Nr. 329* 48. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Freitag, 47. Juli 4934
Der Kapitalflucht zu Leibe! Oer Kampf gegen die Geldkrife und die Bertrauenskrife.— Es muß sofort noch mehr geschehen!
Mit den gesetzlichen Bestimmungen zur Regelung des Devisen- Verkehrs, der Herabsetzung der Deckungsgrenze bei der Reichsbank unter gleichzeitiger Heraufsetzung des Diskontsatzes sind wichtige Schritte zur Beseitigung der Aahlungsmittelknoppheit sowie zur Be- kämpfung der ungerechtfertigten Markflucht eingeleitet worden. Ob das auf den betreffenden Gebieten genügen wird, muß die Erfahrung der nächsten Tage lehren. Es wird notwendig fein, ergänzende Maßnahmen, insbesondere zur wirksamen Bekämpfung der Kopital - flucht, zu treffen— aber jedenfalls ist wenigstens ein Anfang zur Selbsthilfe und zur Milderung der Geldkrise gemacht. Wir haben immer wieder betont, daß die deutsche Wirtschaft zur Ergänzung ihrer— am Kapitalbedarf gemessenen— zu knappen inländischen Kapitaldecke der Zuführung langfristiger ausländischer Kredite bedarf und daß der ungeheure Blut- entzug der letzten Wochen wieder seinen Ausgleich durch neue langfristige Kreditgewährung und durch beschleunigte Zurück- führung der Fluchtkapitalien finden muß. Wir hoffen, dich es in den Pariser Verhandlungen gelingt, eine sofortige ausländische ftreditaktion in Gang zu bringen, von der wir uns nicht bloß eine größere Bewegungsfreiheit der Reichsbank und der gesamten deutschen Krcditwirtschaft, sondern auch, dos Wichtigste im Moment, eine starke psychologische Wirkung oersprechen. Unabhängig von der ausländischen Kredithilfe müssen jedoch die deutschen Selbsthilfemahnahmen so wirksam wie nur möglich eingesetzt werden. Sic sind eine unerläßliche Voraussetzung für die Wiederherstellung des Vertrauens zur deutschen Wirtschast sowie für die Hilfsaktionen des Auslandes. Die Geldvermehrung und die Krediwerleuerung. Die Reichsbank hat von der im Reichsbonkgesetz ausdrücklich vorgefchenen Möglichkeit der Herabsetzung der Dcckungsgrenze der Banknoten durch Gold und Devisen Gebrauch gen, acht. Sie hat das genau so getan, wie es vorübergehend in Geldkrisen durch Roten - danken anderer Länder geschah, und zwar ohne jegliche Gefährdung der Währung. Die Dcckungsgrenze ist zunächst von 40 aus 32 Proz. (in der Vorkriegszeit betrug sie überhaupt nur 30 Proz.) herab- gesetzt worden. Die Reichsbank kann dadurch etwa für 600 Mil- lioncn Mark Banknoten gegen Warenwechsel ausgeben. Was wir zur Zeit in Deutschland durchmachen, ist genau das Gegenteil einer Inflation, da nicht für öffentliche Finanzzwecke Noten gedruckt werden, solcher» lediglich zur Finan- zierung des Warenumschlags und des geschäftlichen Zahlungsver- kehrs bereits vorhandene Umlaufmittel nach vorangegangener gewalt- famer Einengung des Notenumlaufs zur Verfügung gestellt werden. Um eine mißbräuchlich« Kreditinanspruchnahme zu ver- hindern, mußte die Kreditgewährung fühlbar ver- teuert werden. Nur durch hohe Zinsen kann man einen wirt- schaftlichen Druck zum Verkauf von Warenlagern und zur Steigerung des Exports ausüben, zugleich die Devisen- und Geldhamsterei be- kämpjen und damit verstärkte Devisenlicferungen an die Reichsbank sowie eine Milderung der Geldklemme bewirken. Die Reichsbank Hot zunächst den Diskontsatz auf lv Proz. heraufgesetzt, den Satz ' für Lombarddarlehen auf lS Proz. Kein Mensch kann sagen, ob das genügt: zu viel ist es sicher nicht. Jedenfalls darf man auch vor einer noch erheblich stärkeren Erhöhung nicht zurückschrecken, auch nicht vor einer noch weitergehenden Herabsetzung der Deckungs- grenze, wobei beides freilich 5?and in 5)aich gehen wird. Unverzüglich werden aber noch weitere besondere Sicherungen dagegen zu schaffen sein, daß eine miß- bräuchlichc Kreditinanspruchnahme erfolgt. Die Ein- � räumung größerer Diskontkredite muß davon abgängig gemacht werden, daß der letzte Kreditempfänger eine eidesstattliche Erklärung über feine Auslandsguthaben und Devisenbestände abzugeben hat. Markbeträge dürfen nur dann neu ausgeliehen werden, wenn das betreffende Unternehmen nicht in der Loge ist, sich durch Deoisenverkäufe zu Helsen . Es darf keines- falls zugelassen werden, daß Unternehmungen, die früher oder in den letzten Wochen ihre Reserven und flüssigen Mittel ins Aus- land verbracht haben, nunmehr für ihren Kapitalbedarf die Reichsbank anzapfen. Die neue Devisenverordnung genügt zur Be- kämpfung der Kapitalflucht nicht. Sie bestimmt nur die Zentralisierung des Devisenverkehrs bei der Reichsbank und gibt dem Reichswirtfchastsminister das Recht, Auskünfte über die Ge< fchäfte in ausländischen Noten und Devisen sowie die Unterloge � hierfür einzufordern. Zur Bekämpfung der Kapital- flucht bedarf es also viel weitgehender Kontrollen. Eine wirksame Bekämpfung der Kapitalflucht stößt gewiß bei den unzähigen Schleichwegen der Kapitalslucht und angesichts der Verantwortungslosigkeit weiter Kreise der deutschen Kapitalbesitzer auf große Schwierigkeiten. Aber man kann wahrlich nicht er-
warten, daß das Ausland neue Kredite der deutschen Wirtschast gewährt, wenn man untätig zusieht, wie dauernd große Kapital- betrüge von der deutschen Wirtschaft ins Ausland verbracht werden. Dos Reichswirtfchaftsministerium muß unverzüglich ermächtigt werden, von ollen Personen und Gesellschaften, die der Der- mögenssleuer unterliegen, eidesstattliche Erklärungen über ihren vermögensbesih im Ausland sowie ihren Besitz an Devisen(ausländischen Banknoten und Forderungen an das Ausland) zu verlangen. Don dieser Ermächtigung müßte unverzüglich Gebrauch gemocht werden in den zahlreichen Fällen, in denen die Verbringung von Kapitalaus ungerechtfertigten Sicherungsgründen oder aus Steuerflucht bekannt geworden oder zu vermuten ist. Notwendigenfalls wäre auch die Offenlegung der Bank- k o n t e n für die letzten Jahre gegenüber der Aufsichtsstelle an- zuordnen sein. Die Regierung müßte serner unverzüglich diplomatische Verhandlungen mit den wichtigsten Kapitalfluchtländern, der Schweiz , Holland , Belgien , Luxemburg und den skandinavischen Ländern, eventuell mit Unterstützung Englands und Frankreichs , ein- leiten, mit dem Ziel, inkernakionale Rechtshilfe gegen die Kapitalflucht zu erhallen. Insbesondere wäre dabei unseres Erachtens eine vorübergehende Auskunftserteilung der ausländischen Banken über Einlagen, Depots deutscher Staatsbürger und deutscher Unter- nehmungen anzustreben. Je schneller und gründlicher hier gehandell wird, um so sicherer und schneller wird auch ausländische Kredithilfe erreichbor werden. Welchen entscheidenden Wert das Ausland auf
sofortige durchgreifende Maßnahmen gegen die deutsche Kapitalflucht legt, geht aus einer Stellungnahme der „Financial Times " vom IS. Juli hervor:„Die erste Voraus- f e tz u n g, die geschaffen werden muß im Interesse Deutschlands und seiner Gläubiger, sind wirksamere Schritte, um der inneren Flucht aus der Mark zu begegnen. Die Abneigung isb sehr begreiflich, ausländische Mittel zur Verfügung zu stellen, die schließlich einen Fortgang dieser Flucht ermöglichen würden. Da Deutschland einen großen.Exporthandel Hot, ist es für feine Exporteure möglich, die Erlöse des Exportes im Ausland zu belassen, während sie von deutschen Banken Kredite erhalten, die ihnen dies ermöglichen. Das kann unterbunden werden." Neben den Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet des Geld- und Kreditwesens und der Bekämpfung der Kapitalflucht, muß aber auch gegen die schweren Mißstände, die sich durch die un- kontrollierte Wirtschaftsführung herausgebildet haben, energisch angekämpft werden. Will man das erschüttert« Ver- trauen in die deutsche Wirtschaftsführung wieder herstellen, so ist es zunächst eine Selbstverständlichkeit, daß alle für die Mißwirtschaft und Verfehlungen verantwortlichen Personen un- nachsichtig zur Verantwortung gezogen werden. Unabhängig von der späteren endgültigen Reform des Aktienrechts sind einige grundlegende Maßnahmen un- a u f s ch i c b b a r. Die Verantwortlichkcits- und Regreßpflichten der Vorstands- und Auffichtsratsmitgliedcr, ebenso die Publizllötsvor- Ichristen müssen unverzüglich verschärft werden. Die Ein- fühning von Pflichtrcvisionen von Aktiengesellschaften ist zum Schutz der Gesamtwirtschaft unabweisbar geworden. Unverzüglich zu handeln und durchzugreifen, nachdem so viel versäumt worden ist, das ist die Aufgabe.
Arme Börsianer. Falsches Signal— tolle Wirkungen! Auf der Londoner Börse entstand gestern durch die auf der Kurstafel bekanntgegebene Erhöhung des Diskontsatzes der Bank von England von 2� auf 4 Proz. furchtbare Aufregung, die einige Zeit andauerte. Inzwischen wurden auch die Provinz- börsen und ausländischen Plätze alarmiert: wie es sich aber bald herausstellte— die Nachricht wurde gleich widerrufen—, lag dem Dorfall eine Störung des elektrischen Kursanzeigers ,zii- gründe. Auf Grund der offiziellen Aufklärung, daß der Diskontsatz unverändert geblieben fei und seine Erhöhung wirklich mir ein im wahrsten Sinne des Wortes falsches Signal darstellte, trat wieder „fühlbare Erleichterung" ein. Arme Börsianer.. „Wirtschastsfreiheii, die ich meine." Merkwürdige Geisteshaltung deutscher Unternehmer. Die„Frankfurter Zeitung " schreibt unter der Ueberschrift„Wirt- schaftsfreiheit, die ich meine" den demagogischen Vertretern der so- genannten freien Wirtschaft folgendes ins Stammbuch: „Ein mit dem Fall N o r d w o l l e zusammenhängender Vorgang wirft ein bezeichnendes Licht auf eine gewisse Geistcsholtung unserer Wirtschaft. Die Alrowa in Chemnitz , eine zum Nordwolle-Konzern gehörende Strumpf- und Strickwarenfabrik, hat in den letzten Wochen große Teile ihrer Lagerbestände abgestoßen: u. a. hat eine Berliner Warenhausfirma diese Lagerposten ausgenommen und bietet sie im Einzelverkauf zu Preisen an, die als ungewöhnlich niedrig bezeichnet werden. Die Alrowa hat diese Liquidierung ihrer Warenvorräte vorgenommen, um sich flüssige Mittel zu verschaffen, da ihr andere Möglichkellen der Geldbeschaffung in- folge des Konzernzusammenbruchs wahrscheinlich nicht mehr zur Verfügung stehen. Das ist sowohl privatwirtschaftlich wie volks- wirtschaftlich eine durchaus vernünftige und zweckmäßige Geschäfts- Politik. Die Liquidierung der Lagerbestände ist eine notwendige Folge und in gewissem Maße auch der Sinn der Krise. Sie ist auch eins der wenigen vertretbaren Ziele der Kreditrestriktion, wie sie gegenwärtig von der Reichsbank betrieben wird. Die Konkurrenten der Alrowa sind anderer Meinung. Für sie ist an der ganzen Sache nur bemerkenswert, daß die Alrowa „zu billig" verkaufe. Die Interessengemeinschaft der sächsischen Wirkerverbände hat gegen die„Schleuderverkäufe" protestiert und dringend ersucht, weitere„Unterpreisverkäufe" zu unterbinden� Sie hat ferner die sächsischen Regierungsstellen aufgefordert, dahin zu wirken, daß sich solche Beunruhigungen des Marktes in Zukunft nicht wiederholen. Hier zeigt sich jene bedenkliche Mischung von Zunftgeist und Konkurrenzgeist, die große Teile unserer Wirtschast noch be- seelt. Gewiß sind Notoerkäuse, wie sie die Alrowa vornehmen mußte. für die Konkurrenten schmerzlich: sie verhindern, heißt aber die Krise
verlängern. Man beseitigt die Krise nicht, indem man ihre Symp- tome zum Verschwinden bringt. Die deutschen Unternehmer pflegen an den Geist der Wirtschaftssreiheit zu appellieren, wenn es gilt, Ein- griffe des Staates abzuwehren oder das Lohntarifsystem zu be- kämpfen. Soll die Wirtschaftssreiheit auf ihre Kosten wirksam werden, so sind sie leicht geneigt, sich tiuf die Zunstgesinnung zu be- rufen. Kundgebungen wie die der sächsischen Wirkerverbände lassen befürchten, daß sie das Wesen der Wirtschaftsfreiheit nicht be- greifen." Ausländische Devisenkurse. Die Reichsbank, bei der nach der Notverordnung das aus- fchließlichc Recht liegt, mit Devisen zu handeln, hat nach der Unter- brechung der Notierungen seit Sonnabend zum erstenmal wieder Kurse festgestellt. Im großen, und ganzen ist.das ftursniveau vom Sonnabend gewährt worden. Die atütlichcÄ Kurse lauten: Dollar— 4,208 Mark Geld, 4,017 Mark Brief, Englisches Pfund ■ 20,475 Mark Geld, 20,215 Mark Brief, 100 französische Franken— 16,49 Mark Geld, 16,53 Mark Brief, 100 Holländische Gulden— 169,58 Mark Geld, 196,62 Mark Brief, 100 schweizer Franken— 81,87 Mark Geld. 82,03 Mark Brief.
400000 Tonnen aufgelegter Schiffsraum. Seit Ende des Krieges war im Hamburger Hafen keine so große Zusammenballung stillgelegten Schiffsraumes zu verzeichnen wie augenblicklich. Nach anfänglicher Verringerung der aufgelegten Tonnage zu Beginn des Sommers steigerte sich die Zahl bis'zum Juli ununterbrochen, und heute liegen im Hamburger Hafen well über 400 000 Bruttorcgistertonnen brauchbaren Schiffsraumes brach. Etwa 80 große moderne Seeschiffe liegen auf. Es handelt sich zu- meist um deutsche Schiffe, während Schiffe fremder Nationalität nur zu etwa einem Drittel beteiligt sind.
Golddiskonkbank. Der Mindestzinssatz der Deutschen Gold- diskontbank beträgt vom 16. Juli 1931 ab 7 Proz. Die Rohstahlerzeugung im Juni. Im Monat Juni ist die deutsche Rohstahlerzeugung nach der leichten Steigerung im Mai wieder zurückgegangen. Sie sank arbeite täglich von 31 096 im Mai auf 29 954 Tonnen im Juni gegen 35 795 Tonnen im Juni vorigen Jahres. Schuhverbcmd für Danalbank-G laubiger gegründet. Eine Reihe von Gläubigern der Darmstädter und Nationalbank hat einen Schutzverbond gegründet. Diese Gläubiger halten die Mithilfe der Gläubiger bei der Abwicklung der Geschäfte und eine gewisse Kontrolle durch eine Vertretung der Gläubiger für«rforder- lich,«eil einmal die Abwicklung besonders schwierig sei, weil zum anderen keine persönliche Haftung der Treuhänder(wie der Konkurs- verwaller sonst) bestehe. Der Blannesmann-Konzern teilt uns mit, daß er mit den Houben-Werke» in Aachen , mit deren Bilanzmethoden wir uns kürzlich beschäftigten, nichts zu tun hat und gehabt hat.
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gerade jetzt weil nur
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