Stbg. v. Beunigse»(natl.): Ich empfehle den AntragVasiernian», der von mir angeregt ist, weil ich es für wünschens-iverth halte, dast ein Gesetz erlassen wird, in welchem einer der-artigen Anregung Folge gegeben wird. In bezug auf daswirthschaftliche Koalitionsrecht hat der Abg. Auer einenAngriff gegen mich gerichtet, auf den ich nachher zurück-kommen iverde. Ueber die Handhabung des Vereins- undVersammlungsrechts hat zunächst die Polizeibehörde die Aufsichtzu führen. Gegen die Entscheidungen der Polizei steht den Be-rroffenen die Beschwerde beim Regierungspräsidenten, Ober-Präsidenten und unter Umständen beim Ober-Verwaltungsgerichtzu. Ich kann also den Parteigenossen des Vorredners nur rathen,wenn sie sich in einzelnen Fällen, die hier zu untersuchen nichtmöglich ist. beschwert erachten, diesen Weg einzuschlagen, siekönnen versichert sein, daß eine sorgfältige Prüfung stattfindenwird.� Der Vorredner hat selbst angeführt, daß ein großer TheilderFälle sich sozusagen in den unteren Verwaltnngsrcgionen abgespieltund den Oberpräsidenten von Hannover gar nicht beschäftigt hat.Allgemeine Verfügungen sind von mir in dieser Beziehung nichtvorhanden, sondern der Oberpräsident entscheidet in den ein-zelnen Fällen, die an ihn herantreten. Was nun die Anwendungdes Koalitionsrechls speziell in Hildesheim betrifft, so habe ichbereits damals, als der Abg. Auer den Fall hier zur Sprachebrachte, erklärt, daß ich später nach Einsicht in die Akten daraufzurückkommen würde. Ich habe die Akren inzwischen eingesehen.Der Polizeidirektor in Hildesheim hat in einem sozialdemolra-tischen Blatt eine Verfügung, nicht von mir persönlich, sondernvom Oberpräsidinm in Hannover, abgedruckt gefunden,durch welche der Verband der Holzarbeiter, speziell die Zahlstelle inHannover, wie es schon durch den Regierungspräsidenten ge-schehen, für einen politischen Verein erklärt worden ist unddarauf hin eine allgemeine Verfügung gegen 16 solcher Vereineerlassen, die er alle generell für politische erklärt hat. Es handeltesich aber nur darum, ob ein ganz bestimmter Holzarbeiter-VerbandZahlstelle in Hannnver, einen politische» Charakter hatte oder nicht.Mein Vertreter im Oberpräsidiuin, der Oberpräsidialrath, hat«ine Entscheidung dahin getroffen, daß die Verfügung desRegierungspräsidenten gegen den Verein aufrecht zu erhalten sei.Die Gründe, welche neben denjenigen des Regierungspräsidentenangeführt sind, haben von mir aus den Akten in Hannover nichtnachgelesen werden könne», weil Klage gegen mich erhobenist und die Akten beim Oberverwaltnngsgericht liegen.Zweck deS Verbandes war eS, möglichst günstige Lohn» undArbeitsbedingungen seinen Mitgliedern zu verschaffen. Das istaber nicht der einzige Grund gewesen, weder für den Regierungs-Präsidenten noch für das Oberpräsidium, diesen Verein inHannover für einen politischen zu erklären. Die Sache hat,wenn sie zu einem Angriff gegen nnch benutzt werden sollte,keine Unterlage. Ich bin gar nicht in Hannover gewesen, alsdiese Verfügung und ihre Motivirung ergangen ist.Abg. Rickert(frf. Vg.): Das vom Abg. Meister entworfeneBild von der Handhabung des Vereinsrechts hätte doch voneinem Herrn betrachtet werden müssen, dessen Abwesenheit ichheute bedaure, nämlich von dem preußischen Minister desInnern. Man muß fast glauben, daß es in Preußen fast garkein Rechtsmittel mehr giebt, so verbietet man die Vereine ohnejeden Grund. Ich habe auf die drei Zuckerfabrikanten-Vereinehingewiesen, welche sich zu einer Petition an den Reichstag ver-einigt haben. Das Organ der Zuckerindustrie bezeichnetdas als albern, weil keine Politik getrieben würde.Die Herren kennen eben das Urtheil des Reichsgerichts nicht,welches alle Tinge, welche die Gesetzgebung beschäftigen, als poli-tische bezeichnet. Die Zustände sind in der That unhaltbar.DaS müssen auch die Herren von den verbündeten Regierungenanerkennen. Der Antrag, welcher vorliegt, ist ein Beweis derenormen Mäßigung, namentlich seitens der Linken; nanientlichist es anzuerkennen, daß die Herren Sozialdemokraten sich dazuverstanden haben, alles andere fallen zu lassen. Rednerbittet den Staatssekretär von Böttrcher, dahin zuwirken, daß dieser harmlose Antrag Annahme findet.Sollten wir vom Bundesrath die Antwort bekommen, daß wegendes Widerspruchs der preußischen Regierung der Antrag nichtangenommen wird, so würde ich das lebhast bedauern. Art. 4der Reichsverfassung giebt dem Reichstag ein Anrecht auf reichs-gesetzliche Regelung des Vereinswesens und eS würde der preußischen Regierung nicht anstehen, der reichsgesctzlichen Regelung zuwidersprechen, um im preußischen Landtage ein reaktionäresVereinsgesetz zu stände zu bringen. Dann würden die partikula-ristischen Strömungen, welche in Süddeutschland vorhanden sind,noch mehr Nahrung erhalten.Staatssekretär v. Bötticher: Ich habe dem Bedauernmeines preußischen Kollegen vom Ministerium des Innern Aus-druck zu geben, daß er dienstlich behindert ist, hier zu erscheinen.Bei der zweiten Berathung dieses Gesetzentwurfs habe ich meineBereitwilligkeit erklärt, unmittelbar nachdem aus dieser zweitenBerathung ein Beschluß des Reichstages herrorgegangen seinwürde, einen Meinungsaustausch der verbündeten Regierungenherbeizuführen. Ich habe die Frage auf die Tagesordnungdes Bundesrathes gesetzt und ich habe als Ergebnißdem Reichstage mitzutheilen, was der Vorredner und mehrereandere mit ihm vorausgesetzt zu haben scheinen, daß der Bundes-rath den Beschlüssen der zweiten Lesungdie Genehmigung zu ertheilen nicht bereit ist.Ich nehme an, daß diese Antwort nicht überraschend ist.(Zuruflinks: Nee! Heiterkeit.) Daraus ist ja wohl auch der Antragzu erklären, der vorliegt. Man hat sich gesagt, daß etwas ge-schaffen werden müsse, waS die größere Zustimmung der Parteienerhält. Ich bedauere, daß der Antrag damals nicht vorgelegenhat; wenn er mir vorgelegen hätte, würde ich kaum haben er-warten können, daß die Bevollmächtigten über die Stellung-nähme ihrer Regierungen instrnirt gewesen wären. Ich kanndaher auch heute noch nicht sagen, was das Schicksal dieses An-träges sein würde. Wenn es zur Beruhigung der Herren ge-reickt, kann ich aber wenig st ens sagen, daß dasBedürfniß einer Reform des Vereinsgesetzesbezüglich deS Verkehrs der Vereine unter-einander von der Mehrzahl der Regierungenanerkannt wird. Es handelt sich hier in derThat um ein Partikularrecht, und der nächste Ge-danke, der auskommen kann, ist doch naturgemäß der, daß mandie Korrektur auf dem Wege des Partikular-rechts sucht.(Widerspruch Rickert's.) Ich gebe Herrn Rickertzu, daß man auch aus den Reichsweg gerathen kann; aberman wird es den einzelnen Regierungen nichtverdenken, wenn sie in er st er Linie die Sachepartikular regeln wollen.Abg. Bachem(Z.): Die Erklärung des Staatssekretär» läßtja eine Hoffnung, aber es liegt die Gefahr vor, daß in jedem der22 Vaterländer die Reform versucht wird und ob sie überall ge-lingen wird, ist doch sehr zweifelhaft. Da möchte ich dochlieber den Bundesrath bitten, ein einheitliches Vereinsrecht zuschaffen.Staatssekretär b. Bötticher: Ich habe durchaus nicht ge-sagt, daß der Bundesrath sich weigert, eine solche Korrektur desVereinsrechtes vorzunehmen. Für ihn ist noch vollständigfreie Hand.Abg. v. Stumm(Rp.) erklärt sich gegen den An-trag Basser mann, nicht als ob er verkenne, daßdas Verbot des Jnverbindungtretens für dieVereine mit den heutigen Verkehrsverhält-nissen nicht mehr vereinbar sei, aber er halte es fürbedenklich,«inen einzelnen Punkt hervorzuheben. Eine Reformdes Vereinsrechtes ist nothwendig. aber siemuß auch die Garantie bringen, daß die um-f ürzendenBe strebungen besser bekämpft werdenönnen, als jdies ,etzt der Fall ist. etwanach Analogie der bayerischen Gesetzgebung.Ob die Reform im Reiche oder in de» Einzelstaatenerfolgt, ist dabei gleichgiltig. Zu fürchten ist nur,daß die Reform im Reich nicht erreicht werden wird.Ich würde es als eine Schwäche des Bundes-raths ansehen, wenn er einfach diesem Antragezustimmen würde, ohne eine Garantie durcheine umfassende Reform.Damit schließt die Generaldiskussion. Eine Spezialdiskussionfindet nicht statt; der Gesetzentwurf wird nach dem AntrageBassermann gegen die Stimmen der beiden konservativen Gruppena n g e n o in m e n.Es folgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfes wegenAbänderung der Gesetze über die Schutztruppein Deutsch-Ostafrika, in Südwestafrika und in Kamerun.Der Berichterstatter Prinz Urenberg berichtet über die Kom-missionsverhandluugen.Beim Artikel II bedauert Abg. Graf Arnim(Rp.), daß dieOffiziere der Schutztruppe aus der Armee ausscheiden sollen,wenn auch ihr Vorlrittsrecht gewahrt bleiben soll. Die Schutz-truppen werden jetzt lediglich einem Zivilbeamten unterstellt,wenn sie auch nicht direkt ein Parlamentsheer werde. Anderswäre die Sache, wenn ein selbständiges Kolonialamt vorhandenwäre, unter dessen Oberleitung man eine solche Organisationeher stellen könne.Direktor Kayscr bestreitet, daß der Charakter der Schutztruppesich irgendwie verändert habe; sie sei eine kaiserliche Schutztruppegeblieben wie vorher.Art. U wird genehmigt.Art. III betrifft die Wehrpflicht.Abg. Hasse(natl.) erklärt seine Befriedigung darüber, daßdie Deutschen in den Kolonien direkt dienen können; dieser Theilder Vorlage sei der beste.Abg. Graf Arnim(Rp.) tritt für die Wehrsteuer ein,welche Ausländer entrichten sollen, da sie selbst nicht dienen,aber des Schutzes der Schutztruppe theilhastig werden. Er be-fürchtet nicht, daß andere Länder deswegen Repressalien übenwerden.Art. III und der Rest der Vorlage wird ohne weitereDebatte angenommen.Die Kommission hat auf Antrag deS Grafen Arnimfolgende Resolution vorgeschlagen:.Den Reichskanzler zu ersuchen,eine Uebersicht der in der südwest-afrikanischen Kolonie thätigenGesellschaften unter Beifügung der betreffenden Verträge demReichstage vorzulegen."Abg. Graf Arnim(Rp.) hält eine solche Zusammenstellungfür nothwendig als Grundlage der Beurtheilung der Thätigkettder Gesellschaften; es müßte auch mitgetheilt werden, was dieDirektoren und Aufsichtsräthe der Gesellschaften sind. Eine eng-lische Gesellschaft kommt jetzt mit dem Auerbieten, den Hafen inSwakopmund auszubauen; nachdem schon die Walfischbay unddie Lüderitz-Bucht in fremde Hände gekommen sei, wäre das einUnglück.Direktor Kayser bestreitet, daß der Hafen in die Hand derGesellschaft geliefert werden solle.Die Resolution wird nach kurzer weiterer Debatte an-genommen.Damit ist die zweite Lesung deS Entwurfes, betr. die Schutz-truppe beendet.Auf Antrag des Abg. Gröber(Z.) tritt das Haus sofortin die dritte Berathung ein und genehmigt die Vorlage ohneweiteres endgiltig.Ebenso werden ohne Debatte die beiden Nachtrags-e t a t s in dritter Lesung genehmigt.Es solgt die zweite Berathung des Gesetzentwurfes betreffenddie Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrungfremder Werthpapiere auf grund des Berichts der Kom-Mission, welche nur wenige Aenderungen vorgenommen hat.Die Vorlage wird ohne erhebliche Debatte, unter Ablehnungeines Antrages des Grafen Arnim zu§3, welcher die Regierungsvorlage wieder herstellen will, in allen einzelnen Tbeileu genehmigt,ebenso die von der Kommission vorgeschlagene Resolution überSicherheitsmaßregeln bezüglich der gewerbsmäßigen'Verwendungfremder Gelder seitens der Banken und Kaufleute.Auch bezüglich dieser Vorlage wird, da ein Widerspruch nichterfolgt, sofort die dritte Lesung vorgenommen und ohne Debatteerledigt. In der Gesammtabstimmung wird die Vorlage ein-stimmig endgiltig genehmigt.Die Wahl des Abg. C o l b u s(Elsaß-Lothringer) wird fürgiltig erklärt.Die Geschäftsordnungs-Kommission beantragt, das Mandatdes Abg. Köhler infolge seiner Annahme als Postagent alserloschen zu erklären.Nachdem Abg. Bassermau» den Antrag der Kommission be-gründet, beantragt Abg. Liebermann von Sonnenberg dieZurückverweisung der Vorlage an die Kommission, zieht aberdiesen Antrag zu gunsten des Antrages Spahn zurück, welcherdie Sache von der Tagesordnung absetzen will.Das Haus beschließt diesem Antrage gemäß.Es folgt die G e s a m m t a b st i ni m u n g über den Ent-wurf eines Gesetzes betr. die Abänderung der Gewerbe-Ordnung; dieselbe ist eine namentliche. An derselben be-theiligen sich nur ISl Mitglieder; das Haus ist also beschluß-unfähig.Abg. Rintelen(Z.) bittet den Präsidenten um Auskunftüber die Verhandlungen der Novelle zum Justizgesetze; die Re-gierung wird darüber vielleicht Erklärungen abgeben wollen.Vizepräsident Schmidt: Bei Beschlußunfähigkeit des Hauseskann ich keine Verhandlungen zulassen.Schluß 4�/e Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr.(Interpellation betr. den Fail Bashford; Antrag des GrafenArnim wegen der Lombardirung der Pfandbriefe und zweiteLesung des Bürgerlichen Gesetzbuches.)LaKsles«Zweiter Wahlkreis! Die am letzten Mittwoch in der Ver-sammlung aus dem Bock zwecks Ausarbeitung eines Statuts fürden neu zu gründenden Wahlverein gewählte neungliedrigeKommission tritt morgen, Freitag, abends 9 Uhr, beiZubeil in der Lindenstraße zusammen.Den Parteigenossen deS dritten ReichStagS-Wahlkreiseszur Nachricht, daß am Dienstag, den 23. Juni, eine öffentlicheParteiversammlung im Lokale des Herrn Möhring, Admiral-straße 18 o, staltfindet. Alles nähere darüber wird alsbald imJnseratentheil bekannt gegeben. Wilh. Börner, Vertrauens-person des 8. Wahlkreises.Der Wahlverein deS dritten ReichStagSwahlkrciseöveranstaltet am Sonntag, den 21. Juni, vormittags 10 Uhr,einen Familienausflug nach Restaurant Sanssouci in Schmargen-dorf. Zahlreiche Betheiligung ist erwünscht.Achtung, sechster Wahlkreis! Parteigenossen, welchegewillt sind, sich bei der am Freitag, den 19. d.M., stattfindendenFlugblattvertheilung zu den„Gewerbegerichts-Wahlen" zu bethei-ligen, werden ersucht, sich Freitag, abends 3 Uhr, in nachfolgendenLokalen einzufinden: I. Pfarr, Puttlitzstr. 10. Gieshoil, Boyen-straße 4V. F. Gleinerr, Müllerstr. 7. Schröder. Wiesenstr. 39.Hilgenfeld, Bergstr. 60. R. Augustin, Kastanien- Allee II.Schmidt, Tresckow- und Diedenhosenerstraßen- Ecke. Natuschke,Angermünderstr. 12. Witzel, Ackerstr. 14S. Bachgänger, Swinemünderstraße 120. Haferland. Bellermannstr. 88. Tausche!,Grenzstr. 4, Zahlreiche Betheiligung ist Ehrenpflicht!Wenn zwei dasselbe thun. Ein Monat ist jetzt verflossenseit jenem Tage, an dem der Vereinsprozeß gegen Auerund Genossen zum unbestrittenen Ruhme der Sozialdemokratie zuEnde geführt wurde. Einen Monat ist es her, daß der Staats-anwalt vom amtlichen Platze aus versicherte, seine Behörde seistreng objektiv beflissen, dem Gesetz« genüg« zu verschaffen,und sie werde gegen andere Parteien ebenso ein«schreiten, wenn sie in die Lage komme.sich amtlichmit der Frage zu beschästigen. Seit jener Schuldigsprechung deswesentlichen Theils der Angeklagten, die einen Triumph fürunsere Partei bedeutete, ist die Staatsanwaltschaft nicht allein vonsozialdemokratischer, sondern auch von bürgerlicher Seite auf dieoffenkundigsten Verfehlungen gegen das Vereinsgesetz auf-merksam gemacht worden, welche Leiter staalserhaltenderParteien und Interessengruppen, Männer, welche dieRegierung theilweise auf das Genaueste kennt, nachbestehender Judikatur ganz unzweifelhaft begangen haben.Obgleich seit Beendigung des Prozesses ein voller Monat ver-flössen, ist aber nicht das geringste bekannt geworden, daß dieStaatsanwaltschaft in die Lage gekommen fei, die gegen dasGesetz verstoßenden bürgerliche» Parteien mit demselben Maßezu messen, wie die Sozialdemokraten. Und die Führerdieser Parteien können nach allen bisherigen Erfahrungen sichersein, daß die Staatsanwaltschaft nicht„in die Lage" kommenwird, sich„amtlich mit der Frage zu beschäftigen", ob dasgleiche Recht für alle auf ihre GesetzesverletznugenAnwendung finden soll. Denn, wenn zwei dasselbe thun,so ist es nicht dasselbe. Mag die sozialdemokratische Presseauch noch so oft auf die unzweifelhaftesten Vergehen der Konser-vativen und ähnlicher Leute hinweisen; die Welt müßte sich um-kehren, wenn sie nicht nach wie vor ungeschoren bleibenwürden.— Ein anderer Fall, der zwar in keinerlei Zusammen-hang mit dem Vereinsprozeß steht, aber in seiner Art gleichfallsüberaus charakteristisch ist, möge ebenfalls erwähnt werden. Dieganze Berliner Presse nahm Mitte April von einer Versamm-lung des Vereins Berliner Engros-Schlächtermeister Kenntniß,in welcher beschlossen wurde, bei der Staatsanwaltschaft Anzeigezu erstatten, weil ein Herr von Waldow der Menagekommiffiondes Kaiser Franz-Garde-Vrenadier-Regiments ununtersuchieSFleisch verkauft hätte. Auch der„Vorwärts" brachtenach der„Allg. Fleischer-Ztg." den betreffenden Bericht ohnejeglichen Kommentar. Man sollte denken, daß in dieserunbedeutenden Sache das gleiche Recht für alle vollauf zurGeltung käme. Von den Folgen der Anzeigej bei der Staats-anwaltschaft ist nun bislang nichts bekannt geworden, woblaber konnten wir am vergangenen Freitag mittheilen, daß dieAnklagebehörde aus diesem Falle heraus gegen den„Vorwärts"einen Beleidigungsprozeß anstrengen will. Wird dieS-mal nicht nach dem Ausspruch des berühmten römischen Rechts-lehrers Terenz gehandelt, so muß die Staatsanwallschaft wegender Notiz über die Fleischlieferungen fast gegen die gesammleBerliner und auswärtige Presse einen Monstreprozeß anstrengen,mit welchem verglichen der berühmte Gummischlauch-Prozeß zumwesenlosen Schemen zusammenschrumpft. Mit der stillen Be-sriedigung, di« uns stets erfüllt hat, wenn wir die Wirkung derheutigen Justizpflege auf das Volksgemüth beobachtet haben,sehen wir auch diesen kommenden Dingen entgegen. Bislanghat, so weit wir unterrichtet sind, außer uns noch kein einzigesBlatt von der Einleitung eines Preßprozeffes auS Anlaß derAngelegenheit Waldow berichtet.Das prensiischc Eisenbahn- Elend. Die„BerlinerNeuesten Nachrichten" berichten: Ter Aufenrhalt aus der Platt-form ist wegen der damit verbundenen Lebensgefahr verboten.Diese schönen Worte sind bekanntlich an jedem Ende eines dersogenannten Durchgangswagen unserer Eisenbahnen angebracht.Am Sonntag Abend wurden, obwohl der Nordbahn-Vorortzug,welcher 10*> Oranienburg verläßt, schon auf der drittenStation, Stolpe, vollbesetzt ankam, noch hunderte vonPersonen in die Wagen eingepfercht. Die Luft inderen Innern, wo sich mindestens die dreifache Anzahlder zulässigen Passagiere befand, war, trotz der � aufallen Seiten geöffneten Fenster, entsetzlich. Auf der Plattformeines Wagens dritter Klasse standen eng aneinandergepreßl zehnPersonen und— auf dem Trittbrett saß noch ein Mann miteinem Kinde im Arm. Der überladene Zug keuchte mühsamvorwärts, in den Wagen war jeder Stoß zu spüren, da die vonder Last zusammengepreßten Federn nicht mehr funktionirenkonnten. Wie leicht kann bei einer solchen sinnlosen Ueberlastungeines Zuges ein Unglück eintreten und wie entsetzlich muß dieSdann in seinen Folgen sein.Ter Finowkanal ist jetzt I&0 Jahre alt. Am 16. Juni 1746wurde die Einweihung des Kanals vollzogen. Der Finowkanalverbindet bekanntlich die alte Oder bei Liepe mit der Havel beiLiebenwalde. In feiner östlichen Hälfte benutzt er das Bett derFinow. Der Plan zur Anlegung dieser Schifffahrtstraße stammtschon aus dem Jahre 1S40, aber erst 1605—20 kam der Bauzur Ausführung, und zwar wurden 11 hölzerne Schleusen ver-wandt. Der 30 jährige Krieg ließ auch dieses Kulturwerk zer-fallen. Erst unter Friedrich II. wurde dieses Werk wieder auf-genommen; vollendet wurde es in den Jahren 1744—1746.Welche Bedeutung der Finowkanal, der bis Hohensaaten 70 Kilo-mejer lang ist, für die Binnenfchifffahrt hat. geht daraushervor, daß 1873 bis 1875 im Durchschnitt 8308 Fahrzeuge beiEberswalde zur Havel gingen, 1890 dagegen schon 13 300 mit1 791 000 Tonnen Gütern.Ahlwardt befindet sich noch immer in New-Iork, ohne andie Heimkehr oder an die Niederlegung seines Mandats zudenken. Nach den Berichten amerikanischer Zeitungen scheint eSihm nicht gut zu gehen. Wie die„New-Dorker Staaiszeitung"berichtet, fand vor kurzem in Brooklyn eine öffentliche Versamm-lung statt, in der dem nicht anwesenden Ahlwardt der Vorwurfgemacht wurde, er versetze seine Werthsachen bei jüdischen Pfand-leihern. Die Versammlung nahm, da auch Freunde für Ahtwardteintraten, einen so stürmischen Verlauf, daß der Vorsitzende sieschloß und Polizeibeamte das Lokal räumten.Der Berliner Anwaltverein hat zum kommendenDonnerstageine Versammlung anberaumt, in der namentlich die Verhältnisseder Bureaubeamten und das Programm für de» im September d. I.hier stattfindenden deutschen Anwaltstag den Gegenstand der Be«ralhungen bilden werden.Der Bau des neuen Feucrwehr-TepotS in der WilmS-straße hat endlich am Dienstag, also 2H- Monate nach derRäumung des Grundstückes seitens der früheren Pächter, be-gönnen, doch ist die Zahl der beschäftigten Arbeiter keineswegseine sehr große.Vom Viehstand in der Provinz. Das Ergebniß derletzten Viehzählung am 1. November 1895 ist jetzt festgestellt undentfallen danach auf die Provinz Brandenburg insgesammt259 231 Pferde und 754 672 Stück Rindvieh. An Entschädigungenfür Viehverluste sind im Jahre 1395 in der Provinz gezahlt:für rotzkranke Pferde 10 167 M., für durch Milzbrand gefallenePferde 20 306 M. und für Rinder 90 316 M.Tie unangebrachte„Schneidiakcit" des Führers eine»Dampfbootes der Motorgesellschafr(Tismer u. Co.). das, vonNeptunshain kommend, abends 9 Uhr an der Spreeterrasse an-langte, verletzte, wie uns gemeldet wird, das Gesühl derPassagiere des Schiffes in erheblicher Weise. In befehls-haberischem Tone donnerte der Mann das Publikum an, vondem er verlangte, daß es ihm unbedingt zu pariren und sich jederlauten A-ußerung zu enthalten habe. Der barsche Ton desSchiffsführers beunruhigte die Passagiere außerordentlich. EineFrau bekam Schreikrämpfe; eine andere fiel in Ohnmacht. Inherben Worten gaben die erbitterten Fahrgäste ihre Meinungüber das sonderbare Benehmen des Schrffsführers kund.Von der hypnotisirende» Wirkung des Militarismusauf die— Stubcnvögcl weiß die„Staatsbürger-Zeitung" ihrenLesern in diesen heißen Tagen folgende Geschichte zu erzählen:„Eine merkwürdige Naturerscheinung können die Besitzer vonStubenvögeln in West und Südwest beobachten, wenn der aufdem Tempelhofer Felde aufsteigende Luftballon der Militär-Luftschiffer-Abtheilung den Thierchen in Sicht kommt. Er hatauf die Vögel ein« beinah« hypnotisirende Wirkung. Di« Staar«