Morgenausgabe
Nr. 289
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48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Mittwoch
24. Juni 1931
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Breitscheid schreibt an Brüning .
Die sozialdemokratische Fraktion fordert rasche Aenderung der Notverordnung.
Der Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion hat unter dem Datum vom 23. Juni folgendes Schreiben an den Herrn Reichskanzler gerichtet:
„ Sehr geehrter Herr Reichskanzler! Der amerikanische Vorschlag eines internationalen Moratoriums für die Regierungsschulden eröffnet die Aussicht auf eine beträchtliche Erleichterung der Finanz- und Wirtschaftslage Deutschlands . Obgleich der Vorschlag noch der Zustimmung der beteiligten Mächte bedarf, halten wir es für dringend erforderlich, die zugefagten Besprechungen über die Abänderung der Notverordnung fofort einzuleiten. Die in der Notverordnung enthaltenen Härten werden, wenn das Moratorium zustande kommt, von den betroffenen
Die Notverordnung, wie sie ist, will in Deutschland fein Mensch. Aeußerste Rechte und äußerste Linke fordern lär mend ihre gänzliche Aufhebung: sie wollen den Teufel Finanznot durch den Beelzebub Staatsbankrott austreiben. Eine einschneidende Veränderung fordern mit der Sozialdemokratie auch die christlichen Arbeiter. Der Druck, der auf diese Weise entsteht, ist ungeheuer start. 3u glauben, man könne ihn durch starren Widerstand überwinden, wäre I e ich t- leichtfertig.
Der zu erwartende Einwand, die Ersparnisse aus dem Moratorium dürfen nicht angegriffen werden, geht an der sozialdemokratischen Aktion glatt vorbei. Denn wir wollen ja die Ersparnisse aus dem Moratorium gar nicht angreifen, wir wissen, daß sie zur Herstellung einer notdürftigen Ordnung des öffentlichen Haushalts faum ausreichen werden. Wir würden den schärfsten Widerspruch erheben, wenn der= fucht werden sollte, diese Ersparnisse zu Subventionen oder irgendwelchen zweifelhaften Ankurbelungsunternehmungen zu
verwenden.
Schichten als besonders unerträglich empfunden werden. Wir sind uns bewußt, daß nach wie vor alle Anstrengungen Deutschlands auf die Sanierung der öffentlichen Haushalte gerichtet bleiben müssen. Wir weisen deshalb nochmals darauf hin, daß die von uns geforderten Abänderungen diefes finanzielle Ziel durchaus nicht in Frage stellen. Die von Ihnen vorgeschlagene Verschiebung der Aenderung der Nolverordnung beruhte Für uns handelt es sich um etwas ganz anderes, nämlich guf, der Annahme einer späteren Aufrollung der Reparationsfrage. Nunmehr besteht kein Hindernis mehr, unmittelbar beitern verübten Unrechts, und zwar soll diese Gutum die Gutmachung eines von der Regierung an den Arnachdem das Moratorium gesichert ist, die Abänderung der Notver- machung erfolgen nicht aus Mitteln des Hoover- Plans, sonordnung vorzunehmen. Das gilt um jo mehr, als die Entlastung dern aus Mitteln, die durch eine entsprechende Umgestaltung durch den allgemeinen Schuldenaufschub viel weitergeht, als es bei der Inanspruchnahme des Transfermoratoriums der Fall gewesen der Notverordnung selbst zu gewinnen sind.
wäre.
Wir verfennen nicht, daß der Plan des Präsidenten Hoover feinen Anlaß zu übertriebenen Hoffnungen geben darf. Der Grundfah der Finanzjanierung muß aufrechterhalten werden. Trotzdem müffen aber auch die einschneidenden Abbauvorschriften der Notverordnung gemildert und die schweren Steuerlaften gesenkt werden. Diese Maßnahmen dürfen nur dem Zwecke dienen, die durch Lohnund Sozialabbau viel zu weit eingeschränkte Lebenshaltung der breifen Maffen der Bevölkerung zu verbeffern. Die wert. tätigen Schichten haben bisher die schwersten Opfer für die Finanzjanierung gebracht; deshalb haben sie einen berechfigten Anspruch darauf, daß ihnen fünftig alle Erleichterungen zugute fommen. Nur wenn das geschieht, wird die finanzielle Entleftung Deutschlands die Vorausfehung für wirtschaftlichen Aufstieg und politische Beruhigung werden.
Unter diesen Umständen wiederholen wir das dringende Erfuchen an die Reichsregierung, alsbald mit den Vertretern der jozialdemokratischen Reichstagsfraktion in Verhandlungen über die Abänderung der Notverordnung einzutreten.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener Rud. Breit scheid( 3. A. der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion)."
Der Brief der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion an den Reichskanzler hält sich in den üblichen Formen der Höflichkeit. In seinem Inhalt ist er vollkommen eindeutig
und tlar.
Die Fraktion verlangt nichts Unmögliches. Sie nimmt auch den Hoover- Plan nicht zum Anlaß, neue Forderungen zu stellen. Sie erinnert nur an die Forderungen, die sie schon zu stellen. Sie erinnert nur an die Forderungen, die sie schon gestellt hatte, als von bevorstehenden Erleichterungen der Finanzlage noch nichts zu sehen war. Aber es ist selbstver ständlich, daß diese Erinnerung jetzt ganz dringlich wird. So wenig wie vor der amerikanischen Aktion will die sozialdemokratische Fraktion danach den Zweck der Notverordnung gefährden. Sie hat gezeigt, daß die Möglichkeit besteht, die Verordnung sozial gerechter zu gestalten, ohne daß der finanzielle Ertrag geschädigt wird. Von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, ist jetzt Zeit, höchste Zeit!
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Die Sozialdemokratie das ist der Reichsregierung wohlbekannt-setzt wie noch immer auch diesmal ihre ganze Kraft dafür ein, die äußeren Lasten des deutschen Boltes soweit wie nur möglich zu erleichtern. Ohne ihre verständnisvolle Mitwirkung wäre die ganze Aktion, die zur Berhütung einer unmittelbar drohenden Katastrophe unternommen wor ben, nicht möglich gewesen. Aber aue Anstrengungen merden vergeblich bleiben, wenn nicht der seit Erlaß der Rotverordnung auf den Arbeitermassen fastende Drud fühl bar gemildert wird.
Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat weder für die Aufhebung der Notverordnung, noch für den Sturz der Regierung Brüning gestimmt, weil sonst nicht der Rettungsplan aus Amerika, dafür aber ein Chaos mit massenhaftem Blutvergießen und Hungersterben gekommen wäre. nicht jedem ohne weiteres verständliches Berhalten wurde so zur rettenden Tat
Ihr
Die Sozialdemokratie hat zugleich erklärt, daß es keineswegs der Sinn ihrer Haltung sei, den Kampf gegen die sozialen Härten der Notverordnung aufzugeben, daß sie vielmehr entschlossen sei, diesen Kampf mit allen zweckdienlichen Mitteln fortzusehen. An dieser Erklärung hält sie fest. Es ist notwendig, daß durch rasche Aufnahme der Verhandlungen der Staatsräjon sowohl wie auch der Gerechtigkeit Genüge geschieht.
Der, Reichskanzler hat gestern in seiner Rundfunkrede bemerkt, daß die Beruhigung Europas eine Voraussetzung der wirtschaftlichen Gesundung sei. Die Beruhigung Europas muß mit der Beruhigung Deutschlands beginnen, das durch die Notverordnung vom 5. Juni aufs tiefste beunruhigt ist.
Die Notverordnung, hat der Reichskanzler gestern wieder erklärt, soll abgeändert werden, soweit fie Härten und drüdende Maßnahmen enthält. Bir nehmen ihn beim Wort!
Brünings Appell an Frankreich.
Der Reichskanzler ruft im Rundfunk nach einem französischen Chequers.
Unser Verhältnis zum Reichskanzler Dr. Brüning ist das der Tolerierung aus zwingenden taktischen Gründen trog start oppositioneller Gefühle und besonders seit der letzten Notverordnung hat der Name Brüning in Arbeiterkreisen feinen guten Klang.
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Trotzdem muß gesagt werden, daß die Rede, die der Trotzdem muß gesagt werden, daß die Rede, die der Kanzler gestern um 11 Uhr abends überraschenderweise hielt, in ihrem außenpolitischen Teil eine gute und mutige
Tat war.
In dem Augenblick, in dem die französischen Bedenken gegen Hoovers Vorschlag der gesamten Rechtspresse Anlaß zu einer wütenden Haßkampagne gegen Frankreich geben, hat der Reichskanzler Worte der Besonnenheit, ja der inne ren Wärme gegenüber unserem westlichen Nachbarn gefunden, die desto stärker wirken müssen, je weniger sie gerade in diesem Augenblick erwartet wurden.
sich bei den drückenden Maßnahmen, die sie zum Ausgleich der Reichsfinanzen treffen mußte, stets bewußt,
daß erst das Jahr 1932 den Höhepunkt der finanziellen Schwierigkeiten bringen würde.
Die Steuerüberweisungen an die Länder und Gemeinden werden infolge der schweren Wirtschaftskrise um Hunderte von Millionen zurückgehen, dazu kommen aus dem gleichen Grunde die großen Ausfälle der Länder- und Gemeindeſteuern. Erst 1932 werden alle diese Haushalte die volle Belastung erfahren.
Die deutsche Wirtschaft ist in ihrer Scheinblüte zu erheblichem Teil mit in- und ausländischen Mitteln aufgebaut worden, die nur auf furze Zeit gegeben oder auf lange in den Unternehmungen so festgelegt waren, daß fie nicht rasch herausgezogen werden fönnen. zum dritten Male ist jetzt der Versuch gemacht worden, diese Kredite
abzuberufen und dadurch ist der Sturm herbeigeführt worden, der Brünings Bekenntnis zur deutsch- französischen zu- heute als beschworen gelten kann. Dieser Sturm hat aber allen fammenarbeit gerade in diesem Augenblick verdient unein- Beteiligten die starke Verbundenheit der ganzen Welt mit drastischer geschränktes Lob und ist geeignet, das Urteil über den Schärfe vor Augen geführt und allen gezeigt, daß die Lebenshaltung Staatsmann Brüning wesentlich zu verbessern.
Brüning hat offen den Wunsch geäußert, daß es zu einem
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franzöfifchen Chequers kommen möge, das heißt zu Besuchen einer besseren Verständigung. Es ist an Herrn Laval, dem und Gegenbesuchen zwischen Paris und Berlin zum Zwecke franzöfifchen Ministerpräsidenten, diese Anregung zu beantworten, und wir brauchen nicht erst zu sagen, wie diese Antwort lauten muß, wenn es nach den Wünschen der deutschen Sozialdemokratie und der französischen Sozialisten gehen soll. Beide werden den Versuch des Reichskanzlers, gerade durch lleberwindung der augenblicklichen Verstimmungen zu einem dauerhaften Bertrauensverhältnis zu gelangen, nicht nur willtommen heißen, sondern auch lebhaft unterstützen.
Die Rede des Reichskanzlers. Gestern abend furz nach 23 1hr hielt Reichskanzler Dr. Brüning eine Ansprache im Rundfunk, die über alle deutschen Sender und auch nach Amerika verbreitet wurde. Der Reichsfangler begann mit Worten herzlicher Dankbarkeit für den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Hoover, der neue Hoffnung für Europa und Deutschland geschaffen habe und Deutschland in einem entscheidenden Augenblick feiner Geschichte Hilfe bringe. Der Reichskanzler fuhr fort: Warnen muß die Reichsregierung vor dem Glauben, als ob mit der Annahme dieses Vorschlages alle uns bebrückende Not hinweggeräumt wäre. Die Reichsregierung war
eines jeden Volkes bedingt ist durch die Lebenshaltung auch anderer Völker.
Die Reichsregierung muß unbeirrt daran festhalten, daß auch forderungen stellen wird. ohne Reparationszahlungen das nächste Jahr außerordentliche An
Die Reichsregierung war und ist bereit, Härten der Notverordnung und besonders dringende Notlage zu mildern, aber fie fann nicht an dem finanziellen Ergebnis der Notverordnung rütteln laffen.
nur unter Sicherung dieses finanziellen Ertrages wird es bei internationaler Annahme des Hooverschen Vorschlages möglich sein, die weiteren Einnahmeausfälle des Jahres 1932 auszugleichen. Das deutsche Volk würde sich um jedes Verständnis der Welt und um jedes Vertrauen bringen, wenn es nicht unbeirrbar daran festhält, Sie Sanierung unserer Finanzen unter den schwersten Opfern durchzuführen. Der Vertrauensbeweis, der uns in dem weltgeschichtlichen Schritt des Präsidenten Hoover gegeben ist, fann nur Früchte tragen, wenn das deutsche Volk entschlossen ist, durch größte Sparsamteit das Sanierungswerk zu fördern.
Das Feierjahr soll auch die politischen Beziehungen der Länder von fförenden Spannungen befreien, das Zusammenarbeiten der Staaten, auf dem ihre friedliche Weiterentwicklung beruht, feftigen und fördern.
Das aber ist nicht möglich, ohne beruhigte und gesunde Finanzlage, wie eine solche Finanzlage nicht ohne friedliches Zusammenarbeiten