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BERLIN Sonnabend 15. August 1931

10 Pf. Jlr. 3S0 B 190 48. Jahrgang

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Hamburg in Not

Auswirkung der Wirtfchastskrise- Radikale Sparmaßnahmen

Hamburg . 15. August.(Eigenbericht.) Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die auch den Hamburger Staat besonders stark betroffen haben, haben den Senat zu einem einstweiligen und radikalen Drosselungsprogramm veranlaßt. Da nach Abzug aller bisherigen Einsparungen noch ein Fehlbetrag von etwa 38 Millionen Mark oerbleibt, hat der Senat eine gleichmäßige Einschränkung aller Zweige der Verwaltung be- schlössen. Diese Einschränkungen beginnen mit der V e r k l e i n e- rung des Senats, der von sechzehn auf 12 Mitglieder vermindert werden soll. Auch die Zahl der Staatsräte soll eingeschränkt werden. Ferner werden alle sachlichen Ausgaben des Senats, besonders die Aufwendungen für Repräsentation, auf das denkbar geringste Maß herabgesetzt. Die gesamte Behördenorganisation wird weit- gehend vereinfacht. Die Berufs- und Oberschulbehörde wird zusammengelegt, die Aufgaben des Wohnungsamtes sollen von anderen Behörden durchgeführt werden: die Behörde für Landwirt- schast wird aufgelöst: die Polizeibehörde soll eine Reih« von Bezirksbüros schließen, einzelne Abteilungen zusammenlegen, be- rittene Polizei verkleinern und gemietete Räume freimachen. Bei der Landesjustizverwaltung sollen freie und frei werdende Stellen nicht wieder besetzt werden. Die Geschäftsstellen der Gerichte und eine Reche von Strafanstalten werden zusammengelegt. Aehnliche Zusammenlegungen sollen auch bei der Finanzdeputation und bei der Arbeitsbehörde erfolgen. Zu diesen organisatorischen Maßnahmen tritt eine Reihe sehr weitgehender sachlicher Einschränkungen, die durch den furchtbaren Ernst der Situation erforderlich geworden nd. Alle öffentlichen Arbeiten, besonders Bauten, werden eingestellt, soweit nicht vertragliche oder gesetzliche Verpflichtungen vorliegen oder eine Gefährdung des Bauzustandes zu befürchten ist. Die Finanzierung des Wohnungsbaus wird zunächst auf be- reits vergebene Bauten beschränkt. Im Hafen sollen Wert- stätten zusammengelegt und einzelne Kaischuppen stillgelegt werden. Die Gehälter der Beamten und Angestellten sollen denen gleich zu bewertender Reichsbeamten angeglichen werden. Der Urlaub der Beamten und Angestellten wird v e r i n g e r t. Die Pausen werden künftig in die 48stündige Arbeitszeit nicht mehr einbezogen. Frei werdende Stellen sollen vorläufig nicht wieder besetzt werden. Im Schulwesen werden die Klassenfrequenz und die Pflichtstundenzahl der Lehrer erhöht. 459 Lehrkräften ist vorsorglich am 15. August gekündigt worden. Die Vorlesungen in der Uni- versität, der Volkshochschule und im technischen Dorlesungswcssn werden wesentlich eingeschränkt. Im Gesundheitswesen sollen Krankenstationen zusammengelegt werden. Die Jugendbehörde muß die Erholungsfürsorge einschränken und die Belegung fremder Heime ganz aufgeben. In Verbindung mit den personellen Maßnahmen ist die Herabsetzung der Altersgrenze von 65 auf 6? Jahre in Aussicht genommen. Ferner hat der Senat die sofortige Schließung des Stadttheoters und der Philharmonie erwogen, die Entscheidung aber vertagt, da die Verträge für die laufende Spielzeit bereits abgeschlossen sind. Verträge für die nächste Spielzeit dürfen zunächst nicht abgeschlossen werden. Der Wohl- fahrtsbehörde soll eine große Anzahl anderweitig freigemachter Be- amten und Angestellten zur Verfügung gestellt werden, um miß- bräuchliche Inanspruchnahme der öffentlichen Fürsorge zu unter- binden. Insgesamt erwartet der Senat von diesem umfangreichen Trosse- lungsprogramm eine Einsparung von etwa 25 Millionen Mark. Ueber die Deckung des noch zu verbleibenden Defizits soll Beschluß gefaßt werden, wenn Klarheit über die nächsten Schritte des Reiches besteht. In einem allgemeinen Ueberblick über die Finanzlage Hamburgs schildert der Senat, wie die zunehmende allgemeine Vertrauenskrise sich auf die hamburgischen Kreditverhältnisse besonders schwerwiegend ausgewirkt hat. Die in größtem Umfange angeforderte Rückzahlung kurzfristiger Kredite in den letzten Monaten war nur durch In- anspruchnahme aller Kassenreserven und inländischer Kreditquellen möglich. Die gesamte Neuverschuldung Hamburgs seit der Inflation beläust sich, wie der Senat weiter mitteilt, auf 345 Millionen, wovon 129 Millionen Auslandsschulden sind. Zum Vergleich weist der Senat darauf hin, daß sich vor dem Kriege die Staats- schuld auf etwa eine Milliarde Mark belausen hat.

'Die tKiiHiettkumlgebnng derSSerlinerSomialdemokratieimSportpalafi

Es wird wärmer! Südliche iüistströme sorgen für Temperaturanstieg. Seil gestern ist über Südosteuropa starker Druckanstieg Zu verzeichnen, so daß mit einer leichten Wetterverbesserung für den morgigen Sonntag zu rechnen ist. Die Prognose lautet: Teils heiler, teil» wolkig und etwas wärmer. Da sich gleichzeitig westlich von Irland ein sehr kräftiges Tiefdruckgebiet herausgebildet hat, ohne seine Lage zu verändern, wird durch die herrschende Druckver- leilung das heranflulen südlicher Luslströme bedingt. Da die Winde aber ziemlich feucht sind, wird der Himmel zeilweise stärker bewölkt sein. An der O st s e e k ü st e herrscht seit heute früh heiteres, jedoch verhältnismüßig kühles Weller.

Anarchie im Kapitalismus . Breitfcheid fordert planmäßige Wirffchast in Europa . Magdeburg . 15. August. In einer öffentlichen Versammlung der Sozialdemokratischen Partei sprach gestern abend der Vorsitzende der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Dr. B r e i t s ch e i d überDeutschland in der Krise". Er behandelte vor allem die Frage der Kredite und betonte, Deutschland müsse Kredite haben, wenn nicht die ganze Welt, vor allem auch das Proletariat, selber leiden solle. Um diese Kredite zu erhalten, müsse das Vertrauen zu Deutschland wiederhergestellt werden. Es handle sich vor allem darum, eine richtige Außen- Politik zu treiben. Er sei in Paris gewesen, nicht, wie man ihm vorgeworfen habe, um der französischen Regierung zu sagen, sie nwge Deutschland Bedingungen stellen, sondern um die Lage in Deutschland so schwarz wie möglich zu schildern. Er habe auch keine Antwort gehabt, als man ihm gesagt habe, wenn es Deutschland so schlecht gehe, dann hätte es keinen Panzerkreuzer bauen sollen. Er habe auch keine Antwort gehabt, als man ihm sagte, es fei nicht nötig gewesen, die Welt durch die Zollunion vor den Kopf zu stoßen in einem Augenblick, wo man Geld haben wolle. Gewiß sei Deutschland im Recht: aber es komm« nicht immer aus das

Recht an, sondern auf die Völkerpsychologie. Die deutsche Außenpolitik sei zu großmannssüchtig gewesen: die Sozialdemokratie aber verlange Völkerverständigung, vor allem die Verständi- g u n g m i t F ra nk r e i ch, ohne die es nie Frieden geben könne. Ilm das Vertrauen der Welt wiederzugewinnen, müsse man auch in der inneren Politik einen ruhigen Weg gehen. Es gehe nicht an, daß der Stahlhelm seine Tage feiere, daß man Kavalleristentag« in Dresden abhalte. Damit täten die Leute, die sich national nennen, das Unnationalste, was es gibt: sie schädigen die Nation! In längeren Ausführungen wandte sich dann Breitscheid geg«n den Kapitalismus, den er anarchisch nannte. Ihm müsse eine plan- mäßige europäische Wirtschafts- und Staatsgestaltung gegenübergestellt werden. Weite Kreise, selbst unter den Kapitalisten, hätten heute schon eingesehn,' daß das kapitalistische System in höchstem Maße für die heutig« Not verantwortlich sei. Auch unter den Nationalsozialisten gebe es viele Tausende, die dumpf fühlten, daß der Kapitalismus an ihrer Not die Schuld trage. Das seien die Enttäuschten des versinkenden Mittelstandes. Diese Leute seien die künftigen Rekruten des Sozialismus. Zum Schluß verteidigte Breitscheid die Sozialdemokratie gegen den Vorwurf, daß sie, obwohl sie in dem Kapitalismus den Feind sehe, doch die kapitalistische Regierung Brüning unterstütze. Das geschehe nur, weil die Regierung, die heute im Reich herrsche, noch immer derjenigen vorzuziehen sei, die zweifellos kommen würde, wenn heute oder morgen das Kabinett Brüning gestürzt würde. Die Sozialdemokratie wolle den Faschismus eines Hitler und eines Hugenberg verhindern. Auch sei die Sozialdemokratie jetzt noch immer in der Lage gewesen, den Notverordnungen, die sie in vielen Punkten gewiß nicht billige, ihre Härten und Scharfen gegen die Arbeiterschaft zu nehmen. Es drohe die Gefahr einer VerbreiterungderRegierungBrüningnachrechts. Dafür sei besonders im Zentrum einige Neigung vorhanden. Ein- dringlichst warnte Breitscheid davor, zu versuchen, die Krise durch Gewalt zu lösen. Das mache die Sozialdemokratie nicht mit, sie er- warte den Soizalismus in ruhiger Entwicklung. Wenn aber die Enttäuschten des Volksentscheids die Politik von der Wahlurne, wie es scheine, auf die Straße trügen und der Sozialdemokratie mit Ge- walt entgegenträten, so werde die Sozialdemokratie, die den Grund- satz der Gewalt ablehne, mit denselben Mitteln zu antworten wissen.