Qerdland: ffiraufelimonade wie einU
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Frau Pampas blieb vor einem illuminierten Schaufenster stehen. In der Auslage befanden sich duftige Hcmdchen, korallenfarbige Tea-gowns, hauchzarte Hemdhosen. Büstenformer ganz aus Spitze, schwarze Strumpfhaltergürtel und biskuitfarbene Seidenstrümpse... Frau Pampas stand vor diesen Herrlichkeiten ganz versunken, sie streckte die Hand aus, um Herrn Pampas mit sanfter Gewalt heran- zuziehen. Sie sagte:„Sieh mal, Max..." und hatte einen erregen- den Nebengedanken. Aber Max war außer Sichtweite. Die weißen Bogenlampen über dem Eingang des großen Varietes erloschen, der Menschenstrom, den die Portale nach der beendigten Abendvorstellung ausgespicn hatten, war untergetaucht im Gewühl der scheinwerferüberzuckten Vergnügungsstrahe. Frau Marhilde Pampas war empört. Sie hatte das übliche Wegzcrren durch Maxens Hand von den betörenden Reizhöschen erwartet, sie hotte auf den obligaten Ausspruch„Das kommt uns nicht zu! Ich bin nur ein armer Fabrikant!" gelauert, um nun ihrerseits ein„Wozu habe ich geheiratet?!" loslassen zu können. Aber Max stand jetzt gewiß vor den schon oerdunkelten Schaukästen des Varietes, das sie eben verlassen hatten, und versuchte sich ange- sichts der ausgestellten Ausnahmen die Reize der turnenden Mädchen, des Stars vom Londoner Coliseum und der süßen Schlangenfräuleins ins Gedächtnis zurückzurufen! Frau Marhilde kam sich verlassen vor. Sie ging die paar Schritte zurück, um Max zur Ordnung zu rufen. Aber er stand nicht vor den Schaukästen des Varietes, sondern vor einer Tafel an einem Nebeneingang des Vergnügungshauses. War auf der einen Seite des Varietes das„mondoine Nacht- leben Berlins " in einem luxuriösen Tanzpalast beheimatet, lag gegenüber die„Stätte verbotener Lust", in der geschminkte Sakko- jünglinge mit gummibebrüsteten Damcndarstellern, um die Gunst behäbiger Prooinzonkels buhlend, wetteiferten— hier, hinter den Glastüren, zu denen dieser Nebeneingang führte, ging nächtlich ein Gruselsput in Szene, den sindige Hirne als neueste Attraktion des Westens herausstellten: ein Tingeltangel von Anno dazumal! Frau Pampas, die leise hinter ihren Mann getreten war, brach plötzlich in ein schallendes Gelächter aus.„Das ist wohl deine stille Liebe?" fragte sie immer noch unter Lachen und wies auf das Bild einer schwammigen, gedunsenen Frau mit tiefen Runen im Gesicht, die in der Stellung der Lola Lola aus dem„Blauen Engel" breit- beinig auf einem Stuhl saß und die Spitzen der Lackschuhe wippen ließ.„Neueste Aufnahme der beliebten Erna Schitzkow" stand dar- unter. Neben der Aufnahme der alten grotesken Frau in der her- ousfordernden Stellung war noch ein anderes Photo befestigt. Es zeigte eine junge Frau mit entblößten Oberschenkeln, an einem Sekt- glas nippend, darunter stand:„Aufnahme Erna Schitzkows aus dem Jahre 1902"! Marhilde war im Bilde. Seit sie eine mondäne Frau geworden war, seit sie ihre Vornamen Maria Hildegard zusammen trug, seit sie Stammkundin des Chefherrentänzers aus dem Eden war, trai- nierte sie sich in ehelicher Toleranz. So sagte sie ein wenig spöttisch, aber doch mit zuckender Lippe:„Geh doch, Mäxchen! Sieh dir das doch an!"—.Lch hätte dich, weiß Gott , nicht um Erlaubnis ge- fragt!" erklärte Herr Pampas, winkte einer Taxe und verfrachtete
seine Frau... Dann ging er hinein in das absonderliche Kabarett, um Erna wiederzusehen, Erna, die er... die ihn... ach, nicht doch... Als Herr Pampas den überfüllten rauchgefchwängcrtcn Raum betrot, fiel fein erster Blick auf die Bühne. Da saßen, aufgedonnert, herausgeputzt, auf„neckisch" frisiert, sieben„Damcns". Es war wie damals vor dreißig Jahren, als Herr Pampas noch jung und schön gewelen war... Ja, das war die besondere Attraktion, der Nervenkitzel für die junge» Herren mit ihren Weekendbräuten, für die überfütterten, sensationshungrigen Snobs, die smarten Pankees und die feisten Banausen, das war das sadistische Amüsement, daß es die alten Semester waren, die von damals, aus den Tingeltangels im(Zuartier Iztin, der nördlichen Friedrichstrahe, die hier oben saßen, mit lockend gelackten Kußmäulchen, in der verschollenen Draperie einer ver- klungenen Epoche. Und da war auch die Erna, die Erna Schitzkow, die damals ein Begriff gewesen für alle Portokassengents, Lebejünglinge, Lustmolche und Ehemänner auf Abwegen... Sie saß da oben, nippte an einem Scktglase und glich einer verstaubten, abbröckelnden Panoptikums- monströsität. Herr Pampas erinnerte sich. Von einer herben Süßigkeit war dies Erinnern, von einer schmerzenden Bitternis. Seine Jugend wurde lebendig. Es war doch zu lächerlich! Dies Wiedersehen! Brauselimonade! Das war der Anfang gewesen! Ein Glas Brauselimonade auf die Bühne zu schicken war pikfein... Pikfein war es auch, eine Chansonette im Bett zu haben und am nächsten Abend über sie hinwegzusehen wie über ein Häufchen Unglück. Herr Pampas hatte schon damals an Gemüt gelitten, er war schon damals ein zu wenig sachlicher, zu romantischer Liebhaber gewesen... Brauselimonade, der Anfang... Eine weise Frau, ein lang- gezogener, qualzerbrechender Schrei das Ende. Herr Pampas war damals schon Inhaber der vorzüglichen Eigenschaft gewesen, sich rechtzeitig zu drücken! An den Nebentischen wurde man schon auf ihn aufmerksam. Er stimmte nicht in das höhnische Gemecker, in die zweideutigen Zurufe, in den ironischen Applaus ein, der nach jedem Vortrag einer Chansonette einsetzte. Konfekt und Blumen wurden auf die Bühne gebracht, nur damit man sich an dem geschämigen Lächeln weiden konnte. Ein« Brauselimonade wurde vor Erna Schitzkow hingestellt. Und Pampas wartete auf ein Aufflackern der stumpfen, müden Augen, auf ein Zeichen der Erinnerung bei der ehemaligen Geliebten da oben. Nichts dergleichen. Sie erhob sich. Und sang das Bänkellied, das vor dreißig Iahren die Männer begeistert hatte und das nun so lächerlich, so antiquiert wirkte, wie die Frau mit dem Aufputz eines Zirkuspfcrdes..» Ihre krähende Stimme, das kokette Lüften des Rocks, das Verdrehen der Aeuglein, das geschämige Niederschlagen der getuschten Augendeckel, die Rüschen und die Schleifchen, das alles erregte spontane Heiterkeitsausbrüche bei den Leuten, die ob dieses Gruselspuks, ob dieser gespenstischen Reminiszenz hier saßen. Herr Pampas ging schnell fort. Er hatte Angst. Die Angst würgte ihn an der Kehle. Er war nur zu feige, sich diese Angst einzugestehen und brummte„Wie lächerlich" vor sich hin.
Werner dichter:
S)er Smkruek bei der Sängerin
Seit Iahren zum erstenmal hatte sie wieder die schöne Helena gesungen. Alle hatten ihr bestätigt, daß es glänzend gewesen war: mühelos gab die Stimme ihre reiche Kraft her und gehorchte ver- läßlich wie nur je. Nun endlich saß die Sängerin allein und auf- atmend in ihrem champagnerfarbigen Wohnzimmerchen, worin eine Schale voller Veilchen ruhig freundlichen Duft verströmte. Wie schön—, nun also zu wissen, daß es noch lange nicht Zeit war. an Abstieg zu denken, an Abgang von der Bühne, den sie manchmal schon in Tagen des Mißvergnügens so nahe gewähnt hatte. Glücklich spielte sie mit dem eigenen schönen Bilde im Spiegel, lächelte ihm zu, neigte den Kopf, bis die Ohrgehänge die Schultern streiften und blies dann wieder Zigarettenrauch über alles, alles hin... Plötzlich kam aus dem runden Speisezimmer nebenan ein schar- fer Luftzug, wurde auch der Trommelton des Regens schärfer: also chatte wohl der Wind die Tür zum Wintergarten aufgedrückt. Aber indem die Sängerin nun, in der Schiebetür zum Speisezimmer, nach dem Lichtschalter tastete, entstand drinnen im Dunkel tumultuöses Krachen des Parketts und Stoßen der Möbel: ein fremdes Wesen mußte hineingeraten sein. Die Sängerin jedoch, voll fröhlichen Muts, den das Glück gibt, drehte trotzdem das Licht an, es ergoß sich, aus Deckenleisten milde verteilt,— und richtig: am Fenster unter den zitronengelben Stores zeigten sich zwei erbarmenswert auseinandergetretene, schmutzbespritzte Schnürschuhe: kurz also: ein Einbrecher war da Aber die gute Laune der Sängerin war heute unerschütterlich. Sie sagte einfach:„Kommen Sie hervor, oder ich schieße", und da sich nichts regte, fast besorgt:„Also wollen Sie es knallen hören?" Da wickelte er sich aus dem Zitronengelb. Großer Gott — wie sah er aus! Ein Männlein, ein Sechziger mindestens, das graue Gesicht gedunsen, das kaffeebraune Mäntelchen zerknüllt, rotrandige Augen kümmerlich ins Licht zwinkernd. Heiser offenbar vor Angst murmelte er unaufhörlich vor sich hin, man solle telephonieren, ohne Umstände, ans Ueberfallkommando... Die Sängerin ließ die Hand, die sie bisher auf dem Rücken hielt, nach vorn sinken: natürlich hatte sie keinen Revolver darin, nur die Zigarette. Aber dies war ja nun auch ein Einbrecher, den man keinesfalls ernst nehmen, den man amüsant finden konnte, und wirklich lachte ihm nun auch die schöne Frau einige ihrer be- rühmten glockenreinen Kehltöne entgegen. Aber auf einmal brach sie ab— als nämlich die kugelig hervortretenden, sonderbar perl- Muttern schimmernden Augen des Einbrechers sich voll auf sie richteten: denn diese Augen erkannte sie ja— mehr noch, sie selbst sühlle sich plötzlich wieder als das überlange, dürre Kind, das, zum Schnapsholen weggeschickt, sich schämt, die Flasche unter der Schürze versteckt, vom Vater angebrüllt, sie schreckhaft fallen läßt und nun erst recht wütend angeblitzt wird— und immer aus den gleichen Augen, die sich eben hier so greisenhaft schwerfällig auf sie zu dreh- ten! Und diese Hönde auch, die jetzt qroßadrig herabhinqen, hatte sie sie nicht stark, braun, fleißig und nur allzu rasch bereit gekannt, den Leibriemen zu lösen, und ihn ihr um Beine und Rücken sausen zu lassen? In jedem Fall aber, mußte Sicherheit geschafft werden.„Sie sind doch", fragte sie entschlossen,„Herr Kunze, der vor etwa zwanzig Iahren in der Kleinen Winzerstraße wohnte?"
Der Alte zuckte sichtbar zusammen, sagte dann jedoch gleich- mütig:„Mehr Pech kann man nicht gut haben: nun kennen Sie mich also auch.. Jetzt freilich wollte ihr einen Augenblick lang das ganze Zim- mer in rötlich-grauer Dämmerung untergehen, wollte die weiße Decke, aus der unsichtbare Glühbirnen ruhiges Licht sandten, über ihr zusammenrutschen. Gleich indessen hatte sie sich wieder gefaßt: ja, sie wunderte sich, wie kühl diese Entdeckung sie lieh und keinerlei Rührung oder Mitleid aufkam,— ja, eher noch etwas wie Glück,— daß dies alles nun so fern lag, sie gar nichts mehr anging,— ein hartes aber helles Glück. So konnte sie ganz sachlich sagen:„Aber Sie waren damals doch ein sehr reeller, anständiger Mann, hatten Frau und Kinder..." Cr nickte nörgelig:„Gewiß doch, ich war ein anständiger Mensch,— aber viel zu lange. Fräuleinchen, viel zu lange war ich anständig. Denn, wissen Sie, wenn man so alt ist wie ich und dann erst so was anfängt, so was..." eine �wge Handbewegung ging um das Zimmer, in das er widerrechtlich eingedrungen war,— „dann wird nichts Rechtes mehr daraus. Nur noch junge Leute bringen es heute zu was: das ist in jedem Beruf so. Im Asyl, wissen Sie, da haben sie mir gesagt, hier bei Ihnen, das wäre eine ganz leichte Sache: erst durch ein Loch in der Gartenhecke, wo die Kaninchen gewühlt haben, dann hier durch die Glasveranda. Aber wenn man alt ist, wird man selbst bei so was Kinderleichtem erwischt. Nun telephonieren Sie aber schon: Nr. 3339— Ueberfallkommando." Aber sie schüttelte nur nachdenklich den Kopf. Gar nichts also ahnte er, heruntergekommen und verstört, davon, daß sie es war, die knapp siebzehn Jahre alt, bald nach dem Tode der Mutter ihm entlaufen war, ein langbeiniges, eigensinniges Wesen mit hartem Gesicht, aber der unheimlich schönen, großen Stimme,— der lieben Stimme, die ihr Glück geworden war. Damals freilich, in' der ersten Zeit der kleinen Rollen und der Ausbildung konnte sie was die Geldbeschaffung anging, nicht allzu wählerisch sein: Gönner verschiedenster Art und Güte mußten herhalten, Gegenleistungen ge- währt werden, wie sie nun einmal üblich sind,— weshalb der Vater, gekränkt im tiefsten Stolz des kleinen Angestellten— er war Botenmeister in einer Versicherungsbank— ihr mitteilen ließ, daß er sie„hiermit verstoße und enterbe". „Und nun also", fragte sie weiter,„geht es Ihnen so schlecht. daß sie einbrechen müssen?" Diese Frage, unterstützt vom straffen Blick ihres wirkungssicher untermalten Auges ging dem Alten offen- bar zu tief. Er brummte böse vor sich hin und brachte endlich schie- lend heraus: morgen sei Sonntag; auch unsereins wolle schließlich einmal ausgehen, vielleicht, jawohl, mit einer Dame, und wenn es auch nur zu ein paar Gläsern Bier lange: aber ein Sonntag ganz ohne Geld... Das nun allerdings fand sie einfach empörend; dies schien ihr Kränkung sogar noch der loten Mutter. Nein, mit solcherart Leuten hatte sie nichts mehr zu tun; Einbruch aus Not, wävc zu ver- stehen;— aber nur eines fragwürdigen Sonutagsoergnügens wegen,— das war zu viel.„Gehen Sie", sagte sie in plötzlicher Heftigkeit,„seien Sie froh, daß ich Sie nicht verhaften lasse. Ver- dient hätten Sie es. Aber gehen Sie rasch, damit ich es mir nicht noch anders überlege." Und eine deutliche Bewegung ihrer Hand zum Tischtelephon ließ den Alten sehr beeilt über den Iiegelboden des Wintergartens davontappen.
In diesem Augenblick jedoch begriff die Sängerin erst, was sie tot. War es denn möglich, ihren Vater, der ja in alle Ewigkeit ihr Vater blieb, so verschwinden zu lassen, auf Nimvrerwieder- sehen? Natürlich war doch auch die empörende Geschichte von dem Sonntagsausslug, zu dem er Geld brauchte, nur eine dumme Er- findung seines Zbleinbeamtenstolzes gewesen,— ein« Finte, um sein ganzes Elend nicht zugestehen zu müssen, eine Wichtigmacherei, vielleicht auch nur ein Wutansall gegen die Eleganz dieser fremden Dame und ihrer Villa. In Wirklichkeit sicherlich hungerte er und hatte kein Obdach. Und er war doch der Vater,— man konnte doch, uin Gottes'willen, den Bater nicht so davongehen lassen! Und doch: er war sogar schon gegangen! Also mußte sie ihm nach, ihn zurückbringen, ihn, was auch immer daraus folgte, aufnehmen, durfte ihn doch nicht hungern, ihn wieder einbrechen, stehlen lassen. Hastig das Kleid rassend rannte sie durch die raschelnden Palmenwedel des Winterdartcns. Die Tür ins Freie schwankte klappernd im Wind, offenbar vom Vater aufgebrochen. Und er selbst, schon sah sie ihn, stapfte nun in der unscharscn Feuchte der Spätwinternacht davon, steuerte, mühsam gegen� den Wind, der Hecke zu, wo er sein von Kaninchen gewühltes Schlupfloch wußte. Sie segle ihm nach, ungestüm quer über verschrumpstes Gras. lieber schwere Aug«nsäcke hinweg sah er sie fragend an: vielleicht wollte sie ihn also doch verhaften lassen? Schon hob sie die Arme, sie ihm um den Hals zu legen,— aber im gleichen Moment schlug von ihm herüber zu ihr eine so starke Wolke modrigen Geruchs aus Alkohol und Armut, daß ihre Knie selbsttätig zurückwichen. Nein,— man mußte ehrlich sein. Und dies war die Wahrheit: sie stand vor dem Vater völlig beziehungslos. Die Zeiten, in denen irgend etwas sie mit ihm verbunden hatte, waren vorbei,— mit der vollkommenen Ewigkeit des einmal Gewesenen vorbei. Gewiß, vom gemeinsamen Erbgut bäuerlicher Lebenskraft, das die Familie einst in die Stadt mitgebracht hatte, mochte die Sängerin den größten Teil errafft haben. Aber nichts davon durfte sie heraus- geben, auch dem Vater nicht: denn er— dies schien ihr der plötzlich offenbarte Sinn des Daseins— hatte sinken müssen, damit sie steigen konnte: sein Versinken aufhalten, hieße ihren Aufstieg hemmen. „Ich will nichts weiter" brachte sie also, blaß werdend, hervor. „ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich mich freuen würde, wenn Sie gelegentlich wiederkämen." Und das war in diesem Augenblick auch ihr Ernst: wirtlich hätte sie den Vater gern zuweilen in der Küche sitzend gefunden, einen Topf Suppe auf den Knien, wie andere Bettler auch. Er sah sie an, mit einem von ihrer Stirn.zu den Füßen sinkenden Blick.„Es ist sehr edel von Ihnen, meine Dame" antwortete er,„daß Sie mich lausen lassen. Aber veralbern sollten Sie mich alten Mann deshalb doch nicht." Damit wandte er sich ab und stapfte mühsam über schollernden Kies, davon; und sogar seinem gebeugten Rücken war anzusehen, daß er nie wiederkehren würde. Aber indem auch die Sängerin min langsam.zurückging, spürte sie schon, wie in ihrem Herzen alles sich verhärtete: in aller Eil" hämmert« sich hier ein Beschluß zurecht,— der Beschuß, daß das Begebnis des heutigen Abends nicht mahr gewesen war: dieser Einbrecher hatte ein ganz fremder gewöhnlicher Vagabund zu sein: ja warum sollte denn nicht auch irgendein anderer Mensch namens Kunze einmal vor zwanzig Iahren in der Kleinen Winzer straß« gewohnt haben? Und daß er dem Vater ein wenig ähnlich sah.— nun, konnte sie überhaupt wissen, wie der Vater heute aussah? Und morgen, fühlte sie, würde sie an all dies noch viel fester glauben und mit jedem Tag mehr, bis später einmal ein Morgen kommen würde, sonnig, freundlich, im.Frühling, Vögel würden ins offen» Schlafzimmersenster zwitschern,— dann würde es nur noch eine einzige Wahrheit geben: daß sie heute abend ein groteskes und eigentlich lustiges Ereignis erlebt habe, irregeführt durch ein« lächer- lich« Aehnlichkeit. Denn was gibt es nicht alles für Aehnlichkeiten in dieser an Ueberraschungen so überreichen Welt! Und was für komische Sachen hörte sie doch nicht manchmal schon erzählen, über- wältigend komisch«, geradezu hinreißend«, nicht wahr?
£ma SBÜflng: SSuttiC N�Sd/S Der Krebs, wer hätte das wohl vor kurzem gedacht, ist plötzlich die Mode von 1931 geworden. Vor üblen Abwässern auf der Flucht, tauchen die Krebse in ungeahnten Massen vielerorts auf und nament- lich in Berlin erfüllen sie den Landwehrkanal mit einem wahren Gewimmel. Darum werden zahlreiche Berliner zum Fischer wider eigene Erwartung, und auf unvorhergesehene Weise wird die Spesie- karte manche: Arbeitslosen etwas bereichert. Da dieses Krebsoor- lammen absonderlich Ist, darf man hier auch wohl einmal von ab- sonderlicherr Krebsen reden und zwar von den bunten. Von bunten Krebsen? Man sagt doch zu einem erhitzten Menschen:„Du bist rot wie ein Krebs." Ja, das stimmt, das sagr man und denkt dabei an den gesottenen Krebs. In seiner natürlichen Färbung hingegen ist der Krebs gerade nicht auffällig leuchtend: dennoch gibt es— und das ist wenig bekannt— auch bunte Krebse. Die Farbabweichungen bei den Edelkrebsen sind sogar derartig häusig, daß das Berliner Aquarium in einem Becken stets mehrere dieser farbenfrohen Gesellen beherbergen kann. Natürlich steht das Der- liner Aquarium mit großen Krebshandlungen in Verbindung, bei denen immer Hunderttausende von Krebsen als verkäufliche Ware durchgehen. Wird unter ihnen ein andersfarbiger entdeckt, wird er sofort nach Berlin geschickt. Darum sah man in des Deutschen Reiches Hauptstadt schon blaue, gelbe, grüne, weiße und halbseitige Krebse. die in allen Farben schillerten. Ihre Lebensdauer ist nicht geringer als die ihrer Kollegen. Die Farbabweichung ist also keine eigentliche Krankheitserscheinung. Kommen die bunten Krebse in kochendes Wasser, werden sie genau so rot wie ihre naturfarbenen Artgenossen. Das gleiche ist der Fall, wenn man sie in Alkohol tut, dessen haltbare Wirkung besonders von der Wissenschaft häufig ausgenutzt wird. Die bunten Krebse findet man nicht nur in einem Gewässer, sie kommen überall vor. Der Krebsbestand ist schon wiederholt von der Krebspest bedroht worden. Nach verheerenden Verlusten wurde deshalb der nordameri- konische Flußkrebs, der von der Seuche nicht befallen � wird, bei Berneuchen eingebürgert. Er hat sich sehr zufriedenstellend vermehrt, er ist abgewandert und es geht ihm vielerorts gut. Doch hat der Mensch, der alles vom Eß-Standpunkt aus betrachtet, keinen rechten Grund mit dem Nordamerikaner zufrieden zu sein, denn er hat ein sehr hartes Haus, das man erst mit dem Hammer aufschlagen muß, um an den köstlichen Inhalt zu gelangen. Dabei sei hier noch erwähnt, daß die Krebse, die im Volksmund Galizier heißen, nicht etwa aus Galizien stammen, sondern chren Namen tragen, weil ein Galizier der erste war, der mit ihnen handelte. Die Stadt Jtem Jork wurde von den Holländern im Jahre 1612 unter dem Namen„Neu Amsterdam" gegründet: im Jahre 1623 tauften sie die ganze Manhattan -Insel, auf der die Stadt liegt. den Indianern für 24 Dollar ab. Im Jahre 1800 hatte die Stadt erst 69 000 Einwohner.