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BERLIN Montag 20. Juli

1931

Der Abend

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B 167 48. Jahrgang

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Von Paris nach London

Keine Erschwerung durch die Vorkonferenz

V. Sch. Paris , 20. Juli. ( Eigenbericht.) Die Pariser Aussprache zwischen den deutschen und den französischen Ministern ist mit einer gemeinsamen Deklaration abgeschlossen worden, die geeignet ist, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wesentlich zu entspannen und sogar die Möglichkeit einer baldigen Befferung eröffnet.

Ein Rüstungsmoratorium

Jason Die Grundlage für die Verſtändigung

100

Das Londoner Programm.

London , 20. Juli. ( Eigenbericht.)

Die Pariser Reise war für die Deutschen weder ein ,, Canossa" noch eine Falle". Im Gegensatz zu den offiziösen Ankündigungen ming ques der Pariser Presse hat man von den deutschen Ministern durchaus nicht verlangt, daß sie bestimmte politische Bindungen eingingen. Wohl ist der Versuch gemacht worden, von Deutschland gewisse formulierte Garantien politischer Natur zu erreichen. Das war besonders das Ziel des rechtsstehenden Finanzministers Flandin und der Bürokratie des französischen Auswärtigen Amtes, vor allem Berthelots und Masfiglis. Die Distuffion dar­über in der Aussprache am Sonnabendnachmittag war zum Teil recht lebhaft und es ging nochmals zum Teil hart auf hart.

Dr. Brüning erklärte kategorisch, daß er einer Erklärung nicht würde zustimmen können, in der die einzelnen politischen Streit­fragen ausdrüdlich erwähnt werden, weil er dann unverzüglich zurücktreten müßte. Laval erwiderte, daß auch er mit einer starten nationalistischen Opposition sogar innerhalb der Regierungsmehrheit rechnen müßte, die gegen ihn Sturmlaufen würde, wenn er die Besprechungen mit einem nichtssagenden, allgemein gehaltenen Kommuniqué abschließen und trotzdem die Reise nach London antreten würde. Aber er fönne boch dem Reichskanzler nichts unmöglich es zumuten. Die Erklärung Brünings, daß eine präzisere Stellungnahme zu diesen Streitfragen für ihn nicht annehmbar wäre, genüge ihm, und er bestehe infolgedessen nicht weiter auf seinem ursprünglichen Wunsch. So ist die Stelle des Kommuniqués entstanden, die besagt, daß Frankreich bereit sei, über eine internationale Hilfsaktion für Deutschland weiterhin das heißt ab heute in London zu bistutieren, vorbehaltlich der finanziellen Garantien und der politischen Beruhigungsmaßnahmen". Das ist eine fast wörtliche Wiederholung des Sazes, der vor wenigen Tagen in einer Verlaut barung des französischen Ministerrats, furz vor der Abreise Brünings nach Paris , ausgesprochen war.

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Laval hat ein erfreuliches Maß an politischer Einsicht bewiesen, indem er auf seiner ursprünglichen Absicht nicht weiter bestand. Seine Loyalität und sein Berständnis für die Lage der deutschen Berhandlungspartner wird auch auf deutscher Seite hoch anerkannt.

Noch flüger wäre es freilich gewesen, wenn er gar nicht erst bie französische Presse auf die Forderung fe ft gelegt hätte, daß die deutschen Minister in Paris zunächst bestimmte politische Zu ficherungen geben müßten, ehe die französischen Minister auf die Die Nationalisten seines Landes werden sicherlich nicht verfehlen, ihn wegen dieses Rückzuges an zugreifen. Aber er mag sich damit trösten, daß die deutschen Nationalisten die gemeinsame Deklaration selbst in ihrer allgemeinen Formulierung immer noch als eine Kapitulation Deutschlands hin­stellen werden.

Diese Unzufriedenheit bei den Nationalisten in beiden Ländern ist der beste Beweis dafür, daß in Paris nübliche Arbeit für die Deutsch - französische Verständigung geleistet worden ist.

Selbstverständlich sind allgemeine politische Fragen, die in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähnt sind, sehr eingehend diskutiert worden. Die Reichsminister haben allerlei Aufklärungen geben müssen, haben aber dabei den Eindrud gewonnen, daß diese Auf­flärungen schon eine gewisse Beruhigung auf der Gegenseite erzeugt haben. Man darf wohl daraus schließen, daß sie sich zum Beispiel mit solchen Kundgebungen und Veranstaltungen, wie dem Stahlhelmtreffen in Breslau und dem Kavallerietag. in Dresden , alles eher denn solidarisch erklärt haben. Mehr als die Bekundung der grundsäglichen Bereitwilligkeit zur deutsch - französischen Zusammenarbeit konnte und durfte man auf dieser ersten Begegnung der Regierungschefs nicht erwarten. Weitere Zusammenkünfte sollen folgen, vielleicht demnächst schon in Berlin , wohin Dr. Brüning feinen franzöfifchen Kollegen zu einem Gegenbesuch eingeladen hat.

Man mag nun einwenden: Wer bürgt uns dafür, daß alle biese in Paris noch ungelösten Fragen nicht schon heute, in London , mieber auftauchen? Richtig ist, daß in Paris nichts entschieden morden ist, aber mindestens ebenso sicher ist auch, daß in Paris ( Fortjeßung auf der 2. Seite.)

Die Ministerkonferenz beginnt heute nachmittag 6 Uhr im Locarno - Raum des Unterhauses, Macdonald wird präsidieren. Ihre Aufgabe ist, die Möglichkeiten zur Angleichung des Hoover- Planes an den Young- Plan festzulegen, die Voraussetzungen für eine größere und längere Anleihe an Deutschland zu klären und schließlich noch Kreditgewährung an die Oststaaten zu besprechen. Der Berichterstatter des Daily Herald" in Paris , der Henderson begleitet hatte, schreibt, daß alle unmög. lichen Bedingungen für Deutschland aufgegeben worden feien und die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß es gelinge, eine Basis der Verständigung über die finanziellen und politischen Fragen zu finden, die sowohl Frankreich als auch Deutschland befriedige. Der Korrespondent glaubt weiter, daß man in London zu dem Abschluß eines fünf jährigen ,, politischen Moratoriums" kommen werde, das bereits in Paris besprochen worden sei. Deutschland werde darin einwilligen, daß die Arbeiten an den beiden ersten Panzerkreuzern auf ein Mindestmak herabgesetzt und mit dem Bau neuer Kriegsschiffe vor der Abrüstungs­konferenz nicht begonnen werde. Frankreich werde eben falls auf den Bau seines neuen Kriegsschiffes verzichten.

Hinsichtlich der Anleihe beabsichtige man, die gleichen Modalitäten zu wählen wie bei der Young- Anleihe.

Abreise nach London .

Paris , 20. Juli.

Um 10 Uhr ist die deutsche Delegation über Calais nach London abgereift, weiter Laval , Briand , Flandin , Budgetminister Pietry, Unterstaatssetretär François- Poncet , der Generalsekretär am Quai d'Orsay Bertrelot, sowie die Mitglieder der französischen Delegation. Zur Verabschiedung hatten sich sämtliche Mitglieder der deutschen Botschaft eingefunden. Auf dem Bahnhof hatte sich eine außerordentlich große Menschenmenge eingefunden und die Polizei hatte umfangreiche Ordnungsmaßnahmen getroffen. Brüning und Laval, die in einem Abteil Platz genommen hatten, erschienen om Fenster. Als der Zug sich in Bewegung setzte, brach die Menge in die Rufe aus:

Vive l'Allemagne, vive la France , vive Laval , vive la paix!

Reichskanzler Brüning hat furz vor seiner Abreise der Agentur Havas folgende Erklärung gegeben: Im Begriff, Frankreich zu verlassen, um uns zur Londoner Konferenz zu begeben, legen der Reichsaußenminister und ich Wert auf die Erklärung, wie sehr wir die liebenswürdige und herzliche Aufnahme, die. uns in Frankreich von der französischen Regierung und von fämt­lichen französischen Behörden zuteil geworden ist, empfunden haben. Bir find zufrieben, daß wir unsere Ansichten in voller Offenheit mit unseren französischen Kollegen haben austauschen können, und wir find davon überzeugt, daß diese direkte Fühlungnahme für die immer erfprießlichere Entwicklung der französisch- deutschen Zusammenarbeit, der wir aufrichtig zugetan find, glückliche Wirkungen haben wird.

Die deutsch - französische Erklärung

Paris , 20. Juli.

Um 22.45 Uhr wurde über die deutsch - französischen Ver­handlungen folgendes gemeinsames Communiqué ausgegeben:

In einer fürzlichen Botschaft hat Reichstanzler Dr. Brüning den Wunsch zum Ausdruck gebracht, mit der französischen Regierung in direkte Fühlung zu treten, um die Mittel für eine gemeinsame Bemühung zur Besserung der Beziehungen beider Länder zu suchen. Der Chef der französischen Regierung hat spontan erwidert, daß er mit Genugtuung einer Begegnung entgegensehe, deren Verwirklichung durch die Ereignisse, die die Wirtschafts- und Finanzlage Deutsch­ lands und rückwirkend auch diejenige der übrigen Länder betroffen

haben, opportuner gemacht wurde. Infolgedessen sind die Vertreter beider Regierungen am 18. und 19. Juli 1931 in Paris zusammen gekommen. Sie haben

übereinstimmend die Bedeutung dieser Begegnung anerkannt und betont, daß fie den Beginn einer vertrauensvollen Zufammen­arbeit darstellen soll.

Der Reichstanzler hat die verschiedenen Aspekte der Krise, unter der sein Land leidet, beleuchtet. Die französischen Vertreter, die den Ernst dieser Krise anerkennen, haben erklärt, daß vor­behaltlich gewisser finanzieller Garantien und Maßnahmen für eine politische Beschwichtigung sie bereit sein würden, später die Bedingungen für eine finanzielle Zusammenarbeit im internationalen Rahmen zu erörtern.

Bereits jetzt haben die Vertreter der beiden Regierungen Wert darauf gelegt, ihren Willen zu befonen, soweit wie möglich untereinander die für eine wirksame Zusammenarbeit auf polifischem und wirtschaftlichem Gebiet günftigen Bedingungen zu schaffen,

und sie sind übereingefommen, sich gemeinsam darum zu bemühen, daß der Kredit und das Vertrauen in einer Atmosphäre der Ruhe und Sicherheit wiederhergestellt werden können.

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Diese Erklärung ist am gestrigen Sonntag durch Ansprachen der deutschen Minister im französischen Rundfunk be ftätigt und unterstrichen worden.

Henderson über die Pariser Verhandlungen.

London , 20. Juli. Staatssekretär Henderson sagt in einer Erklärung u. a.: Jch

bin nach Paris gegangen im Bewußtsein des Ernstes der Lage, aber ich war taum gefaßt auf die schnellen Berände rungen, die in einer so furzen Zeitspanne eingetreten sind. Der Beschluß, unseren Berliner Besuch aufzuschieben, war sehr schwierig, indessen ließ die Lage teine andere Möglichkeit; außerdem hoffe ich, daß der Besuch bald nachgeholt werden kann. Ich bin sehr befriedigt über den Pariser Besuch Dr. Brünings und Dr. Curtius'; denn die Wichtigkeit, die ein französisch- deutsches Einvernehmen für Europa und die Welt hat, fann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diese Annäherung bedeutet auch eine gute Vorarbeit für die Londoner Konferenz.

Der Zollunionsprozeß.

Im Haag begonnen.

Amfterdam, 20. Juli. Vor dem ständigen internationalen Gerichtshof im Haag begann am Montagvormittag die öffentliche Behandlung des österreichisch­deutschen Zollabkommens vom 19. März d. I., das dem Gericht vom Böllerbundsrat zur Erstattung eines Gutachtens überwiesen wurde.