föeilage Sonnabend, 4. Juli 1931
SivAbpnd A tarWarA
Ich erzSHVe schon von jenem Seemann, der vor fünfzig Jahren im brasilianischen Urwald«inregnete und sich dann mit einem Freunde bei T. an der Forgueta niederließ. Nach zwanzig Iahren trenne» sich die Freunde. Der Mühldauer bleibt und der andere geht in die Kampgegenden und baut dort Mühlen. Die Gegend hat sich mehr und mehr bevölkert. Der Matrose heiratet ein z w a n z i g- jähriges Mädel deutscher Herkunst, eine Analphabetin, und ver- schweigt sein Wer. Er ist siebenundvierzig. Zehn Kinder haben sie. »Das ist gs viel, viel zu viel", sagt er. Er will«in größeres Hans bauen mit einem Dachgarten. Da oben will er abends sitzen und lese»; dann können ihn keine Nachbarn stören. Also vor siobenundzwanzig Jahren wollte er ein Haus bauen aus Zement und Kieselsteinen in Holzkästen gepreßt. Das war etwas Neues. Als die achtzig Sock Zement kamen, hat alles den Kopf ge- schüttelt.»Warum nimmt der verrückt« Alemao nicht wie wir Backstein« und Lehm?"' Heute baut man Häuser auf dies« Weise, wen» ich auch noch keine Dachgärten in brasilianischen Kolonien sah. Di« achtzig Sack Zement haben in dem großen Schuppen bei der Mühl« gelegen viele Jahr«. Die Frau ist tüchtig, übernimmt de» Mühlbetrieb, und er steht in dem Sägewerk. Endlich findet er Zeit, die vielen Ideen zu oerwirklichen, die ihn seit Iahren be- schüstigen. Em« Backst einpresse zunächst. Die Eisenteile muß der Schmied anfertigen. Di« Schaufeln, die den fetten Lehm mit dem mageren und dem Sand in der Trommel mischen, geraten zu klein. Der Schmied sagt es ihm, aber er läßt sich nichts erzählen. Oh, diese Unruh«! Schließlich ist alles fertig, aber es funktioniert nicht. Da nimmt er die Schaufeln raus--- endlich hat er die Schrauben für ein Wasserfahrzeug mit Handantrieb. Zwei Blechrohre mit Sitzbrettern verbunden: das hat er gelesen, so machen sie es für die seichten Flüsse in Astika. Er will nach Porto Allegre fahren, auf der Forqueto und dem Tar- guary(etwa 2öl> Kilometer), aber schon in der ersten Stromschnelle geht die Schraube kaputt. Das Fahrzeug liegt heute bei seinem Schwiegersohn. Ich habe es gesehen, ungefähr fünf Kilometer unterhalb seiner Mühle. Jetzt will er einen Propeller drauf bauen und mit seinem Automotor treiben. Er hält das für eine große sportliche Sensation, die ihm nebenbei viel Geld einbringen soll. Bisher hat er Pech gehabt. Damals in Deutschland auf dem Rhein baute er ein B oo t, über- zogen mit geöltem Papier; aber es ist aufgeweicht. Ich habe ihm von meinem Faltboot erzählt. Das alles war noch in den ersten Iahren seiner Ehe. Plötzlich hält er es nicht mehr aus. Er will Paraguay sehen. Zehn Wochen ist er geritten und hat sich nach der Sonne gerichtet. Die Frau hat ihn totgeglaubt. Fast wäre er auch verdurstet in der Trockenheit. Sein« Kleider sind nie mehr sauber geworden, so war der rote Staub eingedrungen bei Schweiß und Sonnenbrand. Moger und still kommt er zurück, aber er hat Paraguay gesehen und-- hat eine neue Idee: Eine kleine Säge, ein Fuchsschwanz, wird so eingespannt und von der Mühle betrieben, daß sie arbeitet wie von der Hand geführt. Hat die Säge das Holz durchschnitten, wird sie von einer Feder hochgezogen, schnappt ein und macht dasselbe noch mal, viele Mole, solange das Wasserrad läuft. Was kann man wohl damit machen, so ganz nebenbei? Wo braucht man wohl fußlange Stücke Holz? Auch das findet er: Holzpantoffelfabrikation. Jedes Kind, die Frau, alle müssen daran denken und wenn sie an der Säge vorbeigehen, die Weiclcholzlatte nachschieben. So liegt nun das Material für tausend Holzpantostel in langen Reihen auf- gestapelt. Sorgsam bewacht, bis er eine neue Idee hat, und dann trogen die Kinder das Material in die Küche, und die Mutter kocht die ewigen schwarzen Bohnen darauf. Die Säge läuft heute noch. Die nächst« Idee ist eine O e l p r e s s e mit dicken Eisenbändern und Hartholzbalken. Alles betreibt das Mühlwerk: die Gewichte, die auf die Keile, fallen und die Eifenbänder seitlich zusammen- drücken, und den schweren Klotz, der von oben herunterfällt in langsamen, gleichmäßigen Stößen. Auf beiden Seiten des Mühl» baches wird Rizinus angepflanzt, die Beeren werden ge< mahlen und gepreßt: aber er sagt es selbst, er hat noch kein Oel gewonnen. So geht es nicht.
Die Frau macht Schweine fett. Der Schmolzprei» steigt. Er kümmert sich nicht darum. Sie spekulieren, oerdienen viel Geld, und er kaust sich ein F o r d- L a st a u t o, baut Bänke darauf und«in Verdeck. Sein sechzehnjähriger Sohn fährt gut, und nun machen sie„Gesellschaftsreisen", ähnlich wie wir damals am Uruguay in die neuen Kolonien oder wohin man wünscht für den üblichen Preis. Das befriedigt ihn teilweise. Was kann man wohl sonst noch machen mit einem Motor? Wenn es Sommer ist und trocken und der Mühlbach wenig Wasser hat, dann will er die Mühle mit dem Motor treiben. Er baut ein« Transmission. Das Auto wird hwten in die Höhe geschafft, die Mühle läuft, aber die Gasolina ist teuer und der Automotor läßt sich nicht allein mit Wasser kichlen. So wartet die Transmission auf eine andere Verwendung. Der Matrose ist jetzt s« ch s u n d» siebzig Jahre alt. Als vor acht Iahren die älteste Tochter heiratet, kommt es heraus, daß der Vater schon achtundsechzig Jahre alt ist. Drei Ziele hat er für die nächste Zeit: Vollgummiräder für das Auto, einen Traktor, den er aus Deutschland beziehen will, eine Fahrt auf seinem Blechboot nach Porto Allegre. So erzählt der Mühlbauer. Es wird Abend, wir wollen baden gehen. Ich füttere mein Pferd. Wir gehen zur Mühle runter. Grobes Bauwerk, Holz mit Zinkdach, notdürftig verschalt, drei Stockwerke. Oben das Sägewerk, das nun schon lange still liegt. Man kann die Baumstämme vom Abhang direkt vor die Säge rollen. Darunter ist die Mahlmühle und im untersten Stock die
Holzpantoffelsäg«, die Oelpresse, die Zigarrenmacherei(er macht sich seine Zigarren selbst aus eigenem Tabak). Hier bleiben wir einige Zeit. Welch amüsante Umgebung, welch Kunterbunt von Hobelbänken. Werkzeugen, Satteltaschen, Zaumzeugen, Säme- reien, Tabakstößen, Zlutoreifen, Gasolinblechen— verwahrlost, ungepflegt! Angefangene Ideen, die liegen blieben seit Jahr und Tag. Man stolpert, klettert. Das Museum eines Menschen, der nie zur Ruhe kommt, der alte Glanzstücke hervorzerrt, drei Tage fieber- hast daran arbeitet und sie dann wieder auf den Haufen zum übrigen wirft. Ich habe mich in keiner Werkstatt, in keinem Atelier je so angeregt gefühlt. Ich muß das Auto noch sehen. Es steht hier gleich unter einem Dach. Ich bewundere alles, und der Alle wird unruhig, vielleicht gelangweilt? Vielleicht mißtrauisch? Wir gehen an die Forqueta, zwanzig Minuten. Er flucht auf die Wegearbeiter, die ihm die Zaunpsähle abgegraben haben und andere verschüttet. Nichts ist ihm recht.„Die Kerle sind so dumm, nur Kartenspielen und Tee trinken können sie." Zwischen Büschen und Hängen kommen wir auf einen Weideplatz. Wir springen in den Fluß. Das Wasser ist kühl, wohltuend. Der erst« alte Mann, den ich in Brasilien baden sehe. Ich rasier« mich, und der Alte kniet und rupft Unkräuter mit einem viel zu kleinen Taschenmesser, hastig. Sie verderben ihm die i m p o r- tierten argentinischen Gräser für die vierzig Stück wilden Viehs, das er auf künstlich angelegten Weideplätzen zieht. Ich muß noch einen Orangenbaum sehen; den Kern brachte er aus Paraguay mit. Inzwischen ist die Familie aus den Nachbarschaften zurück- gekehrt. Wir sitzen wieder auf der Veranda. Der Alt« sieht erbost aus. Der Weg hat ihn angestrengt. Er reibt sich den linken Ober- schenke! und schimpft:„Da muß mir das passieren, mir, der ich schon so viel in der große» Welt herumgekommen bin, hier auf diesem kleinen Hof!" Ich frage, wie es denn gekommen sei, und er erzählt, er habe eine Stute am Halfter über den Hof führen wollen; da habe das Fohlen im Stall gewiehert. Die Stute hat zurück wollen, aber er hat festgehalten. Sie hat sich gebäumt, immer wieder, urt) die Familie hat gerufen:„Laß sie los!" Aber er hat festgehalten und ist jedesinal mit in die Höhe geflogen. Das war vor einem Jahr. Auf einmal hat sich die Stute überschlage� ist aufgesprungen, aber er tonnt« nicht hoch, er lag auf dem kleinen Hof vor dem Haus und hat sich den Oberschenkel ge- b r o ch e n. Kein Arzt dars kommen. Er legt sich selbst«inen
Streckverband an. Am Fußend« kommt«ine Petroleumkiste ins Bett und an dos krank« Bein um die Fesiel ein Strick über eine Rolle. An dem Strick hängt ein Backstein. Wahnsinnige Schmerzen. Er kann nicht mehr lesen, auch nicht mehr rauchen. Am dritten Tage ruft er mittags die Frau, die muß die Wiege des Kleinsten, ein dreijähriges Mädchen, an sein Bett stellen. In seiner Verzweiflung wiegt er zum ersten Male in seinem Leben ein eigenes Kind. Nachts schneidet er den Strick ab. Als er nach acht Wochen aufsteht, ist das linke Bein ein ganzes Stück kürzer.„Der- fluchte Scheiße, da hinkt man jetzt herum." Leim Abendbrot ist es blödsinnig heiß in der Küche. Es gibt Dörr fisch(Karfreitag) I Aber der Alte ißt Wurst.„Wurst ist kein Fleisch." Als er das Beten vergißt, fragt er, ob es auch nachträglich noch hülfe. Ich bejahte und er verlangt, daß wir die Hände falten, und er plappert irgendeine gotteslästerliche Schnodderigkeit. Ich stehe bald auf, laste mein Pferd auf die Weide, leg« meinen Sattel, Mantel und die Rellpelze in die Mühle gleich im Gang neben der Säge mit dem Ausblick auf die Berge. Di« herrliche Luft! Der Mond scheint, jenseits des Baches auf der Straß« ist ein Wirtshaus. Italienische und deutsche Kolonisten spielen Boggia. Die Holzkugeln knallen und das Geschrei der Spieler schollt. Ich ahne, was kommt. Man hat mir ein Bett schneeweiß überzogen.„Nein, das geht doch nicht, Sie müssen im Haus schlafen." Ich steh« unschlüssig immer noch auf der Veranda. Die Mädchen sitzen kichernd auf ihren Betten. Ich gehe durch ihr« Kammer ins E l t e r n s ch l a s- zimmer. Man sagt mir, daß von hier eine Tür direkt ins Freie geh«. Kreuz und quer stehen die Betten, in der Mitte meine. Ganz in der Ecke schläft der Alte und daneben in der anderen Ecke hinter einem Bochang die Frau. Diese Pestluft! Kein Laden ist geöftnet. Ich entkleide mich wie in der Badeanstalt. Aus allen Betten gucken die Kinder; die wollen sehen, wie der Deutschländer ins Bett geht. Sie alle liegen so wie sie gehen und stehen in lull-ckress. Ich ziehe meinen Pyjama an. Eine Petroleumfunzel brennt. Der Alle raucht selbstgemachte Zigarren. Schließlich kommt die Frau, löscht das Licht und geht hinter ihren Borhang. Ich liege wie im Fieber. Ach, ist das schrecklich! Ich bin doch gesund!? Noch lange erzählt die Alte von dem Kind, das verloren ging und nach drei Tagen halb erstarrt im Wald gefunden wurde und dann einig« Jahre später in die Treibriemen fiel. Wie sie die gequetschte Nase mit einer gehöhlten Kartoffel gerode richten wollten, wie das nicht glückte und darum die neunzehn- jährige Rosa die dicke Nase hätte. Sie erzählt, daß ich noch heiraten müste und daß man doch mit fetten Schweinen ein gutes Geschäft machen könnte, so wie damals, als das Schmolz so teuer war und sie sich das Auto gekauft hätten. Schließlich wird auch sie still. Der Alt« räuspert sich. Seit dem Abendbrot spricht er gar nicht mehr. Er zieht an seiner Zigarre. Sie leuchtet und wirft einen roten Schein an die Decke. Di« Kinder stöhnen im Schlaf. Durch alle Riste dringt das Wondlicht. Ich sehe die Tür. Ein« Stunde warte ich Wie ist es nur möglich? Gedämpft knallen die Boggiakugeln. Man spiell bei Karbidlicht. Vorsichtig richte ich mich auf. Ich sitze auf dem Bett- rand. Der Alte bewegt sich und ich lege mich wieder. Minuten vergehen. Kurz entschlossen nehme ich meine Sachen vom Stuhl und tappe zur Tür; ich muß noch in die Veranda und meine Satteltasch« holen. Wenn nur die Hunde nicht anschlagen! Leise öffne ich— da spricht so ein verdammter Bengel im Schlaf! Oh, dies« Luft! Noch immer spricht der Junge. Ich stehe und horche. Was kümmerts mich? Alles geht gut. Ich liege auf meinen Pelzen, dos Mühlrod dreht sich langsam knarrend, das Wasser rauscht, der Nebel zieht um den Berg. Wieder denk« ich, ich sei auf einem Dampfer. Bei frühestem Morgengrauen ziehe ich mich an, ordne meine Sachen und gehe zum Baden an die Forqueta. Beim Frühstück ist alles still. Der Alte geht in die Mühle. Er kümmert sich nicht mehr um mich. Man hat geglaubt, ich sei fort— vielleicht mit Diebesbeute? Ich habe nichts gesagt. Ob sie wohl wissen, daß ich in der Mühle schlief? Ich sattle mein Pferd. Dann setzte ich mich mit einem Buch in die Veranda. Die Frau schält Kartoffeln neben mir und erzählt wieder. Kunden kommen, um Mehl zu holen für Ostern. Man wäscht mir noch ein Handtuch. Endlich kommt der fromme Mann und wir reiten weiter.