(Beilage Sonnabend« 8. August 1931
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Das Schiff ohne Arzt Ein Abenteuer auf hoher See-- von Dr. Kurt stewe
Zehn, elf Tage fuhren wir weitab von den befahrenen Linien und Straßen des Ozeans. Nichts als das graue, wogende Meer war zu sehen. Kein Zeichen von einem menschlichen Wesen, keine Rauchsahne eines in der Nähe befindlichen Schiffes war am Horizont fichtbar, ab und zu nur trieben Büschel von Seetang vorbei. Ging man in die Funkbude und schnallte sich die Kopshörer an, drohte man am Radioempfangsgerät, so schwirrte die Luft von drahtlos geführten Unterhaltungen der unsichtbaren Schifssgenossen, täää— tä tä, täää— täää, man glaubt« sich in einen Börsenfaal versetzt. Und trotzdem draußen kein Lebenszeichen anderer Menschen zu sehen und zu hören. Zwölf Tage schon fuhren wir auf abgelegener Straße, zwölf Tage nichts als Wasser, Wasser, Wasser und Himmel. Noch nicht einmal eine Möwe war zu sehen, sie waren nach etwa zwei Tag»', Entfernung von der Küste verschwunden. Wir saßen im Rauchsalon, und das Gespräch ging, eigentlich naheliegend, über die Sicherheitseinrichtungen der großen Schiffe und über die Möglichkeiten, sich auf hoher See von jedem Festlande gegenseitig zu Hilf« zu kommen. In einem gewissen Aberglauben, den ja jeder Seemann hat und von dem jeder Passagier angesteckt wird, vermieden wir es, von den berühmten LOS-Rufen zu sprechen. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen. Der Funkoffizier kam in den Salon herunter und übergab mir «in drahtloses Telegramm, dos als Ueberschrift die mystischen Buch- staben„8. V. It.' trug. Ich fragte ihn, was diese zu bedeuten hätten, und erhielt die Antwort, daß es die Abkürzung des inter - nationalen Seehilfsabkommens sei: Lecuvite(de la) vie humane (dans la Navigation maritime), Hilfe für Menschenleben in der Seeschiffahrt, und daß der Zweck dieses Telegramms der Schutz des menschlichen Lobens sei. In einem entsetzlichen Kauderwelsch, aus dem ich nur in Ge- meinfchaftsberatung aller anwesenden sprachkundigen Passagiere und Offiziere mich herausfand, verlangte ein etwa zwei Tage weit ent- fcrnter nordamerikanifcher kleiner Dampfer zu wissen, ob wir«inen Arzt an Bord hätten, der bei einem Krankheitsfall irgendwelche Aus- künfte und Anweifungen zu geben bereit wäre. Selbstverständlich freute ich mich, hier auf hoher See behilflich sein zu dürfen, und so- fort ging ein Funkspruch auch wieder mit dem Anfangszeichen „S. V. H.* als Antwort ab. Alle Schiffe der Umgebung— und das ist ein weitgehender Begriff— schwiegen während unserer drahtlosen Morseuntcchaltungen, und nun entwickelte sich ein Frage- und Ant- Wortspiel nach den genauen Symptomen, nach der Dauer der Er- krankung, nach dem Befinden des Erkrankten, es wurden funken- telegraphifch« Derhaltungsmaßnahmen gegeben und fortlaufender Bericht erbeten. Immer bedrohlicher wurde von dem unsichtbaren Schiffe, das etwa 320 Seemeilen von uns entfernt war, der Zustand geschildert, die Atemnot des erkrankten Matrofen nähme zu und das Fieber stiege rapide. Wieder eine Beratung mit Kapitän und Offizieren, wieder ein Bitten und Drängen des amerikanischen Kapitäns mm Hilfe, und dann der Entschluß, auf hoher See ein Zusammentreffen der beiden Schiffe stattfinden zu lassen, damit ich persönlich den Kranken in Augenschein nehmen und ihn vielleicht durch einen operativen Ein- griff am Leben erholten könne. Mit voller Kraft dampften die
beiden Schiffe auf den durch die Positionsmeldungen festgelegten Treffpunkt los, und schon noch etwa zwölf Stunden sahen wir am Horizont eine Rauchfahne aufsteigen, der bald die Mastspitzen, der Schornstein und endlich das Bild des ganzen Schiffes folgten. Immer näher hörten wir in der Funkenbude den drahtlosen Anruf, bis wir uns schließlich durch Morseblinkzeichcn der an der Kommandobrücke angebrachten Signallampe verständigen konnten. In einer Ent- fernung von ungefähr einer halben Seemeile stopten beide Schiffe, ein Boot wurde bemannt, ausgeschwungen und zu Wasser gelassen, und ich stieg mit einigen Medikamenten und dem nötigen Jnstumen-
tarium auf der Strickleiter ins Boot herab, das in der kräftigen Dünung an der Schiffsseite auf- und abtänzelte. Schon nach wenigen Minuten waren wir drüben und nach Lotsenart erkletterte ich die Schiffswand. Händeschütteln und ein herzliches„Good day" empfing mich, und der Kapitän des kleinen Amerikaners, den ich ja eigentlich von unserer funkentelegraphischen Morseunterhaltung her schon genau kannte, führte mich in das Mannfchaftslogis, wo ein dicker Matrose röchelnd und nach Atem ringend meiner harrte. Ein Stich in die Gegend der rechten Gaumenmandel, ein Herausquellen schier unerschöpflicher Eitermengen und ein kräftiges„Thanh you" des eben kaum noch atmen Könnenden zeigte mir an, daß ich das Richtige getroffen hatte. Rasch hieß es wieder zurückrudern, herz- liches Winken und nochmaliges„Thanh you" und„Happy days", und bald hatte ich meinen Dampfer wieder erreicht, das Boot wurde hochgehivt, die Flaggen senkten sich zum Gruße, und weiter ging die Reise in die unendliche graue Wasserwüste. 36 Stunden später meldete der Funkspruch das Wohlergehen des Patienten.
otto Benzin: Eine Ziiie fahrt
„Um drei Uhr früh sind Sie an Bord, damit wir bei Sonnen- aufgang in See stechen können!" Mit diesen Worten verabschiedete sich von mir der alte Schiffer, der mich auf einer Fahrt durch die mecklenburgischen Seen mit seiner Zille mitnehmen wollte. Noch einmal streckte ich meine Glieder im Federbett des kleinen Gasthauses wohlig aus, dann heißt es: Raus aus den Federn. Denn der Morgen graut schon. Fast nächtliche Ruhe herrscht in dem Städtchen P l a u. Nur meine infolge des„Katzenkopfpflasters" holprigen Schritte zerreißen die morgendliche Stille und verhallen an den niedrigen Häusern, hinter deren Fenstern noch alles in tiefstem Schlafe liegt. Ein roter Streifen zieht sich im Osten entlang, der werdende Tag beginnt. Ich schlendere ein Stückchen Wegs an der ruhig fließenden E l d e entlang und stehe vor dem schwarzen Kahn, der mich auf einige Tage zu Gaste lädt. Im ersten Morgen- rot leuchtet am Steven der Name der Zille„M arte". Mit einem „Gooden Dag" balanziere ich über den schmalen, schwankenden Lauf- sieg an Bord, wo mir der Käptn die Hand reicht. Im Kahn ist das Leben erwacht. Der Bootsmann löst das Getäüe und macht unser Schifflein flott. Die Schiffersrau brüht den Morgenkaffee. Der goldene Sonncnball entsteigt den Fluten des P l a u e r Sees. Wir setzen Segel und nehmen Kurs auf die feurige Masse. Eine leichte Nordwestbrise schwellt das graue Leinentuch, das bauchig sich am hohen Mäste dehnt und das Tauwerk knarren läßt. Langsam schiebt sich der lange Leib der„Marie" über die sich kräuselnde Fläche dahin. Tiesblau und smaragdgrün ist das Wasser, der kalk- haltige Seeboden gestattet einen Blick bis auf den Grund. Die Sonne ist längst ihrem Morgenbade entstiegen und gilt uns nicht mehr als Leitstern: ihre- Bahn ist nicht unsere. Die Weite des hlguen Sees liegt hinter uns, wir fahren ly die sich zu einem schmalen See erweiternde E l d e ein. Eine Brücke nötigt uns zum Segeleinziehen und Mastlegen. Knarrend senkt sich der stolze Fichtenbaum. Nun wird die Zille durch Staken, wie es in der Schiffersprache heißt, vorwärts geschoben. Schiffer und Bootsmann drücken mit gebeugten Schultern das schwere Fahrzeug vorwärts, während die Frau das Steuerruder betreut. Wasserhühner beleben das schilfbewachsene Seelein. Die Rohr- dommel schreit ihr Kala... kala.. kiek.. kiek und schaukelt
Karin:„Nur eine Verkäuferin.
ii
Als mein Dater', der dank der auskömmlichen Pension eines hohen Beamten imstande war, uns Kindern eine gute Erziehung geben zu lassen, plötzlich starb, stand ich, als älteste von drei Töchtern, vor der dringenden Notwendigkeit, zum Haushalt und Lebensunter- halt der Familie mit beizutragen. Wochenlang lief ich in der Stadt herum— überall Höflichkeit und Bedauern— die schlechten Zeiten— nur ganz billige Kräfte werden gesucht, eben schulentlassene Mädchen, die fast nichts bekommen usw. Traurig sprach ich mit einer Dame, die in meiner Nachbarschaft ein kleines, aber flott gehendes Papiergeschäft hat.„Aber, Kindchen, kommen Sie doch zu mir," sagte sie,„ich kenne Sie doch, seitdem Sie bei mir die Schulhefte kauften. Sie können meine rechte Hand hier sein, und abends schreiben' Sie für mich zu Hause auf Ihrer Maschine meine Rechnungen und Geschäftsbriefe." Nun stehe ich hinter demselben Ladentisch, vor dem ich viele Jahre hindurch selbst Käuferin gewesen bin. Alle die Damen aus dem Westen, die ich kenne, kommen in„unser" Geschäft, Bekannte von Ansehen und Damen, denen ich hier oder dort vorgestellt worden bin. Aber wie anders sind sie jetzt, da ein Ladentisch mich von ihnen trennt, ein Ladentisch, der ein Abgrund zwischen zwei Welten be- deutet. Ohne die Hand zu geben, reden mich plötzlich gute Bekannte kühl grüßend mit„Fräulein" an, als ob sie mich nie gekannt hätten. „Fräulein, ich bin schrecklich eilig— geben Sie mir doch schnell." Ich renne, eil«, steige die kleine Leiter hinauf, hinunter, ge- hetzt, denn die Dame ist nervös vor Eile— da, im Moment, wie sie zahlen will, kommt eine Bekannte von ihr in den Laden.„Ach, liebe, gnädige Frau, wie lange ist es her, seit wir uns zuletzt gesehen haben" und die Unterhaltung dauert über eine halbe Stunde. Oder— eine Dame steht und wartet, während ich eine andere bediene. Ungeduldig trippelt sie von einem Fuß auf den anderen. „Fräulein, ich kann nun aber nicht mehr länger warten."—„Gnädige Frau, ich bin sofort zu Ihrer Berfügung." Und wirklich nach einer Minute kann ich mich ihr widmen.„Ich mächte zwei Fünfpfennig- marken haben, Fräuleinchen..." Eine dritte kommt prinzipiell um zwei Minuten vor Ladenschluß. Alle hinter dem Ladentisch sind schon müde und warten hungrig auf warmes Essen und auf Echolung nach langem Arbeitstag. Aber die Dame überlegt, ob sie die blauen oder die roten Papierservietten nehmen soll. Die Angestellten können erst um halb acht fort. Zwei Freundinnen kommen zusammen und suchen Briefpapier aus. Als sie noch über da» Monogramm beraten, wendet sich ihre Unterhaltung ihren Hüten zu, während sie mich unbeachtet stehen lassen, die ich doch möglichst viele Damen bedienen, möglichst viel verkaufen soll. Sie nehmen in Seelenruhe ihre Hüte ab, probieren sie gegenseitig auf, und sicherlich ging eine Viertelstunde verloren, che sie sich wieder auf den Zweck ihres Besuches besinnen. Haben
diese Damcn noch nie davon gehört, daß jede Verkäuferin die Höhe der Summe ihrer Verkäufe vor dem Chef verantworten muß, und daß sie bei ungenügender Leistung entlassen wird? Eine mir lange bekannte, sehr elegante Dame kam in ihrem Auto vorgefahren. Sie suchte eine bestimmte Sorte von Bridgekarten, die zufällig nicht vorrätig waren. Aber fast die gleichen waren zur Stell«, nur um einen Sechser teurer.„Fällt mir ja gar nicht ein, einen Sechser mehr zu zahlen," sagt die Dame empört,„wenn Sie mir diese Karten nicht zu meinem gewohnten Preis geben wollen, lassen wir es eben." Natürlich gab man ihr die Karten und ver- zichtete auf den Sechser. Zufrieden stieg die Dame in ihr Auto. Eine sehr würdige Dame kommt herein:„Kann ich die Inhaberin selbst sprechen?" Alle warten gespannt auf den ungewöhnlichen Austrag, den sie geben wird. Für einen Einkauf von 15 Pfennig ließ diese Frau sich die Chefin selbst kommen! Der Gipfel aller Psennigfuchserei war aber wohl folgendes Er- lebnis: Eine„Gnädige Frau" verlangt einen Kofferanhänger. Solch ein Ding kostet einen Pfennig. Wir sollen aber nicht unter fünf Pfennig verkaufen. Ich sage also liebenswürdig:„Ich darf Ihnen wohl fünf Anhänger geben. Die übrigen vier sind ja immer wieder verwendbar, und Sie haben sie dann bei Gelegenheit gleich zur Hand."„Nein, ich will nur«inen einzigen. Die anderen brauche ich nicht." Der Kunde behält bekanntlich immer recht, und so gab ich ihr den gewünschten einen Anhänger.„Fräulein, haben Sie nicht einen Draht oder eine Schnur, um das Ding zu befestigen?"„Ge- wiß, gnädige Frau, wir haben diese kleinen Knäuel Schnur zu fünf Pfennig."„Nein, kaufen will ich keine Schnur, nur so ein Stück- chen möchte ich von Ihnen hab'en."„Das kann ich Ihnen leider nicht geben, gnädige Frau.— Kasse bitte ein Pfennig!"—„Aber, gnädige Frau, ein Pfennig lohnt doch nicht zu zahlen," sagt Frau T. ver- bindlich hinter der Kasse.„Nehmen Sie den Anhänger nur so mit." Das tat die„gnädige Frau", und sie ging nicht einmal beschämt. Viele schimpfen prinzipiell über schlechte Bedienung, ohne zu überlegen, daß solche Bemerkungen auf alle Fälle ernst genommen lverden und zu unabwendbarer Schelte führen. Seit ich hinter dem Ladentisch stehe, weiß ich erst, daß die Menschen vor dem Ladentisch jede Art von Einfühlung von jenen verlangen, das letzte an Mit- schwingen, wenn es sid) darum handelt, Dinge des persönlichen Ge- schmacks vorzulegen, das äußerste an persönlicher Aufopferung zur Befriedigung eines Wunsches. Aber ich weiß auch, daß für die meisten Menschen vor dem Ladentisch die hinter ihm Stehenden nur Aufnahmestationen für ihre Wünsche sind, ohne daß ihnen einen Moment lang zum Bewußtsein kommt, daß sie zu Menschen sprechen, Menschen, die den ganzen Tag stehen, rennen und ihren Willen völlig ausschalten, und nur das Begehren anderer zu erftillen trachten. Als Anerkennung für diese Tätigkeit sagen die meisten Kunden an der offengehaltenen Tür nicht einmal„Adieu".
sich an den schlanken Rohrhalmen, an denen ihr Nest hängt. Ein Schwanenpaar erblickt in der Zille seinen Feind und geht mit ge- spreizten Federn zum Angriff vor, die beiden Jungen zwischen sich führend. Gewaltig dehnt der Alte die weiten Schwingen, während die Schwanenmutter mehr um die Kleinen besorgt ist. Wildenten, deren Brut längst flügge ist, streichen unter lautem Geplätscher ab. Nach abwechslungsreicher, ruhiger Fahrt kommt das Kloster Malchow , ein roter, weithin leuchtender Backsteinbau, in Sicht. Es liegt auf einer Insel und ist durch einen Damm mit dem Städtchen gleichen Namens verbunden. Hier hemmt uns eine Schleuse. Doch nicht ist das Tagewerk beendet. Es öffnen sich die Schleusentore, und am Malchower See gehen wir vor Anker. Still liegt das Schiff am Ufer vertäut, leise lispelt der Abend- wind im Röhricht. Die Kapitänsfrau tischt uns eine tiefe Schüssel mit Pellkartoffeln, Hering und Speckstippe auf. Es ist die Haupt- mahlzeit nach den Stunden harter Arbeit in der Sonnenglut. Denn am Tage ist keine Zeit vorhanden. Mächtig hauen wir ins Essen ein. Ein Topf schwarzen Kaffees ist der Abcndtrunk, und schon kräuseln in der Abendluft die Wölkchen der Tabakspfeifen. Man plaudert und klöhnt von diesem und jenem. Vieles haben die Schiffer auf ihren Fahrten erlebt, jedes Erlebnis wissen sie genau wiederzugeben. Stark ist ihre Erinnerungsgabe und ruhig und wohltuend fürs Ohr ihre Plauderei. Der Bootsmann spielt einige Weisen auf dem Schifferklavier. Der Mond blinzelt über dem Wald, er mahnt an den Schlaf. Ich beziehe mein Lager in der Boots- mannskabuse. Am grauen Morgen geht eine Bewegung durch den Körper der Zille: wir fahren weiter. Die. Sonne nimmt ihr Morgenbad im F l e e s e n s e e. Gewaltige Schwärme von Wildgänsen, die diese Wiesenlandjchaft bevölkern, streichen mit lautem, heiserem Geschrei ab. Bei der Durchfahrt zum K o t p i n s e e sieht man auf einer Halb- insel Hünengräber. Grau und verwittert ragen die Steine aus dem sie umrankenden Brombeergestrüpp. Vom Wind zerzauste Birken werfen fliehende Schatten drauf. Aus dunklem Kieferngrün leuchtet das Schloß Schwenzin von der Höhe herab. Die Luft wird bewegter, wir fahren unter Land, um gegen Wind und Wellen an- kämpfen zu können. Nicht können wir Segel setzen, vier braune Arme staken den Kahn am sandigen Ufer entlang.» Die Wellen wachsen und nehmen der Landschaft das ruhige Gepräge. Weiß schäumt der See, kurz sind seine Wellenschläge. Die Sonne versinkt, ein Tag schweren Kampfes mit den Naturgewalten geht zu Ende. Wir erreichen die schützende Mole und legen an der ruhigen Elde fest. Noch mehrere Zillen, die vor dem Sturm Schutz suchten, liegen hier friedlich beieinander. Nur ein Kahn kämpft, draußen verankert, mit den Wellen. Wie eine Nußschale wird er hochgeworfen, weißer Gischt umzüngelt sein niedriges Bord. In dieser Nacht gibt es wenig Ruhe, man will die Windstille vor Sonnenaufgang ausnutzen und die weite Fläche der Müritz, den gewaltigen Binnensee, überqueren. Grell leuchtet der Mond und bietet genügend Licht, um die Kähne zum Schleppzug zu formieren. Noch hört man die Brandungen der sich wälzenden Wallungen. In der alten Pappel heult heiser die Eule. Ein Schleppdampfer stampft heran und nimmt uns und zwei andere Zillen mit. Die letzte Wucht der Müritzwellen zerbricht im Schilf, bald wird Ruhe auf der unübersehbaren Wasserfläche herrschen. Wie ein Schatten gleitet der Schleppzug im Mondeslicht dahin, dem Blink- feuer der B o l t e r Mole entgegen. Selten habe ich diesen See so ruhig gesehen, doch bald mit Sonnenaufgang wird der Wind seine Wasser schäumen machen. Nicht kann das Auge an dem Lande haften, es sieht nur Wasser, Wasser, In dem sich der Mond spiegelt. Fast endlos wird einem dieses Gewässer, aber im Osten wird Land sichtbar, und die größte Wegstrecke liegt achter uns. Die morgendliche Ruhe hält mich umfangen, erst das Schlagen der Dampferwellen an die Bolter Mole macht mich wieder wach. Wir fahren durch den Bolter Kanal, dessen Ufer dicht mit den Zelten der Wassersportler besät sind. Auch bieten hier Schutzhütien Zuflucht bei schwerem Wetter, wie es oft auf der Müritz tobt. Weiter geht die Fahrt an M i r o w vorbei durch waldumsäumte Seen. Einer reiht sich an den anderen wie eine Kette ungleicher Perlen. Bald leuchtet uns das verschiedene Grün der Mischwälder ent- gegen, bald dringt der helle Ton der den Roggen mähenden Sensen ans Ohr, bald erfüllt die klappernde Mähmaschine die Luft mit ihren harten, schneidenden Lauten. Mit gebeugtem Rücken binden Frauen die Garben. Es ist die Zeit der Reife und Arbeit auf dem flachen Lande. Still und verträumt liegen die Gehöfte, nur auf den Feldern ist das Leben und die Unrast, das Schaffen. Beim Dorfe P r i e p e r t schwimmen wir in die Havel , die den Cllbogensce durchfließt und sich weiterhin die Seen zum Flußbett auswählt, bis sie hinter der mecklenburgischen Grenze ihren eigenen Weg sich bahnen muß. Wunderschön ist die Fahrt durch die sogenannte Steinhavel, deren User Niststätten des prächtigsten heimischen Vogels, des Eisvogels, bergen. Alte Buchen und Eichen neigen ihre belaubten Arme weit über das Ufer hinaus. Der Auf- enthalt in der Schleuse gestattet, länger an diesem landschaftlich schönen Fleckchen zu verweilen. Nicht stört das monotone Brummen der Wasserturbine einer Mehlmllhle. Weiter schraubt sich der Schlepper mit seinen„Anhängseln" durch die letzten Seen der mecklenburgischen Seenplatte, an denen das kleine Städtchen Fürstenberg liegt. An der Schleuse nehme ich Abschied von den Schifsersleuten und von der Zille, die nun ihren Weg havelabwärts zur Reichshauptstadt nimmt....