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Morgenausgabe

Nr. 343

A 173

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonnabend

25. Juli 1931

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Hoch die Internationale!

Zur Eröffnung des internationalen Sozialistenfongresses in Wien  .

In schwerer Zeit.

Von Karl Kautsky  .

Nach Jahrzehnten schwerer Kämpfe hatte die Sozialdemo­fratie in der österreichischen Monarchie endlich genügend Ell­bogenraum erobert, um der Zweiten Internationale aus reichende Freiheit bei ihren Beratungen in Aussicht stellen zu fönnen, wenn sie den Internationalen Kongreß für 1914 nach Wien   berief. Durch den jähen Ausbruch des Welt frieges wurde das Abhalten dieses Kongresses verhindert. Der Krieg hat viele morsche Gebilde zertrümmert, die drei kaiserlichen Dynastien des östlichen Europa   weggefegt, die Republik   zur überwiegenden Staatsform gemacht, den proletarischen Parteien allenthalben einen mächtigen An­stoß gegeben.

Das Bien von heute ist nicht mehr das von 1914. Nicht mehr die Residenz eines Kaisers, nicht mehr der Sitz der Bhäaken, sondern eine Großstadt, in der das sozialdemo­Pratische Proletariat herricht und sich durchleht, soweit dies im Rahmen einer städtischen Berwaltung inmitten eines über­wiegend agrarischen Staates möglich ist.

fichtiger. Um ihrer Augenblidsprofite willen hemmen sie Das sozialistisch gesinnte Proletariat allein wirkt immer mehr alles, was die Krise bannen oder doch mildern ihnen machtvoll entgegen, es allein vermag den Bedürfnissen fönnte, fördern sie alles, was sie verlängert und verschärft. internationaler Zusammenarbeit und Solidarität zu ent­Das schreckt sie nicht, wenn es ihnen gelingt, die Wirkungen sprechen, die nicht nur von den Lebensbedingungen des Pro­der Krise auf die Arbeiter abzuwälzen. Das ist das A und Oletariats, sondern auch von denen des heutigen kapitalistischen  Produktionsprozesses gefordert wird.

ihrer wirtschaftlichen Weisheit.

Niemals, seitdem es eine fapitalistische Produktionsweise gibt, waren die Staaten so sehr aufeinander angewiesen, wie jetzt seit dem Weltkrieg, war Freiheit des internatio­nalen Verkehrs der Waren und Menschen so sehr eine Notwendigkeit, wie in unseren Tagen. Das erkennt auch die bürgerliche Welt an. Nie vorher hat England ein solches Interesse an der Wirtschaft des europäischen   Festlandes ge­nommen. Und selbst Amerika   sieht sich gezwungen, in euro­päische Dinge einzugreifen.

Aber war nie vorher das Bedürfnis nach internationalem Verkehr und internationaler gegenseitiger Hilfe so groß wie heute, so waren andererseits die Hemmnisse der Internationalität seit dem Beginn der Freihandels­ära 1860 niemals jo groß wie heute, meil eben nicht die Be­dürfnisse der Gesamtheit des fapitalistischen Produktions­prozesses, sondern nur die Sonderinteressen seiner größten, eigensüchtigsten und borniertesten Ausbeuter in den bürger­Auch dieser Staat selbst ist zu einer der freiesten Repulichen Barteien dominieren. Wohl können auch sie sich nicht bliken der Welt geworden. Er bietet einem internationalen der Einsicht verschließen, daß ein allgemeiner Abbau der Zölle Kongreß eine Freiheit der Bewegung, wie er sie heute etwa in der Welt dringend notwendig geworden ist. Nichtsdesto­in der Schweiz  , nicht fände, der Stätte der ersten internatio- weniger erhöhen sie diese gleichzeitig im eigenen Lande zu nalen Kongresse. schwindelnder Höhe. Sie verurteilen mit Worten die unge hemmte Herrschaft der Banken und Kartelle und fördern sie durch Taten.

Doch nicht überall hat die Bewegungsfreiheit der Massen seit 1914 solche Fortschritte gemacht. Nach wie vor sind die Sozialdemokraten und Sozialrevolutionäre Rußlands   ver­hindert, sich in der Heimat zu organisieren und ihre An­schauungen zu propagieren. Nach wie vor. fann nur ihre Emigration auf einem Kongreß der sozialistischen   Arbeiter­internationale vertreten sein. Doch im Unterschied zu 1914 gilt dies jetzt auch von Italien  , einem Lande, das seit seiner nationalen Einigung eine große politische und soziale Be­megungsfreiheit genoß. Wohl hat der Weltkrieg manche alten Monarchien zertrümmert, doch hat er auch in manchen Staaten die Bedingungen geschaffen für den Neuaufbau eines bru talen Willfürregiments, das gleich verderblich wirkt, ob es sich proletarisch mastiert oder bürgerlich.

Noch ist die Kraft der faschistischen Tendenzen nicht ge­brochen, noch beherrschen sie Italien   und Osteuropa  , bedrohen fie die deutsche   Republif. Doch in Desterreich sind sie zurückgedrängt, und in Spanien   ist eben jetzt mit der Diktatur auch die Monarchie niedergeworfen worden. Unter diesen be­glückenden Zeichen tritt der Internationale Kongreß zu sammen. Trotz solcher vereinzelter Lichtblicke ist jedoch die allgemeine politische Lage der Welt sehr düster. Noch düsterer ihre ökonomische. Der Internationale Kongreß versammelt fich in der Zeit einer Wirtschaftsfrise, wie sie noch fein Kongreß vor dem jetzigen sah. Sie läßt an Tiefe und Aus­dehnung alle bisherigen Krisen weit hinter sich.

Solange diese privatmonopolistischen Tendenzen domi­nieren, ist eine Gesundung der Wirtschaft schwer zu erwarten.

Die Sozialistische Arbeiterinternationale war stets eine unerläßliche Waffe im Befreiungskampfe des Proletariats. Sie wird heute auch immer mehr ein unerläß­liches Mittel, den Produktionsprozeß in Gang zu erhalten, die Gesellschaft vor dem Untergang zu bewahren. Die sozialisti­ schen   Parteien haben nicht nur deren Fortschritt zu sozialisti­schen Formen zu beschleunigen, sondern auch vorher schon das Funktionieren des Produktionsapparates vor gänzlichem Ein­frieren zu bewahren, von welcher Gefahr er um so mehr be= droht wird, je unumschränkter die Herren des Finanzkapitals

in Staat und Gesellschaft herrschen.

In schwerer Zeit tritt der Internationale Kongreß zu­sammen. Gewaltig sind die Probleme, die sich vor ihm auf­türmen. Doch nicht minder gewaltig ist die Kraft, die ihm aus dem Bewußtsein ersteht, daß unter den Faktoren, die be stimmt sind, die Probleme unserer Zeit zu lösen, das inter­nationale sozialistische Proletariat den weitaus stärksten und heute auch den am weitesten blickenden bildet.

Aus den sozialistischen   Parteien, die in der Sozialistischen Arbeiterinternationale vereint find, wird und muß die Rettung aus dem Elend unserer 3eit tommen, nicht nur für das Proletariat, sondern für die Gesamtheit der in der Gesellschaft und für die Gesellschaft tätigen Menschen.

Dieses stolze Bewußtsein wird den Internationalen So­zialistentongreß beseelen, wird seine Arbeiten befruchten, wird ihm seine Größe verleihen.

Wird Deutschland   erwachen?

Oder in den Abgrund taumeln?

Das Ergebnis von London  

Von Victor Schiff  .

Wenn nun über diese Versicherung hinaus, daß Deutsch­ lands   wirtschaftliche und budgetäre Lage an sich gesund ist, die Londoner Konferenz den Stillhaltungsbeschluß" gefaßt hat, wenn sich trotz aller gesetzlichen und technischen Nach der Londoner   Schlußfizung standen die Presse- Schwierigkeiten die Regierungen der Vereinigten Staaten  , berichterstatter der verschiedensten Länder in der Halle des Englands und Frankreichs   dafür verbürgt haben, daß die Carlton- Hotels, in dem die französischen   und die deutschen   Bankinſtitute ihrer Länder keine weiteren Kreditkündigungen Minister gemeinsam wohnten. mehr vornehmen sollen, so darf die Bedeutung dieses Be­auffallend herzlichen Dankes- und Abschiedsreden und verschlusses nicht unterschätzt werden. Auch das ist ein psycho­glich sie mit dem recht dürftigen Inhalt der abschließenden logischer Faktor ersten Ranges, der dem deutschen   Bolte Deklaration. Ein Engländer meinte dabei sarkastisch: Das wieder etwas Selbstvertrauen einflößen sollte. ist schon teine Politik mehr, das ist nur noch Christian Science  ", das ist die reinste Gesundbeterei!"

Man sprach von den

Indessen: so wenig Geſundbeten jemals ein organi­Zeitweilige Krisen sind unvermeidlich in der kapitalistisches. Leiden turiert hat, so sehr mag es schon gelungen sein, schen Produktionsweise. Aber die jetzige wird besonders ver- durch religiöse Ekstase jene Autosuggestion zu erzeugen, die derblich durch Faktoren, die mit den Naturgesehen der kapita- nervösen Kranten Heilung bringt. listischen Wirtschaft nicht notwendig verbunden sind. Auf der einen Seite haben die Friedensbedingungen, die den Be­siegten nach dem Weltkrieg auferlegt wurden, so irrsinnige Formen angenommen, daß sie die tiefstgehenden Störungen des Wirtschaftslebens nicht nur bei den Besiegten, sondern auch bei den Siegern hervorrufen mußten.

Sie haben aber auch alte Großstaaten verkleinert, viele Splitter als selbständige Staaten von ihnen abgelöst und gleichzeitig ihre Zusammenfassung in neue, ausgedehnte Wirt fchaftsgebiete erschwert.

Das wäre schon schädlich genug. Es wird noch arg da durch verschlimmert, daß der Krieg die bereits vor seinem Ausbruch mächtigen Herren des Finanzfapitals übermächtig gemacht hat, die großen Banken im Verein mit den fartellierten Industrien, die sich verbünden mit den mit den fartellierten Industrien, die sich verbünden mit den Agrariern. Das sind die Elemente, die immer mehr die bürgerliche Welt beherrschen, und diese Führer der Wirt schaft" zeigen sich immer gewalttätiger, habgieriger und turz­

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Die Wirtschaftsfrise ist zweifellos ein in der Hauptsache organisches Leiden, verschlimmert freilich durch psychologische Faktoren.

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Die deutsche Finanzkrise der letzten Wochen ist umgefehrt vor allem eine psychologische Angelegenheit. Sie ift, wie die Londoner   Deklaration mit Recht betont, eine Ver­trauensfrise. Deshalb sollte man über die Gesund beterei", die in Baris und sodann in London   versucht worden ist, nicht spotten. Deutschlands   wirtschaftliche und budgetäre Lage ist im Grunde gesund, so verkündet die Londoner Konferenz. Diese einstimmige Feststellung der Londoner   Konferenzteilnehmer sollte von ungeheurem pincho­logischen Werte sein. Für das Ausland nicht weniger als für das deutsche Volt selbst. Denn die katastrophale Entwicklung der letzten Wochen ist ja in erster Linie durch Massen jenem Montag vor zwei Wochen deutlich erlebt, als auf die psychose im eigenen Lande zu erklären: das hat man an Nachricht des Zusammenbruches der Danat- Bank   die Panit, der Run auf die Kassen einseßte und nur durch die schärfften Maßnahmen eingehalten werden konnte.

Warum dann trobem der unleugbare Pessimis mus, dem man in der Heimat nach der Rückkehr aus London  allenthalben begegnet? Weil eben der Reichskanzler heute morgen ohne einen Pfennig neues Geld heimkehrt, nicht einmal mit jenem bescheidenen neuen Kredit in Höhe von etwa 600 Millionen Mark, von dem man noch am vorletzten Tag der Konferenz auf Grund der Ankündigungen aus Washington   allgemein glaubte, daß ihn Amerika   und England eventuell ohne Frankreich   aufbringen würden. Ob hier wieder einmal das große Mißverständnis" entstand, ob, wie viel­fach in London   versichert wurde, der Staatssekretär Stim­fon die Instruktionen des Präsidenten Hoover nicht sinn­gemäß ausführte? Ist die angeblich beabsichtigte neue große Hoover- Geste an Widerständen amerikanischer Großbanken, die nur mit Frankreich   diese Finanzoperation wagen wollten, gescheitert? Hat die Bank von England  , die gerade in jenen Tagen dauernd den schwersten Angriffen auf den Pfundkurs ausgefeßt mar, eine meitere Zuspigung zwischen London   und Paris   gescheut? Niemand kann es mit Bestimmtheit sagen. Aber das negative Ergebnis der Londoner Konferenz in diesem Punkte ist unleugbar, und es scheint leider, daß es Deutscher   aufwiegt und eine neue Welle des Pessimismus die erzielten positiven Resultate in den Augen zahlreicher ausgelöst hat.

In der franzöfifchen Bresse   konnte man gestern lesen, daß die deutschen   Delegierten in Londom selber nicht einheitlicher