Das System der Fürsorgeerziehung
Alles muß an Haupt und Gliedern geändert werden
Der Lüneburger Fürsorgeerziehungsprozeß hat eine Be-| deutung weit über den engen Rahmen des Berliner Fürsorgewesens hinaus. Viel weniger als das Urteil gegen den Direktor der Scheuener Anstalt Straube und feine früheren 3öglinge intereffieren die Deffentlichkeit die allgemeinen Probleme der Fürsorgeerziehung, die der Prozeß aufgerollt.
Das Scheuener Schandmal.
Man vergegenwärtige sich noch einmal das Bild der Scheuener Anstalt und man wird verstehen, daß die Schuld an den Scheuener Ereignissen nicht nur auf den Direktor Straube fällt, sondern vor allem auf die Zentrale der Berliner Fürsorgebehörde, das Landes jugendamt. Es wird eine Anstalt ins Leben gerufen, die bloß als llebergangsheim gedacht ist, als landwirtschaftliche Station für junge Menschen, die mit einem Fuß draußen stehen und besonderer Erziehungsmaßnahmen nicht mehr bedürfen. Es gibt in der Anstalt feine besonderen Erzieher, sondern nur landwirtschaftliche Instruktoren; trotzdem werden hierher junge Leute geschickt, Psychopathen und schwer Erziehbare. Die zentrale Behörde denkt aber gar nicht daran, die Anstalt auch mit entsprechendem Erzieherpersonal zu versehen. Direktor Straube, guter Organisator, aber fein Pädagoge, wird mit den 3öglingen nicht fertig, er greift zur förperlichen Züchtigung. Die zentrale Behörde wird davon in Kenntnis gefeßt, Straube erhält einen Verweis, die Kontrolle über die Anstalt wird aber durchaus nicht verschärft, es bleibt alles beim alten: es wird weiter geprügelt, es fommt zur Meuterei". Die ,, revoltierenden" Burschen laufen beim ersten Schredschuß auseinander, die ,, Meuterei" ist zu Ende. Es folgt unter Leitung Straubes die brutalste Mißhandlung der Zöglinge durch die Kameraden. Einem Jungen wird der Schädel eingeschlagen, die anderen werden nach ihrer Rückkehr in der unglaublichsten Weise bearbeitet. In jungen Menschen, die zu geordneten Bürgern erzogen werden sollen, merden die hemmungslosesten Instinkte wachgerufen und fultiviert. Das Wort Verbrechen der Fürsorgeerziehung erscheint nicht zu hart.
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Die Reformvorschläge der Arbeiterwohlfahrt. Es soll nicht verallgemeinert werden. Es gibt genug Fürsorgeanstalten, in denen grundsäglich nicht geprügelt wird. Um so schärfer find Borgänge, wie sie in Scheuen, in Templin , in Ridling und in vielen anderen Anstalten gang und gäbe sind, zu verdammen. Um so schlimmer, daß die Berantwortung für die Ereignisse in Scheuen und in Templin legten Endes auf das Landesjugendamt fällt. Ilm so schlimmer weil die Arbeiterwohlfahrt seit Jahren für eine entschiedene Umgestaltung der Fürsorgeerziehung sich einsetzt und bereits im Mai 1929 Richtlinien zu dieser Umgestaltung veröffentlicht hat. Da werden Rechtsgarantien für die jungen Leute verlangt, die in die Fürsorgeerziehung gebracht werden sollen oder sich in dieser befinden. Der Ausbau des Beschwerde rechts wird gefordert und die Erziehung des Willens, die Erziehung zur Verantwortung, zum Becs trauen in die eigene Kraft wird als oberstes Postulat hingestellt, ebenso wie die innere Bindung zwischen Erzieher und Fürsorgezögling. Körperlich und seelisch verlegende Strafen wie Prügel, Arrest, Zwangsarbeit, Kahlscheren und Koftschmälerung werden als vollkommen unzulässig gebrandmarkt.
Die Kommunisten und sowjetruffische Fürsorges erziehung.
werde, daß der entwichene Jugendliche unter feinen Umständen in dieselbe Anstalt zurückgebracht werden dürfe, und ähnliche Dinge mehr, die vollkommene Verständnislosigkeit offenbarten. Diese Forderungen aufzustellen war nur möglich, weil sie von der Pragis der Fürsorgeerziehung feine Ahnung haben. In dem einzigen Lande, in dem ihnen Gelegenheit geboten war zu zeigen, was fie fönnen, in Sowjetrußland, haben sie aber in hohem Maße versagt. Die Zustände, die dort, selbst in den Moskauer Anstalten, herrschen, sind mitunter noch viel schlimmer als die in Schenen, Templin oder Rickling . Man lese nur in der kommunistischen Jugendprawda" Nr. 169 vom Jahre 1929 den Artikel mit der Ueberschrift Methoden der alten Gefängnisse im Arbeitsheim Kindererziehung mit Stock und Revolvergriff":
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Wir schlagen Alarm," heißt es da.„ Das graue Gebäude des Moskauer Jugendarbeitsheims ist mit einem hohen Zaun um= geben, der mit Stacheldraht gesichert ist. Die Fenster haben eiserne Gitter, ringsherum bewaffnete Wache. Es klingt wie eine böse Ironie, wenn man das Haus Arbeitsheim nennt; in Wirklichkeit werden hier Banden qualifizierten Dieben, Räubern und Einbrechern erzogen. Das ganze System dieses Hauses führt dazu, daß der Jugendliche nach Rückkehr in die Freiheit seinen alten Gewohnheiten nachgeht. Beim Betreten des Hauses stößt man unmittelbar auf einen bewaffneten Aufseher mit einem langen dünnen Stab. Stab und Faust, mitunter auch der Griff des Revolvers find die einzigen Methoden der Arbeitserziehung der minderjährigen Verbrecher. Gerade im Augenblick liegt im Laza reft ein Junge mit verlegter Wirbelsäule; das ist eines Aufsehers Hände Arbeit."
Also Zustände, weit schlimmer als in Stroubes Scheuen. Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß es nicht auch in Sowjetrußlard mustergültige Anstalten gäbe; es gab sie aber bereits im zacistischen Rußland , insbesondere in Moskau und im damaligen Petrograd . Wohlfahrtsministerium und Erzieherpersonal.
Die Sozialdemokratie hat nichts zu verheimlichen und hat keinen Grund, die Zustände, wie sie in Scheuen herrschten, auch nur irgend wie zu beschönigen. Diese Zustände sind verdammenswert und follten eine Mahnung sein, die Forderungen des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Forde rungen haben zum Teil ihren Niederschlag auch in dem leglen Erlaß des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt über die Fürsorgeerziehung gefunden. Ein trauriges Befenntnis ist es, wenn es eingangs im Erlaß heißt, Vorkommnisse aus neuerer Zeit zwängen zu der Feststellung, daß einzelne Anstalten infolge der Unzulänglichkeit ihrer erzieherischen Kräfte gegenüber den sich immer schwieriger ge= staltenden Aufgaben der Fürsorgeerziehung versagt haben. Daraus wird die Pflicht hergeleitet, mit gesteigerter Aufmerksamkeit darüber zu machen, daß die Erziehungsheime ausnahmslos den an sie u ftellenden Anforderungen Genüge leisten. Diese Forderung, die fich so schön anhört, wird aber nicht mehr als ein frommer Wunsch bleiben, wenn nicht das Uebel an der Wurzel erfaßt wird. Und dieses Uebel heißt: mangelhafte zentrale Leitung, unzuläng liches Erzieherpersonal. Solange die Fürsorgeerziehung sich mit sogenannten Erziehungsgehilfen begnügt, die etwa 200 bis 250 Mart monatlich erhalten, so lange diese Erziehungsgehilfen Menschen sind, die von Erziehung nichts verstehen und diesen Beruf nur ergriffen haben, wie man jeden anderen auch ergreift, tann von einer Sanierung der Zustände in den Fürsorgeanstalten feine Rede sein. Die besten pädagogisch vorgebildeten und ausreichend bezahlten Erzieher müssen für die Anstalten gerade gut genug sein und dürften dem Staat letzten Endes billiger zu stehen kommen als das jezige Erzieherpersonal, das vollkommen unfähig ist, die jungen Leute das werden zu lassen, was sie sein müssen, damit sie nach Rückkehr in das selbständige Leben ihre Mitbürger und sich selbst nicht schädigen.
Eine Mahnung an die Studenten.
Die Kommunisten haben aus den Scheuener Ereignissen eine politische Angelegenheit gemacht; fie haben versucht, auf Kosten der 3öglinge, agitatorisches Kapital daraus zu schlagen. Und doch waren fie es, die bereits vor mehreren Jahren, anstatt auf Grund des ihnen zugegangenen Materials durch fachliche Kritik in den Stadtparla menten und in der Presse sich für eine Beseitigung der Mißstände einzusehen, in unverantwortlicher Weise die Fürsorgezöglinge zu Butschen aufgehezt und dadurch ihre Lage nicht verbessert, sondern nur verschlechtert haben. Sie hatten es erreicht, daß man schließlich ihrer Kritik vielleicht an und für sich feinen Glauben schenkte. Wie Bei der Gründungsfeier der Universität hielt der wenig ernst sie zu nehmen waren, folgt schon aus ihrem bunt zu Geheime Konsistorialrat Professor D. Titius eine Ansprache, die sammengewürfelten Fürsorgeerziehungs- ,, Programm". von der sich namentlich die Hakenkreuzstudenten hinter das Dhr schreiben Internationalen Arbeiterhilfe aufgestellt. Sie forderte darin z. B., follten. Er betonte, daß die politischen und wirtschaftlichen Machtdaß die jungen Menschen Koalitions, Streif und Vereinsrecht er- mittel des Staates ausgeglichen werden sollen durch die Pflege der halten, daß in Jugendämtern bloß Betriebsratsdelegierte und der geistigen und moralischen Kräfte des deutschen Volkes. Dieser Grundgleichen mehr stimmberechtigt sein sollen, Aerzte und Lehrer nur be- gedante gelte troll aller Unterschiede der politischen Systeme und der ratende Stimme hätten; daß jeder Jugendliche, der Arbeitsmöglich- Ueberzeugungen und verpflichte Lehrer und akademische Jugend, mit keiten nachweist, unverzüglich aus der Erziehungsanstalt entlassen allen Kräften dahin zu fireben, daß die Ehre des deutschen Namens
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Tempelhof:
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auf dem Gebiete der Wissenschaft aufrechterhalten und gestärkt werde. Der Universitätsrektor Dr. Deißmann bezeichnete bei der Preisverteilung den wissenschaftlichen Gewinn als Mittelernte". Wir dürfen hinzufügen, daß vielleicht der Ertrag besser gemefert wäre, wenn nicht die Studenten des Hakenkreuzes die Ehre des deutschen Namens, u mmit Geheimrat Titius zu sprechen, und die Möglichkeit zu ernster akademischer Arbeit durch Standal und Ra dau beeinträchtigt hätten.
FUNK UND
AM ABEND
Rückschau.
Von den Salzburger Festspielen wurde Rossinis „ Barbier von Sevilla " übertragen. Solisten und Chor der Mailänder Skala und die Wiener Philharmonifer, vereint unter dem Dirigenten Arturo Lucon, brachten das Werk zur Aufführung, das an eine große Anzahl europäischer Sender weiter. gegben wurde. Die Kunst bleibt glücklicherweise international, wenn man auch mit großen und kleinen Mitteln die Grenzen der Länder immer wieder abzuschließen versucht. Trotz all der empfindlichen Uebertragungsmängel, die gelegentlich den Genuß beeinträchtigen, wurde es für die Hörer der Funkstunde ein sehr schöner Abend. Eine Einführung in die Oper wollte Hans Gutmann geben; leider brachte er nur einen historischen Rückblick. Der von Schallplatten ergänzte Vortrag war furzweilig und lehrreich; zum Verständnis der Musik trug er faum bei. Die Fachausdrücke, mit denen Gutmann umherwarf, sagen denen nichts, die eine Einführung am nötigsten haben, um der Oper mit Genuß folgen zu können. Nicht die Inhaltsangabe fann dazu verhelfen, sondern nur eine wirfliche Einführung in die Musif, ein hineinführen in ihre Gefühlsund Ausdruckswerte.
Bon deutschen Siedlern in Kanada erzählte Karl
Möller. Kanada scheint heute vielen noch das Land zu sein, in dem der Einwanderer sich leicht eine sichere 3ufunft bauen fann. Möllers Bericht zeigte den Leidensweg derer, die ohne größere Mittel herüberkommen. Land bietet sich ihnen anscheinend ohne große Schwierigkeiten; aber Arbeitskräfte sind für den kleinen Farmer zu teuer und die Absatzmöglichkeiten sind schlecht. Viele müssen den Boden, an dessen Bewirtschaftung sie ein oder auch mehrere Jahre hindurch alle Kräfte gesetzt haben, wieder im Stich lassen und arbeitsuchend das Land durchwandern. Der Landfremde hat es dabei besonders schwer; für ihn gibt es meist nur die härteste, am schlechtesten bezahlte Arbeit.
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Tes.
16.00 Aus Opern .( Alfredo Rubino, Bariton ; am Flügel: J. Bürger.) 16.25 Klaviermusik von Scott, Dohnanyi u. Liapunow.( Maria Koerfer, Flügel.) 17.00 Alte Waffen im modernen Sport.( Georg Skusa.)
17.20 Dr. J. E. Poritzky: Die Krise der geistig Schaffenden.
17.45 Unterhaltungsmusik.
18.30 Erich Frey liest eigene Erzählungen.
18.55 Dr. Max Osborn : Von der bildenden Kunst. 19.05 Dr. Monty Jacobs : Bernard Shaw .
19.25 Mitteilungen des Arbeitsamtes. 19.30 Tanzabend.
21.20 Tages- und Sportnachrichten.
21.30 Queens Hall, London : 9. Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik Sinfonie- Konzert. Dirigenten: Gregor Fitelberg, Constant Lambert , Alfred Casella. 1. Dukelsky: Sinfonie Nr. 2. 2. Constant Lambert : Musik für Orchester, 3. George Gershwin : An American in Paris.( Für Klavier und Orchester.)( B. B. C.- Sinf.- Orch., Leiter: Arthur Cateral.)
22.15 Wetter-, Tages-, Sportnachrichten. Abendunterhaltung.
Königswusterhausen.
17.00 William Wauer : Arbeitsunterricht.
17.30 Purcell, ein Klassiker der englischen Musik. 18.00 Dr. Parpert: Mönchium im Protestantismus . 18.30 Dr. Nikolaus Feinberg: Bücher über Rußland . 18.55 Wetter für den Landwirt.
19.00 Prof. Dr. Paul Günther: Alchemie und moderne Chemie.
19.25 Gartenbauinspektor Nicolaisen: Die Anpassung des Gemüsebaues an den Bedarf.
Wetter für Berlin : Wechselnd bewölkt und kühler, ftrichmeise Für Deutschland : Im etwas Regen, mäßige westliche Winde. Süden des Reiches heiter, teils bewölkt und vorwiegend troden. Im übrigen Reich veränderliches und fühles Wetter mit einzelnen Regenfällen.
Berantwortl. für die Redaktion: Herbert Lepere, Berlin : Anzeigen: Th. Glode, Berlin
. Berlag: Vorwärts Berlag G. m. b. S., Berlin . Drud: Borwärts Buchbruderei und Berlagsanstalt Baul Einger& Co., Berlin SW 68. Lindenstraße 3.
Sierzu 1 Beilage.
Im Westen nichts Neues
Der Film läuft ab 27. Juli nicht, wie irrtümlich im gestrigen Inserat aufgeführt, im Tivoli Tempelhof, sondern in den Tivoli- Lichtspielen Pankow , Berliner Straße 27, ferner ab 28. Jull bis 3. August in den Universum- Lichtspielen Reinickendorf - Schönholz, Provinzstr. 76 und ab 31. Juli im Filmpalast Baumschulenweg , Berlin - Baumschulen weg, Baumschulenstraße 78.
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