, das ich jetzt gerne vornehmen möchte. Plötzlich denke ich auch an die B a d e w i e f e n und Kampwälder, an denen die Berliner Wasiersportleute aller Kategorien anlegen(außer den etepetetenen), und an das quietschvergnügte Gewurrle daselbst, an das irgend etwas Zusammenbrodeln, an das Jns-Wasser-pantschen, an Gitarregezupfe, an Grammophongedudle, an die Illuminationen einer venezianischen(aber in Venezia gar nicht so idyllischen) Nacht. Wieviel gesünder, erholender und(jawohl!) moralischer ist das (trotz allem) hier als ein Tanzvergnügen. Und nicht teurer als die Kneipe. Berliner Jugend von heute, du bist auf dem rechten Wege!
eine(jetzt ist's eine andere harmlose kleine, sich verprustende sechs- beinige) Damenmannschaft vom vorbeirauschenden Dampfer aus zu necken: wehrlos sitzen sie da und lassen stumm diese nicht sehr „herren"haften Späße über sich ergehen. ... Ha, aber jetzt hat sich(ganz wehrlos sind Frauen nie) eine verteufelt frisch aussehende, auf eine Lachgelegenheit spitzende Dampferladung von Backfischen herangeschoben... und als unten ein Steuerkommandant seine— wie mir scheint— wunderbar korrekt arbeitende Mannschaft puterrot vor Wut anbrüllt, so daß sich ihm die Haare sträuben, platzt oben eine von den Verteufelt- frischen aus der ganzen Fülle ihrer Jugend mit einem hellen Ge- lächter heraus, und je mehr sie lachen, alle, alle, desto wütender und röter brüllt der Kommandanterich, der nichts als Ruder in der Welt sieht, so daß ich jeden Moment befürchte, er wird die ganze Mann- und oben haben sie... ganz wehrlos sind Ich sah aber auch Damen Herren und Herren Damen komman- dieren(wie das ja im Leben auch so gemischt zugeht), die sonder- barsten Besatzungen, tollsten Kähne, darunter Kajaks, mit denen die Eskimos schon auf die Welt kommen: die man ebensowenig abstreifen kann wie seine Haut: Kostüme, Farben: unendlich variiert, nur die M o t o r l e u t e fahren städtisch grau gekleidet(unsportlich scheint's uns Laien und ihrem Fahrzeug unangepaßt) hinter Glaswand und mit einer Zigarette im Mund durch das Kleinbootgetriebe der jungen Leute, die sie alle, fast olle sind außer den F a- Milien- oder Gefellfchafts-Motor-Hausbooten, die jetzt dort wie ein verschlossenes Geheimnis vorüberfahren: mit fixem Ziel, die liebliche Zigeunere! vermeidend. Und ein Hemdsärmeliger rudert auch da, mit Kind und Kegel im Alltagsanzug, an eine ver- flosfene naiv-unsportliche Zeit gemahnend... Di« knatternden Stinktästen... Mir ist's, als hörte ich meinen Seglerfreund, der in seinen Ge- schäftsstunden mit großer Fixigkeit Bücher verkaust und mit noch größerer Fixigkeit in jeder freien Minute zum Wasser rennt, über die sich mehrenden knatternden Stinkkästen losdonnern, die die heilige Wafserruhe stören und die Flüsse aufwühlen:„Jeder kann ins Boot springen und den Motor in Gang setzen, aber zum
Segeln gehören seelische Eigenschaften: Geistesgegenwart, Ge- wandtheit, Entschlossenheit..." „Hm", sagt aber der Motorbootsahrer,„fährst d u abends, wenn der Wind sich gelegt hat, mit Holzwind: pullend, stakend? Nee, ihr schraubt euch alle'nen Motor an und macht egal ratatat, ihr Stillen." Jetzt streicht ein Paddelboot mit einem taschentuchgroßen Treibersegel vorüber, und an der Seite hat es einen minia- turen, vielleicht f4-, vielleicht- L- M o t o r... Die Fixigkeit des Berliners, die pedantische Sauberkeit und Ordnung, das mit Patenten und Patentchen viele praktische Fragen lösen wollen, das was dem simpleren Ueberseemenschen am kampenden Berliner sonst unnötig kompliziert und umständlich erscheint» im Bootsleben fügt sich's prächtig zusammen— Großstadtluxus und Natur- g e n u ß werden in diesem einen Fall in dieser Stadt zu einer wirk- lichen Harmonie verbunden. Und um wieviel fesselnder ist diese Vollständigkeit im kleinen bescheidenen, als eine schon wirklich hoch- seefähige zedernholzgetäfelte D i e s e l m o t o r j a ch t, die bis Schmöckwitz 50 Mark verschmockt Aber das Allerkurioscste(davon hörte, das sah ich jenen Abend noch), das sind die Romantiker, die (wie ich) das ewig Unerreichbare anstreben: in einer gemütlich aus- staffierten kleinen Hundehütte am Wasser weckenden, als hätten sie auch ein Wasseroehikel, die dort davon träumen oder es sich sogar konkret einbilden, daß sie auch mit dazu gehören— gerade d i e gehören besonders mit dazu. Ehe ich vollständig aufgeweicht war, hatte ich aber doch in der Werft Schutz gesucht: bei den unheimlichen Radau machenden Wasserflitzern, auch Gleitboote, Rutscher oder Outboard genannt, die mit S0 Kilometer Geschwindigkeit über die erschreckte arme Wasierfläche rasen und alle(die nicht drin sitzen) rasend machen. Dickbäuchig schliefen sie hier in Gegenwart des fachmännisch herumhämmernden Verwalters, den ich, kaum erblickt, so schon auf ein Interview festnagelte., Also nee, verkaufen tut man sein Boot trotz der miesen Zeiten nicht(und kriegte auch wenig dafür): neu angeschafft wird wenig, aber eisern ist der Wille, seinen Schatz zu halten: selbst Stellungslose von den vielen kleinen Wassersportlerangestellten, so schwer es ihnen ankommt, halten ihr Boot, das doch immerhin, billigst, 100 Mark Erhaltungskosten das Jahr verschluckt. Harry P i e l hat zwar nebenan seinen Motorkreuzer zu verkaufen, aber nur um sich einen noch teuereren anzuschaffen.. und ob ich übrigens die spanischen Gleitboote mit Flossen an der Seite gesehen hätte, die sich noch mehr aus dem Wasser heben: 69 Kilometer die Stunde? Bald wird man wie die Flugfische im Bogen über de-- Dampfer weghopsen.
ffierlm-ZParis-ffenf-ffierlin Jlutoreifeeindrücke von Victor Schiff
Am Mittwoch, dem 13. Mai, war die Präsidentenwahl in Versailles , die sich bis in die zehnte Abendstunde hinzog, am Freitag- vormittag begann in Genf die Tagung des europäischen Ausschusses. So blieb mir gerade der Himmelfahrtstag übrig, um die nahezu 600 Kilometer lange Strecke Paris — Genf zurückzulegen, die etwa der Entfernung Berlin — 5>«idelberg entspricht. Das läßt sich natürlich- schon machen, vorausgesetzt, daß man früh losfährt und daß die Reise einigermaßen noitnal verläuft. Aber schon mit der ersten Vorbedingung haperte es einigermaßen. Die Abfahrt von der Garage erst gegen 9 Uhr morgens war schon reichlich spät. Und wenn auch die Durchquerung von fast ganz Paris an jenem Feiertagsmorgen ein Leichtes war, es dauerte doch eine gute Weile, bis ich die richtige Chaussee nach Dijon — Genf entdeckte. Denn die normale Ausfallstraße führt gerode durch das Gelände der Kolonial- ausstellung und ist daher gegenwärtig gesperrt. Ich konnte zunächst nur die allgemeine Richtung einhalten, kam durch lauter Villen- oororte an der Marne , die ich zuletzt vor einem Vierteljahrhundert gesehen hatte, und erst nach gut 20 Kilometer fand ich Anschluß an ! die richtige„route n�tionslc", aus der schon ein reger Ausflugs- verkehr herrschte. Es waren zumeist die richtigen„Sonntags- fuhren", wie man sie hierzulande kennt: Eltern, Kinder, Grammophon, Schwiegermutter, Dackel und Freßkorb in einem Wägelchen zusammengepfercht, das ächzend seine Fracht vorwärts- schoukelt. Aus der guten, ober nicht sehr breiten Chaussee mußte ich in der ersten Stunde etiva fünf Dutzend solcher Ausslugsfuhren überholen, und das strengt an. Aber zwischen den mittelalterlichen Städtchen N a rg i s und Provinz läßt der eigentliche Aus- flugsverkehr allmählich nach und man genießt wieder die menschen- leere, staubfreie Landstraße� van mächtigen Pappeln und Buchen beschattet, während ringsum kilometerweit saftige Wiesen und noch grüne Kornfelder jenen Eindruck von geruhsamer Wohlhabenheit erzeugen, der für die französische Provinz charakteristisch ist. Der Quelle der Seine entgegen.
Kommandorufe... Wie außerordentlich diszipliniert diese Mannschaften sind(dos alte Vereinswesen war ja der goldene Boden dieser in letzten Iahren grandios aufblühenden Wasservehikelherrlichkeit)! Wie der aufrecht am Steuer Stehende mit dem Megaphon auf Mord und Brand drauflos meckert(am Bootssteg ruft diesem selber noch einer: �.Haltung!" noch)!. Und die Damenmannschaftsmeckerin meckert, am Bootsboden kauernd, noch viel ärger, obwohl sie doch alle fo brav drauflos rudern und lieblich anzusehen sind in ihren Himmel- blauen, safrangelben, kirschroten Turnhöschen über dem Badeanzug _ aber was oerstehe ich davon: ich bin ja ein„blutiger Laie". finde ich. daß es rächt galant und auch nicht originell ist, so
Man begegnet nach etwa 100 Kilometer wieder der Seine, die man nunmehr flußaufwärts noch weitere drei oder vier Stunden lang bis zu ihrer Quelle in der Hochebene von Langres verfolgt. Mit Ausnahme von Troyes� , einer ftimmungslosen Großstadt von etwa 100.000 Einwohnern, die zum guten Teil in der alt- cingessenen Baumwollindustri« beschäftigt sind, heißen alle größeren Orte auf der Strecke nach dem Fluß: N o g e n t- suOSeine, R o m i l l y- sur-Seine, Bar- sur-Seine, C h ä t i l l o n- sur-Seine. Aber schon ist es längst kein Fluß mehr, ein Bach, ein Bächlein ist diese Seine— niemand würde in diesem dünnen Streifen Wasser, über den stellenweise ein geübter Leichtathlet mit Anlauf hinüber- springen könnte, den breiten, majestätischen Strom ahnen, der die Hauptstadt Frankreichs durchquert. In den Nachmittagsstunden wird die Landschaft etwas gebirgiger. Oft muß man recht steile Strecken hinaufklettern. Man durchquert die Hochebene von Langres und die weinreichen Hügel der Cüte-d'Or. Stärkerer Verkehr kündet die'Nähe einer größeren Stadt: in der Tat, bald erblickt man unten in der Ebene die Abrisse von Kirch- und Schloßtürmen: Dijon . Doch bevor noch die Straße sich senkt, fährt man abermals an einem Schlachtendenkmal vorbei. Schon wieder! Und wiederum eine Erinnerung an den Krieg von 1870/71! Ist denn die ganze französische Erde, sogar so weit südlich, mit dem Blut deutscher und französischer Soldaten ge- tränkt worden? Es waren dort, wenn ich mich recht entsinne, die letzten Zuckungen der Nationalarmee, die Gombctta nach dem Zu- jommenbruch von Sedan aus der Erde gestampft hatte. Hier bei Dijon lieferte« sich bayerische Truppen und die italienische Freiwilligen-
-legion Garibaldis die letzten Gefechte vor der endgültigen Waffen- ftreckung. Zn der Hauptstadt von Burgund . Dijon Hot, wenn man so sagen darf, eine große Zukunft hinter sich. War es doch im Mittelalter die Haupt st adt des Herzogtums Burgund, dessen Herrscher lange Zeit hindurch über einen großen Teil des heutigen Frankreichs geboten und wieder- holt nahe daran waren, die französische Königskrone an sich zu reißen. Wer weiß, ob dann nicht Dijon als Hauptstadt Frankreichs und später als Weltstadt Paris verdrängt hätte? Der siegreiche Widerstand der Schweizer Eidgenossen bei Murten und Grandson hat diesen Träumen Karls des Kühnen ein Ende. bereitet, der schließlich ein Jahr später, 1477, in einer Schlacht bei Nancy sein Leben ließ. Von dieser Glanzzeit Dijons datieren herrliche Bauten im spätgothischen Stil, vor allem das Palais der Herzöge von Burgund , das heute zum Teil als Museum eingerichtet ist, zum Teil als Rathaus dient. Aber die Zeit fehlt mir leider, alle diese Kunstwerke im einzelnen zu besichtigen. In vier Stunden wird es dämmern und ich will ja noch vor Anbruch der Dunkelheit auf der Jura-Paßhöhe fein. Jni schnellsten Tempo geht also die Fahrt weiter, dem Saone-Tal entgegen. Reisenmisere. Schon erblicke ich zwei Kilometer vor mir das Städtchen A u x o n n e an der Saöne und weiter in der Ferne zeichnen sich im Südosten die Vorläufer des Juragebirges als— pfch!— ein Reifen seinen letzten Atemzug hcrauszischt. Na, schadet ja nicht-, einen Reservereisen Hobe ich ja noch, der mir in Frankfurt „ge- flickt" wurde. Mit der durch die Erfahrungen der letzten Tage ge- wonnenen liebung gelingt es mir, wenn auch um den Preis eines Schwitzbades in der Nachmittagssonne, den Radwechsel in knapp zehn Minuten zu vollziehen, als— pfui Tcuset!— sich herausstellt, daß auch der Reservereisen lustleer ist und auf die Handpumpe herzlich wenig reagiert. So muß ich die letzten zwei Kilometer Gefälle bis Auxonne „auf Latschen" kullern. Tankstellen gibt es dort so viel man will, ober die Wertstätten sind an diesem Feiertag alle geschlossen. Diese Eröffnung machte mir, nebenbei berichtet, ein junger Mittelschüler aus Bonn , der mit seinen Kameraden gerade spazieren ging und der sich riesig darüber freute, einem Deutschen in diesem recht abgelegenen Nest zu begegnen. Ich auch, aber ich wünschte, ich hätte keinen Anlaß gehabt, mich auch nur eine halbe Minute dort auszuhalten. Schließlich gelingt es, eine elektrische Luftpumpe aufzutreiben. Der Reifen scheint zu halten, vorläufig wenigstens. Auf bis zur nächsten Stadt, D ö l e, dort soll es Werk- stätten geben, die auch heute offen find. Der Reifen ist wirklich brav: er schafft gerade noch die 20 Kilometer bis Döle, um am Eingang der Stadt, als hätte er feine Schuldigkeit getan, abermals die Puste zu verlieren. Und zu allem Unglück wirkt sein Beispiel ansteckend auf seinen Nachbarn, der sich fast im selben Augenblick gleichfalls entleert. Eine schöne Bescherung! Ich versuche, mir einen neuen Reifen zu kaufen. Der Händler führt aber die Größe nicht, telephoniert mit einem Kollegen, verspricht dann, innerhalb zehn Minuten mit dem neuen Reisen zu erscheinen— nach einer Stunde kehrt er ergebnislos zurück! Die Hoffnung, noch am selben Abend Genf zu erreichen oder auch nur die Paßhöhe vor der Dunkelheit, ist jetzt endgültig dahin. Denn es ist inzwischen schon hier Nacht geworden. Aber ich kann unmöglich hier liegen bleiben. Die schadhaften Reifen werden von einem Monteur provisorisch repariert und ich fahre auf gut Glück weiter, ohne Reservereifen, hinein in das Juragcbirge. Wir werden mal sehen, wie weit wir kommen.