Einzelbild herunterladen
 
  
Geita&e Moniag, 3. August 1931 SprÄbpnö SfinJauifaSh 4a VofUHxsA Die Erfüllungspolitik des Freiherrn   vom Stein Die schwarzweißroten Revanchehetzer berufen sich zu Unrecht auf ihn-- Von Hermann Wendel  Da dieses Jahr der Verfafsungstog im Zeichen des Freiherrn  vom Stein stehen soll, bietet sich unserer verantwortungslosen Rechten Gelegenheit zu der gleichen schalen Posse, die sie schon zu seinem hundertsten Todestag aufgeführt hat. Da tobten die Hetz- blätter Hugenbergscher und Hitlerscher Observanz gegen den Versuch, den Reformer Preußens zu einem Eideshelfer der Weimarer   Ver- faffung zu machen, und im Preußenparlament reckte sich sogar ein knirpsiger Nichtswisser schwarzweißroter Couleur. weil.E e v e r i n g < aus dem Reichsfreiherrn einen Sozialdemokraten gemacht habe. In Wahrheit ist solcher oder ähnlicher Unsinn niemand eingefallen: die fe sozialdemokratische Presse hat durchaus nicht verschwiegen, wie ff Steins Gesicht nicht nur der Zukunft, sondern auch der Ver- gangenheit zugekehrt war: wären die sozusagen geistigen Führer des Hakenkreuzklimbims nicht durch die Bank ausgesprochene Analpha- beten, hätten sie Franz Mehring   anführen können, der schon 1Sl2 in derWiederherstellung mittelalterlicher Korporativbildungen aus moderner Grundlage" den Kern von Steins Weltanschauung sah und betonte:Ueber den ständischen Staat ist er nie hinaus- gekommen, und nichts ist verkehrter, als wenn ihn der heutige Liberalismus zu seinen Heiligen zählt." Dafür heißt es den Tatsachen brutalste Gewalt antun, will man Stein, wie es dieDeutsche Zeitung" unternimmt, als ausgesprochen völkisch im Sinne der heutigen nationalen Rechten" hinstellen oder sich gar zu der Behauptung versteigen, daßall die großen Gedanken Steins im Ralionolsozialismus ihre glanzvolle Auferstehung gefunden" hätten: dasselbe Blatt, natürlich derVölkische Beobachter", bei dem neulich Hans R e i m a n n mit Recht an- fragte, wann endlich er denn eine Ausgabe für Erwachsene herausbringe, hat die Stirn, auszusprechen, Stein sei für die Gegenwart in der Gestalt Hitlers   lebendig geworden. Stein und Hitler   warum nicht? Es ist nur ein kleiner Unterschied, etwa wie der zwischen Immanuel Kant   und demWeißenkäse"- Propheten Weißcnberg! Aber Tatsachen, an Tatsachen waren die Festartikel des Völkischen Beobachters", desAngriffs", derDeutschen Zeitung" und der.Lreuz-Zeitung" merkwürdig arm. Ein paar knappe Schlag- warte wie Bauernbefreiung und Städteordnung, aber nichts vom wahren Werk und Wesen Steins, dessen Bild in dem üblichen Phrasennebel verschwand. Verständlich genug! Denn so ost ist den Nachläufern der Hakenkreüzfahne das Preußen Friedrich W i l h e l m s I. und Friedrichs Il> als Ädeal verkündet worden, daß man ihnen schon verheimlichen muß, wie Stein diejen in der Trennung, der Stände und. in der obrigkettlichen Bevormundung ein- gefrorenen Kommißstaat mit seiner übermütigen Herrenkafte: dem Gcburtsadel, und seinen stumm kuschenden Untertanen verneinte und verwarf und von Grund auf umzukrempeln strebte. Auch der Versuch, Steins Reformideen zu den.Irrlehren des Westens", zu den Leitgedanken der Großen Revolution in strikten Gegensatz zu bringen, rechnet mit Lesern, die vom Wesen dieser Reform im einzelnen nichts erfuhren. Denn was anderes als ein starker Widerhall des Jahres 1789 war feine Forderung:Man muß die Nation daran gewöhnen, ihre eigenen Geschäfte zu verwalten und aus jenem Zustande der Kindheit binauszutreten, in dem eine immer unruhige, immer dienstfertige Regierung die Menschen halten will!" Mit Fug sagt Steins tief- gründigster Biograph, Max Lehmann  : War es nicht die S p r a ch e d e r Menschenrechte, wenn er gegen Unterdrückung und für Freiheit, Selbständigkeit, Eigentum, Schutz der Gesetze seine Stimme erhob? Er stimmte mit den Franzosen übcrein in der Tendenz aus Emanzipation des I Bauernstandes, auf Befreiung von Gewerbe und Handel, auf Egolisierung der Steuern, in dem Prinzip der Einkommensteuer, in der Trennung von Justiz und Verwaltung, in der Beseitigung der Patrimonialgerichtsbarkeit, in der Abneigung gegen die Zünfte, in der Annahme des territorialen Einteilungsprinzipes für die Verwaltung wie für die Gerichtsbarkeit. Nicht minder in der Zentralisierung dessen, was dem Staat und der Bürokratie verbleiben sollte, also in der Organisation der Ministerien, der Aufhebung der Binnenzölle und der Errichtung von Gren.zzöllen, der Kreierung einer Generalstaatskassc. Für letztere zitierte er geradezu die Protokolle der Nationalversammlung." Oa, es hotte schon seine Gründe, wenn jene Schichten, die sich heute im Lager derKreuz-Zeitung  ", derDeutschen Zeitung" und desVölkischen Beobachters" sammeln, die Anbeter des Ewig- gestrigen, die Ablehner des Neuen, die Junker und Junkergenoffen Stein wie die Pest haßten, und wenn der Minister v. Voß in ihrem Namen die Reformer bei Friedrich Wilhelm IH. als Demokraten, als Befürworter einer konstitutionellen Monarchie, als Anhänger der Prinzipien der Pariser Konstituante anschwärzte. egur pst! pst! davon dürfen die Leser der rechtsradikalen Blätter ebensowenig vernehmen wie von der dumpfen Abneigung, mit der der Hohenzoller S t e i n als einenwiderspenstigen, trotzigen. hartnäckigen und ungehorsamen Staatsdiener" verfolgte oder von den niedrigen Ränken, mit denen die preußische Luise zum Sturz des unbequemen Staatsmannes beitrug. Um den monarchistischen Nerv derer, die auf Hugenberg und Hitler   schwören, nicht zu reizen, fehlt selbstverständlich auch Steins mannhaftes Wort gegen das Lumpengesindel der deutschen Fürsten", und inDeutscher Zeitung".Angriff" undVölkischem Beobachter" prangt zwar der berühmte Ausspruch des Reformers:Ich habe nur ein Vater- land. das heißt Deutschland  ", aber der nicht minder bedeutungsvolle Nachsatz:Mir sind die Dynastien in diesem Augenblick großer Entwicklung vollkommen gleichgültig" wird von allen drei Blättern gewissenhaft unterschlagen. Vor allem aber dient Stein den gewerbsmäßigen Hetzern auf der Rechten dazu, die auswärtige Politik der Männer, die sich als Konkursverwalter einer durch die Hohenzoller» bankerott gewordenen Firma seit 1918 redlich zu mühen hatten, in den Schmutz zu ziehen: dos geschieht mehr oder minder deutlich in all diesen Festartikeln. Befriedigt kommt, hat er sie verdaut, der schwarzweißrote Spieß- bürger an seinen Stammtisch: Der Stein das war doch noch ein Kerl, der den Franzosen die Zähne zeigte! Nicht so ein Schlapp- macher wie der S t r e s e m a n n, der mit tschechischem Gold g«> kauft war und den man hätte an die Wand stellen sollen! Wie hätte man an diesen Stammtischen erst Geifer verspritzt, wenn Stresemann etwa auf Poincarös Empfehlung zum Minister ernannt worden wäre! Nun, der Freiherr vom Stein war, al? es nach dem kläglichen Zusammenbruch des preußischen Staates 1807 galt, einenSchmachfrieden" abzuschließen, der Kandidat Napoleons  , dem General C l a r k e als französischer Gouverneur von Berlin  gemeldet hatte, jener habe wegen seiner Besitzungen im westlichen Deutschland   Anlaß, sich mit den Franzosen nicht schlecht zu stellen: auch noch Anfang 1808 hatte der Bonaparte für den preußischen Minister Worte des Lobes. Denn wie verhielt sich Stein, als er durch seine Berufung und durch seine Willenskraft der mächtigste Man» in dem Preußen wurde, das ohnmächtig zu Füßen Frank- reichs lag? Zeigte er sich nach demvölkischen" Rezept. von heute unbeugsam" undehern"? Hatte er nurein entschlossenes Nein!" iür alle französischen   Forderungen? Bewahre! Die nopoleonischen Truppen hielten ganz Preußen bis auf Litauen   und Ostpreußen  rechts der Passarge besetzt und machten ihren Abzug von der Zahlung phantastischer Summen abhängig: erst waren es 73, dann 120, am Ende 1S4,3 Millionen Franken, die der Sieger aus dem verarmten Lande herauszukeltern dachte. Erklärte Stein nun nach berühmten Mustern großspurig:Wir oerweigern die Tribute! Mögen die Franzosen   so lange in Preußen bleiben, bis sie schwarz werden!?" Es fiel ihm nicht im Traum ein. Vielmehr bemerkte er in klarer Erkenntnis der traurigen Sachlage in dem Schreiben an den König, mit dem er seine Ernennung zum Minister annahm, das Dringendste scheine Ihm die Befriedigung der französischen  Forderungen. Die Räumung der besetzten Gebiete war ihm auch das höchste Geld- opser wert, denn um nichts weniger als den Bestand des Staates ging es, und nur ein vollendeter Narr konnte daran denken, denStarren" undUnbeugsamen" zu spielen. Allerdings mühte sich Stein, teils durch Widerspruch, teils durch Ueber- redung, teils durch Nachgiebigkeit die erpresserischen Forderungen hcrabzuschrauben: er zog alle Register, die bei solchen Verhandlungen zu ziehen sind: er wandte das psychologische Verfahren an und tat das genaue Gegenteil dessen, was die oller Psychologie ferne Engstirnigkeit unserer nationalistischen Desperados heischt, wenn sein Biograph Lehmann feststellt:Indem Stein dem Wider- sacher in die Windungen seines Gedankenganges folgte, suchte er ihn dialektisch zu überwinden." So legte er es darauf an, dem fran- zösischen Geiwralinteudanten Daru begreiflich zu machen» daß Preußen, vom Druck der Besatzung-befreit und dem normalen Leben wiedergegeben, weit eher das Verlangte zählen könne. Um jeden Posten feilschte und marktete er, statt einfach auf den Tisch zu schlagen und zu brüllen: Nein! Wochen und Monate, bis er schließlich im Februar 1808 die Höhe der französischen   Forderungen anerkannte und Zahlung innerhalb eines Jahres zusagte. Auch in Punkten, für deren Acnderung er sich mit jeder Faser seines Wesens einsetzte, gab er am Ende nach, wenn der übermächtige Gegner nicht zu erweichen war: die Abtretung von Staatsdomänen als Pfand für die Tribute bezeichnete er als durchaus unannehmbar, aber dem König schrieb er zugleich, es sei ratsamer, den verlangten Betragan Domänen zu zedieren als den Staat noch ferner in dem Zustand von Auslösung zu lassen, in dem er sich gegenwärtig befindet". Mit dieser Taktik, mit dieser geradezu geschmeidigen Art, ouf die Gedanken des Feindes einzugehen, rettete er nicht nur die Domänen, sondern setzte auch in einer Reihe wichtiger Nebenpunkte seinen Willen durch. Die junkerlichen und bürokratischen Anhänger des frideri- zionischcn Preußen empfahlen nicht nur. wie die Kriegs- und Domänenkammer Glogau  , die Requirierung des im Lande stehenden französischen   Militärs gegen die Bauern, die auf Grund des Oktober- edikts ihrer Gutsherrschaft vorzeitig die Fronden weigerten, sondern boten in der Tat, wie die Oberamtsregierung in Breslau  , fran- zöfische Bajonette gegen das eigene Landvolk Die heiligsten Güter Ein neues Buch von Ilja Ehrenburg  Ronion der großen Interessen" lautet der Untertitel des von Hans R u o f f schlechthin meisterlich übersetzten neuen Romans Ilja Ehrenburg   s*). Diesegroßen Interessen" sind sowohl Streichhölzer als auch Platin, Baumwolle, Leder, Kunstseide, Holz und Giftgas, dasschwerer ist als Luft". Die großen Interesse» die Interessen des Weltkopitalismu- im allgemeinen. Welthandel, der nichts anderes ist, als Schiebung großen Stils. Handelskrieg, der in den finsteren Minengängen der Diplomotie, wohin keines sterblichen Staatsbürgers Auge dringt, ausgefochten wird. Wir wissen, daß alle diese Krieg«, die in Konferenzzimmern an grün» bespannten Tischen, Hotelspeisesälen, Luxuszügen und wo immer auch diese Weltkaufleute zum vernichtenden Schlag gegen den Kon- kurrenten ausholen, eines Tages in einen Waffenkrieg ausarten können, in dem dann nicht mehr Zifferntabellen, sondern Giftgase denSieg" entscheiden. Von den Folgen dieses völkeroernichtenden, menschenmordenden Weltkapitalismus wetterleuchtet es in diesem Buche Ehrcnburgs, dos sich einzig und allein auf Tatsächliches in Wirtschaft und Politik stützt. Nichts ist verschleiert, verbogen oder vondichterischer Phantasie" entstellt. Wir alle haben erlebt und erleben stündlich, was sich in Ehrenburgs Roman begibt. Und was erfunden" ist, ist so typisch, daß kein Schimmer vonErfindung" daran haften bleibt. Selbst daß der Autor seine Akteure unter fik» tiven Nomen auftreten läßt, wirkt weniger als Flucht vor dem Tat- sächlichen, sondern als unumgängliche Maßnahme, zu der sich ein Dichter, der mit derartiger Kühnheit in die unmittelbare Gegen- wart greift, gezwungen fühlt. Ob es der Schwede Olfon, der den internationalen Zündholz- *) Ilja Ehrenburg  : Die heiligsten Güter. Roman der großen Interessen. Malik-Derlag, Berlin  . Preis in Leinen 5,50 Mark. fort. 3,50 Mark. auf. Von solcher nationalen Würdelosigkeit war Stein weit ent- fernt, ober um Napoleon   nicht ohne Not zu reizen, trat er doch den Besatzungstruppen gegenüber sehr leise auf. Als er von dem Ge- neralzioilkommiffor der Provinz Schlesien  , der vor französischer Willkür aus seinem Amtsbereich hatte fliehen müssen, um Schutz ge- gen Daru angegangen wurde, antwortete er da mit einem Ausbruch des bei unserernationalen Opposition" so beliebten kuror teutonicus? Er wußte sich zu beherrschen und legte dem Ge- flüchteten nahe, olle Vorsicht zu beobachten, jeden Zusammenstoß zir vermeiden und ein gutes Einvernehmen mit der Okkupationsmacht zu unterhalten: ebenso empfahl er dem neuen Kommissar für Schlesien  . Bismarck  ,diejenige Vorsicht und Nachgiebigkeit, welche die augenblicklichen Verhältnisse als Regeln der Klugheit von selbst gebieten". Aber Stein ging noch einen großen Schritt weiter. Nichts wissen wollte er zwar von der Absicht der Königin, nach Paris   zu reisen, um dengekrönten Emporkömmling" mit dem ganzen Auf- gebot ihrer fraulichen Liebenswürdigkeit milde zu stimmen, aber er schickte den Prinzen Wilhelm, Bruder des Königs, in die fran- zösifche Hauptstadt. Er baute darauf, daß es den Imperator schmeicheln werde, auch einen leibhastigen Hohenzoller» in seinem Vorzimmer von einem Fuß auf den anderen treten zu sehen: darum erhielt der Prinz den gemessenen Austrag, auch der Kaiserin I o s e p h i n e, die von den Lästermäulern des Potsdamer Hofs als leichtfertiges Frauenzimmer verschrien ward, schönzutun und ihr van der tugendsamen Königin Luise Verbindliches auszurichten. Als handfestes Mitbringsel ließ Stein aber durch den Prinzen dem Kaiser ein engesSchutz- undTrutzbündnis zwischen Frankreich   und Preußen anbieten. Napoleon   sollte über 30 000 bis 40 000 Mann preußischer Truppen nach Belieben, selbst in der Türkei  , oerfügen dürfen und dafür die Kontributionen mindern, für den Rest billige Zahlungsfristen zugestehen, die be- setzten Gebiete räumen und eine territoriale Entschädigung, am liebsten auf dem linken Elbufer, gewähren. Im äußersten Notfall war, um diesen Vorschlag solid zu unternehmen, Friedrich Wilhelm   III. sogar bereit, dem verhaßten Rheinbund bei- zutreten. Und dieses Angebot war nicht etwa eine Finte, um Steins wahre Reoonchepläne zu oerdecken. Nein, er glaubte eine Weile fest an die Möglichkeit dieser preußifch-französischen Verbindung. Wir müssen"," schrieb er an Alexander.v H u m b o l d t,durchaus die Linie innehalten, hie wir uns vorgeschrieben haben: daß wir versuchen.. Preußen durch Frankreich   wieder emporzubringen und das Vertrauen Napoleons   zu gewinnen". Noch nach dem Mißerfolg der Pariser   Prinzenreife sann Stein über Mittel,um ein dauerhaftes Verhältnis mit Frankreich   zu be- gründen": ihm blieben deshalb Vorwürfe nicht erspart, daß er sich. wie der Kabinettsrat v. Bcyme Friedrich Wilhelm   zu- flüsterte, von den Franzosen dazu brauchen lasse, die Hindernisse, die s i e nicht besiegen könnten, durch seine Autorität aus dem Wege zu schaffen: der König habe in Berlin   keinen Minister, sondern nur einen Bevollmächtigten, der sich aber von den Franzosen gegen das Interesse des Königs brauchen lasse. Aber Bcyme war zahm und lahm im Vergleich zu den hysterischen Schreihälsen hinter Hugenberg und H i t l er, denn die klare und unzweideutige Erfüllungspolitik, die Stein solange betrieb, bis er einsah, daß mit dem Machtwahn Napoleons   kein Auskommen war, hätten sie mit denselben Kotwürfen quittiert, mit denen sie die republikanischen Staatsmänner seit 1918 bedenken: Agent Frankreichs  ! Er besorgt die Geschäfte des Feindbundes! Er ist als Fronvogt der Feinde reif für den Galgen! Legt den Schuft um! Ja, der Freiherr vom Stein der Erfüllungspolitik wäre heutzutage wahrscheinlich dem Schicksal Erzbergers und Rathenaus nicht entgangen. markt beherrscht, ist, ob Pitschek, der tschechisch« Schuhfobrikant. dessen Rationalisierungsmethoden die Welt in hellen Aufruhr ver- setzen, ob Sir William, aliaz Wulf Wainstein, Sohn eines Flick­schneiders aus Witebsk  , ob Mr. Doron, der englische   Platin- magnat sie alle sind uns wolstbekannt, und ihr Name braucht erst gar nicht genannt zu werden, um uns dadurch erkenntlich gemackst zu werden. Von allen diesenHelden" unserer Tage erzählt das Buch Ehrenburgs mit einer solchen Selbstverständlichkeit und Gegenständlichkeit, daß es einem vor deren Nähe sörmlich angst und bange wird. Das ist die Stärke des Romans aber zu gleich auch seine Schwäche. Es ist das alles uns doch zu nah, die Er- eignisse sind doch noch ein wenig zu unübersichtlich, als daß man es wagen dürste, an ihnen objektive Kritik zu üben. Aber Ehren- bürg, der weniger kritisiert als reportiert, kommt es auf diese un- mittelbare Nähe von Tagesereignissen nicht an. Er schildert sie, stellt sie als nicht wegzuleugnende Tatsachen hin und überläßt dem Leser das Urteil über sie. Sittenschilderer ihrer Zeit wie Balzac   und Zola haben die Ereignisse um sich stärker, menschlicher und zwingender gestaltet: sie standen sozusagen über ihren Zeitgenossen, sie hatten ihre Zeit bereits in sich überwunden. Das erhob sie zu dieser unnachahmlichen Größe. Ehrenburg   aber ist selbst noch zu viel Zeitgenosse. Man fühlt Unfreiheit, die ihn allzu subjektiv urteilen, läßt. Dort aber. wo er über die Ereignisse hinauswächst, das messerscharfe Stilett seiner Satire ansetzt und das Kleid der Zivilisation zerfetzt, da ist man mehr als interessiert, da packt es, rüttelts einen auf, da schau- dert und ekelt es einen da fühlt man den Dichter Ehrenburg  , dem es jetzt nicht mehr allein um die Zeit, sondern um ihre Men- schen geht. Indem er sie in ihrer ganzen menschlichen Schwäche und Hilflosigkeit dem Spotte preisgibt, erledigt er siemoralisch" Das will heißen, er führt uns die Nichtigkeit ihrer Scheingrößf, ihres menschenvernichtenden Werkes vor Augen. Es ist kein leichtes Buch, auch kein sehr erquickliches es leide: auch an einem Zuviel aber es fesselt und läßt nicht mehr lo?. Friedtich Lichtneker