Pierre Lorent: Surru und Riku
Surru diente beim 28. Kolonialregiment in Algier . Drei Jahre.| Er stimmte leise, leidvolle Lieder der Heimat an. In seinen Augen Dann kam er nach Madagaskar . Er sah zum ersten Male Meer lag ein schimmernder Glanz, als ob Tränen sich hauchdünn im und Schiffe. Dabei dachte er an die Sagen des Medizinmannes brechenden Abendlicht eines trostlosen Kasernenzimmers spiegelten. von Abu- Kin seinem Heimatort am Kongo . Er staunte diese neue Kamen die Kameraden lachend, polternd, betrunken heim, dann Welt an, und hinter diesem Staunen lag die Sehnsucht nach der kleidete Surru die Puppe rasch an und ließ sie wieder im Brotsack väterlichen Lehmhütte. verschwinden, um dem Gespött auszuweichen.
Surru fand keine Freude daran, zu wissen, wie ein Gewehr zu laden und abzuschießen sei. Wie man sich mit einem Weißen verständige, wie man Treppen steige, sich fleide. Er sehnte sich nach der Nacktheit seiner Jugend zurück, der Primitivität der Heimat, den grotesken Kriegstänzen in greller Bemalung. In der Hafenstadt ging Surru an einem Spielwarenladen vorbei. Er blieb stehen und starrte lange durch die Scheiben. Buppen hatte er wohl schon öfters gesehen und war immer achtlos an ihnen vorübergegangen. Aber diesmal mußte er doch stehen bleiben, denn dergleichen war ihm noch niemals vor Augen gekommen: eine schwarze Puppe. Eine Negerpuppe. Surru versant in Nachdenken und stellte Vergleiche an. Die Kinder in Abu- Kin find wohl schöner als diese Puppe. Auch sind sie nackt und nicht in so geschmacklose weiße Fezen gehüllt. Dafür würden sich die Kinder von Abu- Kin schön bedanken. Aber immerhin eine Negerpuppe Surru betrat den Laden. Er zählte die Sous zusammen und suchte in den Taschen so lange, bis er auch den letzten gefunden hatte. Eigentlich wollte er Tabat faufen und auch Schnaps. Denn er hatte wie alle Neger Alkohol und Tabak bei den Weißen fennen und lieben gelernt. Aber diese Negerpuppe mußte er haben. Und er legte alle Münzen auf den Tisch. Mit der Puppe im Arme wanderte er in die Kaserne zurüd. Durchwanderte mit ihr weitere vier Jahre seines armseligen Lebens.
Hast du Kinder, Surru?" ,, Ich weiß es nicht, Sahib." ,, Wieso?"
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,, Ein Neger weiß nie, ob die Kinder der Frau auch seine eigenen find. Möglich, Sahib. Auch nicht möglich." Surru liebte die Kinder, da Neger immer finderliebend find. Daher liebte er auch seine schwarze Puppe und nannte fie Rifu. ,, Hast du ein Weib, Surru?"
,, Ja und nein."
,, Was soll das heißen?"
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So ging es drei Jahre lang. Im vierten brachte ein TransGurru war dabei. Geht es in die Heimat zurück? Werden ihn die portdampfer das 28. Kolonialregiment zurück nach Afrika , und auch Weißen freilassen? Weiße haben kein Herz, Sahib, für Nigger. Nigger ist kein Mensch für sie. Weniger als ein Tier." Und Surru zweifelte, daß er in die Heimat entlassen würde. Klein Riku war in feiner Begleitung. Sie war schon schäbig geworden, abgenügt, und der Kopf hatte einen Sprung, aus dem Stroh hervorlugte. Ihn hatte lange Zeit dieses Stroh nachdenklich gestimmt, um so mehr, als er bei einem Gefecht den Schädel eines Gegners mit dem Gewehrkolben eingedroschen und fein Stroh gefunden hatte, sondern eine breiige Masse und Blut. Seit damals dünfte ihn Ritu besonders wertvoll, denn sie war anders als die anderen. Ganz wie sein Mädchen, für das er den Kaufpreis nicht erlegen fonnte, weil die Weißen ihn zu früh geholt und weggeschleppt hatten.
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Ich hatte Surru längere Zeit nicht gesehen und vermutete, daß er in sein Heimatdorf Abu- Kin entlassen worden oder dorthin durchgebrannt sei. Da kam eines Tages ein Neger zu mir. Surru ruft dich, Sahib! Er liegt in der Spitalsbarade 5."
Ich ging tags darauf hin und fand Surru. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt, hätte ich nicht seinen Namen auf der Kopftafel gelesen. Er war Haut und Knochen. Aus dem Riesen war ein Stelett ge= worden. Seine Stimme war leise, wie Wüstenwind heiß. Er preßte jedes Wort mühsam hervor und hielt Klein Rifu eng umschlungen im Arm. Ich muß sterben, Sahib. Ich muß; ich weiß es, Sahib." Er machte eine Pause, um nachzudenken. Bielleicht kommst du nach dem Kongo . Der Kongo ist groß und schön, Sahib. Und wenn du dorthin tommst, vielleicht kommst du auch nach AbuKin. Frage dort nach Ritu! Sie wird Surru vergessen haben, Sie wird Surru vergessen haben, und ein anderer hat sie getauft. Denn Riku ist schön, und vier Sad Salz, zehn Kamele und dreißig Schafe ist nicht teuer; das ist sie mert." Er machte wieder eine Pause, denn Reden und Denken
,, Bevor ich den Kaufpreis erlegen konnte, hatten mich die Weißen schien ihn gewaltig anzuftrengen. Gib dann Rifu diese kleine geholt, Sahib. Zum Militär.“
,, Also ein Mädchen hattest du?"
Ja, Sahib."
,, Wie heißt es?"
,, Ritu, Sahib."
Und Surru erzählte der Negerpuppe Rifu- er hatte ihr denselben Namen gegeben, den sein Mädchen trug seine Gedanken, Erlebnisse und Sehnsuchtswünsche. Wenn die anderen die Kaserne verließen, Hafenschenken und Dirnen aufsuchten, dann blieb er allein zurüd. Er holte Rifu aus dem Brotsad, in dem er sie immer neben der Reiskonserve herumtrug im Gefecht, im Lager, auf der Wache und entkleidete fie. Nadt stellte er sein fleines Mädchen vor sich hin und tauerte sich nebenan auf den Boden. Er begrüßte fie, indem er seine derbe Nase an der Miniaturnase der Puppe rieb.
Ritu! Auch einen Gruß von Surru. Daß er bet den Weißen hat sterben müssen, fag' ihr auch! Und daß er Abu- Kin nie vergeffen hat, Riku nicht, die vier Sad Salz, zehn Kamele und dreißig Schafe auch nicht. Tu das, für einen armen Nigger aus dem Kongo !" Und er reichte mir die Negerpuppe. Stroh klaffte aus dem Schädel, und die Nase war ganz abgewegt, als ob sie nie dagewesen wäre.
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Ich bin nie nach Abu- Kin gekommen. Ueberhaupt nie nach dem Kongo . Habe nie Rifu fennen gelernt und fann auch nicht beurteilen, ob sie so schön ist, daß sie wirklich vier Sad Salz, zehn Kamele und dreißig Schafe wert ist. Aber Klein Riku habe ich mitgenommen. Sie lehnt in der Ede des Diwans zur unerklärlichen But meiner Hausfrau und erinnert mich an Surru und an die Tropen. An Niggerlieder, Niggersehnsucht, Niggerleid.
Und an Seelenschändungen durch die weiße Rasse...
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Eingebaut in ein Geviert hoher, blatternarbiger Mietstasernen, manchmal unter den alten Bäumen eines Parks und oft auch auf einem weiten, unbebauten Gelände wie eine farbengrelle Dase in einer einödhaften Wüste, orgelt und quätt, rumort und spettatelt mit sinnenfrohem Lärm der Rummel der Rummel von Berlin . Nach überstandener flauer Wintersaison gibt er sich jetzt be= Ponders laut und bunt. Die Buden sind auf neu gemalt, die vom Winterwetter zerschliffenen Zeltplane geflicht, die Pfosten neu gestrichen, und die Ausrufer und Anreißer haben sich eine schöne, neue Stimme zugelegt, der man die alte Heiserkeit nicht mehr anmerkt. Von so viel neuem Glanz verführt und überrascht zeigt sich die jeunesse dorée Berlins gar nicht erst standhaft und strömt wunschgemäß in die Zeltstraßen der Rummelplätze, überflutet und umwogt von blendenden Lichtkastaden und merbendem Wortschwall, betäubt und irritiert von dem sinnverwirrenden Vielerlei an Radau und
Illumination.
Auf dem Treppenpodest der Ringer- und Borerbude stehen die Heroen der Matte und des Ringes in herausfordernd friegerischer Boje; je internationaler und fremdländischer ihr Name flingt, desto echter ist ihre gutberlinische Abkunst, desto eher sind sie ,, getauft von der heiligen Spree geduldigem Wasser".
Indische Bajaderen, zerbrechliche Geishas und robuste Negerinnen, deren Heimat meistens Neukölln oder der Wedding ist, trippeln, tänzeln und stampfen vor dem Zur Kasse! Zur Kasse!" schreienden Anreißer hin und her und demonstrieren zart und mit sparsamen Gästen so viel von den Sitten und Gebräuchen der von ihnen vertretenen Länder, als man draußenstehenden Leuten, die noch nichts gezahlt haben, ohne Geschäftsschädigung zugestehen kann. Ein aufgedunsener Mann von folossaler Größe in einem orientalischen Kostüm von operettenhafter Phantastit, der trotz seines echt berlinischen Organs vorgibt, ein indischer Zauberer zu sein und sich auch einen dementsprechenden Namen zugelegt hat, preist mit bewundernswerter Rhetorik die Vorzüge seines Theaters, als deffen Attraktionen er die Durchnagelung einer Dame und die Darstellung der Liebesnacht eines Maharadschas als besonders sehenswert und erschütternd rühmt.
Verführt durch die als ,, noch nie gezeigt" offerierten orientali schen Gemüsse, läßt sich von dem auf indisch frisierten Mann, der sich so ähnlich wie Yoghurt Rama nennt, eine ganze Herde schaulüsterner Jugend hineinlocken, in die sich schüchtern und vage überlegen lächelnd auch einige Männer und Frauen gesetzteren Alters mengen. Man selbst steigt auch mit hinein in die Bude, in der schon einige früher eingefangene Zuschauer ungebärdig auf den Anfang der Vorstellung warten.
Die fönnen lange warten. Draußen will der Dide noch immer mehr Schäfchen in seinen Kraal trommeln. Krächzend dringt seine Stimme durch die Zeltleinwand: ,, Das Blut erstarrt in Ihren Adern zu Eis, wenn Sie die herrlich geformten Körper meiner Tänzerinnen in dem Tanz der Liebesnacht sich winden sehen, so wie die Schlange im Todestampf!"
Die noch nie gezeigten Darbietungen leitet eine Ouverture ein, gespielt von einem brüchigen Grammophon mit brüchiger Stimme. Nach diesem feierlichen Beginn tritt der Zauberer auf die spärlich beleuchtete Bühne und verblüfft seine Gäste durch einige zwar effektvolle, aber doch schon seit alters her gut eingeführte Tricks, deren Abgenügtheit nur drei teffe Jünglinge meckernd zu gloffieren wagen. ,, Nu mach aba mal halbwege, Karl!" rügt einer der Jüngs Linge die antiquierte Zauberei des Dicken.
Gespannter wird die Aufmerksamkeit der Umwelt erft, als ein Spielkunststückchen steigt, eine kleine spiritistische Sache. Namen berühmter Gestorbener sollen genannt werden, Yoghurt Rama, der große Bauberer, wird diese Männer in dem in Zeitungspapier verpacten Spiegel, den er soeben herumgezeigt und den man doch wohl als unpräpariert erkannt hat, erscheinen lassen. Stresemann, Goethe, Wagner, Rathenau werden zu sehen gewünscht. Yoghurt Rama flüstert einige unzusammenhängende, indisch sein sollende Worte über dem eingewickelten Spiegel, öffnet das Batet und zeigt dann den Spiegel herum, auf dessen Glas das Bild Richard Wagners aufgeklebt ist.
Indes der Spiegel herumgezeigt wird, entriert der indische Zauberer neuköllnischer Nationalität rasch, rasch eine neue Zaubernummer, von deren Vorbereitungen die Zuschauer schon so beansprucht und fasziniert sind, daß sie die anderen Toten, deren Geister Yoghurt Rama doch ebenfalls herbeirufen wollte, glücklich darüber vergessen haben und der mit den Geistern mächtig im Bunde lebende Zauberer erinnert sie auch nicht daran, weil es nämlich nur den einen einzigen Spiegel mit dem einen Bildnis Wagners in seinem Fundus gibt.
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Und dann wird schließlich auch die Dame durchnagelt. Es find eigentlich nur die in ein Holzgestell gesteckten Arme des einen Mädchens, in die Yoghurt Rama sechszöllige Nägel hineinhämmert, aber Verblüffung herrscht darum doch auf der ganzen Linie, weil niemand so recht weiß, wie eigentlich da der Trick gemanaget wird. Nach solch einer beachtlichen Darbietung erwartet alles mit gesammelter Andacht die nun fällige Liebesnacht des Maharadschas. Als sich der Vorhang hebt, sieht man den Dicken auf einem Divan lümmeln, von seinen zwei Bajaderen, deren dürftig bekleidete Körper er vorhin draußen bei der Parade als ein hinreißend schönes Schöpfungswunder Allahs " verherrlichte, aufteizend um tanzt. Dazu grinst er unverschämt paschahaft. Der Vorhang fällt. Das war die ganze Liebesnacht!
Ehe sich die Enttäuschung der Zuschauer entrüstet Luft machen tann, wird das Lokal schon für die nächste Borstellung geräumt, und Yoghurt Rame haut draußen auf die Baute ein, deren dröhnendes Kalbfell auf die Leute ebenso mächtig wirft wie ein Magnet auf Eisen.
Leicht chofiert über den Bluff verläßt man zürnend diesen kleinen Rummel, der sich da unten irgendwo im Westen aufgetan hat, in einem Gelände, in dem sich schwer Geschäfte machen lassen, weil der Westen lange nicht so sehr für die Rummelkunst tendiert wie der Norden.
Dort oben im Nordpark von Onkel Belle angelangt, den schon Generationen von Berliner Dichtern befungen und literarisch registriert haben, stellt man schon von weitem jest, daß die Sache hier mehr Schwung hat und eben einfach tnorte ist. Der Schmalz duft des Gebackenen hier riecht viel saftiger, die Würstchenportionen find reichlicher mit Mostrich ausgestattet, die vox populi ist berber, furz, alles hier auf diesem Boden, aus dem der Begriff Rummel überhaupt erst wuchs, ist kräftiger und urtümlicher.
Kräftiger darum sind auch die Trids, Bluffs und Illusionen, mit denen hier gearbeitet wird.
Kommt man den Leuten im Westen indisch, so tommt man ihnen hier aus Opportunitätsgründen russisch. Die Vertreter dieser Nation heißen Iman, Olga, Katja, Sonja und Maruschka, Braut geliebtes. Sie geben sich allesamt teine Mühe, ihr klassisch schönes Berlinertum in Gestus und Sprache zu verbergen; ihre einmandfrei
ruffische Gewandung ist nur eine zarte Ronzeffion an die landes üblichen Rummelsitten.
Diese fünf, die Maruschka durch ihre große Schnauze erhält, indem sie den Anreißer macht und dabei doll und derb angibt, führen als Zugstück das Wolgalied auf, im ersten Teil in dramatischer, im zweiten in luftiger Form. Die Parade draußen schon, bei der Maruschka mit unheimlicher Zungenfertigkeit die künftlerischen Details dieses kulturhistorischen" Stüdes auseinandersetzt, ist eine Vorstellung für sich.
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So angenehm animiert, strömen die Gäste denn auch in hellen Scharen in die leinewandverkleidete Bude, auf deren Bänken sich ergreifender Spaß, er beginnt mit dem schönen Vers: Die Qual iſt schon viel Volk zusammendrängt. Der dramatische erfte Teil des Wolgaliedes entpuppt fich als ein schwer, die Sonne heiß. Es rinnt des Bolgaschiffers Schweiß. Maruschka, die das ganze Poem wahrscheinlich gedichtet hat, spricht ihre tiefempfundenen Verse ebenso tiefempfunden über die gebeugt fich dahinschleppenden Mitglieder der Truppe, über deren Schultern ein dickes Tau sich windet: das Tau, an dem sie das Wolgaschiff ziehen ,, Und dieses freilich fehlt aus ersichtlichen Gründen. geht es dann schaurigschön weiter, indes Maruschka diese Worte zischend voller Hohn Schwingt er die Peitsche wieder schon!" handgreiflich demonstriert. Alles hält vor Ergriffenheit den Atem an. Konfusion aus, indem man es nämlich mit der ohnedies schon arg Der lustige Teil des Wolgaliedes zeichnet sich durch eine geniale mißhandelten Historie nun überhaupt nicht mehr genau nimmt, den nationalen Rahmen der ganzen Geschichte sprengt und durch indische Bauchtänze und andere abwegige Darbietungen würzt, bei denen in hervorragendem Maße auch ein aus dem Publikum auf die Bretter gesprungener Jüngling mit einem verschrumpelten Apfelgeficht sich betätigt, mit einem Wig und einer Schlagfertigkeit, vor der selbst Maruschkas Beredsamkeit bläßlich wirkt.
Ausgezeichnet unterhalten und irgendwie auf seine Kosten ge= tommen verläßt man den grellspektakelnden Bezirk dieser Schokound ladenradstände Würstchenfioste, Liliputanerzirkusse und Spezialitätentheater, Pfefferkuchen- und Schlangenbuden, um zu einem anderen Rummel hinzuziehen, zum Friedrichshain , dem Lunapark des Oftens, wie er sich selber stolz nennt. Hier wuchern auf einer mirr bepinselten Leinemand die Urdies also verwälder des Amazonas phantastisch durcheinander spricht den schönsten Bluff! ,, Meine Damen sowie Herren! Ich zeige Ihnen hier feine Männer, die am Vormittag am Bahnhof Friedrichstraße stehen und Schuhe puzen und am Abend mit Stiefelwichse beschmiert den wilden Mann markieren, schreien und jazzen und springen. Ich beige Ihnen echte Höhlenbewohner aus den unerforschten Urmäldern des Amazonas !"
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Diese Höhlenbewohner, die man dann sieht, find ein Stachelschwein, eine Riesenspinne, eine Schlange und eine Eule. Dieser Meine, unschuldige Bogel wird in einem zoologischen Schauertolleg als eine blutgierige Bestie charakterisiert, die in ihrer Urwaldheimat herdenweise auf den Bäumen fitzt und auf vorüberwandelnde Forscher, Neger und sonstige Spaziergänger wartet. Mit ihren Fängen frallen sie sich in das Fleisch der armen, wehrlosen Opfer und saugen ihnen das Blut bis auf den letzten Tropfen aus." Als die feine, süße Eule über so viel Lüge und Verleumdung schüchtern protestierend aufzufliegen versucht, kommentiert der Vorführer diesen kleinen Fluchtversuch mit den schaudernd ergriffen getönten Worten: Ja, ja, wenn der kleine Kerl nur nicht an der Kette wäre und so könnte, wie er wollte, es lebte hier am Friedrichshain wohl lein Mensch mehr..."
Die Bude, gerammelt voll, murrt aber in einem vage empfunde nen Mißtrauen über die doch recht dürftigen Attraktionen, zumáf fie so, avisiert worden waren, als handelte es sich um menschliche Höhlenbewohner. Aber einen lauten Protest iagt niemand, der Groschen, den der Spaß hier tostete, ist die Aufregung schließlich auch nicht wert.
Das aber gerade ist es, worauf die Rummelleute spekulieren! Niemand, den sie für ein paar Groschen bluffen und hinters Licht führen, wird durch eine Protest zugeben, daß er sich hinters Licht führen ließ und ernstlich die versprochenen ittrattionen erwartete. Es ist besser, so zu tun, als ginge man gerade wegen des Bluffs hinein wegen des Bluffs, der nirgendwo so herrlich frech und föstlich originell blüht wie auf dem Rummel von Berlin !
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Gefahren der Graphologie
Die Sucht unserer Zeit, tiefer in die Geheimnisse des Seelenlebens hineinzuhorchen, um neue Erkenntnisse zu sammeln, die zu der Massenproduktion von Hellsehern" und„ Astrologen" aller Art geführt hat, denen das Publikum zuströmt, zeigt sich auch in einer vcrstärkten Hinneigung zu den umstrittenen Problemen der Graphologie. Die Lehre von der Schriftdeutung behauptet, aus den Eigenheiten der Handschrift Charakter und Wesen des Schreibers auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnis einwandfrei festzustellen, ja, einzelne Forscher, wie der bekannte Schermann, wollen aus den Schriftzügen fogar Krankheiten, Neigung zu Selbstmord und Berbrechen herauslesen. Solange diese Experimente sich auf rein theoretischer Basis bewegen, oder solange sie nur dazu dienen, das Sensationsbedürfnis des großen Publikums zu befriedigen, kann man sich diese Versuche gefallen lassen.
Bedenklicher wird das Umfichgreifen der graphologischen Modewissenschaft, wenn in der Gegenwart der Versuch gemacht wird, die zweifelhaften Ergebnisse in die Pragis einzuführen. Hier droht vor allem dem Arbeitnehmer, ganz besonders dem kaufmännischen Angestellten, Gefahr. Es gibt schon jetzt eine ganze Reihe von Betrieben, in denen berufsmäßige Graphologen angestellt sind, denen die Aufgabe zufällt, das neueinzustellende Personal durch graphologische Prüfung ihrer Schriftproben auf Charakter, Ehrlichkeit ufw. hin zu durchleuchten". So mandhe unerklärliche Ablehnung eines sonst qualifizierten Bewerbers mag auf solche ungünstig ausgefallene Schriftdeutung zurückzuführen sein. Gegen diese neuzeitlichen" Methoden, gegen diesen falsch verstandenen Amerikanismus muß vom Standpunkt der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, einfach von der Warte des gefunden Menschenverstandes herab ernstlich gewarnt werden. Ehrliche Wissenschaftler, die sich seit Jahren mit dem Problem der Schriftdeutung befassen, wie Saudet und Klages, geben offen zu, daß das Bild der Handschrift von vielerlei Zufällen, von ungewohnten Erregungen usw. abhängig und beeinflußbar ist. daß ferner die Lehre noch feineswegs so durchgebildet ist, daß man von ihren fragwürdigen Schlußfolgerungen die Befähigung eines Bewerbers, ja das Lebensglück langjähriger Angestellter, die noch nachträglich einer Eignungsprüfung unterzogen werden können, abhängig machen darf.
Dr. Willy Blumenthal,
Eine Pflanze, die huffet. Man tennt fleischfressende, lachende und weinende Pflanzen. Aber von einer Pflanze, die hustet, haben nur die Wenigsten gehört. Diese Pflanze, in der Frucht einer Bohne ähnlich, wächst in den Tropen. Sie ist in zweierlei Hinsicht sehr sonderbar: fie fann sehr leicht zum Zorn gereizt werden und erschricht vor jeder Art von Staub. Sobald ein Staubforn auf ein Blatt fällt, füllen sich die Luftzellen, die Atmungsorgane der Pflanze, mit Luft und husten den Staub wieder aus.