Nr. 351 48. Jahrgang
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1. Beilage des Vorwärts
Besuch in der Kinderrepublik.
Weit unten im Tal liegen die Zelte der Kinderrepublik. Heute| herrscht dort geschäftiges Treiben: es ist Sonntag. Eltern kommen aus der nahen Stadt, um ihre Kleinen zu besuchen und die Bauern aus der Umgegend wollen sich dieses neue Ereignis in ihrem gleichmäßigen Leben natürlich auch anschauen. Und für diese vielen Gäste müssen Vorbereitungen getroffen werden. Zelte werden geschauert, Schuhe geputzt und nicht zuletzt der eigene Körper im nahen Fluß einer gründlichen Reinigung unterzogen. Dann kommen sie alle; die besorgten Mütter und die tüchtigen Väter, jedes ein dickes Paket mitbringend. Aber sie mußten sich über
Das Zeltlager im Lahntal , vom Naturfreundehaus gesehen.
zeugen, daß ihre Kinder auch ohne Sondergaben vorzüglich untergebracht sind. Selbst bei faltem Regenwetter ist es auf den Strohsäcken in den dichten Zelten warm und gemütlich. Und wenn gar die Sonne lacht, kann es gar feinen besseren Platz geben, als hier inmitten von Wald, Wiesen und Wasser.
,, und gibt es denn auch genug zu essen?", fragt eine besorgte Mama.
,, Dh, mehr als wir vertragen fönnen", antwortet das ganze Belt, und gestern abend gab's Heidelbeeren. Hm, war das fein. Wir wollten, es gäbe zu Hause auch immer so Vieles und Gutes." Am Nachmittag zeigen dann die Gören, was sie alles können: Sprechchöre und Musikkapellen gestalten eine ernste Feier. Später wird es mit 3irfusaufführungen und Boltstänzen luftiger, bis die Abschiedsstunde schlägt und die Eltern mit einem fräftigen Freundschaft" ihre Kinder gern in der Obhut der Helfer und in gesunder Natur zurücklassen.
Dorf 3 in Gefahr!
Aus der Kinderrepublik„ Lübecker Bucht ". Achthundert Falten aus Berlin und Brandenburg hatten ihre Belte, so schreibt man uns aus der Kinderrepublik Lübecker Bucht ", aufgebaut. Sechs Dörfer standen. Am vierten Tag setzte Regenwetter ein. Morgen wird es wieder schön", hieß es. Aber auch am nächsten Morgen hing der Himmel voll grauschwarzer regenschwerer Wolken. Immerzu regnete es. Der steinharte Boden wurde weich und flitschig. Soll sich eine Kinderrepublik vom Regen einschüchtern lassen? Nein! Und das große
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لاجان
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Aühle 12 m²
VON
1. ILF UND F. PETROW
,, Ordnung muß sein," murmelte er, jede fremde Kopeke muß notiert werden."
Dann begab sich der große Kombinator auf einem Bergmeg eilig zum Abhang.
Eine schmale, in den Felsen gehauene Galerie führte in eine tegelartige, sich nach oben hin verengende Schlucht. Die Galerie mündet in einen kleinen Balkon, von dem aus man in der Tiefe der Schlucht die kleine Pfütze einer malachitfarbenen stinkenden Flüssigkeit sehen konnte. Diese Schlucht gehörte zu den Sehenswürdigkeiten von Piatigorst und täglich besuchten sie viele Exkursionen und eine Menge Touristen.
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Ostap hatte die Sachlage sofort übersehen und war zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Schlucht für einen vor= urteilslosen Menschen eine gute Einnahmequelle bilden konnte. Merkwürdig dachte Ostap- wieso ist diese Stadt bis jetzt noch nicht auf die Idee gekommen, für die Schlucht Eintrittsgeld einzuheben? Ich glaube, es ist dies der einzige Ort, an den die Piatigorffer die Touristen kostenlos hinein laffen. Ich werde diesen Schandfleck auf dem Ruf der Stadt ausmerzen und die Nachlässigkeit forrigieren.-
Und Ostap handelte, wie ihm sein Verstand, der gesunde Instinkt und seine Situation diftierten.-
Er postierte sich am Eingang in die Galerie, schwenkte seinen Billettstock in der Luft und rief von Zeit zu Zeit aus: Bitte, Karten zu lösen. Bürger zehn Ropeken, Kinder und Rotgardisten Eintritt frei. Studenten fünf Kopeken. Wer nicht Mitglied von Berufsverbänden ist, dreißig Kopeten."
Ostap hatte richtig fombiniert. Die Piatigorster besuchten die Schlucht nicht und es war leicht, von einem Sowjet- Touristen zehn Ropeken Eintrittsgeld, wohin es auch sei, zu betommen. Gegen fünf Uhr hatte Ostap bereits sechs Rubel einfaffiert.
Gegen Abend langten zwei Droschten mit einer Erfursion Charkower Miliz bei der Schlucht an. Ostap erschrat und wollte schon das Gehaben eines harmlosen Touristen an nehmen, die Milizleute aber näherten sich bereits schüchtern
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Zelt war ja da. Dort versammelten sich alle Kinderrepublikaner zur Vollversammlung. Alle standen sie weiter zur Kinderrepublik: Mag es regnen, wir halten Disziplin, wir werden durch halten!" Dann spielte der Kasper im großen Zelt. Was gab das für einen Spaß! Man wußte schon gar nicht, daß draußen so unfreundliche Wettergesellen am Werk sind. Der Sturm wurde gegen Abend heftiger. Trotzdem verlief auch dieser Tag glänzend. Regen und Sturm ließen nicht nach. Alle Zelte wurden gut verschlossen, die Zeltgräben nachgesehen, die Abflußgräben tiefer ge= graben, die Spannung nachgesehen, die Heringe tiefer in die Erde geschlagen. Der Sturm tobte um die Zelte. Wie rollender Donner hörte fich das im Zelt an. Unaufhörlich plätscherte der Regen. Kaum ertönte der Ruf, und schon war Hilfe da. In Dorf 3 wollte das Wasser die Oberhand gewinnen. Alle wollten dem Dorf helfen: Helfer, Rote Falken, ja jogar Jungfalken wollten mittun. Tiefe Gräben wurden gezogen, um das Wasser abzuleiten.
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Da ging die Geschichte auch schon im Dorf 6 los. Das Dorf auf dem Berge kämpfte mit dem Sturm. Vier Zeltgemeinschaften mußten ausziehen. Es waren Jungfalken. Sofort wurde in anderen Zelten für die Vertriebenen Platz freigemacht. Die Roten Falken nahmen die Jungfalken auf. Wie in Seekamp", sagten sie ,,, wir sind zu jeder Hilfeleistung bereit!" Alle anderen Zelte hielten stand. Nur im großen Zelt wütete der Sturm mit stärkerer Wucht. Von allen Seiten kamen die Windstöße und sammelten sich in dem weiten Raum, bis durch einen ungeheuren Stoß das Riesenzelt zusammenkrachte. Das war ein schwerer Berluft. Nichts blieb als ein Trümmerhausen. Wie ein abgestürzter Flieger sieht das aus", sagten die Falken.
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Das Unwetter ist vorüber. Was hat es in der Kinderrepublik angerichtet? zu Schaden ist niemand gekommen. Aber das, was selbstverständlich erwartet wurde, hat eingesetzt: erhöhte Solidarität, gesteigerte Hilfsbereitschaft, starkes Zusammenhalten. Das Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Kinderrepublik wuchs. Noch einen anderen Gewinn fönnen wir buchen: Das schlechte Wetter hat den Erfindergeist der Falken angeregt, hat sie noch arbeitsfreudiger
Donnerstag, 30. Juli 1931
Zeppelin auf Rückflug.
Heute Eintreffen in Leningrad .
Wie die Hamburg- Amerika- Linie mitteilt, befand sich das Luftschiff ,, Graf Zeppelin " in den Vormittagsstunden des 29. Juli wieder über Nowaja Semlja . Nach weiteren bei der Hamburg- Amerika- Linie eingetroffenen Meldungen hat das Luftschiff ,, Graf Zeppelin " Kurs auf Leningrad genommen, wo es heute eintreffen wird.
Der Funkleiter der Landstation des Luftschiffbaues, Speck, der auf Veranlassung Dr. Eckeners mit einigen Mitgliedern der Deutschen Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegraphie während der Polarfahrt des Luftschiffes die Beobachtung des Funkdienstes bei der Bodenfunkstelle übernommen hat, teilt mit, daß mit einer Funkverbindung nach Ueberschreiten des 80. Grades( Polargrenze) nicht mehr gerechnet wurde. Etwas Hoffnung, die allerdings für die Nachtzeiten vorhanden war, erfüllte sich nach Ueberschreiten der Polargrenze nicht mehr. In der Nacht verkehrte das LuftSchiff mit dem Dampfer Resolute", der sich auf der Fahrt von Reykjavik nach Spitzbergen befindet. Die letzte direkte Verbindung, die die hiesige Funkstelle mit dem Luftschiff hatte, war in der Nacht von Montag auf Dienstag mit recht guter Lautstärke. Die verabredeten Zeiten mit dem Luftschiff„ Graf Zeppelin " werden bei Tag und Nacht immer genau eingehalten, jedoch konnte selbst die Großfunkstelle Norddeich keine Verbindung mehr mit dem Luftschiff erhalten. Telegramme, die im Küstenfunkstelle Bardo, die sie teils durch Funktelegraphie, teils durch Laufe des Montag einliefen, beförderte das Luftschiff über die schiff auf Kurzwelle nichts mehr hörte, ist lediglich auf besondere Kabel weiterleitete. Daß man aus der Polargegend vom Luftatmosphärische Verhältnisse zurückzuführen, zumal dort feine Nacht, sondern nur ein vorübergehender Dämmerzustand herrscht, der vermutlich und erfahrungsgemäß die Kurzwellen in ihrer Ausdehnung beeinträchtigt.
werden laffen. Neue Möglichkeiten entstanden, um die Zelte noch 180 000 Mart unterschlagen. 180000
besser vor Wind und Wetter zu schützen. Nach Zeitungsberichten soll auch in Berlin ein Unwetter gewesen sein. Dort wurden
Sonntäglicher Besuch.
Häuserdächer beschädigt. Bei uns hat kein Falte Schaden genommen. Im Gegenteil: Wir können stolz auf unsere Kinderrepublik sein, in der wir in dieser Situation sozialistische Gemeinschaft erlebten.
Wie das Städtische Presseamt milteilt, wurde gestern bei einer unerwartet vorgenommenen Revision bei der städtischen Beschaffungsstelle umfangreiche Unterschlagungen aufgedeckt. Die unterschlagene Summe beläuft sich, wie die Nachprüfung ergab, auf 180 000 Mart. Die Berfehlungen reichen drei Jahre zurück. Der schuldige Büroangestellte erh war seit 1919 Angestellter der Stadt Köln und hatte in den verschiedenen Verwaltungsstellen, in denen er beschäftigt war, ungetrübtes Vertrauen genoffen. Seine bescheidene Lebensweise ließ nie irgend einen Verdacht gegen ihn aufkommen. Er machte äußerlich einen fast ärmlichen Eindruck. Zum Berhängnis ist ihm feine Wettleidenschaft geworden. Bei seiner Bernehmung gab er an, er habe zu drei Buchmachern in Köln in Beziehung geffanden und gelegentlich mehrere tausend Mart auf ein Pferd gesetzt.
Heringssegen aus deutschen Fängen.
Täglich werden jetzt gewaltige Mengen Heringe aus deutschen Fängen angebracht. Die diesjährigen Heringsschwärme zeigten sich etwas früher als im Vorjahre. Die deutschen Fischer haben zurzeit alle Hände voll zu tun, um den reichen Heringssegen zu bewältigen. Durch den Hering erhalten wir bekanntlich auch den Bückling( den geräucherten Hering) sowie die verschiedenen anderen Heringsprodukte.
dem großen Kombinator, so daß ein Rückzug unmöglich war.| Amerikanerin hatte nämlich fürzlich eine Vergnügungsfahrt So rief denn Ostap mit ziemlich fester Stimme: Mitglieder zu den Sandwich- Inseln unternommen. von Verbänden zehn Kopeken, da aber Angestellte der Miliz als Studenten oder Kinder angesehen werden können, so i zahlen sie fünf Kopeken."
Die Beamten der Miliz zahlten und fragten diskret, zu welchem Zweck dieses Geld verwendet würde.
Zur gründlichen Restaurierung der Schlucht," erwiderte Ostap dreist ,,, damit sie nicht so abschüssig ist."
Während der große Kombinator derart geschickt mit der Aussicht auf die malachitfarbene Pfütze handelte, stand Worobjem gebückt unter einem Akazienbaum und kaute, vor Schande glühend, an den beiden Säßen, die ihm der große Kombinator eingetrichtert hatte.
,, Messieurs, je ne mange pas... Geben Sie mir bitte... Geben Sie dem Duma- Deputierten etwas..." Die Leute gaben Geld her, aber mißlaunig.
,,, Geben Sie dem gewesenen Dumamitglied etwas!" murmelte der Vorsitzende.
,, Sie waren also wirklich Mitglied der Duma?" vernahm Worobjem an seinem Ohr. Sie waren tatsächlich bei den Sitzungen anwesend? Ach, ach! Hohe Klasse!"
Worobjem hob die Augen und war starr. Der dicke Awessalom Wladimirowitsch Iznurenkow sprang wie ein Sperling vor ihm her. Er hatte seinen braunen Lodzer Anzug gegen einen weißen Rock und eine hellgraue Hose eingetauscht. Iznurenkow hatte Worobjem nicht erkannt und überschüttete ihn mit Fragen.
,, Sie haben also wirklich Rodzianko gesehen? War Purischkewitsch wirklich fahlköpfig? Ach, ach! Welches Thema, was für Perspektiven! Hohe Klasse!"
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Iznurenko drückte dem überraschten Vorsitzenden einen Dreirubelschein in die Hand und lief davon. Und lange noch war seine dicke Gestalt im Blumengarten zu sehen und man war seine dice Gestalt im Blumengarten zu sehen und man hörte, als töne es von den Bäumen: Ach, ach! Meine Schöne, finge mir nicht die Lieder des traurigen Georgien ! Ach, ach! Sie erinnern mich an ein anderes Leben und an fremde Länder!... Und am Morgen, da lächelte sie wieder... Hohe Klasse!"
Worobjem aber stand andauernd da, mit gesenktem Blick. Und schade, daß er so dastand, er sah vieles nicht.
In der duftenden Dunkelheit der Pjatigorsker Nacht spazierte Elly Schtufina in den Parkalleen und schleppte den milden Ernst Pawlowitsch mit sich, der sich indes mit ihr verföhnt hatte. Die Reise in den Kurort war die letzte Phase, in dem schweren Kampf mit der Banderbilt- Tochter. Die stolze
,, Ho- ho!" tönte es in der nächtlichen Stille.„ Schön, Ernestulja! Wunder- bar!"
Und im Büfett, vom Licht der Lampen beleuchtet, saß der Dieb Alchen mit seiner Gemahlin Safchi. Ihre Wangen waren wie früher mit dem Kaiser- Nikolai- Backenbart geschmückt. Alchen aß verschämt gebratenes Schöpfenfleisch und trant dazu Kachetinsti- Wein N2, Saschi liebkoste ihren Badenbart und wartete auf den bestellten Störfisch.
Nach der Liquidation des sozialen Fürsorgehauses war alles verkauft worden, einschließlich der Leinenmüße des Roches und der Devise: Wenn du die Nahrung sorgfältig durchkauft, so hilfst du der Allgemeinheit." Alchen hatte beschlossen, auszuruhen und sich zu amüsieren.
Worobjem ging erst zur Quelle, als die Musiker ihre Instrumente zusammenlegten. Das Sonntagspublikum ent= fernte sich langsam, und nur die Liebespaare blieben in den Alleen des Blumengartens zurück.
,, Wieviel hat es getragen?" fragte Ostap, als die gebückte Gestalt des Vorsitzenden an der Quelle erschien.
,, Sieben Rubel neunundzwanzig Ropeken. Ein Dreirubelschein darunter, alles andere Silber und Kupfer."
Für ein erstes Auftreten wunderbar. Kissa, Sie gefallen mir! Ich möchte aber wissen, welcher Narr Ihnen den Dreirubelschein gegeben hat!"
Iznurenkow hat mir ihn gegeben."
,, Nicht möglich! Awessalom? Die Kugel? Wo ist sie hingerollt! Haben Sie mit ihm gesprochen? Ach, er hat Sie wohl nicht erkannt!"
,, Er hat mich über die Duma ausgefragt und war vergnügt."
,, Sehen Sie, Vorsitzender, es ist gar nicht so schlimm, Bettler zu sein, besonders bei mittelmäßiger Bildung, und wenn man dazu die richtige klägliche Stimme hat! Auch ich, Rissotschka, bin indessen nicht müßig gewesen. Fünfzehn Rubel. Es wird langen!"
Am andern Morgen bekam der Monteur das Geld und brachte am Abend zwei Stühle. ,, Den dritten Stuhl zu nehmen, war nicht möglich", sagte er, das Orchester hat darauf Karten gespielt."
Die Freunde stiegen bis auf den Gipfel des Berges Maschuf, um in Sicherheit zu sein.
Ostap sah gegen den sternenbedeckten Himmel und nahm die erprobte 3ange aus der Tasche.
( Fortsetzung folgt.)