(Beilage Freitag, 3. Juli 1931
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IMan mu$ lieh mu helfen wiffen (Beispiele sbu einem komplistierlen Vhema/ Heinrich wemmer
Gin Zusammenbruch am Kaiserdamm. Trotzdem der junge H. nun endlich endlich eine Stellung ge- funden hatte: in einem, bitte, ganz„erstklassigen" Wiener Nestau- rant, am Kaiserdamm, zeigte er den Mitangestellten kein fröhliches Gesicht, denn... Es erwies sich bald, daß seine Beschäftigung einzig und allein darin bestand, die ständig angestürmt kommende Zahl der Gläubiger zu besänftigen, und diese ließen sich nicht mehr besänftigen, so wie die Dinge lagen, nein, keinesfalls, Hinter dem die Abspcrrzange schwingenden Gasmann stand bereits der ebenfalls ein Akonto er- heischende Elektriker, und H. hatte gerade Zeit, sich mit ein paar Happen zu stärken, eh' der Briefträger eine schwere Ladung von unterschriftsbedürstigen Klagen, Pfändungsprotokollen und der- gleichen absetzte, und wieder kaum Zeit, einen Kaffee zu schlucken, eh der Fleischer, der mit einem Tausender„hing", zu sagen kam: entweder, oder...! Da es zu dem Oder, der Einstellung der Fleischlieferungen kam, mußten sich die Angestellten mit Vegetarierkost begnügen, und der Wirt half sich durch Aussendung fliegender Detachements, die da ein Kotelett, dort ein Achtel Butter gegen Barzahlung erwarben, auf das der Gast schon ungeduldig wartete...„aber Herr Ober, wo bleibt denn mein Butterbrot!" Bald ließ der junge H. abermals den Kopf hängen, denn erstlich ist er nicht zum Vegetarier geschaffen und dann war es nun end- gültig klar, daß es mit der Herrlichkeit zu Ende ging— die schönen roten Stühle waren gepfändet, auf denen ahnungslos die spärlichen Gäste saßen, und konnten jeden Moment abgeholt werden, die Kata- slrophe nahte zweifellos... Was wird morgen werden, fragte er, als sei er der Wirt selber(der, es zeigte sich bald, gar nicht nach dem Morgen fragte). Morgen? Der Geschäftsführer, der mit einem größeren Be- trage„hing", packte, als er sah, daß es keinen Morgen mehr geben würde, die Töpfe von der Küche zusammen, brachte das scheppernde Arsenal seiner Frau nach Hause und sagte: Man muß sich zu Helsen wissen. Der Buchhalter schnupperte noch in letzter Minute in der leeren Vorratskammer herum und siehe: da lag in einer Nische ein hold glänzender Prager Schinken, Er packte den Schinken ein, stürmte hinaus... aber— oh Mißgeschick— die Szene war von einem Wach- und Schließmann beobachtet worden! „Der Mann glaubte nichts anderes, als daß einer der Gäste sich vergriffen hätte," erzählte der Buchhalter zu Hause,„ich mußte den schönen Schinken wieder herausgeben... aber— in meiner Vorsicht habe ich noch etwas anderes miteingesteckt..." Er schwenkte triumphierend einen nagelneuen Schrubber, und wiewohl der Schrubber keinen Stiel hatte, ließ er das Buchhalter- paar für den Moment alle Sorge vergessen. Am nächsten Morgen«ar der Chef verschwunden. Wer sollt« jetzt die Zeugnisse ausstellen? Man muß sich zu helfen wissen. Die Hinterbliebenen Angestellten stellten sich die Zeugnisse einander selber aus. Sie fielen ausgezeichnet aus. Es sind sämtlich absolut „erstklassige" Zeugnisse, die sie erhielten und H. hat daraufhin gleich wieder eine Stellung bei einer besser fundierten Firma gefunden. Also ist ihm doch auch geholfen. Nicht? Der Angler und der Bulle. Herrn Kuhls Aquarium ist schon als solches ein Beispiel kluger Einteilung, denn der Züchter Hot es fertig gebracht, in einem kleinen Glaskasten friedliche und Raubtiere ein gemeinsames, ohne Stö- rungen verlausendes Leben dadurch fristen zu lassen, daß er die Raubfische, einen Zierwels, einen Diamantbarsch und einen Hunds- fisch in solch miniaturer Form gewählt hat, daß sie dem zwischen ihnen umherschwimmcnden fünf bis sechsmal so großen Schlei und Goldfisch beim besten, d. h. schlechtesten Willen nichts anhaben können. Ein fiir die menschliche Gemeinschaft durchaus nach- ohmenswertes Beispiel, das beweist, wie heiter das Leben dahin- fließt, wenn denen, die das Rauben nicht lassen können, durch weise Einteilung jede Möglichkeit genommen wird, die friedfertigen Lebe- wcscn in ihrer Umgebung zu verschlucken. Natürlich ist dieser Kühl auch ein eifriger Angler und er weiß eine merkwürdige Aalgeschichtc zu erzählen, in denen drei Gen- darmen sehr unvermittelt auftreten, drei Fischercischcine fehlen, eine Echnapsslasche vorhanden ist, und sich drei Nacht-Angler auf eine zwar spitzfindige, aber nicht vollständig einwandfreie Weise zu Helsen wissen. Um so vorbildlicher war Kuhls Verhalten einem Bullen gegenüber in einer mehr als kritischen Situation, in der er sich vor wenigen Tagen befand. Es war ein grauer, bitter kalter Morgen, als Kühl an einer von Gräben durchzogenen Spreewcrderschen Koppel angelte und ein paar viertelpfiindige Barsche lagen schon in seiner Tasche, die er nicht, wie manch einen auf diese schnöde Weise heimgebrachten Aquariumsisch im Wasserleitungsnaß wieder aufleben lasten, sondern der Bratpfanne übergeben wollte. Da brachen, den Pelz der Weideticre wärmend, die ersten Sonnenstrahlen durch das Himmelsgrau und auf der Koppel, wo ä» Milchkühe und ein schwerer Deckbulle ihre Tage und auch ihre Nächte verbringen, wurde es lebendig. Die Kühe kamen, eine nach der andern, sich diesen kuriosen Herrn Kühl zu besehen, der alles «der als ein Ochse ist und sich allerhand im Leben herauszuangeln versteht. Mein guter Kühl kloppte die Kühe ab, streichelte sie und sprach mit den Kühen, wie man eben mir einer Kuh spricht. Sic erzählten einander was: �uhl und Kuh, und die Tiere leckten, wie sie's zu tun pflegen, das Salz des Schweißes witternd, seine Hand— da... Da kam der Bulle. Der Bulle war schlecht aufgelegt— eine der 60 Kühe mußte ihn geärgert haben— und kam gleich meckernd an. Herr Kühl wurde es heiß und kühl:' so ein Bullenbiest kann einen niederstoßen und zertrampeln... dagegen ist rein nichts zu machen.„Geh doch zur Liefe," sagte Kühl besänftigend.„Geh doch, geh"... aber der Stier schnaubte, als ob die Europa auf ihm säße und Kühl die ibm streitig machen wolle.„Verdammt," dachte Kühl, der schon im Urwald allerhand Situationen kennengelernt hatte, aber keine so brenzliche. Und wie er dem Bullen ins Auge guckte, sah er. daß des Bullen Augen sich röteten, die Ränder anschwollen: der Moment war gekommen. Was tun? Kann man schießen, schlagen...? Ohne Revolver, ohne Stock nicht, und hätte Kühl die eine oder andere Waffe bei sich gehabt, er märe verloren gewesen(das sagte eine halbe Stunde später der Melker selber, als Kühl ihm. halb ohnmächtig vom über- {tandenta Schrecken aus dem Lahne half). Der Bulle hätte ihn zu
Brei zertrampelt beim geringsten Zeichen, daß sich der Mann zur Wehr setzen würde. Und wenn er sprach, blieb er ihm keine Ant- wort schuldig. Nicht einmal ins Auge sehen durfte er ihm. Kühl wandte sich um, er drehte dem wütenden Bullen de» Rücken zu: er begab sich in seine Gewalt. Stoße, wenn du willst, aber warum willst du mich eigentlich niederstoßen, du siehst, ich stehe friedlich hier... Eine halbe Stunde stand dieser Angler mit dem Rücken gegen den Stier, der ihn fast berührte— die Sekunden schienen wie Tage, so lang... aber er erbrachte den Beweis seiner Friedfertigkeit auf eine so überzeugende Weise(hört, ihr Staatsmänner), daß es selbst einem wilden Stier einleuchten mußte. Er grunzte und murrte... lO Jahre lang(schien es)... und dann war es plötzlich still geworden. Lautlos war der Bulle verschwunden. Die Gefahr hatte sich verzogen. Der Friedfertige hatte einen waffenlosen Sieg errungen— der Hilflose hat sich zu helfen gewußt. Die soziale Sommerfrische. Erich rechnete: 3,50 M.(Pension) X 14(Tage)— 49 M.-j- 24 M.(Retourfahrkarte) nach Göhring auf Rügen — 73 M.... Erich besah 75 M. und fuhr los. Gestern kam der junge Mann zurück, frisch, rot, gesund und 2 M. in der Tasche:„Wie hast du das Kunststück fertiggebracht?" fragte ich.„Man muß sich zu helfen wissen," sagte Erich.„Seeluft, Sonne, Wasser hatte ich durch Entgegenkommen der Kurdirektion umsonst. Dito Kurmusik. Die Dünen waren meine Badekabine und ein Strauch mein Kleiderrechen. Gegessen habe ich soviel in mich hineinging—(und man redete mir sogar zu, noch drüber hinaus zu essen)— Unterhaltung, Anschluß?... Wer Humor und
ausgelassene Ferienstimmung mitbringt, ist jedermanns Freund. Rückt man nur bloß von den Protzen und Parvenüs ab. so lebt sichs billig und vergnüglich. Was taten wir: wir hielten zusammen: wir teilten. Wer über etwas mehr Taschengeld verfügte, gab denen ab, die gar keines hatten. Stenotypistinnen mit 120-Mark-Gehältern waren da... jeden Pfennig hatten sie zusammengekratzt das Jahr über: es reichte gerade für die Pension... aber wir legten zu- sammen. Hier für eine Segelpartie, dort für einen Ausflug nach Sellin : im Gänsemarsch den Strand entlang, X'A Stunden. Wie die Spießer starrten, die in Strandpyjamas in luxuriösen Strand- körben hockten, als wir in Badeanzügen angerannt kamen! Aber wir waren kreuzfidel: in einer kleinen Strandkonditorei gab's Kaffee und Kuchen... alle Mann mit ran... sie auch, Fräulein... kein Geld? Unsinn! Hinsetzen. Der Professor kaufte einen großen bunten Ball für uns alle. Obwohl er ein Hochschulprofessor ist. konnte er drei Stunden lang wie ein Kind damit spielen. Ringelreihen 1, 2, 3, wer hat den Ball. Das kostet nichts und stärkt die Gesundheit. Es ist der wirk- liche Korpsgeist. Jawohl. Die Wenigbemittelten teilnehmen lassen... Fremde? Wir blieben keiner einander fremd, obwohl wir keiner den anderen gekannt hatten. Es ist eben eine soziale Sommerfrische. Hinter uns lag ein herrlicher Laubwald: schöne alte Baumbestände darin, wir sangen, jubelten. Hatten wir nicht gut gegessen, hatten wir nicht Sonne, Luft und Meer... was brauchten wir weiter, die Fröhlichkeit hatten wir in uns.." „Aber sage nur: ganz ohne Taschengeld..." „Je nun, man ließ mich bei Spielen gewinnen und dann... Ich hatte einen Apparat, wir machten Amateuraufnahmen, ich bekam für die Copie 20 Pf., man drängte sie mir aus: es gab junge Leute, die sich aus diese Weise 30, 40 Mark verdienten, weils nicht reichte, das ist jetzt so, in Zeiten der Not: Man muß sich zu helfen wissen." Es ist eine ganz simple Geschichte, die dieser Erich mir da er- zählte, ohne Pointe und ohne große Worte, aber ich glaube, daß sie nicht nur mich rührt und manchem dienlich sein kann, der sich nicht zu Helsen weiß.
Die Räder zogen. Nebel lag vor der Halle. Niemand winkte uns nach. Wir befanden uns in der dritten Klaffe, aber es war ein Coupe von der Art, die im Volksmund immer> noch mit 4. Klasse bezeichnet wird. Es ist hübsch geräumig, zum Abstellen von Säcken, Kisten, Kiepen und Körben so recht geschaffen. Bei großem Andrang kann weit mehr als ein Viertelhundert Menschen hier herein. Man kann auch auf dem Boden schlafen. Mit solcher Geräumigkeit ist diese Klasse der 2. eigentlich überlegen. Nur die Sitze sind härter— aber sie sind nicht viel härter als das Leben im allgemeinen. Und so spüren die Leute, die hier sitzen, die Härte kaum. Ein grauer Schnurrbart saß in der Ecke und knurrte: das fei eine rechte Verrücktheit, in der Nacht, kalt und nah, ein Fenster zu offnen.— Dabei war es eine Nacht ä la Lenau(„Lieblich war die Maiennacht, Silberwölkchen flogen...")— aber: Ehre das Alter... und ich zog das Fenster herauf. Da fing der Schnurrbart wieder an zu knurren, Entschuldigungen— denn nun war er gerührt. Auf einer Vorortstation stieg eine Mutter ein. Sie trug das schlafende Kind im wollenen karierten Tuch. Sie setzte sich in die Ecke und schlief. Der Zug fuhr von Altona nach Berlin . Auf dem Bahnhof in Hamburg kamen so viele mit Koffern und Kisten, daß einige stehen muhten. Sie holten sich die Erlaubnis und setzten sich dann auf das Meublemcnt, d. h. auf die Säcke, deren Besitzer Platz auf den Bänken gefunden hatten. Gemächlich zünden sie sich ihre Pfeifen an. Bis einer beginnt, politisch zu reden. Aber nach zehn Minuten halten ihn alle für einen Idioten. Die sich auf ein Gefecht mit ihm eingelassen haben, fühlen sich nun geniert, drücken den Kopf an die Wand und schließen die Augen. Mit einem Male steigen zwei weiße Kittel herein. Der Aeltere trägt einen großen Korb. Es riecht nach geräucherten Waren. Die Schlummernden sind nun munter geworden. Und der weiße Kittel stellt sich und seinen Kollegen vor— Heringsverkäufer sind sie, Händler mit Räucherwaren. Ober einer der Reisenden wohl einen geräucherten 5)cring möchte?— Schüchterne Gegenfrage: Gratis?— Jawohl.— Das mögen sie alle. Ein goldener Hering wird aus dem Korbe geholl, der Herings- Händler breitet mit seinen Händen ein Stück dichtes Papier seinem Gast auf den Schoß, und der Gast zerlegt nun den Fisch mit Daumen und Zeigefinger. Er schmatzt, blickt— und findet den Hering„von Wohlgeschmack triefend". Und er bestellt einen zweiten. Eine Minute später sitzen sämtliche Reisenden mit fettdichtem Papier auf dem Schoß, essen geräucherte Fische und füttern die Kinder. Nur die Mutter, die in der Ecke sitzt, hält mit geschlossenen Augen ihr Kleines. Einen Hering kann sie wahrscheinlich nicht kaufen— nun tut sie so, als ob sie schläft. Der Junge im weißen Kittel verteilt, der Alte sammelt das Geld. Die Menschen sind Brüder geworden, die Delikatesse verbindet sie— jeder weiß etwas zur Sache zu jagen, der eine versteht etwas vom Heringssang, der andere war selber Fischverkäufer, der dritte kann mit geschlossenen Augen einen deutschen Hering von einem englischen unterscheiden. Plötzlich stellt ihm jemand die verblüffende Frage: ob er denn mit verbundenen Augen auch heißes Wasser von Tee unterscheiden könne? Wenn ich den Finger hineinstecke, nc — lautet die Antwort. Einige lachen. Aber nun, da ein frisches Gespräch im Gange ist. erklärt der Politiker, der ein Idiot ist, er wolle schlafen. Ach, da ist fürs erste gar keine Aussicht. Denn der Heringsverkäufer ist jetzt dabei, seine Methode zu erklären und den Nährwert geräucherter Fische zu beweisen. Es werden Meinungen dagegen laut. Da fängt der Politiker zu schimpfen an Die Reisenden reden schon längst in Gruppen. Und eine Gruppe bildet sich nun, um den erfolglosen Nolksredner einzukreisen. Sie halten ihm vor, daß auch er vorhin eine Rede gehalten hätte, und was einem dämlichen Demagogen recht sei, wäre einem Heringsverkäufer billig. Der Volksredner hört sich feine Gegner an wie ein geduldiger Parlamentarier. Wie sie ihm aber zu beweisen beginnen, daß feine Rede langweilig und dumm gewesen wäre, läßt er alle Hoffnung fahren und geht in den Abort. — Später will einer hinein, und sie rütteln. Aber der Volksrednec kommt nicht heraus. Das ist seine Roche ? In Spandau erst taucht er wieder auf. Hohnlochen in den Ge- sichtern empfängt ihn.
Und nun ist es auch schon Morgen geworden. Von Berlin über Hamburg an die Ostsee . Zweiter Klasse. Mir gegenüber saßen zwei Damen aus Flensburg . Die Damen aus Flensburg haben alle vollgraues Haar, einfach und ungefcheitelt zurückgeplustert— sie werden vielleicht so geboren. Sie halten die Augen sehr oft halbgeschlossen, zu Boden gesenkt. Dann träumen sie von vergangenen Tagen, von Prinz Heinrich und See- kadetten. Sie fahren Personenzug, weil der D-Zug so schnell fährt. Neben mir saß ein K i n d e r s r ä u l e i n. In Pinneberg hotte sie mit einem Roman begonnen, und in Heide war sie so tief darin, � daß sie von den ihr anvertrauten Kindern nichts mehr hörte noch sah. Und von Station zu Station versank die Kleine mit ihren blauen Augen und dem blonden Haar immer tiefer in ihren Roman hinein. Wie ein Schlinggewächs hielt er ihr unschuldiges Mädchengemüt um- fangen. Die Kinder aber, ein Junge und ein Mädel, drehen sich aus den Bauch und lassen sich über die Kante der Polsterbank auf den Boden hinab. Das Fräulein sieht nichts, das Fräulein liest. Der Junge stößt seine Schwester am Halse, sie rollt über den Boden und juchzt, er schreit horriho, sie krabbelt hoch, er schubst und sie kollert— und bei dieser Gelegenheit bekommt eine der beiden Flensburger Damen einen Tritt— das heißt, eigentlich ist es ein Trittchen nur. „Fräulein, schlafen Sie?" pfeift die Dome. Was denn los fei? Was los sei? Ob sie keine Augen im Kopfe habe—? Die Kinder am Boden...! Ach so.—„Werner und Wiebke", ruft sie, fast zärtlich. Aber Werner schubst und Wiebke kollert. Die Flcnsburger Damen erkundigen sich, wo die Kinder denn so erzogen worden wären? Zu Hause. Die Damen sehen sich bedeutungsvoll an: Die neue Zeit. Die Nachkriegsverhältnisse, ja, hm, ach: die bösen Zeiten, in denen Eltern den Kindern erlauben, auf der Erde zu spielen, anstatt ihnen einen Helm, einen Säbel und ein Schießgewehr zum Geburtstag zu schenken.— Aus was für einem Haus denn die Kinder waren? fragen sie, soziologisch interessiert. Aus einem Haus an der Elbchoussec— Aus einer Villa? Ja, ganz in der Nähe van Blankenese , und nicht weit von der Villa entfernt, die Liebermann mit Pastell gezeichnet hat. Liebermann? Wer Licbermann wäre? Ein Reichs- tagsmitglied? Das wüßte sie nicht, sagt das Fräulein, vielleicht... ober vor allen Dingen ein Maler. So, sogen die Damen... Und in diesem Augenblick bekommt die ein« den zweiten Fußtritt, wieder voy Werner. „Werner imd Wiebke", sagt das Fräulein zärtlich. Aber die Damen sind Herrennaturen. Sie drohen: Zum Zug- führer wollten sie gehen. Dann kämen Werner und Wiebke ins Zuchchaus, dort säßen noch mehrere solche, die feinen Damen Tritte gäben. Was so kleine Kinder überhaupt zu reisen hätten, komische Eltern, sagen die Flensburgcr Damen . Da bekommen sie beide zugleich einen Tritt. Darauf springen sie in die 5)öhe. Wenn Werner und Wiebke sich nicht sofort, sagen die Damen, neben das Fräulein setzten und schliefen, kämen sie beide vorn in den Tender und würden als Kohle mit verbrannt. Dann gingen sie beide zum Schornstein hinaus. Die Kinder staunen. Dann klettern sie an Fräulein in die Höhe, Werner sagt ihr etwas ins Ohr. Das Fräulein muh lachen, unrett- bar lachen. Da wollen die Domen wissen, weshalb sie lache. Dies festzustellen, wäre Ehrensache für sie, sagen die Damen. Aber das Fräulein weigert sich, Auskunft zu geben. Es muß also etwas Saftiges gewesen sein, was Werner ihr ins Ohr gesagt hat. Und das Fräulein locht nun immer heller heraus. Das ist zuviel. Die Damen nehmen Koffer und Plaid, Frühstück und Thermosflasche, rufen: „Unter Prinz Heinrich wäre das nicht passiert"— und dann sind sie weg, in ein anderes Abteil.