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Morgenausgabe

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48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Freitag

26. Juni 1931

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Dollarkredit und Reichsbank Das einere debet.

1200 Millionen Gold und Devisen in drei Wochen verloren.

Das Direktorium der Reichsbank teilt mit:

Zur Befriedigung des Ulfimobedarfs hat die Reichsbant mit der Bank von England , der Federal Reserve Bank von New York , der Bank von Frankreich und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Abkommen geschlossen, durch die eine Redisfont­möglichkeit in ausreichendem Umfange gesichert ist. Jede der vier Banken beteiligt sich an dem auf 100 millionen Dollar bemessenen Gesamtbetrag mit einem Viertel, das ist mit einer Summe bis zu 25 Millionen Dollar. Der Gegenwert wird auf Ver­langen der Reichsbank zu deren Verfügung bei der Bank für Inter­ nationalen Zahlungsausgleich in Basel eingezahlt."

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Diese Mitteilung besagt, daß die Deutsche Reichsbank in den nächsten Wochen durch das Zusammenwirken der drei größten Notenbanken der Welt und der Reparationsbank in Basel international mit einem auf Dollar lautenden Devisen kredit im Werte von 420 Millionen Mart gestützt wird, damit die Deutsche Reichsbank den in der nächsten Zeit an sie heran­tretenden Anforderungen gewachsen ist. Daß es sich um eine inter­nationale Stügung der Reichsbank handelt, unterstreicht den noch immer fortbestehenden Ernst der treditpolitischen Situation Deutschlands , für die Hoovers Aktion zwar eine sehr starte sofortige Erleichterung brachte, aber feine fofortige Lösung. Freilich war dieser internationale Notenbank kredit für die Reichsbant gleichzeitig mit Hoovers Aktion ins Auge gefaßt und auch vorbereitet worden.

Mindestens vorübergehend ist diese internationale Stühungs­

affion für die Reichsbaut unbedingt notwendig. Gestern hat die Reichsbank wahrscheinlich wieder kleine Devisen­beträge abgegeben. Der Termin Ende Juni, ein Halbjahrstermin, ist auch für ausländische Kredite ein Fälligkeitstag erster Ordnung. Es ist natürlich, daß zu diesem Zeitpunkt noch eine gewisse Summe von Auslandskrediten gekündigt oder nicht verlängert wird. Die Reichsbank steht aber auch vor der Aufgabe, den inländischen Geldbedarf zum Halbjahrsschluß zu finanzieren, der etwa eine halbe Milliarde Mark erfordern wird. Da der 100- millionen- Dollar- Kredit bei 40prozentiger Deckung eine Notenausgabe von etwa einer Milliarde erlaubt, ist über die Fähigkeit der Reichsbank, den inländischen Geldbedarf zum Halbjahrsschluß ohne Unterschreitung der Notendeckungsgrenze zu befriedigen, tein 3weifel. Auch wenn neue ausländische Kredite in der nächsten Zeit nicht zufließen werden, wird außerdem Die Devisenbereitschaft der Reichsbant durch den neuen Dollarkredit ausreichen.

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In die Entwicklung der Reichsbanklage im Laufe der letzten drei Wochen, die so fritisch geworden sind nicht zuletzt durch die Politit, der Dingelden- Partei und der Ruhrleute-, gibt der Reichsbanfausweis vom 23. Juni

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einige neue Einblide. Die Wechselbestände haben sich in der dritten Juniwoche hauptsächlich zur Geldbeschaffung für den Devisenbedarf der Banten weiter um 331 auf 2350 Millionen erhöht. Gegenüber dem 23. Mai ist der Wechselbestand um nicht meniger als 1040 millionen, gegenüber Ende Mai noch um rund 560 Millionen Mart gestiegen. Solche gewaltigen Wechselsummen haben die Banten, ganz entgegen der sonstigen Ent­wicklungstendenz, in diesen kritischen Wochen der Reichsbank zuge­leitet, um mit den dafür erhaltenen Reichsmartfummen die von der Reichsbant abgeforderten Devisen wieder zu bezahlen. Dieser 3u sammenhang macht es flar, daß gleichzeitig der Notenumlauf nicht anzusteigen brauchte, sondern in den drei ersten Juniwochen nicht anzusteigen brauchte, sondern in den drei ersten Juniwochen fogar um rund 570 Millionen Marf zurückgehen konnte. Deut­licher als durch diesen starken Rückgang des Notenumlaufs kann die Torheit vieler, die eine neue Inflation fürchteten, nicht charakterisiert werden.

bestände der Reichsbant weiter um 354 auf 1411 und die Devisen­Aber in der Woche zum 23. Juni haben sich die Gold bestände um 11,7 auf 92,6 millionen Mark verringert.

Für die ersten drei Juniwochen ergibt sich ein offen ausge­wiesener Berlust der Reichsbank von 969 Millionen Mark in Gold und von 93 Millionen Mark in Devisen. Wenn man die aus sonstigen Beständen der Reichsbant noch abgegebenen 140 Millionen Devisen mitzählt, ist ein Gesamtverlust von rund

1200 Millionen Mark Gold und Devisen festzustellen. Am 23. Juni betrug die Deckung der umlaufenden 3726 Mil­lionen Mart Reichsbanknoten durch Gold und Devisen zusammen nur noch 40,4 Proz.( gegen 48,1 Proz. in der Vorwoche), so daß die gesetzliche Notendeckungsgrenze von 40 Broz. fast erreicht war. Auch aus diesem Grunde ist angesichts der zum Halbjahrsschluß zu erwartenden neuen Anforderungen und der Absicht der Reichsbant, die 40prozentige Deckungsgrenze nicht zu unterschreiten, der Aus­landskredit für die Reichsbank eine Notwendigkeit.

Die Nachricht von dem Abschluß der internationalen Noten­bankenaktion hat den Kredit Deutschlands im Auslande weiter gefestigt. In London und in New York sind die deutschen Anleihefurse nach oben gerichtet geblieben; sowohl die Dames- Anleihe als auch die Young- Anleihe hat den nach der Hoover­Aktion erreichten Höchststand gestern noch etwas überschritten. Es wird für Deutschland darauf ankommen, in den nächsten Wochen aus dieser Besserung der deutschen Kreditsituation in der Welt den größten erreichbaren Rugen zu ziehen. Dazu gehört auch eine Wirtschaftspolitit, die nach innen nicht frisen­verschärfend wirkt und nach außen die Beschaffung neuer Auslands­anleihen ins Auge faßt somie im Zusammenhang mit der Not­verordnung eine Finanz- und Sozialpolitik, die sich der gefährlichen Folgen jeder Berschärfung von Not und Elend voll bewußt ist./

Mellon auf Kompromißsuche.

Heute bei Laval und Briand . Paris , 25. Juni. ( Eigenbericht.) Der amerikanische Schaksekretär Mellon ist in Paris eingetroffen.

einschiffen wird, dann ist das ein Beweis dafür, daß man in Washington den Blan Hoovers trotz der Verhandlungen mit Frant reich bereits für gesichert hält. Man darf also annehmen, daß der Plan am 1. Juli in Kraft tritt und Reparationszahlungen von Deutschland zunächst bis zum 1. Juli 1932 nicht mehr zu Washington , 25. Juni.

Mellon ist beauftragt, mit der französischen Regie­rung über die Annahme des Hoover- Vorschlages zu verleisten find. handeln und den Versuch zu machen, ein Kompromiß zu­stande zu bringen. Ministerpräsident Laval und Außen­minister Briand , die von der Mission Mellons bereits offiziell in Kenntnis gesetzt worden sind, werden ihn am Freitag empfangen.

Stimson fommt doch.

Washington , 25. Juni. ( Eigenbericht.) Staatssekretär Stimson , die rechte Hand Hoovers bei der Fertig­ftellung der Botschaft an die Welt, wird sich am 27. Juni auf dem italienischen Dampfer Conte Grande" nach Europa einschiffen. Stimson wird am 5. Juli in Neapel eintreffen, von dort zunächst Rom und anschließend Paris besuchen. In Berlin beabsichtigt er, gemäß den schon vor Wochen getroffenen Vereinbarungen, am 21. Jull einzutreffen.

Staatssekretär Stimson hatte in den letzten Tagen wieder holt ernstlich bezweifelt, ob er den in Aussicht genommenen Abreisetermin merde einhalten können. Wenn er diese Zweifel jegt Burch die Anfündigung behebt, daß er sich am 27. Juni nach Europa

Staatssekretär Stimson hat heute folgende Erklärung ab gegeben: Ich führe meinen ursprünglichen Reiseplan aus. Es hat fich nichts ereignet, um ihn umzustoßen." Stimson Iehnte es nach wie vor ab, befanntzugeben, daß er die französische Antwortnote erhalten habe. Dieses Verhalten wurde hier wieder dahin gedeutet, daß man sich um die Revision des Textes der französischen Antwort bemüht und eine solche offenbar auch durchgesetzt hat. Stimson wird auf seiner Europareise von seinem Privatsekretär Klots, von seinem 2djutanten Regnier und von einem Chiffreur begleitet werden. Klotz gehört nicht zum eigentlichen Beamtenstabe Stimsons, er stellt vielmehr private Gutachten für den Staatssekretär her. Unter anderem hat er bereits folche über internationale Finanzfragen und über Sowjetrußland erstattet. Der italienische Botschafter, der heute Stimson besuchte, erklärte nachdrücklich, daß das Gerücht, Mussolini mache seine Zustimmung zum Hoover- Plan von dem Verzicht auf die österreichisch deutsche 3011angleichung ab­hängig, völlig aus der Luft geriffen sei. Er habe ein telegraphisches Dementi biefer Falschmeldung aus Rom erhalten.

Die rettende Tat der Sozialdemokratie.

Von Ferdinand Tönnies .

Aristoteles , dessen Weltbedeutung auch Marr hervorge­hoben hat, lehrt, daß der Mensch nicht nach Luft streben solle, die Verminderung des Leides eben die Lust sei und daß man sondern nach Leidlosigkeit. Andere Denker fügen hinzu, daß anstatt nach der reinen Lust zu streben, die sonst nicht erreich­bar sei, zufrieden sein müsse, eine Minderung der Schmerzen zu erreichen; mit anderem Worte: eine relative Lust anstatt der absoluten, so sehr man auch sich freuen möge, diese als erreichbar sich vorzustellen oder- sich einzubilden.

Das ist die Lehre vom fleineren Uebel. Nicht immer, aber sehr oft ist der Mensch vor die Wahl gestellt zwischen einem größeren und einem kleineren Uebel. Der unvernünf­tige Mensch verwirft beide. Wenn er das nicht bekommen kann, was er haben will, so wird er böse, wie man an jedem fleinen Kind auch beobachten kann, daß es, wenn die Eltern ihm nicht geben wollen, was es begehrt, ein unwilliges Ge­brüll anhebt und sagt: dann wolle es gar nichts. Dieser Der vernünftige Mensch zeichnet sich dadurch aus, daß er sein Eigensinn wird freilich meistens rasch und leicht gebrochen. Handeln sorgfältig überlegt. Er überlegt die Folgen seines Handelns, wie sie sich ihm als sicher oder wenigstens als wahrscheinlich darstellen. Und dabei erkennt er als seine wichtigste Aufgabe, sich und etwa die Seinen und etwa sein Hab und Gut, so wenig es sein mag, vor gewissem, aber auch. vor wahrscheinlichem Schaden und Verlust zu behüten. Da­durch mehr als durch das Streben nach ungewissen und sogar unwahrscheinlichen Gütern, Freuden, Borteilen bestimmt er oft seine Wahl, wenn er vor die Wahl gestellt ist, das eine oder das andere anzunehmen, das eine oder das andere zu verwerfen. Er wird wählen, was ihm am wenigsten ge­fährlich scheint, und er wird danach streben, dies richtig zu erkennen.

In allem Handeln gibt es so etwas wie Politik. Politik als fluges Handeln ist vor allem die Vermeidung von Unheil und Berderben. Die alten Griechen haben sie oft mit der Kunst des Steuermanns verglichen, die ihnen als Meeres­anwohner so nahe lag. Der Mensch von heute könnte die Politik auch mit der Kunst des Chauffeurs vergleichen, der im Straßengewühl und auch auf der freien Landstraße, je rascher er fährt, um so mehr die Augen offenhalten muß, um sich und sein Fahrzeug unbeschädigt, ungefährdet zum Ziele zu führen. Die Politik einer Partei pflegt man mit einem militärischen Bilde auch dies ist auf alle Arten des klugen Handelns, so oft dieses auf Widerstand, auf Feinde trifft, an die Taktik" der Partei zu nennen. Es ist der große Vorteil einer alten Partei vor einer jungen, daß sie in der Taktik erfahren ist.

wendbar

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Die deutsche Sozialdemokratische Partei hat eine gute Schule durchgemacht. Das Reichstagswahlrecht stellte sie regelmäßig auf eine Probe, wenn es galt, in den vielen Wahlkreisen, wo sie damals nicht die reine( absolute) Mehrheit erreichte, bei der engeren oder Stichwahl zwischen einem der beiden Kandidaten, die allein gültige Stimmen auf sich versammeln fonnten, Entscheidung zu treffen. Mit wachsender Sicherheit setzte allmählich die regelmäßige, nicht mehr schwankende Taktik sich durch, für die am wenigsten schädliche, am wenigften gefährliche Partei, mochte man noch so sehr in heißem Kampfe mit ihr gelegen haben, sich zu ent­scheiden, und so gelang es oft einem liberalen Kandidaten gegen einen konservativen, einem weniger imperialistischen gegen einen solchen zum Siege zu verhelfen, der in der ausge sprochensten Weise diese Merkmale an sich trug.

Das war die Theorie vom fleineren Uebel, die längst als selbstverständlich galt und befolgt wurde: auch von anderen Parteien, wenn auch von solchen minder ausge­prägten Charakters mit geringerer Sicherheit, Zuversicht und Einheitlichkeit. Denn höchstens die Zentrumspartei fonnte mit der gleichen Gewißheit wie die Sozialdemokratie darauf rechnen, daß das von der Parteileitung ausgegebene Wort - die Parole auch einmütig und ohne nennenswerten Widerspruch befolgt wurde.

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Wir haben keine Stichwahlen mehr. Dagegen ist die Bedeutung der Partei für die wirkliche, zumal die innere Politik, für die Gesetzgebung, ungemein viel stärker geworden. Auch wenn infolge des zu geringen Verständnisses, dem sie besonders bei sehr jugendlichen Wählern begegnet, in­folge der Beschränktheit und Gläubigkeit, mit der eben diese Elemente und viele andere. besonders auch meib­liche, die Vorwürfe, die der Partei gemacht werden, für wahr halten, ihr Anteil an der politischen Führung viel geringer ist