Beilage
Sonnabend, 1. August 1931
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Der Abend
Shalausgabe des Vorward
Vier Jahrzehnte Rüstungswahn
Das Menetekel für die Abrüstungskonferenz
Wie in den Jahren vor 1914 gleicht Europa heute wieder einem riefigen waffenstarrenden Lager. Während die Rüstungen auf einen ungeahnten Stand gebracht werden und Heeresdepots und Marinearsenale sich mit neuen mörderischen Waffen füllen, ergehen sich Europas Staatsmänner in Beteuerungen ihrer unbedingten Friedensliebe und Friedenspolitik. Man will den Frieden und bereitet den Krieg vor. Dieser innere Gegensah muß das ruhelose Europa in neue Konflikte stürzen, denn wie sollen Rüstungen und Friedenspolitik vereint werden, wo jede Rüstungspolitik ganz zwangsläufig mit einem allgemeinen Wettrüsten, dieses aber mit der Katastrophe enden muß?
Kriegsschuld- Rüstungsschuld
Die Entstehung und der Verlauf des europäischen Wettrüstens, das in den letzten Jahren vor 1914 ein geradezu ungeheuerliches Tempo angenommen hatte, ist in einem neuen Wert des Reichs= archivs zusammengefaßt, das erstmalig in allen Einzelheiten die Rüstungspolitik der Vorkriegszeit untersucht: Weltkrieg 1914/18. Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft. Blg. E.S. Mittler u. Sohn, Berlin .
Das Wert befaßt sich nicht mit der Kriegsschuldfrage. Und doch wird es zu einer flammenden Anklage! Zu einer Anklage, die nicht ein Land mit der Alleinschuld am Ausbruch des Weltkrieges belastet, sondern die internationale Rüstungspolitit als entscheidende Kriegsursache anprangert.
In dem ersten Jahrzehnt nach dem 70er Kriege läßt sich von einem europäischen Wettrüsten noch nicht reden. Frankreich führte zwar nach den Erfahrungen des letzten Feldzuges eine umfassende Heeresreform durch, die infolge erhöhter Kaderzahlen nicht nur den Stand der deutschen Heeresstärke erreichte, sondern diese sogar überflügelte, doch führte dies zunächst nicht zu deutschen Gegenmaßnahmen. Erst mit dem Umsichgreifen des Boulangismus in Frankreich sah sich Bismarck zu einem nachhaltigen Antreiben der deutschen Rüstungen veranlaßt. Der 1886 zum Kriegsminister ernannte General Boulanger hatte als schärfster Verfechter der Revanchepolitik die Volksleidenschaften in einem Maße gegen Deutschland aufgehetzt, daß Bismard entgegen seiner seit 15 Jahren betriebenen Politit die sofortige Einbringung einer großen deutschen Heeresvorlage vorsah.
Die Aehnlichkeit dieser Vorgänge mit den jüngsten politischen Ereignissen in Deutschland ist frappierend. Damals Revanchege schrei und Rüstungsfieber um Boulanger, heute um Hitler , Seldte und Seedt. Nur ein Unterschied gegen damals. Heute
,, Labt Euch die Stiefel putzen, meine Herren!" find in Deutschland und in Europa Kräfte rege, die sich gegen die nationalistische Verhegung, gegen die Aufrüftung stemmen, Kräfte, die leidenschaftlich um die allgemeine Ab rüftung fämpfen, von der in der europäischen Staatspolitit der Vorkriegszeit nicht die Rede war.
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Bemerkenswert sind die internen Kämpfe, die um die Jahrhundertwende zwischen den führenden deutschen Militärs wegen der Heeresreformen geführt wurden. Der Forderung des Generalstabschefs v. Schlieffen , im Hinblick auf das Gespenst des 3weifrontenkriegs" die möglichst starke Heranziehung der wehrfähigen Bevölkerung zum aktiven Dienst, dementsprechend also eine entsprechende Erhöhung des Friedensstandards, durchzuführen, stieß bei Vertretern des Kriegsministeriums auf scharfen Widerstand. So beurteilte der spätere Armeeführer im Weltkriege und damalige Oberst von Einem als Chef der Armeeabteilung im Kriegsministerium die Situation schon zu Anfang dieses Jahrhunderts durchaus richtig, als er dem Generalstab schrieb:
„ Aber dieses Wettrüsten muß doch einmal ein Ende nehmen, und es muß der Augenblick kommen, wo der zur Vermehrung der Streitkräfte antreibende Generalstabschef sich mit dem begnügen muß, was ihm die Heeresverwaltung zur Verfügung stellen kann. Jede gesunde Organisation hört auf, wenn jede Truppenvermehrung des vermeintlichen Gegners ohne weiteres bei uns eine folche nach sich zieht."
Er
Auch der Nachfolger Schlieffens im Generalstab v. Moltke war zunächst kein Freund einer mechanischen Heeresvermehrung. hielt( 1907) den Rüstungsstand bei den Hauptwaffen für so weit ge= fördert, daß der Rahmen der Armee auf längere Zeit als stetig angesehen werden könne".
Was lag näher, als daß die verantwortlichen Leiter der deut schen Politik diese von dem Generalstab freiwillig eingelegten Rüstungsfeierjahre" außenpolitisch zu einer nachhaltigen Entspannung der gesamteuropäischen Lage nutzbar machten! Aber weit gefehlt! Die von allen guten Geistern verlassene Führung in der Aera Bülow unternahm dessen ungeachtet auf der Haager Friedenskonferenz 1907 einen Borstoß zur Sabotage der vom zaristischen Rußland vorgeschlagenen Rüstungseinstellung, der Deutschland in eine verzweifelte Isolierung hineinmanövrierte und ihm den Matel der Kriegstreiberei aufdrückte.
Im Rüstungsfieber
Barg das erste Jahrzehnt unseres. Jahrhunderts mit der Maroffofrije 1905, der wachsenden deutsch - englischen Spannung in der Flottenfrage schon Konfliktsstoffe genug, waren auch in dieser
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Lohn für geleistete Dienste.
Der Dank des Vaterlandes...
Epoche die Rüstungen technisch laufend ausgebaut worden, so erschien diese doch gegenüber den mun folgenden Jahren mit ihrem unheimlichen Rüstungstempo wie eine Dafe des Friedens. Es schien, als ob alle zerstörenden Kräfte in Europa zugleich zum Ausbruch drängten. Für die Rüstungsfanatiker und die Kriegsindustrie brachen herrliche Zeiten an..
die völlige Gleichartigkeit ihrer Schlagworte diesseits und jenseits Charakteristisch für die Rüftungspropaganda aller Zeiten bleibt der Grenzen. Fast auf das Haar gleichen Aeußerungen und Forderungen führender deutscher Militärs aus der Borkriegszeit den Thesen, die bis in unsere Tace in Paris aufgestellt wurden.
" Wir wollen nicht erobern, sondern nur verteidigen, was wir befizen. Wir werden wohl nie die Angreifenden, sondern stets die Angegriffenen sein.( Generalstabschef v. Schlieffen 1901/02 im Entwurf eines Operationsplans.)" Wir müssen allein in der Stärke, die wir unserer Wehrmacht im Frieden geben, die Sicherheit suchen,.. daß der Feind nicht an Unternehmungen denkt, die unsere Schwächen fennzeichnen..."( Generaloberst v. Moltte an den Kriegsminister.) Das sind die gleichen Worte, die wir heute in Europa bis zum Ueberdruß gehört haben und die doch nur zur Verschleierung des Abrüstungswiderstandes dienen, so wie sie damals zur verstärkten Aufrüstung herhalten mußten. Aber weder hat damals die forcierte Rüftung Europa vor einem Weltkrieg ges fichert", noch wird sie jemals ein wirksamer Sicherheitsfaktor sein, sondern nur zur Erregung nationalistischer Instinkte dienen.
Der zweite Marottokonflikt im Jahre 1911 fah die beiden argwöhnischsten Rüstungsgegner Deutschland und Frankreich mit fast gleich starten aftiven Heeren . In Deutschland standen 25 880 Offiziere und 609.000 Mann und in Frankreich 28 650 Offiziere und 579 000 Mann unter den Waffen. Infolge seiner viel geringeren Bevölkerungszahl hatte Frankreich 83 Proz. aller Wehrfähigen eingezogen, Deutschland , bisher nur 51,3 Proz. Dieses Verhältnis änderte sich dann aber wesentlich.
Die Tirpitzsche Flottenpolitit, die sich gegen die Heerespolitik immer stärker durchzusetzen schien, rief Generalstab und Kriegsministerium auf den Plan, die 1912 im Reichstag eine Heeresvermehrung um fast 30 000 Mann und Errichtung zweier neuer Armeekorps bezirke durchsetzen fonnte.
Zu unseren Bildern
In unseren Schulbüchern stand viel über Krieg und Sieg, über Feldherren und Heerführer. Aber kein Lesebuch gedachte der Opfer dieser Kriege. Die offizielle Kunst der Höfe und des Bürgertums schilderte nur Kampf und Sieg; aber im Bolke hatte man die Kriegsfolgen immer vor Augen. Schon im Jahre 1633( mitten im Dreißigjährigen Krieg) hat der Lothringer Jacques Callot Militärjustiz, Räubereien, Plünderungen, Ueberfälle, Brandstiftun in erschreckend lebendigen Radierungen das Elend seiner Zeit: gen, Foltern und Schändungen von Frauen, dargestellt. In unsicht= schrei der Gemordeten, Gequälten und Mißhandelten:„ Nie wieder baren Lettern trugen seine Darstellungen als Ueberschrift den Note schrei der Gemordeten, Gequälten und Mißhandelten:„ Nie wieder Krieg!"
Im Dorf 3izenhausen am Bodensee blühte vom Anfang bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Manufaktur von Terrakotten, deren heute sehr selten gewordene Erzeugnisse Beispiele einer derben, gefunden und urwüchsigen Volkskunst waren. Ihr Verfertiger( Anton Sohn ) hat sie zwar nicht selbst erfunden, aber er hat es verstanden, seine Vorbilder plastisch neu zu gestalten und zu mahrer, lebendiger Volkskunst umzuformen. Unser Zeichner gibt in den neberstehenden Zeichnungen einige dieser Terrakotten wieder, die den Galgenhumor eines Bolles zeigen, das jahrzehntelang einen Krieg dem anderen folgen sah. Bitterste Ironie stedt in dem Bilde mit den beiden Kriegskrüppeln, die ein Blatat halten, das im oberen Teil einen alten Esel zeigt, der, zü alt zur Arbeit, den Rindern zum Zeitvertreib dient, und das unten einen Hund darstellt, der im Alter nicht einmal das Gnadenbrot mert ift, und der von seinem Herrn erschossen wird. Unterschrift:„ Für geleistete Dienste." Solche Darstellungen sprechen in ihrer ungefünftelten Einfachheit die Meinung des Volkes aus, das, vor dem Kriege nicht gefragt, nachher allein das Elend zu schleppen hat.
In Frankreich und Rußland fand diese außerparlamentarische deutsche Rüstungsverstärkung stärksten Widerhall. Die öffentliche Meinung Frankreichs sah darin nur die Absicht, zum Angriff gegen die westlichen Nachbarn und gegen den europäischen Frieden
zu rüsten. Die Regierung( Poincaré ) wurde aufgefordert, die Schlagfertigkeit des eigenen Heeres meiter zu steigern. Rußland wurde gedrängt, seine Heeresreorganisation mit Hilfe der französi schen Milliarden mehr denn je zu beschleunigen.
Fertig zur Zündung
Als der Balkankrieg 1912 eine neue schwere Krise und ein rapides Anwachsen des russischen Einflusses in Südosteuropa mit sich gebracht hatte, stellte der Kaiser in einer militärischen Sizung eine weitere Heeresverstärkung zur Debatte. Er stieß hierbei aber bei dem Kriegsminister v. Heeringen auf harten Widerstand, der die faiserlichen Pläne als undurchführbar bezeichnete. 3u gleicher Zeit hatte der damalige Oberst Ludendorff unabhängig von dieser Beratung ein Projekt zu einer Heeresverstärkung ausgearbeitet, die eine Neuaufstellung von drei weiteren Armeekorps neben zahlreichen anderen Forderungen vorsah. An dem nötigen Druck gegen den " weichen" Kriegsminister ließen es die Rüstungsfanatiker nicht fehlen. Ein Brief Heeringens hierzu besagt:
„ Durch die Treibereien des Wehrvereins und der Alldeutschen ist außerdem das Mißtrauen weiter Volkskreise in unsere Kriegsstärke geschürt worden.... Als Kriegsminister fann ich mir von Seiner Majestät dem Kaiser und in der Deffentlichkeit nicht dauernd den Vorwurf machen lassen, daß ich ungenügend für die Stärke der Armee forge."
Dachte auch Heeringen nicht daran, dem phantastischen Projekt Ludendorffs mit einer sofortigen Erhöhung des Refrutenkontingents um 150 000 Mann nachzugeben, so bewogen ihn doch die Nach richten, die der Generalstab aus Frankreich über die beabsichtigte Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit erhalten hatte, doch, dem Reichstag jenes Milliardenprogramm vorzulegen, zu dessen Deckung der einmalige Wehrbeitrag erhoben wurde. Das jährliche Rekrutenkontingent wurde mit dieser
Heeresvorlage um 60 000 Mann erhöht.
August das französische Parlament die Vorlage der dreijährigen Am 30. Juni 1913 nach der Reichstag die Vorlage an, Anfang Dienstzeit. Rußland hatte sein Heer im gleichen Jahre durch Ein
behaltung eines Reservistenjahrganges von 1,4 auf 1,7 millionen Mann heraufgefeßt. Ungeheuerlich waren die Lasten, welche die
Trenne moi donc le bras, Camerad ,, Reich mir den Arm, Kamerad!"
Heeres- und Marineetats den Völkern auferlegten. Phantastisch muteten die Steigerungen gegenüber dem letzten Jahrzehnt an. Bei den europäischen Großmächten betrugen die Ausgaben für Heer und Marine zusammen in Millionen Mark:
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England
902.
Deutschland Frankreich Rußland Jahr Gesamt. Belast. Gesamt. Belaft. Gesamt- Belaft. Gesamt Belast. Ausgabe pro Kopf Ausgabe pro Kopf Ausgabe pro Kopf Ausgabe pro Kopf 9. M. M. M. M. MR. 1313 30,5 1048,3 7,20 1367 30,3 1435,1 8,70 1441,7 32,0 1414,7 8,60 1464 32,3 1408,7 8,45 32,9 2049,9 11,70
1904 966 16,38 949,3 24,2 1910 1376 21,31 1176,8 29,9 1911 1391,4 21.40 1260,7 32,2 1912 1546 23,18 1299,9 32,8 1913 2110,8 31,27 1326,7 33,5 1491
Die Waffen nieder!
Die Dinge waren so weit gediehen, daß Europa Anfang 1914 einer bis zum Bersten mit Explosivstoff gefüllten Bulver= fammer glich. Der kleinste Funken mußte genügen, um eine Katastrophe herbeizuführen. Und dieser Funken sprühte im Juni, 1914 in der fleinen unbekannten Stadt Serajewo auf.
Europa , dieser friedlose, krisengeschüttelte Erdteil, liegt wieder im Rüstungsfieber. Ungeachtet aller Schrecken, die ein künftiger chemisch- technischer Krieg erwarten läßt, ist die Abrüstung in Europa bisher keinen Schritt vorwärts gefommen. Faschistische, und halbfaschistische Diktaturen sowie die Sicherheitspsychose in Frankreich haben sie bisher verhindert. Schon in wenigen Monaten, Anfang nächsten Jahres, wird in Genf der Kampf um die Abrüftung in sein entscheidendes Stadium treten. geht für Europa um höchsten Einsatz!
Es
Europa darf sich durch einen erneuten Mißerfolg in der Abrüstungsfrage nicht der Gefahr einer allgemeinen Aufrüstung aussetzen. Aufrüften heißt Wettrüsten und Wettrüsten führt bei den vorhandenen Konflittstoffen unweigerlich zu neuem Krieg. Welcher Staatsmann und welches Volf will in Genf die Verantwortung auf sich laden, Europa auf den Weg zu drängen, der noch die Blutspuren von 1914 aufweist? Rolf Bathe.