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E» war eine dunkle, naßkalte Nacht. Schmutziggrauer Nebel lag über dem schlafenden Fluß, der träge vorüberzog. Drüben am Kai sah man die Schatten schwerfälliger Frachtdampfer, deren Lichter durch den Dunst blinkten. Wir lagen langausgestreckt auf den Bänken des Fährhäuschens und warteten auf den Morgen. Das letzte Fährboot war längst fort. In der Ferne schlug eine Glocke eips. Hinter dem Ponton plätscherte unruhig ein kleines Rettungsboot. Ab und zu rieb es seinen hölzernen Leib an den Pfählen! dann wieder fuhr es eine kleine Strecke davon und zerrte knarrend an seiner Kette. Wir waren am Einschlafen. Das Wasser gluckste unaufhörlich unter dem Boden des Häuschens! ein eintöniges, ermüdendes Geräusch... ... Heute nacht kommt Kapitän Ohlsen.. meinte der alte Bootsmann nebenhin und sog nachdenklich an seiner Pfeife, daß sein Gesicht einen Augenblick sichtbar wurde. ... Wae ist mit ihm?" fragte der lange Ostpreuße   schlaf- trunken. . Kapitän Ohlson kommt hierher und sucht seine Frau", erwiderte der Bootsmann langsam. Seine Frau? hier?!" fragte der Lange verwundert und richtet sich etwas auf. .La, denn hier hat sie sich vor gut fünfundzwanzig Iahren ertrunken..." Der Bootsmann sog einige Male bedächtig an seiner Pfeife, ehe er fortfuhr:... Ohlson holte damals Kopra   aus der Südsee. Fuhr einen der besten Segler der Süd-Compagnie und war als verwegener, waghalsiger Bursche bis nach Auckland   hinunter be- kannt. Eines Tages lag er mit seinem Kasten vor Kauria, wo eben eine neu« Handelsniederlassung gegründet war. Hört ihr zu?" .La!" Wir nahmen also Ladung auf, die von den Wilden mit ihren Brandungsbooten umständlich herangeschafst wurde. Die Kerl« waren nicht wenig aufgeregt, als sie mit ihren Booten längsseits kamen. So'n Riesenschiff, wie Ohlson seinen Kasten, hatten sie in ihrem Leben noch nicht gesehen. Waren übrigens hübsche, statt- liche Burschen, die Kaurianer, und immer vergnügt, und immer lustig. Dennoch muß ich sagen, Jungs, daß wir um die Kerle weniger verlegen waren als um die Weiber. Die Mannschaft war einfach toll nach diesen Frauenzimmern, die mit Blumen geschmückt am Ufer standen und den lieben langen Tag zu uns herüberstaunten und winkten. Kinder, wenn Ohlson da nicht bald Landurlaub ge- yeben hätte, hätte es'ne Meuterei gegeben! Nun war Ohlson selber kein Kostverächter. Wir kamen also an Land, und der Ver- treter gab«in großes Fest. Mächtiger Tanzbetrieb zur Harmonika. Und das nachts unter Palmen. Kinder, die Fete hat drei Tage gedauert: dann war der Rum alle..." Na, wir stechen ja wieder in See, und was glaubt ihr? Am zweiten Tag kriegen wir heraus, daß Ohlson eine von den braunen Schönheiten mitgenommen hat. Hatte sie natürlich fest unter Ber- schluß in seiner Kabine. Er war rein toll auf seine Eroberung. Sie nicht minder... obgleich sie oftmals merkwürdig traurig in die Fern« lugte..." Er hat sie mit hierhergenommen?" .Ln Antwerpen ging er mit ihr von Bord, kleidete sie ein und ließ sich mit ihr trauen. Er war mächtig stolz auf seinen Fang und konnte kaum abwarten, bis wir hier ankamen. Natürlich stolzierte er alsbald mit seiner jungen Frau von Bord, um sie der Bekannt- schgst zu präsentieren. Und was glaubt ihr? Die Leute grinsen, all» er sie als sein« Frau vorstellt.'Ne Wilde von der Südse« als Frau das glaubt chm kein Deubel. Die Leute halten das für «inen guten Witz und grienen unverschämt, wenn er sie vorstellt. Ohlson regte sich zuerst nicht schlecht darüber auf, aber dann bracht« er sie einfach in einer kleinen Pension unter und zog allein« los, wenn er in Gesellschaft ging..." Der Bootsmann richtete sich auf und stopfte seine Pfeife. ... Die Frau hatte natürlich gleich gemerkt, was los war. Am Tage traut« sie sich kaum auf die Straße, weil die Leute ihr nochgafften, als sei sie ein Wundertier. Ohlson ging nur abends mit ihr spazieren. Er war ein guter Kerl, aber die Leute kriegten doch fertig, ihm diese Frau zu verübeln. Er war ausfallend oft angetrunken und landete dann erst morgens in der Pension. Die Frau stand in solchen Nächten ununterbrochen am Fenster und sah mit ihren großen Augen auf die Straße hinunter... Zwei Tage vor der Ausfahrt macht er eine kleine Abschieds- runhe. Gegen elf kommt er mit der Frau des Kapitäns Bruhns aus Soetjens Grogkeller. Bruhns ist noch unten und spricht ein paar Worte mit dem Wirt. Ohlson kommt also mit der fremden Frau auf die Straße, als er im gleichen Augenblick seine Frau zu sehen glaubt, die ihn von der nächsten Ecke her anstarrt. Ohlson geht sofort aus sie zu, als sie auch schon davonjagt. Ohlson ruft und rennt dann hinter ihr her. Er folgt ihr laut rufend zum Hafenfleth, wo sie seinen Blicken entschwindet. Ohlson läuft in die Pension. Seine Frau ist nicht dort. Er wartet eine kurze Zeit, rennt wieder auf die Straße, sucht sie und findet sie nicht. Er kehrt wiederum in die Pension zurück und wartet, wartet. Gegen Morgen alarmiert er die Polizei..." Der Bootsmann machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: Am andern Morgen hört er auf der Polizei, daß sich gegen Mitter- nacht ein« Frau von diesem Fährponton hier ins Wasser gestürzt hat. Man hatte versucht, sie zu retten, aber sie war bis weit in die Strömung hinausgeschwommen und dann fortgetrieben. Niemand hatte sie erkannt, niemand richtig gesehen! aber Ohlson ahnte sofort, daß e» seine Frau war. Zwei Tage lang hals er sie suchen aber man fand sie nicht. Sie wurde nie gefunden..." Es war eine Weil« sehr still im Raum. Der Bootsmann machte ein paar tiefe Züge aus seiner Pfeife.... Ich habe noch manche Fahrt mit Ohlson gemacht. Er war ein ruhiger, menschenscheuer Mann geworden, der nur das Nötigste sprach. Zu seinen Leuten war er von unbestechlicher Gerechtigkeit. Ja, er sorgte sich auch außerhalb des Dienstes um sie, ohne viel Worte zu machen. Wir fuhren damals Salpeter von Chile  , während dieCharlotte" den Südseedienst machte. Es war auf Ohlsons Wunsch geschehen, denn er wollte nicht nach Kauria zurück... Bis dann, fast zehn Jahre später, diese eigenartige Geschichte passiert«, die ihm das Patent kostete. Das Schiff lag im Hafen von Balparaiso und sollte am nächsten Morgen Ladung übernehmen, als Ohlson mitten in der Nacht Befehl gibt, alles segelklar zu machen. Di« Mannschaft gehorcht verwundert, und gegen Morgen verläßt der Segler den Hasen und nimmt Kurs auf die Südsee. Nach l? Tagen geht der Segler im Hafen von Kauria vor Anker, und Ohlson geht von Bord. Er erklärt dem erstaunten Vertreter der Süd-Compagnie, daß er seine Frau suchen wolle. Der Vertreter erwidert ihm fassungslos, daß sie doch schon vor zehn Iahren er- trunken sei, wie er gehört habe. Aber Ohlson gibt sich mit dieser Auskunft nicht zufrieden. Er geht eine Tagereise weit ins Innere, fragt auf den Pflanzungen umher, erkundigt sich bei den Stammes- Häuptlingen. Niemand hat sie wiedergesehen! man erinnert sich ihrer kaum noch... Natürlich bekam die Reederei schnell genug Wind von Ohlsons Ausflug. Und natürlich war es aus mit chm, als er heimkehrt«.
Er zog zu seiner Schwester, die vor der Stadt ein kleines Haus besaß, und hier haust er seitdem. Es heißt, daß er sich an einer Schiffsbaufirma beteiligt hat: Genaues ist darüber nicht bekannt. Er sucht keine Gesellschaft auf und niemand besucht chn mehr. Er ist ein scheuer Einsiedler geworden, mit dem niemand etwas an- fangen tonnte. Zudem hatte man immer das Gefühl, als höre er nicht zu, wenn man mit ihm sprach. So hätte man chn vielleicht längst vergesien, wenn er nicht die sonderbare Gewohnheit hätte, an so dunklen, nebelschweren Nächten, wie diese, hierher zu spazieren und von diesem Ponton stundenlang ins Wasser zu sehen. Er glaubt, daß niemand von seinen nächtlichen Ausflügen hierher weiß, aber alle Bekannten wissen es: man hat ihn oft genug beobachtet. Hast du noch eine Zigarette da, John? Danke." Man sah nur die glühenden Spitzen brennender Zigaretten durch das Dunkel fahren. Aber plötzlich horchten wir auf. Der Boots- mann fuhr hoch.Pst Zigaretten aus!" Langsam kam ein schwerer Schritt über den Steg und näherte
sich dem Ponton. Lautkos hatten wir uns erhoben und starrten durch das kleine Fenster hinaus ins Dunkle. Wir hörten unsere Herzen schlagen, als der Schatten Ohlsons immer näher kam. Er hatte den Kragen seines Wettermantels hochgeschlagen: der Schirm seiner Mütze beschattete das bleiche Gesicht. Nun stand er auf dem Ponton, nahm die Mütze vom Kopf, strich aufatmend die Haare zurück. Dann trat er an die Bordschwelle und ging langsam um den Ponton herum, den Blick unentwegt auf das Wasser gerichtet. Cr kam an dem offenen Fährhäuschen vorüber. Wir lehnten eng an den Wänden und oerhielten den Atem. Er sah uns nicht. Wir glaubten, ihn leise vor sich hin sprechen zu hören, als er sich wieder nach der anderen Seit« entfernte. Dort stand er eine Weile und starrte unablässig nach der Mitte des Stromes und zu den Schatten der Dampfer hinüber. Langsam begannen wir uns wieder zu rühren, aber der Teufel wollte, daß eines der Bankbretter zu knarren begann. Wir sahen, wie Ohlson zusammenfuhr. Erschrocken starrte er zu dem kleinen Fenster des Fährhäuschens hinüber, und plötzlich drückte er die Mütze ins Ge- jicht und ging hastig davon. Seine Schritte verhallten irgendwo. Wir sprachen noch eine Weil«, dann hingen wir schweigend unseren Gedanken nach. Doch es dämmerte schon im Osten, ehe uns das eintönige Plätschern des Wassers in den Schlaf sang.
Spanifche Wolksmoral
Das ist ein löblicher Grundsatz, dem man in Spanien   huldigt, und mit dem man da genau so weit, manchmal vielleicht auch noch weiter kommt als wir nervösen Mitteleuropäer mit unserer auf- geregten Hastigkeit. Im sonnigen Süden ist dieser Grundsatz ge- wissermaßen Naturgesetz, hervorgerufen durch das Klima, die Hitze. Alles spielt sich da etwas langsamer, gemütlicher, beschaulicher ab. Aber sei es die pomadige Gleichgültigkeit irgendeines südspumschen Krämers, der einen nach längerem Warten mit morgenländischem Fatalismus in einer Form bedient, die die Meinung zuläßt, daß es ihm mindestens genau so lieb ist, wenn die Kundschaft wieder mit leeren Händen aus seinem Laden geht, damit er sich nicht erst durch ihre Wünsche in seiner Bequemlichkeit stören zu lassen braucht, oder sei es die sprichwörtlich gewordene Unpünktlichkeit der Eisenbahnen, die mitunter Stunden beträgt: die Einheimischen haben dagegen nichts einzuwenden! Sie sind es so zufrieden, kennen es nicht anders. Nur wir, denen die preußische Kasernenhofpünktlichkeit an- erzogen ist, werden dabei nervös und denken, wir müßten gleich aus der Haut fahren. In einem Bankgeschäfte stehen vor dem Schaltcrfenstcr eine Reihe Menschen. Einer nach dem andern wird bedient: löslich, freundlich. Auf einmal kommt ein Bekannter des Schalterbcamten an die Reihe. Freudige Begrüßung. Fragen nach dem Wohlergehen, Lachen, längeres Prioatgespräch. Vor dem Weggang bietet der Ab- gefertigte dem Beamten noch seine Tabaksdose und Zigarettenoapier an. Der dreht sich davon langsam und gewissenhaft eine'Zigarette und setzt sie in Brand. Und da man vom Rauchen viel mehr Genuß hat, wenn man dabei nicht beschäftigt ist, so setzt derweilen der biedere Bankmann seine Tätigkeit aus und schmaucht behaglich, hinter dem Schalter auf und ab gehend, seine Zigarette auf. Dann erst, nach Minuten, geht der Betrieb weiter, höflich, freundlich. Draußen wird unterdessen die Menschenschlange immer länger. Ich stehe mitten drin wie auf Kohlen. Doch niemand murrt: » Ein Stierkampf ist für uns eine grausame und rohe Angelegen- heit. Nicht so für den Spanier  ! Für ihn ist jedeCorrida" ein höchst interessante» und belustigendes Schauspiel(oder war e« wenigstens unter der Monarchie). Je blutiger und scheußlicher der Kampf sich abwickelt, desto größer ist da» Vergnügen, desto lauter der Beifall. Dagegen ist nun nichts zu machen. Ländlich-- Mich! In Malaga   kam ich eben aus der Arena heim in mein Quartier. Noch aufgewühlt von dem Gesehenen, wo man Stiere und Pferde gehetzt und gejagt und schließlich grausam getötet hatte, wo das Blut unschuldiger Tiere in Strömen geflossen war.Warum?" Einer Schaustellung zuliebe! Da treffe ich aus der Treppe die Mutter meines Quartierwirtes, eine hochbetagte Greisin mit schneeweißem Haar. Mit strahlenden Augen, wobei sie wahrscheinlich in Erinne- rungen an ihre früher gesehenen Stierkämpfe schwelgen mochte, fragte sie mich:Nun, Sennor, war es nicht sehr schön?" Ich war verblüfft! Ein solch verabscheuungswürdiges Spiel, solch grausiges
und sinnloses Schlachten findet eine Frau, eine Muttersehr schön"! Seltsamer Geschmack! Seltsames Volk! ,« In der ersten Zeit meines Aufenchaltes in Spanien   wunderte ich mich über folgendes: Gab man in irgendeinem Geschäft Silber- geld in Zahlung, so nahm der Verkäufer das Geldstück in die Hand und warf es auf einen neben der Kasi« liegenden flachen Stein. Später wurde mir der Grund dieses Tuns klar: Es war eine Probe, ob das Geld echt war, oder ob es sich um Falschgeld handelte. Und es schienen sehr viele falsche Münzen im Umlauf zu sein, die sich aber, sowohl äußerlich sehr gut nachgemacht, durch ihre Zusammen- setzung verrieten. Wurden sie nämlich aus den Stein geworfen. so blieben sie mit dumpfem Klange liegen, während die echten Silberstücke mit� einem hellen Tone hoch in die Luft sprangen. Hatte man nun als unkundiger Ausländer einmal Falschgeld angedreht bekommen, so war es natürlich schwer, es wieder loszuwerden. Beim Wechseln einer Banknote in einer großen Buchhandlung hatte man mir einmal einige solcher Falsifikate mit aufgehängt, die ich scheinbar ewig mit mir herumschleppen sollte, denn überall gab man sie mir nach der natürlich negativ ausfallenden Steinprobe wieder zurück. Erst nach vielen Versuchen gelang es mir. sie wieder an den Mann, oder richtiger, an eine Frau, zu bringen. Von da ab war ich aber etwas klüger und wechselte mein Geld nur wie es übrigens alle vorsichtigen Spanier tun in den Staatsbanken. Da hat man wenigstens die Gewißheit, echtes Silbergeld zu erhalten. * Während eines Stierkampfes saßen neben mir zur Linken zwei junge Burschen von vielleicht bis 16 Iahren, in blauem Leinen- anzug, schwarzer Baskenmütze, Bastschuhen, als Sonntagsschmuck ein weißes Schaltuch um den Hals geschlungen. In meiner linken Iackentasche hatte ich Erdnüsse stecken, die ich während der Vor- stellung knabbert«. Außerdem in der gleichen Tasche einenDura", ein L-Peseta-Stück. Das war natürlich leichtsinnig. Als ich voll Spannung den aufregenden Vorgängen in der Arena zusah, ent- fernten sich plötzlich unauffällig meine beiden Nachbarn. Sie kamen auch nicht wieder, trotzdem ich einen Papierfächer von chnen, den sie mir voller Liebenswürdigkeit kurz zuvor geliehen hatten, noch in meinen Händen hielt. Als ich wieder nach einer Nuß greife, bemerke ich das Fehlen des Geldes. Alles Durchwühlen der Tasche hatte selbstverständlich keinen Zweck; dos Geld war verschwunden und mit ihm die beiden Burschen, die sich wahrscheinlich längst in dem vieltausendköpfigen Gewühl einen anderen Platz gesucht hatten und sich nun ihres Raubes fteuen mochten. Sie etwa wieder- zufinden, war aussichtslos. Ich hatte es ihnen ober auch zu leicht gemacht. Offenbar hatte der neben mir Sitzende nur einmal heim- lich meine Nüsse probieren wollen; dabei war ihm das Silberstück in die Hand geraten und natürlich daran hängen geblieben. Groß- zügig hatten sie mir dafür ihren Fächer überlassen, den ich nun als Andenken behielt. Ein immerhin etwas kostspieliges Andenken, wenn man überlegt, daß sein Wert kaum S Pfennige betragen haben dürfte. Kuäolk Lcdveiäzr.
Wom Arbeiter sunt Qelehrlen Wer kennt Carl Cristian Bruhns, dessen Todestag sich am 25. Juli zum 50. Mal« jährt? Er hat nicht im Vordergrunde des öffentlichen Lebens gestanden, und deshalb werden auch nur die wenigsten von ihm gehört hoben. Aber den Freunden der Natur- Wissenschaften und besonders der Sternkunde wird der Name Bruhns sicherlich schon häufig begegnet sein. Weniger bekannt wird aber den meisten der Lebensweg dieses Mannes sein, den ein glückliches Geschick und eine außerordentliche Begabung zu den höchsten Höhen der Wissenschast emportrugen. Bruhns   war ein Kind des Volkes, hervorgegangen aus der Arbeiterklasie. Am 22. November 1830 ist er zu P l ö n in Holstein geboren. Seine Eltern waren einfache, wenig bemsttelte Leute aus dem Arbeiterstand«. Nach der Schulzeit kam der junge Bruhns nach Berlin  , um hier ein Handwerk zu erlernen, und wurde Schlossergeselle. Bis zu seinem 18. Lebensjahre ging er diesem Berufe nach, ohne irgendwelchen Ehrgeiz nach einer besonderen Position zu verraten. In seiner fteien Zeit aber, wenn Hammer und Schraubstock ruhten, beschäftigte er sich gern mit mathematischen Aufgaben. Das entwickelte sich bei ihm zu einer Art Liebhaberei, wie bei manchen Leuten heutzutage das Kreuzworträffelraten. Zu- fällig wurde einmal der große Humboldt auf den jungen, intelligenten Schlossergesellen aufmerksam und sprach mit dem be- deutenden Astronomen Encke darüber, dem damaligen Direktor der Berliner Sternwarte  , der außerdem Sekretär der Preußischen Akademie der Wijsenschosten und Ordinarius an der Berliner  UmoerMt war. Encke suchte den jungen Mann gelegentlich aus und machte die EMdeckung, daß in Bruhns   ein außerordeMlich be- achtenswerte» rechnerisches Talent steckte. Ein paar mathematische Aufgaben, die Encke ihm aufgab, löste er zu dessen vollster Zufrieden- heit. Daraufhin veranlaßt« ihn der Sternwartendirektor, die blaue Bluse auszuziehen und sich dem Studium der Astronomie und Meteorologie zu widmen. Gleichzeitig verschaffte er ihm eine Stelle als zweiter Gehilfe an der Berliner Sternwarte  . Hierbei zeichnete sich Bruhns durch seine Geschicklichkeit und seine gute Auffasiungs- gäbe bald derartig aus. daß er schon nach zwei Iahren mit der Arbeit eines ersten Assistenten der Sternwarte betraut werden konnte. Aber noch ganz andere Aemter und Titel sollte der fleißige, begabte Mann bekommen. Mit dreißig Jahren wurde er als Professor der Astronomie an die Universität Leipzig  berufen und bald darauf zum Direktor der dorfigen Sternwarte ernannt. Damit begann eine außerordentlich fruchtbare Tätigkest
für ihn. Bei jeder Gelegenheit setzte er sich bei der sächsischen Re- gierung für den Ausbau der wissenschaftlichen Forschungsinstitute ein, und drei Jahre nach seinem Amtsantritt waren schon 22 gut ausgerüstete meteorologische Stationen errichtet worden, denen sich später noch sieben weitere anschlössen. Mit hellem Blick erkonnte er auch, daß die naturwissenschaftliche Forschung, wie ja überhaupt alle Kulturarbeit in der Well, international sein müsse, und daß die von Menschen geschaffenen staatliche� Grenzen Hindernisse für ihre Entwicklung sind. Seinem Organisationstalent gelang es tatsächlich, ein internationales meteorologisches Komitee' ins Leben zu rufen und damit überstaatliche Vereinbarungen über wetterkundliche Untersuchungen usw. zu schaffen. Wie wichtig in jeder Beziehung die Arbeiten der Wissenschaft für die Menschheit sind, mag hier daraus hervorgehen, daß die sächsische Landwirtschaft, die häufig durch unvorhergesehenes schlechtes Wetter große Verluste bei den Ernten hatte, sich mit der Bitte an Bruhns wandte, ihr durch wetter- kundliche Voraussagen zu helfen. Mit Temperament nahm der gelehrte ehemalige Arbeiter sich dieser Angelegenheit an, und auf seine Veranlassung wurde in Verbindung mit der Hamburger Seewarte ein Wetterprognosedienst eingerichtec, der zu den ersten Unternehmungen dieser Art in Europa   gehörte. Außerdem hatte er sich auch mit einer großen Zahl astronomischer Aufgaben befaßt, und viele wertvolle wissenschaftliche Veröfsent- lichungen zeugen von seinem ungeheuren Fleiß. Auch die Verooll� kommnung und Neugestaltung der Leipziger Sternwarte ist zum großen Teil auf seinen Einfluß zurückzuführen, und hier gelang e» ihm obendrein, sechs neue Kometen zu entdecken. ch Seine letzten Lebensjahre waren durch Krankheit verdüstert, so daß er viele Ehrenämter, u. a. den Vorsitz der Leipziger Gesellschaft für Erdkunde, aufgeben mußte. Am 25. Juli 1881 beendete der Tod das arbeitsreiche Leben dieses verdienstvollen Mannes. Noch heute erinnern sich manche allen Leute in Leipzig  , wo er eine bekannte und beliebte Persönlichkeit gewesen ist, gern an ihn. Die Arbeiter- klasse aber darf stolz sein aus Carl Christian Bruhns  , der zwar nicht einer ihrer politischen Btfreiungskämpfer gewesen ist, aber auf dem ebenso wichtigen Gebiete der Wissenschast Bedeutendes geleistet hat. Wie viele talentvolle Menschen mag es noch unter den Arbeitern geben, die befähigt wären, der Menschheit Großes zu schenken, die aber, durch die verkehrte und ungerechte Gesellschaftsform zu einer ungeeigneten Tätigkeit oerurtelll und nicht durch ein gütiges Geschick begünstigt, niemals zur Entfaltung ihrer Begabung kommen können! Erich Krug.