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3£, III. SlaUenburg:

desTaiers

Er hatte immer Dienst an der gleichen Stelle, im Gegensatz zu feinen Ltameraden, die in regelmäßigem Wechsel an andere Ver- kehrsbrennpunkte gestellt wurden. Für ihn gab es sedoch eine Aus­nahm«. Jung energisch wie er war, hatte man ihn an den be- lebtesten Punkt der' engen Innenstadt gestellt. Nach Ablauf eines besan)>eren Verkehrskursus hatte er sich einem speziellen Studium des Verkehrs auf dem ziemlich engen Platz gewidmet, wo sechs Straßen einmündeten, die getrost als Hauptverkehrsadern bezeichnet werden tonnten. Von morgens früh bis in den späten Aden» hinein war es ein Fahren und Lärmen aller möglichen Fahrzeuge mit und ohne Motor. Auch der Platz selbst, der von Geschäften und Kaffeehäusern begrenzt wurde, war der von Fußgängern am meisten aufgesuchte Punkt der Stadt. Ueber den Verkehr auf diesem Platze hatte er an Hand selbst- gefertigter Zeichnungen eine Untersuchung, angestellt, di« so ein- gehend und gewissenhaft war, daß der Polizeipräsident persönlich ihn als den einzigen anwies, der diesen Posten auszufüllen habe. Er oersah seinen Dienst in genauester Weise, als ob das Wohl und Wehe aller d«rer, die über den Platz fuhren oder gingen, von ihm obhing. Dabei blieb er vollkommen beherrscht. Eine einfache Hand- bewegung, ein Blick seiner ruhigen, stahlblauen Augen hieß den Verkehr kommen und gehen, wie er es wollte. Noch nie war. so- lange er hier Dienst' hatte, eine nennenswerte Störung eingetreten. Jeder kannte ihn: Chauffeure, Kutscher , Radler und Fußgänger Junge Polizeianwärter erhielten hier Anschauungsunterricht. Er gab theoretischen und praktischen Unterricht, und Publikum wie Derkehrsspezialisten waren sich darüber einig, daß er der rechte Mann am rechten Fleck war. In der Mitte des Platzes befand sich ein« kleine Erhöhung., ein« Insel, die für die Regelung des Verkehrs bestimmt war. Es war sein Stolz, jedem, der es hören wollte, erzählen zu können, daß er diese Insel selten oder nie hatte verlassen müssen. Wenn gelegentlich, was nicht zu häufig vorkam, eine Uebertretung dienst- lich gemeldet werden mußt«, so winkte er den Schuldigen heran. Das Zeichen wurde angesichts des zwingenden Blickes seiner Augen und des entschiedenen Winkes seiner Hand sofort befolgt. So war er im Dienst. Aeußerste Pflichterfüllung, genaueste Ausübung seines Dienstes, streng gegen sich selbst und darum auch gegen andere. Zu Hause konnten sie mit ihm inachen, was sie wollten. Zu Hause half er seiner jungen Frau, tollte mit seinem kleinen fünf- jährigen Mädel, dem Ebenbild ihres Voters: die gleichen Augen, der gleich«, sei ez noch kindliche Ernst. Zu Hause war er zu allem

bereit. Wenn er frei war, widmete er sich völlig seiner Frau und dem Kinde. Vor allem an Sonntagen, die ihm wegen des nerven- anspannenden Dienstes als freie Tage bewilligt wurden, waren Vater und Tochter unzertrennlich. Dann ging er mit ihr m der Stadt spazieren, besonders über den belebten Platz, seinen P'atz der dann im Sonntagsverkehr einen so ruhigen Eindruck machte Und er erklärte, wie er den Verkehr regelte, und legte seiner Frau an jedem Sonntag von neuem ans Herz, niemals an Wochentagen mit dem Kinde den Platz zu überschreiten. Dies Verbot war zu Haufe das einzig«Strenge" an ihm. Noch nie hatte sein Kind ihn im Dienst gesehen. Vater wollte es nicht haben, und dann durfte es eben nicht. Die Kleine hätte so gern einmal seiner machtvollen Regierung zugeschaut. Wenn er ihr von seiner Arbeit erzählt«, dann ichmoll ihr das kleine Herz vor Stolz, und mit ihren Kinderaugen sah sie den Vater als den Be- Herrscher eines Volkes. Schwer bedrückte sie das Verbot. Doch schwerer noch wog ihr Verlangen, doch zu sehen, den Vater zu sehen, wie er gehen und stehen ließ, wann und was er wollte. So schwer. so schwer, daß eines bösen Tages, ohne daß Mutter es bemerkte, sie aus dem Hause schlüpfte und so rasch sie trippeln konnte, nach dem Platz, Vaters Platz, lief, um König Vater regieren zu sehen. Wie sie nach dem Platz gehen mußte, wußte sie ganz genau. Wieviel Sonn. tage war sie nicht an Vaters Hand dort gewesen: Da stand sie, und da sah sie den Vater, der für sie wirklich da- stand wie«in König, der über alle die vielen Menschen zu gebieten hatte, die den Platz überqueren wollten. Stolz war sie, so stolz auf den Vater, daß sie seine Hand ergreifen und festhalten möchte, nicht mehr denkend an sein strenges Gebot. Lachend wollte sie neben ihm stehen und all diesen Menschen zujubeln:Seht, das ist mein Vater, und wenn er es nicht will, dann müßt ihr stehenbleiben. ihr alle!" Und so gewaltig wuide das Verlangen, daß sie in Plötz- licher Aufwallung gerade über die Straß« lies, die vom Vater für den Verkehr freigegeben worden war. Ein Knirschen von zu stark angezogenen Bremsen. Ein schwacher Schrei, gellende Menschen. Kurze Stille. Ein kleiner zarter Kinderkörper wurde an dem Verkehrsschutz- mann vorübergetragen. Gerade noch eben brachte er die Kraft aus, den Strom der Fahr, zeuge anzuhalten.-- Dann verließ er seine Insel. Weiter brandete der Verkehr, während er selbst, seinen Posten im Stiche lassend, sein totes Kind nach Hause trug,...... Am nächsten Tage bat er darum, des Dienstes auf seinem Platz enthoben zu werden. (Uidertraglung auz dem Niedcrländiftheit von Harro Tssln�.)

Sma föü/ing:

�jiere/<Mlenlcken/ So in m erfri| cli e

Oer Spatz im Gemeindegraben. Er, der Herr des Hauses, kam mit Frau und Töchterchen in die Sommerfrische. Die Frau liebt die Ruhe und den Liegestuhl und nimmt nebenbei Sonnenbäder. Das Töchterchen tollt in langen und kurzen, auf jeden Fall aber übermütigen Sprüngen durchs Dorf. Isder Baum, jede Blume, jedes Tier sind für das Mädel Erlebnissel Eigentlich ist es feiner Gewohnheit gemäß ein lebendes Fragezeichen. Aber hier fragt das Kind nicht mehr, im Dorf wird es mit jeder Sache von sich aus fertig: denn das Mädel lebt und erlebt. Um den Mann jedoch bleibt Unruhe. Er führt Telephongespräche '"ünd empfängt Telegramme, er liest den Kurszettel und schaltet den Lautsprecher beim Tendenzbericht der Börse ein. Er wirst nicht den Arbeitsmenschen ab, er wird nicht Ich. Bis auf einmal sein Töchterchen fast alemlos und heulend in sein Zimmer gestürzt kommt:Papa, Papa, komm schnell, ein junger Spatz ist in den Gemeindegraben gefallen." Und kurz darauf steht der Herr Soundso, endlich als Privat- mann, mit aufgekrempelten Hosen im Gemeindegraben und fischt vorsichtig den jungen Spatz heraus. Oer Pudel als Märtyrer. Während des Winters ist er ein richtiger Dorfköter, zerzaust, voller Flöhe, ein Rumtreiber und bissiger Wächter des Hauses. Zur Winterszeit ist das Seebad nämlich Dorf, regelrechtes Fischer- darf. Doch wenn der Sommer kommt, wird es Seebad. Alles ändert sich und selbst der Pudel wird, noch eben bevor die Gäste kommen und aus dem Dorfbader ein Haarkünstler geworden ist, von genanntem Herrn eigenhändig geschoren. Dann bekommt der Pudel eine Schleife ins Haar gebunden und ist nicht mehr Wach- Hund, sondern sitzt als Nippfigur auf der für die Kurgäste angebauten Veranda des Hauses. Das beherbergt diesmal während der großen Ferien 2 Kinderfräulein und 6 Kinder, und alle fühlen sich be- müßigt, den Pudel zu kämmen. Er wird morgens fertig gemacht, er wird mittags gekämmt und falls man nachmittags auf die Veranda guckt, dann wird ihm gerade die Schleife frisch ins Haar gebunden. Und wenn er abends spazierengeht, dann geht er ganz besorgt breitbeinig, damit er die schöne Frisur nicht in Unordnung brsngt. Doch es nützt ihm nichts, morgen wird er wieder von neuem frisiert. Und der Pudel ist geduldig und läßt alles über sich ergehen als ein heldenhafter und stiller Märtyrer des Kurbetriebes. Oie Pute und die' Enten. Die Sonne brütet, meint es übertrieben gut und Frau Pute geht mit Entenküken spazieren und weiß immer noch nicht, daß sie nichts Rechtes ausgebrütet hat. Die Sommergäste der abvermieteten Villa räkeln sich auf dem Balüon. Der nahe Nadelholzwald ist puloertrocken, er erinnert aufdringlich an den Staub oielbefahrener Chausseen und an die Stadt. Die Gäste meiden ihn dieserhalb. Sie wollen nichts als mit Bewußtsein faulenzen, sie wollen faul sein und weiter nichts als faul sein. Das Gehirnschmalz ist langsam ver- dunstet. Die Gäste sind glückselig faul. Sie brauchen nicht zu fürchten. daß sie den Alarm eines Weckers überhören oder eine Straßenbahn versäumen. Und draußen, im Garten, geht Frau Pute mit den Entenküken spazieren. Unweigerlich streben die kleinen Enten nach einer Pfütze, doch dann stößt die Pflegemama einen Warnruf aus und die Kleinen kommen artig zurück. So geht das Tag für Tag. Die Sonne brennt, die Pute geht mit den Entenküken spazieren und die Sommergäste räkeln sich und führen nur das eine aufregende Gespräch:Ob die jungen Enten doch wohl ichwimmen lernen?" Oer Hund und die Siöckchen. Man hatte Erbarmen mit ihm und keinen Menschen, der ihn oerpflegte, darum wurde er mit in die Sommerfrische genommen, er, der große deutsche Schäferhund.. Es war die erste Sommerfrische seines Lebens. Sein Lebens- schicksal war Etagen- und Stadthund zu sein. Seine Rase hatte sich an die tausend Mißhandlungen durch üble Gerüche gewöhnt, er fühlte sich nicht mehr durch Bohnerwachs und auch nicht mehr durch Benzingestank beunruhigt. Doch nun stand er auf einmal auf dem Ert�den, aus richtiger Erde. Die Erde lebte für ihn. Die Erde war

ihm nicht mehr zur Stiefelwichse gewordener Asphalt, der ihm in die schnüffelsüchtige Nase lief. Ueber diese Erde waren Lebewesen gegangen, dank seiner Nase lebten ihre Bilder in ihm aus und er wußte von unterschiedlichen Menschen und Tieren, die vor ihm die gleichen Wege gingen. In der Stadt roch er nur Stiefel und Stiefel und die Putzmittel, mit denen sie behandelt wurden, hier aber, auf der Erde, roch er Füße und Pfoten. Der Schäferhund war selig. Und dann kam Wasser, und Herrchen nahm Stöckchen und warf sie hinein. Der Hund, der als echtes Tier gar nicht daran denken kann, daß man einer Situation vielleicht nicht gewachsen sein könnte, schwamm sofort.-, Ach, war das herrlich. Er wurde nicht, wie in der Stadt, in eine Wanne gesetzt und geseift, nein, er brauchte nicht zu hocken, er durfte hier schwimmen, sich richtig im Wasser bewegen. Er schwamm und schwamm und Herrchen und Frauchen suchten um- sichtig Stöckchen, bis beide kreuzlahm waren. Doch der Hund war der Freude noch �lange, lange nicht überdrüssig. Darum erbarmten sich ein paar andere Sommergäste seiner. Und so geht es weiter. Tag für Tag. Der Hund bettelt jeden Gast an, er möge doch Stöckchen ins Wasser werfen, doch auf den Gedanken von sich aus selbständig ins Wasser zu gehen, kommt der Hund nicht.

R. R. lleuberl: dteihmgsmedaUlen... Wer im Sommer in das Stranddorf kam, versäumt« nicht, Klaus Tole einen Besuch abzustatten. Klaus Tole könnte mit drei Sternen im Baedeker stehen: jedes Jahr rettet er eitzig« Menschen vom Tod« des Ertrinkens. Kürzlich wurde Tole fünfzig Jahre alt. Da haben sie im Dorf ein Fest veranstaltet. Mit Musik und Ansprachen. Klaus Tole saß, mit allen Rettungsmedaillen geschmückt, in seinem Häuschen und die Leute kamen und gratulierten ihm. Die Pensionsgäste brachten ihm Wein aus dem Keller des großen Hotels. Und wenn Klaus Tole trank und lachte, klirrten die Medaillen auf seiner Brust. Ich stand etwas abseits von den Menschen, die Tole gratulierten. Bleiben Sie noch recht lange gesund", sagten einige. Wieviel Menschen haben Sie denn schon gerettet?" fragte ein kleines adliges Fräulein aus Potsdam . Tole wußte gar nicht, wieviel Menschen er schon im Laufe der Jahr« gerettet hatte. Doch die Medaillen klirrten auf seiner Brust, als wollten sie von den Menschen erzählen, die Tol« gerettet hatte. Er selber erzählte nicht gern. Mir schien auch, als wäre Tol« nur noch stiller und mürrischer, wenn er die Medaillen trug. Wir waren nachher beide allein in seiner guten Stube. Wir rauchten schweigend und tranken den Wein aus dem Keller des großen Hotels. Vom Fenster aus konnte man auf das Meer sehen: es glänzte in der Ferne manchmal wie ein reflektierend.'r Stiegel auf., Ich dachte, daß der Wein Tales Zunge lösen würde, ich hoffte. daß er anfangen würde, in seinen Erinnerungen zu kramen, nun die Dunkelheit kam und Tole die Petroleumlampe ansteckts. Jetzt hatten die Medaillen einen eigenartigen Glanz. Nach einer Weile bemerkte ich, daß Tole in seinem Lehnstuhl eingeschlafen war. Ich betrachtet« ihn ruhig, wie ich in einem Museum ein Gemälde Schlafender Fischer" betrachten würde. Sein Atem ging regelmäßig wie ein Uhrwerk und einmal schüttelte ihn, ohne daß er erwachte,«in dumpfer Husten, und dabei klirrten die Medaillen wieder. Da mußte ich an di« Menschen denken, die Tole gerettet hatte. Und ich wußte jetzt, warum Tol« nicht gern erzählte, denn ich fand, daß es schwer war, und daß es eine Dunkelheit gab, wenn man an diese Menschen dachte. Mußt« man nicht fragen: Warum habe ich gerettet? Wozu habe ich gerettet? Wen habe ich gerettet? Einen Menschen? Was ist das, ein Mensch? Etwas Bestimmtes? Nein, etwas sehr Un- bestimmtes, �Ungewisses. Es können Glückliche sein und Unglückliche, Gute und schlechte. Lebenswillige und Lebensmüde. Vielleicht sind sie später anders und schlimmer untergegangen. Aber Tole hat zu» gegriffen, ohne das alles zu wissen. Und wo leben sie jetzt, die er

r rettete? Wo danken sie ihm? Wo fluchen sie Hm? In Kranken» Häusern, Polästen, Neubauwohnungen? ' Wenn sie jetzt alle zu ihm kämen, die«r rettete, wenn sie jetzt kämen durch die Nacht in sein Haus: Direktoren in Luxuslimousinsn, müde Frauen mit blassen Kindern, lachende Liebespaare, Bettler, Sträflinge, Schatten über dem Meer. Wie ruhig Tole schlief! Auf dem Tisch standen die leer.m Weinflaschen. Die Petroleumlampe blinzelt«. Ich war aufgestanden und ging im Zimmer leise hin und her. Manchmal blieb ich vor Maus Tole stehen und blickte ihn an. Mit Furcht, Mitleid, Liebe und Grauen betrachtete ich ihn.Ein zehn- sacher Lebensretter ist kein Lebensretter mehr!" mußte ich denken, auf zehn Glückliche kommen drei Unglückliche, auf zehn Arbeitende drei Arbeitslose, auf zehn Gesunde drei Kranke. Ein zehnfacher Lebensretter muß«in ruheloser Mensch sein." In diesem Augenblick erwachte Klaus Tol«. Er sah mich an, als hätte er meine Gedanken erraten. Vielleicht hatte er auch von den Menschen geträumt, die er als Werkzeug des Schicksals einem zweiten Leben zurückgegeben hatte. Ich sah, wie er umständlich di« Medaillen von seinem Rock nahm, in ein Kästchen legte, und alles in einem Schubsach verschloß. Gute Nacht, Klaus Tole!" sagte ich. Viartin Richard Vlöbius: Mfjfßl* I Durch die innere Stadt geht langsam, offenbar mit größter An- strengung, ein älterer, ärmlich gekleideter Mann. An einer langen, dicken Stange trägt, er ein doppelseitiges, grell bemaltes Plakat: auf der einen Seite sieht man einen seinen Herrn vor einer reichbesetzten Tafel, wie er Gänsebraten einverleibt,'aus der anderen Seite einen Dicken, der beim Wein sitzt und jedermann fröhlich zuprostet. In den schönsten Farben ist alles gemalt, ein gebratenes Huhn, eine knusprige Gans, eine Forelle, eine Pastete,, außerdem Obst und Konfekt. Der trinkende Herr lächelt gewinnend, er ladet mit einer großartigen Handbewegung ein, sich mit an den Tisch zu setzen. Das ist die Reklame eines vornehmen Restaurants. Auffallend unterschieden von den seinen Herren ist der Träger des Plakats. Er ist alt. krumm, mager, müde und verbraucht. Sein erschlafftes, graues Gesicht hat den Ausdruck verzweifelnder. Resi- gnation. Das Plakat, auf einem dicken Holzrahmen befestigt, ist viel zu schwer. Wenn der Wind gegen das Plakat angeht, wird der Alte von den beiden seinen Herren, der Gans, dem Huhn und allem anderen nach vorn gedrückt. Dennoch geht er weiter. Für vier Stunden Plakattragen soll er eine Mark erhalten. Dos rst der Mühe Preis, der Lohn. Langsam, vorsichtig ausschreitend, geht er weiter. In einer größeren Verkehrsstraße kommt der Alte ins Gedränge. Dabei mutz er mächtig aufpassen, denn der Wind fegt hier mit einer Art von Wut entlang und drückt schwer auf das Plakat. Seine Kräfte werden schnell verbraucht. Außerdem sieht er fortwährend Geschäfte mit Lebensmitteln. In den Auslagen prangen Würste. Schinken, Eisbeine, nebenan liegt Schokolade, noch weiter Obst, große, gelbe Birnen, die sa saftig sind... Und dann kommt der Geruch von frisch gebackenem Brot. Das Wasser läuft il>m im Munde zusammen, doch er hat keinen Pfennig Geld. Er darf nicht stehen bleiben. Er hat die beiden seinen Herren, die im Restaurant sitzen, vier Stunden lang in der Stadt herumzutragen. Ein Windstoß spring: gegen das Plakat und treibt den Alten um die Ecke. Taumelnd geht er weiter. Jetzt kommt ein« Gastwirt- schaft, drinnen sitzen gut gelaunte Menschen lächelnd am Tisch, essen und trinken und schwatzen. Es zieht den Alten immer näher an die Fensterscheiben. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Und plötzlich kommt mit einer Wolke Staub ein neuer, heftiger Windstoß, der reißt das Plakat mit dem Träger um. Er liegt auf der Straße und kann sich nicht aufrichten. Neben ihm liegen die beiden feinen Herren, lächeln und prosten. Endlich springt jemand hinzu und will helfen. Ein anderer muß auch noch zugreifen, und sie tragen ihn in einen Hausgang. Ob er sich weh getan habe, fragt ihn einer. Hunger", sagte der Alte ganz leise.Hunger..." Und die beiden seinen Herren auf dem Plakat essen und trinken seelenruhig weiter. Geburt und �od einer Jnfel Nach der Sage soll ganz Sizllien im Verlauf eines gewaltigen vulkanischen Ausbruchs aus dem Me«re aufgestiegen fein. Historisch beglaubigt aber ist die Tatsache, daß gerade vor hundert Iahren im Süden Siziliens , zwischen Sciacca und der Insel Pantelleria , plötzlich in einerSandbank der Korallen" genannten Zone unter gewaltigem Krachen und lodernden Flammen«in Eiland au- dem Meere auftauchte. Das geschah im Juli 1831.Der Erscheinung", so schreibt der bekannte italienische Geologe A. Pasetti,waren ver- schieden? besorgniserregende Erderschütterungen vorausgegangen, die die Bevölkerung in panischen Schrecken oersetzt hatten. Eines Nachmittags, während die Fischer von Sciacca versammelt waren, da sie sich in ihren Häusern nicht mehr sicher fühllen, begann das Meer zu erzittern, zu brüllen und wild aufzuschäumen, als ob ein riesiges Ungeheuer sich anschick«, au« dem Schlund der Tiefe heraus- zuspringen. Plötzlich spritzte ein« gewaltige Wassersäule aus, die an die 50 Meter hoch und ebenso breit war und von Wolken weißen Rauches eingehüllt wurde. Während die furchterregende Wasser- masie zurückfiel, wurde unter Heulen, Krachen und Feuergarben vulkanische Asche bis zu 4000 Meter in die Luft geschleudert. Das ebenso schreckliche wie großartige Naturschauspiel hielt die Zuschauer. die entsetzt neben ihren Booten standen, minutenlang im Bann. Als das Feuer sich abschwächte und der dicht«, beißende Rauch vom Wind vertrieben war, zeigte sich auf d«r weiten Wasserfläch« der Riesenkrater eines Vulkans in der charakteristischen Kegelform. Langsam, aber in beständigem Fortschreiten, das auch mit dem bloßen Auge wahrnehmbar war, stieg der Vulkan au« dem Wasser und hatte am Abend schon einen Umfang von fast 5 Kilometer er- reicht. An den folgenden Tagen erhoben sich, wie von einer Zauber- Hand geschaffen, neben dem Mittelkegel zwei Hügel, von denen der östlich gelegen« eine Höhe von etwa 200 Metern erreichte. Nachdem die Fischer sich von ihrem Schreck«» erholt hatten. priesen sich diese schlichten Bewohner der Küste glücklich, einem Wunder beigewohnt zu hoben. Die neugeborene Insel wurde, ver» mutlich zu Ehren des Königs Ferdinand I. ,Ferdinandea " getauft. Mehr als einer der Fischer sprang ins Boot und giiff zu den Rudern, um den Strand der geheimnisvollen Insel zu besichtigen. Den ersten Neugierigen folgten ander«, und ihre Zahs wurde so groß, daß man schließlich daran giftg, mit Hilfe der Ruder, und Segelboote eine Art Touristenverkehr einzurichten. Die Fahrten fanden aber rasch ihr Ende, als im Oktober 1831, drei Monate nach ihrem Erscheinen, oie Insel Ferdinandea aufs neue von Zuckungen und Erschütterungen befallen wurde. Gleichzeitig schrumpft« ihre Mole langsam ein. Ein paar Tage später senkte sich di« Insel Ferdinandea tiefer und tiefer, bis sie in den ersten Novembertagen unter dem Aufschäumen der kochenden Waffer vollständig unter dem Wafferspiegel verschwand, wie ein Schiff, das kopfüber in di« Tiefe stürzt. Ein paar Stunden noch sah man auf dem Meere eine etwa 30 Meter hohe Säule kochenden Wasser«, dem ein scharfer Schwefel. geruch entströmte. Dann war alles vorbei, und dort, wo die Insel gewesen war, kräuselte sich nur noch die See."